Eva Jaeggi, Psychoanalytikerin und Sozialforscherin, erforscht die tiefgreifenden Fragen zur Identität. Sie erklärt, wie unser Selbstverständnis im Laufe der Zeit fließend und anfällig für externe Einflüsse ist. Jaeggi diskutiert die Bedeutung der Ambiguitätstoleranz im Umgang mit Unsicherheiten und beleuchtet den Einfluss der frühen Erziehung auf unsere Identitätsbildung. Außerdem thematisiert sie die Risiken von Etikettierungen und deren Auswirkungen auf den sozialen Dialog sowie den Druck auf die junge Generation im Streben nach optimaler Gesundheit.
Die Identität ist ein dynamischer Prozess, der sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Einflüsse integriert und ständig im Fluss ist.
Ambiguitätstoleranz ist entscheidend, um die eigene Identität in einer komplexen und sich verändernden Welt zu navigieren.
Deep dives
Die Suche nach Identität
Die Frage nach der eigenen Identität wird zunehmend relevant, insbesondere in einer komplexen Welt voller kultureller Einflüsse und Lebensstile. Menschen sind mit verschiedensten Erwartungen und Zuschreibungen konfrontiert, die den eigenen Identitätsbegriff herausfordern. Diese Unsicherheiten werden besonders in Krisensituationen deutlich, etwa bei Umzügen in neue Kulturen oder Beziehungsabbrüchen, die eine Neubewertung des eigenen Selbst auslösen. Ein zentrales Moment in diesem Identitätsprozess ist oft die Differenzierung zwischen individuellen und Gruppenidentitäten.
Das innere Selbst und äußere Einflüsse
Das innere Verständnis von Identität wird durch ein Mosaik von äußeren Stimmen geprägt, die die individuelle Wahrnehmung beeinflussen. Theorien besagen, dass das Selbst nicht statisch ist, sondern ständig im Fluss und von dynamischen Wechselwirkungen mit dem sozialen Umfeld abhängt. Insbesondere scheint es eine Spannung zwischen dem Wunsch nach einem stabilen Selbst und der Realität vielfältiger Zuschreibungen zu geben. Diese innere Unruhe erfordert eine Balance, um nicht vollständig von externen Erwartungen dominiert zu werden.
Ambiguitätstoleranz und flexible Identität
Die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz ist entscheidend, um die eigene Identität in einem sich ständig verändernden Umfeld zu navigieren. Dieses Konzept fordert heraus, dass Menschen bereit sind, sowohl ihre inneren Widersprüche als auch die komplexen äußeren Einflüsse zu akzeptieren, die ihre Identität formen. In modernen Gesellschaften, wo traditionelle Rollen oft aufgebrochen werden, ist das ständige Neueinfassen der eigenen Identität eine bewältigbare Herausforderung. Diese Flexibilität wird als Chance gesehen, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, auch wenn sie gleichzeitig ein Gefühl der Unsicherheit und den Druck zur Anpassung mit sich bringt.
Die Rolle der psychologischen Perspektive
Die psychologische Betrachtungsweise erweitert das Verständnis von Identität, indem sie betont, dass es einen stabilen Persönlichkeitskern im klassischen Sinne nicht gibt. Psychotherapie wird als ein Weg aufgezeigt, individuelle Spannungen und Ambivalenzen zu erkennen und zu integrieren. Die Bedeutung von unterschiedlichen psychologischen Ansätzen, wie der Psychoanalyse, wird hervorgehoben, um die Komplexität menschlichen Verhaltens zu erfassen. Erst durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Perspektiven kann eine ausgewogene Sicht auf die eigene Identität und deren Entwicklung erreicht werden.
Den eigenen Kern zu finden, das, was das Innere ausmacht, scheint eine lebenslange Aufgabe zu sein. Moderator Jürgen Wiebicke diskutiert mit der Psychoanalytikerin Eva Jaeggi über die Schwierigkeit, die eigene Identität zu fassen.
Eva Jaeggi (*1934) ist eine österreichische Psychologin und Psychoanalytikerin. Sie war u.a. Professorin an der Technischen Universität in Berlin.In ihren Schriften und Büchern hat sie sich ausführlich mitFragen der Therapie, Beziehungsproblemen und Identitätssuche beschäftigt.
Warum die Suche nach der eigenen Identität so viele Menschen beschäftigt (01:52)
Das Ich als Chor von Stimmen (05:21)
Warum der Satz "Werde, wer du bist" problematisch ist (09:36)
Ambiguitätstoleranz: Widersprüche in der eigenen Identität aushalten (13:04)
Kollektive Identität: infantil oder adäquat? (19:21)
Das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson (23:36)
"Wer bin ich? Frag doch die anderen!": Was es mit dem Buchtitel auf sich hat (29:17)
Kritik am positivistischen Menschenbild (35:22)
Was von Siegmund Freuds Thesen zu halten ist (40:39)
Über das Phänomen des Psychobooms in der Gegenwart (43:48)
Literatur: Eva Jaeggi: Wer bin ich? Frag doch die anderen! Wie Identität entsteht und wie sie sich verändert. Huber Verlag (2014). 212 Seiten. 20 Euro. ISBN: 978 3456853116
Philosophieren Sie mit über die großen Themen unserer Zeit. Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken über KI und Klimawandel, über Einsamkeit und Zusammenhalt, über Glück und Glaube. Das philosophische Radio mit Jürgen Wiebicke immer montags um 19:04 Uhr live in WDR 5. https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/philosophisches-radio/index.html
Im nächsten Podcast sprechen wir mit dem Philosophen Christoph Quarch über gute Führung.
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Unser Podcast-Tipp:Innenwelt – das psychologische Radio von WDR 5. Faszinierende Einblicke in unsere psychologische Innenwelt und alltägliche Phänomene – jederzeit verfügbar in der App, der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt: https://1.ard.de/innenwelt-podcast
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