
SWR Kultur lesenswert - Literatur Paul Maar – Lorna
Aug 19, 2025
04:09
Der Kindheit bleibt Paul Maar auch treu, wenn er ein sogenanntes „Erwachsenenbuch“ schreibt. „Erwachsenenbücher“ sind eine seltsame Sache. Es gibt sie nur von Autorinnen und Autoren, die eigentlich auf Kinderbücher spezialisiert sind. Paul Maar, einer der beliebtesten deutschen Kinderbuchautoren, hat nun eine Novelle vorgelegt, die zwar mit der Erinnerung an eine Kindheit beginnt, die aber gewiss kein Kinderbuch ist.
Zeitkolorit der frühen 70er Jahre
Der Ich-Erzähler Markus hat einige Gemeinsamkeiten mit dem Autor: Er stammt aus der Gegend um Schweinfurt, besucht nach der Schulzeit die Kunstakademie in Stuttgart und arbeitet schließlich als Kunstlehrer am Gymnasium. So hat auch Paul Maar, Jahrgang 1937, seine Berufslaufbahn begonnen, bevor er Illustrator und Kinderbuchautor wurde. Sein Ich-Erzähler ist allerdings rund zwanzig Jahre jünger als er selbst. Markus‘ Studentenzeit liegt in den frühen siebziger Jahren, als Genesis mit Peter Gabriel tourte und im Fernsehen Wim Thoelkes „Der große Preis“ lief. Die Geschichte setzt aber rund zehn Jahre früher mit den ersten Erinnerungen an die titelgebende Lorna ein, ein Mädchen, das im selben Hochhausblock aufwächst wie Markus. Ihren irischen Vater hat sie nie kennengelernt.Alle in unserer Clique waren mehr oder weniger in Lorna verliebt. Wir schwärmten uns gegenseitig vor, wie gut ihr die langen roten Haare standen und wie sehr die grünen Augen dazu passten. Irgendwie irisch, nannte es Roland. Dabei war uns natürlich klar, dass sie nicht direkt aus Irland kam.Quelle: Paul Maar – Lorna
Von der Liebes- zur Leidensgeschichte
Auch der Ich-Erzähler Markus ist in Lorna verliebt, obwohl sie sich für einen anderen entscheidet, ausgerechnet für „Hinkebein“, der an Kinderlähmung litt und sich nur schwer bewegen kann. Erst gegen Ende der Schulzeit – „Hinkebein“ ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen – wird aus den beiden dann doch noch ein Paar. Doch die düsteren Vorzeichen mehren sich. Eine Freundin Lornas leidet an multipler Persönlichkeitsstörung und tritt mal als Yvonne, mal als Bobby auf, so dass sie, nachdem sie sich als Yvonne sattgegessen hat, als Bobby dieselbe Portion noch einmal isst. Lornas Vater stirbt im fernen Irland, ohne dass sie ihn je getroffen hätte. Und bald sind bei Lorna erste Anzeichen dessen zu erkennen, was Markus ihre „Manie“ nennt. Sie trinkt, wird aggressiv, verschwindet ganze Tage und kommt mit anderen Männern zurück in die gemeinsame WG, in der auch noch Katharina wohnt, vor deren Zimmertür Lorna ein Feuer anzündet. Für den Ich-Erzähler wird aus der Liebes- eine Leidensgeschichte.Ich blickte ihr nach. Sie war wirklich nicht mehr die Lorna, in die ich mich verliebt hatte. Mir schien es, als hätte sie ihr Hirn umgestülpt und damit einer anderen Persönlichkeit Zutritt zu ihrem Körper verschafft. Mein Schmerz und meine Eifersucht galten nicht der Frau, in die sie sich verwandelt hatte.Lorna pendelt zwischen Aufenthalten in der Psychiatrie und immer kürzeren Versuchen, in eine lebbare Normalität zurückzufinden. Markus versucht, ihr nahe zu kommen, doch während er den Weg ins Leben findet und sich mit Katharina tröstet, bleibt sie auf der Strecke. Die Geschichte hat auch etwas mit Schuld und verpassten Möglichkeiten zu tun.Quelle: Paul Maar – Lorna
