LdN369 Spezial: Wer spaltet unsere Gesellschaft? (Steffen Mau, Soziologe)
Feb 18, 2024
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Steffen Mau, Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, thematisiert gesellschaftliche Spaltungen und den sozialen Zusammenhalt. Er beleuchtet die emotionalen Trigger in der Politik, die zur Polarisierung beitragen, und diskutiert, wie Wandel in Normen die gesellschaftliche Akzeptanz beeinflusst. Mau analysiert auch die Erosion der Parteikultur und die Entstehung einer Erregungsdemokratie. Zudem wird der Einfluss von Wohlstand und Erbschaft auf die politische Landschaft sowie die Herausforderungen der aktuellen Krisenpolitik besprochen.
Der Übergang zu erneuerbaren Energien führt zu signifikanten gesellschaftlichen Veränderungen, die insbesondere ländliche Regionen und Landwirte betreffen.
Trotz der weit verbreiteten Wahrnehmung von Polarisierung existiert häufig ein breiter gesellschaftlicher Konsens zu zentralen Themen wie Ungleichheit und Migration.
Emotionale Reaktionen auf spezifische Themen werden von politischen Akteuren genutzt, um Unterstützung zu mobilisieren und gesellschaftliche Konflikte zu schüren.
Deep dives
Gesellschaftlicher Wandel und Ungleichheit
Die Diskussion beleuchtet den fundamentalen Wandel, dem die Gesellschaft unterworfen ist, insbesondere den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien. Diese Veränderung hat weitreichende Konsequenzen für verschiedene gesellschaftliche Gruppen, insbesondere für Landwirte und Menschen in ländlichen Gebieten. Zudem wird darauf hingewiesen, dass die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen nicht die einzige Ursache, aber doch ein bedeutender Faktor für die Entstehung von Ängsten ist, die den Aufstieg rechtsradikaler Parteien begünstigen. Es entsteht das Gefühl, dass die Gesellschaft an Bindekräften verliert, was viele Menschen dazu bringt, um die Überlebensfähigkeit der Demokratie zu protestieren.
Die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Spaltung
Professor Mau stellt die These auf, dass das Gefühl einer gespaltenen Gesellschaft nicht notwendigerweise der objektiven Realität entspricht. Während die öffentliche Diskussion oft von Polarisierung geprägt ist, zeigt eine tiefere Analyse, dass viele Menschen in den Kernfragen wie Ungleichheit und Migration durchaus eine gemeinsame Basis finden können. Diese gemeinsame Haltung wird durch empirische Daten untermauert, die zeigen, dass die Meinungen oft weniger polarisiert sind, als in den Medien dargestellt. Mau verwendet das Bild eines Dromedars, um zu verdeutlichen, dass es zwar Konflikte gibt, die Gesellschaft insgesamt jedoch eher in der Mitte verankert ist.
Breite des gesellschaftlichen Konsenses
Die Untersuchung der gesellschaftlichen Konfliktfelder zeigt, dass trotz der häufigen Wahrnehmung von strittigen Themen in der Öffentlichkeit, ein breiter Konsens zu wichtigen Fragen existiert. Im Bereich der sozialen Sicherheit beispielsweise stimmen viele Menschen darin überein, dass ein Sozialstaat wichtig ist, und die Diskussion dreht sich hauptsächlich um Ausgestaltungen wie die Höhe des Bürgergeldes. Auch bei Migration gibt es einen Großteil der Bevölkerung, der eine regulierte Form der Migration befürwortet, anstatt radikale Positionen einzunehmen. Diese gemeinsame Basis wird in der gesellschaftlichen Kommunikation jedoch oft nicht richtig reflektiert, wodurch Missverständnisse und eine verzerrte Wahrnehmung entstehen.
Triggerpunkte und politische Emotionalisierung
Triggerpunkte sind spezifische Themen, die starke emotionale Reaktionen hervorrufen und oft zu Konflikten führen. Ein Beispiel ist die Diskussion über gendergerechte Sprache, die viele Menschen auf die Barrikaden bringt, obwohl sie in Umfragen zuvor Toleranz gegenüber der LGBTQ+-Gemeinschaft geäußert hatten. Mau erklärt, dass die Emotionalisierung solcher Themen von politisch polarisierenden Akteuren bewusst eingesetzt wird, um Menschen zu mobilisieren und deren Unterstützung zu gewinnen. Diese emotionalen Reaktionen zeigen, wie sehr sich gesellschaftliche Werte verändern und welche Schwierigkeiten der Wandel mit sich bringt.
Die Herausforderung für die politische Praxis
Die Politik steht vor der Herausforderung, eine kohärente, gerechte und visionäre Erklärung für die gesellschaftlichen Veränderungen zu finden. Professor Mau betont, dass es notwendig ist, den Menschen das Gefühl von Mitspracherecht und Selbstwirksamkeit zurückzugeben, insbesondere angesichts des zunehmenden Frustrationsgefühls. Politische Ängste müssen adressiert und die Fragen der Ungleichheit und sozialer Gerechtigkeit offensiv behandelt werden, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu schaffen. Hierbei spielt die Kommunikation eine entscheidende Rolle, da eine glaubwürdige und faire Vision von Veränderungen nötig ist, um Menschen zu motivieren und politische Prozesse zu revitalisieren.
In der „Lage der Nation“ kehren der Journalist Philip Banse und der Jurist Ulf Buermeyer einmal in der Woche die politischen Ereignisse hierzulande und in der Welt zusammen, so diese sie interessieren und sie sie für relevant halten.
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