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Im Jahr 1859 sah sich Pierce Meese Butler, einer der einst reichsten Männer Amerikas, gezwungen, sein gesamtes Vermögen zu liquidieren, was auch den Verkauf von 460 Sklaven beinhaltete. Diese wurden in einer der größten Sklavenauktionen in Savannah versteigert, wo eine Vielzahl von potenziellen Käufern zusammenkam, um die versklavten Menschen zu begutachten. Berichte aus dieser Zeit beschreiben die erniedrigende Behandlung der Sklaven, die wie Vieh betrachtet und in ihrer körperlichen Verfassung inspiziert wurden. Die Auktion brachte Butler über 10 Millionen Dollar ein und ermöglichte es ihm, seine finanziellen Probleme zu überwinden, während die versklavten Menschen ein unfassbar traumatisches Erlebnis durchlebten, das als „The Weeping Time“ bekannt wurde, bei dem viele Familien auseinandergerissen wurden.
Die Underground Railroad war ein geheimes Netzwerk, das versklavten Menschen half, in die Freiheit zu fliehen, indem es ihnen einen Fluchtweg in die nördlichen Bundesstaaten oder nach Kanada bot. Die Organisation des Netzwerks war dezentralisiert, und viele flüchtige Sklaven nutzten die Dunkelheit der Nacht für ihre Flucht, häufig ohne Geld und über riskante Routen. Die Unterstützung durch weiße Quäker und andere Abolitionisten war entscheidend, aber auch viele versklavte Afroamerikaner spielten eine zentrale Rolle in der Organisation und Durchführung dieser Fluchten. Die Gefahr für die Fluchthelfer war groß, da sie harte Strafen drohten, falls sie erwischt wurden, was die Komplexität und die Risiken der Flucht weiter erhöhte.
Obwohl die Sklaverei 1865 offiziell abgeschafft wurde, endete damit nicht das Leid der Afroamerikaner, die weiterhin unter Diskriminierung und Rassismus litten. Das Sharecropping-System hielt viele Schwarze in einem Zustand der Abhängigkeit und wirtschaftlichen Ausbeutung, da sie oft in Schuldenfalle gerieten und weiterhin für ihre ehemaligen Herren arbeiteten. Die rassistischen Strukturen blieben bestehen, und viele Abolitionisten, die gegen die Sklaverei waren, hielten dennoch diskriminierende Ansichten gegenüber Schwarzen aufrecht. Ab den 1910er Jahren kam es zur Great Migration, bei der Millionen von Afroamerikanern in den Norden und Westen zogen, um der Unterdrückung im Süden zu entkommen, was einen grundlegenden Wandel in der afroamerikanischen Gesellschaft einleitete.
Über einen Zeitraum von knapp 400 Jahren hält sich in Amerika das System der Sklaverei. Von Beginn an streben versklavte Menschen nach einem Leben in Freiheit und Würde. Ein geheimes Netzwerk hilft ihnen dabei, die Fesseln der Sklaverei abzustreifen: die Underground Railroad. Von Susanne Hofmann
Credits
Autorin dieser Folge: Susanne Hofmann
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Christian Baumann, Caroline Ebner, Benhamin Stedler
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Prof. Michael Hochgeschwender, Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München
Dr. Heike Raphael-Hernandez, American Studies, Universität Würzburg
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Linktipps:
Hintergrundinformationen aus der Aufzeichnung von William Still
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLER
Einer der ehemals reichsten Männer der Vereinigten Staaten von Amerika steckte Mitte des 19. Jahrhunderts in der Klemme: Durch seinen extravaganten Lebensstil, riskante Geschäfte, aber auch aufgrund seiner Spielsucht hatte Pierce Mease Butler sein beträchtliches Erbe verjubelt – immerhin rund 20 Millionen US-Dollar nach heutiger Rechnung. Ihm stand das Wasser bis zum Hals, und 1859 sah er sich zu einem drastischen Schritt genötigt: Er musste nicht nur das Familienanwesen verkaufen, sondern auch einen Großteil seines sogenannten „beweglichen Eigentums“:
ERZÄHLERIN
Gemeint waren 460 Sklaven, die seine riesigen Tabak-, Reis- und Baumwollplantagen in Georgia bewirtschafteten. Sie sollten unter den Hammer kommen, bei einer der größten Sklaven-Auktionen, die es je auf US-amerikanischem Boden gab. Schon Wochen vorher ließ Butler in Annoncen dafür werben, in denen – das hier als Vorwarnung – rassistische Begriffe verwendet wurden. Wir geben solche Bezeichnungen in dieser Sendung aus dokumentarischen Gründen so wieder. Im Februar 1859 erschien in der Zeitung The Savannah Republican folgender, hier übersetzter, Text:
ZITATOR:
Zu verkaufen: Eine Gruppe von 460 Negern, die an den Anbau von Reis und Nahrungsmitteln gewöhnt sind. Darunter eine Anzahl guter Mechaniker und Hausbediensteter. Werden am 2. und 3. März in Savannah verkauft. Verkaufsbedingungen: ein Drittel Barzahlung. Menschen, die diese Neger begutachten wollen, finden diese an der Pferderennbahn.
ERZÄHLER
Bereits Tage vor dem Großereignis waren die Hotels in Savannah ausgebucht, in den Bars gab es nur noch ein Thema, und die Interessenten pilgerten in Scharen zu den Pferdeställen am Rande der Rennbahn. Dort waren die versklavten Menschen notdürftig untergebracht und konnten vorab von ihren künftigen Eigentümern schon einmal inspiziert werden. Ein Reporter der New York Tribune war extra aus dem Norden angereist, um die Auktion zu beobachten.
ZITATOR
Die Neger wurden mit so wenig Rücksicht untersucht, als ob es sich um Vieh handelte. Die Käufer zogen ihre Münder auf, um ihre Zähne zu sehen, kniffen ihre Gliedmaßen, um festzustellen, wie muskulär sie waren, ließen sie hin- und hergehen, um Anzeichen von Lahmheit zu erkennen, zwangen sie dazu, sich zu bücken und zu strecken, um sicherzugehen, dass sie keine versteckten Wunden hatten.
ERZÄHLERIN
Für den verarmten Sklavenhalter Pierce Mease Butler lohnte sich die Auktion. Der Verkauf der Sklavinnen und Sklaven brachte ihm mehr als zehn Millionen Dollar ein. Damit konnte er seinen Bankrott abwenden und sich wieder einem sorglosen Leben hingeben. Für die versklavten Menschen jedoch war die Versteigerung in Savannah ein traumatisches Erlebnis, das unter dem Begriff „The Weeping Time“ Eingang ins kollektive afroamerikanische Gedächtnis fand.
Musik 2: Look down, Lord – 43 sek
ERZÄHLER
The Weeping Time – frei übersetzt in etwa „Zeit der Tränen“: Familien wurden zerrissen, Ehepartner kamen zu verschiedenen neuen Besitzern, Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, die einstige Schicksalsgemeinschaft verstreut über alle Südstaaten – eine erschütternde Erfahrung, die nicht nur die Sklaven des Millionärs Butler machen mussten, sondern Hunderttausende anderer schwarzer Menschen in den USA. In den 100 Jahren zwischen 1760 und 1860 wurden um die 1,2 Millionen Sklaven auf dem US-amerikanischen Markt verkauft.
MUSIK aus
ERZÄHLERIN
Verkörpert wurde dieses Grauen durch den slave auction block - das Sklaven-Versteigerungspodest: Darauf mussten sich die versklavten Menschen bei einer Verkaufsaktion stellen, damit die Bieter sie besser mustern konnten. Auf den Plantagen drohten viele Sklavenhalter ihren Sklaven mit ihrer Versteigerung, um sie einzuschüchtern und zur Arbeit anzutreiben. Doch mit ihren Drohungen bewirkten sie bisweilen auch das Gegenteil.
ZITATOR
Das Versteigerungspodest förderte indirekt die Bereitschaft, ihre Flucht anzutreten. Die Schrecken dieses Podests und die herzzerreißenden Trennungen, die man hier den Unterdrückten aufzwang, lassen sich nicht beschreiben.
Musik 3: Genesis – 1:14 Min
ERZÄHLER
So heißt es in der Dokumentation „The Underground Railroad – A record“ aus dem Jahre 1872 – einer Sammlung Hunderter Zeugnisse ehemaliger Sklaven, die ihren Weg in die Freiheit schildern. Kommentiert und herausgegeben hat sie William Still, ein prominenter afro-amerikanischer Gegner der Sklaverei und Bürgerrechtler. Er selbst wurde als Kind versklavter Eltern in Philadelphia im Norden der USA geboren und verschrieb sein Leben der Befreiung von Sklaven. Er soll mindestens 650 Afroamerikanern auf ihrer Flucht aus den Südstaaten geholfen haben. Ihre Briefe und Aufzeichnungen hat er gesammelt, seine eigenen Eindrücke von den Begegnungen mit den Flüchtigen festgehalten.
MUSIK aus
ERZÄHLERIN
William Still gilt als der Vater der sogenannten Underground Railroad. Diese Underground Railroad verlief weder unterirdisch, noch handelte es sich dabei um eine Eisenbahn. Vielmehr war sie ein informelles Netzwerk, das dabei half, versklavte Afroamerikaner aus den Südstaaten in die Freiheit zu schleusen – in die Staaten nördlich des Ohio-Rivers oder bis hinauf nach Kanada. Über geheime Routen, Schutzhäuser, mit der Unterstützung von Fluchthelfern und verschlüsselter Kommunikation gelang es, über rund ein Jahrhundert schätzungsweise 100.000 von ihnen zu befreien, so der Amerikanist, Professor Michael Hochgeschwender von der Ludwig-Maximilians-Universität:
1. ZUSPIELUNG Hochgeschwender
Das begann in den 1780er Jahren, als Nordstaaten die Sklaverei abgeschafft haben. Dadurch wird es ja überhaupt erst interessant, solange die Sklaverei auch im Norden – vor allen Dingen Pennsylvania, New York, Massachusetts, legal war – solange war es von keinem Interesse, in den Norden zu fliehen.
ERZÄHLER
Ein halbes Jahrhundert später, mit Anbruch des Eisenbahnzeitalters, etablierte sich für das geheime Fluchtwegenetz der Begriff Underground Railroad. Die flüchtigen Sklaven waren für ihre Eigentümer wie vom Erdboden verschluckt. Um die Aktivtäten der Underground Railroad zu beschreiben, wurden Eisenbahn-Metaphern verwendet, sagt der Amerikanist Michael Hochgeschwender:
2. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 5.01
Also da gab es den Stationmaster, das waren Personen, bei denen die Schwarzen untergekommen sind, also die Flüchtlinge. Es gab den Executer, das war derjenige, der- oder diejenige, es gab auch viele Frauen darunter, die die Sklaven dann von Ort zu Ort brachten und über die Grenze geschmuggelt hatten. Es gab die Schwarzen als Passengers, und es gab die Trains, das war die eigentliche Route, und Terminal war der Ort, wo man dann ankommen sollte, zwischendrin die Stations, die von den Stationmaster kontrolliert worden sind. Es war ein ziemlich breites Netzwerk, man kennt heute um etwas über 3.000 Menschen, die mindestens daran beteiligt waren, mit einem ganz starken Anteil von Quäkern.
ERZÄHLERIN
Die religiöse Quäker-Bewegung betrachtete die Sklaverei als Sünde. Für diese Gläubigen waren alle Menschen, gleich welcher Hautfarbe und Herkunft, Geschöpfe Gottes. Und so setzten sie sich schon früh für die Befreiung der versklavten Menschen ein. Sie waren im Norden der USA auch die Hauptgeldgeber für die Underground Railroad. Mit ihrer Hilfe wurde für die Verpflegung der Flüchtlinge, für ihre Kleidung, ihren Transport und für Unterkünfte bezahlt. Unterschlupf fanden die entflohenen Sklaven auch bei Privatleuten oder in Kirchen oder Schulen. Manchmal blieben sie nur einen Tag und ruhten sich aus, um ihre Flucht dann in der nächsten Nacht fortzusetzen. Manchmal zwangen sie die Umstände auch dazu, viele Wochen in einem sogenannten Safe-House auszuharren.
Musik 4: Slightly… – 36 Sek
ERZÄHLER
Die Flüchtigen waren meist ohne einen Penny in der Tasche unterwegs, schlugen sich durch die Wildnis, versteckten sich im Wald, in Scheunen oder als blinde Passagiere auf Güterwaggons. Es gibt Berichte über Sklaven, die sich in einer Kiste als Frachtgut verschicken ließen. In jedem Fall riskierten versklavte Menschen mit der Flucht ihr Leben. Schließlich galt ihr unerlaubtes Entfernen von ihren weißen Herren als Diebstahl. Diejenigen, die erwischt und wieder zurückgebracht wurden, wurden hart bestraft, sagt Dr. Heike Raphael-Hernandez, Amerikanistin an der Universität Würzburg. Sie forscht zur Geschichte der Sklaverei in den USA.
3. ZUSPIELUNG Raphael-Hernandez 10.04
„Für diese sklavenhaltende Gesellschaft war es so wichtig, dass, wenn ein Sklave oder eine Sklavin weggerannt ist, zu zeigen: Wir bekommen den zurück, und der wird richtig heftig bestraft, da gab‘s auch diese Slave-Codes, in der Karibik waren die wirklich ganz schlimm, also wenn einer einmal wegrennt, wird ihm ein Bein abgehackt, wenn er das zweite Mal wegrennt, wird ihm zwei Beine abgehackt, um den anderen zu zeigen: Ihr dürft nicht wegrennen, wir werden ganz brutal mit euch umgehen, wenn ihr das macht“
ERZÄHLERIN
In den sogenannten Slave Codes oder Sklavengesetzen regelten die Kolonialisten im Süden den Umgang mit den Menschen afrikanischer Herkunft. Man verwehrte ihnen sämtliche Rechte, die für weiße Menschen selbstverständlich waren: das Recht, sich frei zu bewegen, Geschäfte abzuschließen oder einen selbstgewählten Partner zu heiraten, das Recht auf Eigentum, ja selbst das Recht auf Selbstverteidigung. Jede Übertretung des engen Regelkorsetts war mit harten Strafen bewehrt. Schwarze galten damals schließlich nicht als Personen, sondern als Sache. Schutz genossen sie lediglich als Eigentum weißer Menschen. Wer ihnen zur Flucht verhalf, vergriff sich demnach am Besitz anderer. Und so drohten auch den Fluchthelfern drakonische Strafen.
ATMOS Dschungel, Fluss, Paddelboot
ERZÄHLER
Menschen wie Seth Concklin beispielsweise, der 1851 eine Mutter mit ihren drei Kindern aus Alabama nach Cincinnati in Ohio retten will. Ihr Ehemann und Vater ist schon freigekommen, jetzt will Concklin die Familie nachholen. Sieben Tage und Nächte rudert er seine vier Schützlinge in einem einfachen Kahn flussabwärts gen Norden.
ZITATOR
Zu ihrer Sicherheit versuchte er seine Fracht zu verbergen, indem er sie sich flach auf den Boden des Bootes legen ließ und unter Decken versteckte.
ERZÄHLERIN
Doch alle Vorsichtsmaßnahmen helfen nicht, drei Staaten weiter nördlich, in Indiana, entdeckt man die Flüchtigen. Die Familie wird zurück zu ihrem Eigentümer gebracht, und über ihren Fluchthelfer Concklin ist bald in der Zeitung zu lesen:
ZITATOR
Den weißen Mann, der im Zusammenhang mit der Gefangennahme der Familie verhaftet wurde, fand man ertrunken im Fluss, an Händen und Füßen gefesselt, sein Schädel war gebrochen. Und es besteht kein Zweifel, er wurde auch gefesselt am Flussufer begraben.
ERZÄHLER
Sein Schicksal teilten damals viele Fluchthelfer. In den Südstaaten setzte man auf Abschreckung – je mehr Menschen sich in den freien Nordstaaten der Abolitionisten-Bewegung anschlossen, also für Abschaffung der Sklaverei kämpften, desto rigider hielt man im Süden dagegen. Gesetze stellten Aufstände und Fluchtversuche unter harte Strafen, weiße Milizen sorgten für deren Durchsetzung. Der Amerikanist Michael Hochgeschwender:
4. ZUSPIELUNG Hochgeschwender
Das Mindeste war die Vernichtung der ökonomischen Existenz derjenigen, die da erwischt wurden, wenn sie als Aktivisten unterwegs waren, aber das konnte auch sehr viel brutaler werden, also die Südstaatengesellschaft war sehr gewaltorientiert, insofern ließ man sich besser nicht erwischen.
Musik 5: Betrayal – 1:04 Min
ERZÄHLERIN
1850 trat der Fugitive Slave Act in Kraft, ein Bundesgesetz, das die Nordstaaten dazu verpflichtete, entflohene Sklaven festzunehmen und wieder zurück zu ihren Eigentümern in den Süden zu schicken. Seit dieser Zeit mussten sich entflohene Sklaven bis hinauf nach Kanada durchschlagen, um wirklich in Sicherheit zu sein. Das Gesetz trug zur wachsenden Spannung zwischen dem Norden und dem Süden bei, die dann 1861 in den Bürgerkrieg mündete
ZITATOR
300 Dollar Belohnung. Mein männlicher Sklave Tom Matthews, wohnhaft in Bladensburg, Maryland, rannte fort. Er ist circa 25 Jahre alt, ungefähr 1,75 groß, dunkle Hautfarbe, buschiges Haar, breites Gesicht, hohe Wangenknochen, breite Schultern, aufrechte Haltung. Wer ihn mir zurückbringt oder im Gefängnis festsetzt, erhält die obengenannte Belohnung.
ERZÄHLER
Auf entflohene Afroamerikaner wurden Kopfgelder ausgesetzt. Davon zeugen Tausende Zeitungsannoncen mit Vermisstenanzeigen. Es entwickelte sich ein eigener Geschäftszweig: Sklavenjäger, die davon ihren Lebensunterhalt bestritten, entlaufene Sklaven aufzuspüren und entweder ins Gefängnis oder zurück zu ihren Herren in den Süden zu bringen. Für sogenannte „Passagiere“ wie Helfer der Underground Railroad hieß das: Sie mussten alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. So gab es keine zentrale Leitung, niemanden, der das ganze Netzwerk überblickte und alle Akteure kannte. Vielmehr operierten einzelne Zellen weitgehend unabhängig voneinander. Michael Hochgeschwender:
5. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 22:27
So ein bisschen so wie Schläferzellen beim Geheimdienst oder Terrorzellen. Also eine kleine Gruppe untereinander kannte sich, damit man möglichst wenig verraten konnte, und das war ein Netzwerk, das sich ja immer ausdehnte. Also einer aus dieser Zelle knüpfte dann Kontakt mit einer anderen Zelle und stellte fest: Ah, da sind auch Leute. Und wenn ich jetzt Stationmaster bin, schicke ich meine Sklaven, entflohenen Sklaven, meine Passengers, schicke ich dann zum nächsten Stationmaster, der ist wiederum in einer Zelle, die Kontakt hat zu weiter im Norden gelegenen Zellen.
Musik 6: Genesis – siehe vorn – 55 Sek
ERZÄHLERIN
Südstaatler versuchten immer wieder, das Netzwerk zu infiltrieren, es bestand also ständig die Gefahr, dass ein Mitglied einer Zelle für die Sklavenhalter arbeitete. Doch dank der Zellenstruktur wurde selbst in diesen Fällen nie die ganze Railroad gefährdet, sondern jeweils nur eine Zelle. Dann musste man sich eine andere Zelle suchen, über die man dann die Passagiere nach Norden transportieren konnte. Es galt der Grundsatz: Die linke Hand durfte nicht wissen, was die rechte tat. Aus Vorsicht kannten die Helfer oft nicht einmal die Namen der Flüchtenden. In Briefen bediente man sich einer verschlüsselten Sprache, um sich über die Logistik und organisatorische Dinge auszutauschen. Schließlich musste man immer damit rechnen, ausgespäht zu werden.
ZITATOR
Wahrscheinlich sind Sie etwas beunruhigt, weil die Waren aus Harrisburg am Montagabend nicht sicher hier angekommen sind. Da hier derzeit Aufregung um Waren ihrer Art herrscht, haben wir es für klüger erachtet, sie bei uns zu behalten, bis wir Nachricht von Ihnen hatten. Es handelt sich um zwei kleine und zwei große Pakete.
ERZÄHLER
Zwei kleine und zwei große Pakete – also zwei Kinder und zwei Erwachsene.
MUSIK 7: My Lord Sunshine – 40 Sek
ERZÄHLERIN
Im Süden der USA galten Sklaven als bedeutender Wirtschaftsfaktor – die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kann man als Hochzeit der Sklaverei bezeichnen. Baumwolle wurde zum Exportschlager der Südstaaten, denn mit der Industrialisierung wuchs in Europa die Nachfrage. Um damit Schritt halten und zugleich erschwingliche Preise anbieten zu können, hielt man die kostenlosen Arbeitskräfte auf den Baumwollplantagen für unverzichtbar. Plantagenbesitzer sahen die Sklaven als ihr Kapital an, das es zu schützen galt.
6. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 17.20
Und wenn eine Plantage von der Flucht Vieler betroffen war, war das ökonomisch schon ein ziemlicher Schaden. Deswegen im Süden, da gab es diese Streifen-Miliz, die durch die Gegend gezogen ist und nach geflohenen Sklaven vor allem auf dieser Underground-Railroad gesucht hat … und gerade wenn ganze Familien verschwanden mit Kindern, dann konnte man ziemlich sicher sein: Die sind mit der Underground Railroad unterwegs. Und dann wurde wohl auch Kopfgeldjäger dort auch angesetzt.
Musik 8: Genesis – siehe vorn – 50 Sek
ERZÄHLER
Es war also höchste Vorsicht geboten. Und nach den Beobachtungen des Vaters der Underground Railroad, William Still, war eine Flucht auch nicht jedermanns Sache:
ZITATOR
Es muss kaum erwähnt werden, dass die Passagiere der Underground Railroad in der Regel körperlich wie intellektuell dem Durchschnitt der Sklaven überlegen waren. Sie waren wild entschlossen, Freiheit zu erlangen, selbst um den Preis ihres Lebens.
ATMO Grillen
ERZÄHLERIN
Bevorzugt versuchten Sklaven, nachts zu entwischen, im Schutze der Dunkelheit. Dann wurde ihr Fehlen erst am nächsten Tag bemerkt und sie hatten einen Vorsprung von einigen Stunden, bevor sich die Eigentümer an ihre Fersen heften oder ihre Hunde auf sie ansetzen konnten. Um diese abzuschütteln, versuchten manche Sklaven ihre Fährten zu verwischen, indem sie ihre Schuhe mit Terpentin benetzten oder einen Weg durch die Sümpfe nahmen.
ERZÄHLER
Die Fliehenden orientierten sich am Polarstern, der ihnen den Weg nach Norden wies. Die Mehrzahl der Sklaven konnte weder lesen noch schreiben. Denn in vielen Südstaaten war es verboten, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen. Ohne Hilfe von Weißen oder freien Schwarzen im Norden waren ihre Erfolgsaussichten auf der Flucht gering. Für die Amerikanistin Heike Raphael-Hernandez von der Universität Würzburg verdankt die Underground Railroad ihren Erfolg der Zusammenarbeit von schwarzen und weißen Anhängern der Sklavenbefreiung:
7. ZUSPIELUNG Hernandez 4.44
Die Underground Railroad wurde sehr lange als Initiative von weißen kirchlichen Gruppen gesehen. Also die Quäker sind ja sehr, sehr wichtig, … Heute sagen wir eigentlich, wenn wir zurückblicken auf die Geschichte: Das war ein gemeinsames Handeln. Also die Quäker haben nicht einfach die Underground Railroad erfunden, das ist ein gemeinsames Handeln … Und dieses System ist ja ein faszinierendes System. Dass das funktioniert hat, hat ganz, ganz stark was auch mit freien African-Americans, versklavten Africans zu tun, die wussten, wo geht das hier lang, wo kann man dort was wissen? … 6:36 im Großen und Ganzen ist, dass die Rolle der African-Americans eine sehr führende war.
ERZÄHLERIN
Die Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten mit der lange gehegten Legende vom White Savior oder Weißen Retter aufgeräumt. Also der Vorstellung, die befreiten Sklaven hätten ihre Freiheit vor allem gutherzigen weißen Helfern zu verdanken. Unter den schwarzen Fluchthelfern sind unzählige Namenlose und solche, die längst in Vergessenheit geraten sind.
ATMO „Negro-Spirituals (Frau) – 47 Sek
ERZÄHLER
An andere erinnert man sich, weil sie besonders Heldenhaftes geleistet haben – allen voran Harriet Tubman. Sie war selbst eine Sklavin, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Flucht gelang. Danach ging sie noch rund ein Dutzend Mal wieder zurück in den Süden und nahm jedes Mal eine Gruppe sogenannter „Passagiere“ mit.Auf die Weise verhalf sie insgesamt 70 Menschen in die Freiheit. Unterwegs pflegte die tiefgläubige Tubman Spirituals zu singen. Drohte Gefahr, warnte sie ihre Mitreisenden, indem sie den Text der Lieder entsprechend abwandelte. Man nannte sie Moses – nach dem biblischen Moses, der sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft führte.
ZITATORIN
Ich war acht Jahre lang Conductor der Underground Railroad, und ich kann sagen, was die meisten Conductor nicht von sich behaupten können: Mein Zug ist nie entgleist und ich habe nie einen Passagier verloren.
ERZÄHLERIN
Während des Amerikanischen Bürgerkrieges verliert sich die Spur der Underground Railroad. Viele Sklaven nutzen die Wirren des Krieges, um wegzulaufen, andere schließen sich den Unionstruppen aus dem Norden an. Mit dem Ende des Bürgerkrieges 1867 wird die Sklaverei in ganz Amerika aufgehoben. Damit ist jedoch die Leidensgeschichte der Afroamerikaner noch lange nicht beendet. Die Schwarzen sind nun zwar offiziell frei und bekommen ein Stück Land zur Pacht, das sie bewirtschaften dürfen – das sogenannte Sharecropping. Michael Hochgeschwender.
8. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 30.00
Aber sie bleiben auf der Plantage, wo sie immer schon waren, und arbeiten für ihren Herrn, und im Sharecropping System bekamen sie dann zwar Lohn ausgezahlt, mussten aber das Geld in Kaufläden, die der Eigentümer der Plantage eingerichtet hatte, ausgeben, wo man natürlich alles zu überhöhten Preisen bekommen hat - weswegen sie dann immer verschuldet waren, das war die ganze Idee dahinter. Aber es gibt natürlich von Norden Versuche von den radikalen Republikanern… dann über den Homestead-Act Schwarze in den Westen zu bringen, wo sie dann ihr eigenes Land bekommen sollten. Das hat nie so richtig funktioniert, weil es auch permanent sabotiert worden ist. Und die Idee dahinter war auch durchaus rassistisch. Man wollte sie nämlich loswerden. Also viele Abolitionisten waren mindestens so rassistisch wie die Sklavenhalter. Sie waren einfach nur moralisch gegen die Sklaverei, aber hielten nichts von Schwarzen. Das vergisst man immer, wenn man über Abolitionisten redet.
Musik 9: Eden (Harlem) – 55 Sek + ATMO Zug
+ ATMO Spiritual – G0031980 101 – 42 Sek
ERZÄHLER
Von Gleichberechtigung ist noch viele Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg keine Spur. Man setzt auf Rassentrennung und rohe Gewalt, um Schwarze weiterhin zu unterdrücken und aus Gesellschaft und Politik auszuschließen. Weiße organisieren sich in paramilitärischen Gruppen und im rassistischen Ku Klux Klan, terrorisieren die schwarze Bevölkerung und lynchen Tausende schwarzer Männer. Ab 1910 kommt es deshalb zur sogenannten Great Migration – rund sechs Millionen Afroamerikaner ziehen gen Norden und Westen, weil sie das Leben im Süden nicht länger ertragen. Viele von ihnen nehmen die Eisenbahn. Doch diesmal ist es nicht die Underground Railroad, sondern die richtige Eisenbahn – mit gesondertem Abteil für Schwarze.
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