Erinnern für die Zukunft - Geschichte als Kompass in schwierigen Zeiten
May 9, 2025
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Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald, fordert eine nachhaltigere Erinnerungskultur an die NS-Verbrechen. Er diskutiert die Bedeutung von Gedenkstätten und den Einfluss des Opferdiskurses auf das historische Verständnis. Wagner hebt die Herausforderungen hervor, die sich aus dem aktuellen politischen Klima, insbesondere in Bezug auf die AfD, ergeben. Zudem zieht er alarmierende Parallelen zwischen der Vergangenheit und gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen, um die Notwendigkeit einer reflexiven Geschichtsbetrachtung zu betonen.
Die gegenwärtige Erinnerungskultur in Deutschland muss dringend aktualisiert werden, um effektiv gegen politischen Extremismus und populistische Narrative vorzugehen.
Eine nachhaltige Erinnerungskultur erfordert nicht nur das Gedenken an die Opfer, sondern auch die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Täter und der Gesellschaft.
Deep dives
Notwendigkeit eines Aktualisierungsbedarfs in der Erinnerungskultur
Die gegenwärtige Erinnerungskultur in Deutschland bedarf einer dringenden Aktualisierung, um den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht zu werden. Es wird deutlich, dass trotz der Bemühungen um eine umfassende Gedenkstättenarbeit die Gesellschaft in der Gefahr steht, die Demokratie zu gefährden. Die Parallelen zwischen der Rhetorik der Nationalsozialisten und den Strategien der heutigen rechtsextremen Parteien wie der AfD sind alarmierend, da sie ähnliche angstmachende Narrative gegenüber Fremden und politischen Gegnern fördern. Daher ist es entscheidend, Geschichtsbewusstsein und historische Urteilskraft in der Gesellschaft zu stärken, um den politischen Extremismus zu bekämpfen und eine offene, demokratische Gesellschaft zu erhalten.
Entwicklung und Herausforderungen der Gedenkstättenarbeit
Die Gedenkstättenarbeit in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten beachtliche Fortschritte gemacht, jedoch gibt es ernsthafte Bedenken hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Relevanz. Jens Christian Wagner verdeutlicht, dass viele Gedenkstätten noch unter einem Mangel an kritischer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit leiden und lediglich als Orte des Trauerns fungieren. Während die Zahl der Gedenkstätten exponentiell gewachsen ist, bleibt die Qualität der didaktischen Ansätze in vielen dieser Einrichtungen fraglich. Damit wird die Herausforderung offensichtlich, nicht nur Orte des Gedenkens zu etablieren, sondern auch diese mit lebendigen, zeitgemäßen Diskursen zu verbinden.
Problematik der Erinnerungskultur und das Opferzentriertheit
Eine der zentralen Problematiken der gegenwärtigen Erinnerungskultur in Deutschland ist die stark ausgeprägte Opferzentriertheit, die oft den Blick auf die Täter und die Gesellschaft als Ganzes verstellt. Es wird argumentiert, dass das kollektive Erinnern an die Opfer zwar wichtig ist, jedoch eine umfassende Reflexion über die Ursachen der Verbrechen und das Verhalten der Täter notwendig ist. Der Diskurs tendiert dazu, die NS-Geschichte zu vereinen, ohne die Vielzahl der unterschiedlichen Opfergruppen und deren spezifische Erfahrungen angemessen zu würdigen. Eine nachhaltige Erinnerungskultur muss sich daher auch mit der Komplexität der Verfolgung und der Rolle der Gesellschaft auseinandersetzen, um ein differenziertes und realistisches Bild der Vergangenheit zu vermitteln.
Die Notwendigkeit eines kritischen und reflexiven Ansatzes
Ein souveräner Umgang mit der Vergangenheit erfordert eine intensive, kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und deren Folgen für die Gegenwart. Es geht darum, eine Reflexion zu fördern, die nicht nur auf Emotionen und Trauer basiert, sondern auch auf wissenschaftlicher Analyse und dem Stellen von Fragen. Indem der Fokus von einer pauschalen Trauer um die Opfer auf individuelle und kollektive Verantwortung verschoben wird, kann ein tieferes Verständnis für die Mechanismen der gesellschaftlichen Verstrickung in das Unrecht erworben werden. Der Schlüssel zu einer zukunftsgerichteten Erinnerungskultur liegt somit in der Förderung eines historischen Urteilsvermögens, das in der Lage ist, aktuelle gesellschaftliche und politische Herausforderungen kritisch zu reflektieren.
Ein Vortrag des Historikers Jens-Christian Wagner Moderation: Katrin Ohlendorf
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Gedenkstätten sollen an die NS-Verbrechen erinnern. Aber funktioniert das wirklich gut? Da ist Luft nach oben, findet der Historiker Jens-Christian Wagner. In seinem Vortrag erklärt er, warum die Art, wie wir uns erinnern, für unsere Zukunft wichtig ist, und macht Vorschläge für eine nachhaltigere Erinnerungskultur.
Jens-Christian Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Universität Jena. Seinen Vortrag "Geschichte begreifen - für die Zukunft handeln" hat er am 5. Mai 2025 in Emden gehalten.Dort hatte die Max-Windmüller-Gesellschaft zusammen mit dem Max-Windmüller-Gymnasium zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen. Anlass war der 80. Jahrestag der Ermordung von Max Windmüller, einem Widerstandskämpfer, der in Emden geboren wurde, und der nur wenige Wochen vor der Kapitulation der Wehrmacht während eines Todesmarsches am Straßenrand von einem SS-Mann erschossen wurde – im Alter von 25 Jahren.