Stefan Lüder, ein Historiker mit Fokus auf Südostasien und dem Himalaya, beleuchtet die Transformation des Begriffs 'globaler Süden' seit dem Kalten Krieg. Er diskutiert die ungenauen Definitionen und die Komplexität der Interessen innerhalb dieser Länder. Der Mythos einer homogenen Gruppe wird hinterfragt, da nationale Herausforderungen oft im Vordergrund stehen. Lüder erklärt die postkolonialen Abhängigkeiten und die Rolle aufstrebender Akteure wie China in dieser Diskussion.
Der Begriff "Globaler Süden" hat den historisch belasteten Terminus "Dritte Welt" ersetzt, spiegelt jedoch eine Vielzahl wirtschaftlicher und politischer Unterschiede nicht wider.
Trotz der Bemühungen um einen einheitlichen Ausdruck bleibt die Kooperation zwischen den Ländern des Globalen Südens durch nationale Interessen oft fraglich und unklar.
Deep dives
Der Wandel des Begriffs Dritte Welt zu Globalem Süden
Der Begriff Dritte Welt, der historisch zur Beschreibung der ärmeren Länder verwendet wurde, verliert zunehmend an Bedeutung und wird durch den Ausdruck Globaler Süden ersetzt. Diese Änderung reflektiert ein wachsendes Bewusstsein über die Komplexität und Vielfalt der Länder, die zuvor als homogen betrachtet wurden. Historiker Stefan Lüder hebt hervor, dass der Terminus Globaler Süden vor allem seit den 2000er Jahren in Medien, Politik und Wissenschaft an Bedeutung gewonnen hat und dabei helfen soll, gemeinsame Herausforderungen der Entwicklungsländer zu adressieren. Dennoch bleibt unklar, was dieser Ausdruck tatsächlich umfasst, da es eine Vielzahl an Definitionen gibt und oft nicht alle Dimensionen der wirtschaftlichen und politischen Differenzen berücksichtigt werden.
Die Geschichte und Bedeutung des Begriffs
Der Begriff Dritte Welt wurde erstmals von Alfred Sauvie in den 1950er Jahren geprägt und bezeichnete Länder, die sich politisch und wirtschaftlich benachteiligt fühlten. Während der Dekolonisationsbewegung begannen diese Länder, ihre Interessen zu sammeln und sich gegen Kolonialismus und Rassismus zu erheben. Der Wandel zum Begriff Globaler Süden spiegelt die Notwendigkeit wider, neue Bezeichnungen zu finden, die weniger abwertend sind, was von politischen Wissenschaftlern und Aktivisten gleichermaßen avisiert wird. Trotz dieser Bemühungen bleibt die tatsächliche Einheit und Kooperation zwischen den Ländern des Globalen Südens oft fraglich und durch unterschiedliche nationale Interessen geprägt.
Kritik am Begriff Globaler Süden
Der Begriff Globaler Süden ist umstritten und wird von vielen als zu ungenau betrachtet, da er die vielfältigen Interessen und Ausgangslagen der einzelnen Länder nicht adäquat widerspiegelt. Politikwissenschaftler Nikolaus Werz betont, dass die Verwendung dieses Begriffs oft problematisch sein kann, da er eine Gleichmäßigkeit der Interessen suggeriert, die in Wirklichkeit nicht existiert. Der Begriff führt häufig zu Verwirrung und wird von verschiedenen Akteuren in unterschiedlichen Kontexten verwendet, was die analytische Schärfe einschränkt. Wer die Vorteile des Globalen Südens erörtern möchte, sollte eine klare Definition liefern, um die spezifischen Herausforderungen und Bedingungen der einzelnen Länder besser zu verstehen.
Seit dem Ende des Kalten Kriegs wird der Begriff "Dritte Welt" in entwicklungspolitischen Gruppen, Medien und der Wissenschaft zunehmend durch "Globaler Süden" ersetzt. Was damit gemeint ist, bleibt oft unklar. Und die gemeinsamen Interessen ärmerer Länder sind oft auch nicht gegeben. Von Thomas Grasberger (BR 2023)
Credits: Autor dieser Folge: Thomas Grasberger Regie: Susi Weichselbaumer Es sprachen: Christian Baumann und Rahel Comtesse Technik: Matthias Plez Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview: Stefan Lüder, Historiker für Geschichte Südasiens und des Himalaya Nikolaus Werz, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Rostock Michael Korbmacher, Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Peripherie. Politik - Ökonomie - Kultur“ in Münster
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