
SWR Kultur lesenswert - Literatur Kritik der Kritik – Die Jury des Bachmann-Wettbewerbs
Jun 30, 2024
05:53
Doch der nach Schwens-Harrant das Wort ergreifende Philipp Tingler beklagte Selbstbezüglichkeit und Immanenz des Textes, nannte Brylas Literatur altbacken, „obsolet“, „einen begleitenden Katalogtext.“ Das wiederum wollte Schwens-Harrant nicht auf sich sitzen lassen: „Das ist aber jetzt auch knapp behauptet, ohne einen Beleg.“
Tingler geriet danach argumentativ in die Bredouille - so wie Mara Delius kurz zuvor Schwierigkeiten hatte, das von ihr ausgemachte „Konservative" in Olivia Wenzels Text zu erklären, als die Autorin das noch einmal näher erläutert haben wollte.
48. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt
Das Wortgefecht von Schwens-Harrant und Tingler stand bei diesem 48. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb stellvertretend für die Diskussionen innerhalb der Jury, gerade wenn die Einschätzungen der Texte höchst unterschiedlich ausfielen. Die Juroren stellten dann häufig die Literatur- und Kritikbegriffe der jeweils anderen in Frage. Wenn jemand nur ein Geschmacksurteil abgab, wurden Argumente gefordert, wenn Mithu Sanyal von einem „originellen Text“ sprach, der sie „tief berührt“ habe, fragte der neben ihr sitzende Philipp Tingler sofort: „Warum?“. Er wollte von der gern in Elke-Heidenreich-Manier überschwänglichen, emotionalen, stets mit ihren Händen herumfuchtelnden Mithu Sanyal literaturkritische Argumente hören, vor dem Hintergrund von Form und Sprache Urteile gefällt bekommen. Und trotzdem: Auch der neue Juryvorsitzende Klaus Kastberger ließ es sich nicht nehmen, einen Text „langweilig“ zu nennen, wie den von Denis Pfabe. Oder er rief einfach mal so ins ORF-Studio:Ich kann Texte, in denen Gegenstände sprechen, nicht ausstehen, ich hasse den Kleinen Prinzen, ich hasse Harry Potter, das geht mir auf den Nerv.Um einen Tag später das von ihm an dieser Stelle beklagte „Kindergartenniveau“ zu widerlegen, als er Henrik Szantos begeistert feierte:Quelle: Klaus Kastberger, Juryvorsitzender Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
Hier erzählen die Wände und Räume eines Hauses in der ersten Person Plural.Was aber wie in den beiden vergangenen Jahren auffiel: Die jeweiligen Literatur- und Kritikbegriffe sind mehr und mehr politisch eingefärbt. Ästhetische Kriterien werden dann schon mal zur Auslegungssache und hängen eng zusammen mit der politischen Haltung.Quelle: Klaus Kastberger, Juryvorsitzender Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
