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Fake News früher – Wie Herrscher Falschmeldungen verbreiteten
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Quick takeaways
- Fake News existieren seit Jahrhunderten und haben historisch gesehen zu schweren gesellschaftlichen Konsequenzen, wie den antisemitischen Vorurteilen im Jahr 1290 geführt.
- Die Entwicklung von Druckmedien im 17. Jahrhundert förderte das gezielte Verbreiten von Falschmeldungen zu Propagandazwecken, was die Medienkompetenz der Menschen beeinflusste.
Deep dives
Die Ursprünge der Antijüdischen Falschmeldungen
Im Jahr 1290 entstand in Paris die falsche Behauptung, dass Juden geweihte Hostien schänden würden, was auf tief verwurzelte antisemitische Vorurteile zurückzuführen war. Diese Legende führte zu schrecklichen Konsequenzen, darunter die Verbrennung von 21 Juden in Röttingen, als Massaker aufgrund dieser Lügen stattfanden. Die vermeintlichen Blutflecken auf den Hostien entpuppten sich in Wirklichkeit als Bakterien, die einen Farbstoff erzeugten, und standen symbolisch für die wiederholte Verleumdung der jüdischen Gemeinschaft. Historisch gesehen zeigt dieser Vorfall, wie gefährlich und zerstörerisch Fake News sein können, insbesondere wenn sie auf tiefen gesellschaftlichen Ängsten basieren.
Fake News im Antiken Griechenland
Bereits im antiken Griechenland wurden Fake News als Mittel zur Manipulation der öffentlichen Meinung genutzt, was sich besonders während des Peloponnesischen Krieges zeigte. Gerüchte über die Ursachen einer Seuche in Athen führten zu Schuldzuweisungen gegen die Spartaner, wodurch das Vertrauen zwischen den Stadtstaaten weiter erodiert wurde. Historiker wie Thukydides dokumentierten, wie Spekulationen und falsche Nachrichten die Wahrnehmung der Seuche beeinflussten, was wiederum die sozialen und politischen Dynamiken der Zeit veränderte. Das Verständnis und die bewusste Verbreitung solcher Falschmeldungen verdeutlichen, dass das Phänomen der Fake News nicht neu ist, sondern seit Jahrhunderten existiert.
Falschmeldungen und Medienkompetenz in der Neuzeit
Im 17. Jahrhundert erlebte der Nachrichtenmarkt aufgrund des Buchdrucks und der Verbreitung von Zeitungen einen bedeutenden Wandel, wobei auch Falschmeldungen eine zentrale Rolle spielten. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden Informationen gezielt für propaganda Zwecke eingesetzt, um militärische Vorteile zu erzielen, was zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Medien führte. Die Menschen waren sich der Möglichkeit bewusst, dass nicht alle Informationen wahr sind, was zu einer gewissen Medienkompetenz führte, die im Vergleich zur heutigen Zeit bemerkenswert war. Trotz dieser Skepsis ist es heutzutage eine größere Herausforderung, Fake News zu entlarven, da technologische Fortschritte und manipulierte Inhalte es einfacher machen, die Öffentlichkeit zu täuschen.
Falsche, irreführende und manipulative Kommunikation gibt es nicht erst, seit es das Internet gibt. Schon von Hunderten von Jahren setzten Herrscher Fake News ein - und teilweise war dies den Menschen auch bewusst. Von Claudia Steiner
Credits
Autorin dieser Folge: Claudia Steiner
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Burchard Dabinnus, Katja Amberger
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Daniel Bellingradt, Professor am Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg
Roxane Bicker, Staatliches Museum Ägyptischer Kunst, München
Diego De Brasi, Junior-Professor für Gräzistik, Universität Trier
Alles erfunden? Robin Hood
Wer war Robin Hood? Ein edler Gesetzloser oder nur die Verkörperung der Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit, ein Traum von der großen Freiheit in den Wäldern? Greifbar ist lediglich der Widerhall seiner Geschichte in zahllosen Balladen und Bühnenspielen. Eine faszinierende Spurensuche durch Jahrhunderte (BR 2015). HIER ENTDECKEN
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Linktipps:
Veni, vidi, falsi nuntii - Fake News in der Antike - Crischan Becher, Markus Hörty
HIER geht es zur Website
Der Physiologus und die Tierkunde der Griechen, Aus dem Buch Christus in natura, Herwig Görgemanns - HIER geht es zur Website
Jüdisches Leben in Bayern - Hostienfrevel HIER geht es zur Website
Fake News im 17. Jahrhundert - HIER geht es zur Webiste
Literatur:
Fake News in Ancient Greece – Edited by Diego De Brasi, Amphilochios Papathomas and Theofanis Tsiampokalos, Der Gruyter, 2025
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Es ist eine der bekanntesten Fake News der Geschichte – ein Großskandal: Juden schänden geweihte Hostien. Sie durchstächen die Hostien mit einem spitzen Werkzeug, so dass sie bluten. Legenden über den angeblichen Hostienfrevel kamen offenbar erstmals im Jahr 1290 in Paris auf. Nach katholischem Glauben ist Jesus Christus in der geweihten Hostie präsent. Deshalb wurden die Juden bezichtigt, die Tötung Christi zu wiederholen, indem sie die Hostien als Leib Christi verletzten. Auch in Röttingen bei Würzburg gingen solch judenfeindliche Verleumdungen um. Davon zeugt sogar ein Ölgemälde, das lange Zeit in der Röttinger Pfarrkirche hing.
MUSIK 2: Retreat – 39 Sek
SPRECHER
Erzählt wurde, dass ein Mesner Juden Hostien verkauft habe. In der Osternacht sollen die Juden dann mit Klingen auf die Hostien eingestochen haben, die daraufhin zu bluten begangen. Entsetzt sollen sie die entweihten Hostien in die Tauber geworfen haben. Das Wasser habe sich blutrot gefärbt. Flussabwärts beim Kloster Schäftersheim seien die Hostien aus dem Wasser gefischt worden. Danach seien feurige Lichter über dem Mesnerhaus und der Synagoge erschienen.
Musik 3: Paul – 1:16 Min
SPRECHERIN
Ausgangspunkt für diesen Vorwurf waren vermeintliche Blutflecken auf den Hostien. In Wirklichkeit kamen die roten Flecken von Bakterien, die einen Farbstoff bildeten. Diese Fake News hatte grausame Folgen: Am 20. April 1298 wurden in einem ersten Massaker die 21 Juden der Stadt Röttingen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Weitere Morde folgten. Im Nürnberger Memorbuch, einem jüdischen Totengedenkbuch sind die Namen von 3.441 ermordeten Jüdinnen und Juden aus mehr als 40 Orten aufgeführt. Diese historische Falschmeldung aus dem 13. Jahrhundert ist Teil eines verschwörungsideologischen, antijudäischen, antisemitischen Weltbildes. Immer wieder wurden und werden Lügen über Juden verbreitet – mit katastrophalen Folgen bis heute.
SPRECHER
Historische Fake News, meist lokal oder regional, Verbreitet wurden die Falschmeldungen mündlich, auf Papyrus, per Brief, Flugschrift oder später in Zeitungen, verbreitet.
Musik 4: Defender – 48 Sek
+ O-Ton-Collage aus Nachrichten, Posts etc.
SPRECHERIN
Der Begriff Fake News kommt aus dem Englischen und bedeutet „gefälschte Nachricht“ oder „Falschnachricht“. Fake News werden heute in den Medien und im Internet, besonders in den Sozialen Medien verbreitet, und zwar in manipulativer Absicht.
Musik aus
SPRECHERIN
Die Zahl der gefälschten Nachrichten ist heute so groß wie nie zuvor. Inzwischen kann jeder Fake News mit einem Klick in die Welt setzen. Doch das Phänomen der Falschnachrichten gibt es nicht erst, seit es Soziale Medien gibt. Schon vor Jahrhunderten war die Falschnachricht ein Werkzeug, um Anderen zu schaden, gehörte die Lüge auch zum Instrument der Mächtigen. Frühere Herrscher setzten auf Fake News und manipulative Kommunikation – um Niederlagen zu vertuschen, ihre Macht zu festigen oder um Gegner zu diskreditieren. Das waren keine Einzelfälle. Mit einigen davon haben sich Forscherinnen und Forscher intensiv auseinandergesetzt – wir wollen den Blick auf einzelne Schlaglichter in der früheren Zeit werfen:
MUSIK
SPRECHER
Schon im antiken Griechenland gab es das Phänomen der Fake News. Im Jahr 2022 befassten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Trier und Athen auf einer Tagung mit dem Phänomen. So wird zum Beispiel in literarischen Texten und religiösen Erzählungen von unwahren, ausgedachten Nachrichten berichtet. Den Begriff Fake News gab es natürlich noch nicht. Aber einen anderen, sagt der Altphilologe Diego De Brasi. Er ist Junior-Professor für Gräzistik, also Altgriechische Philologie, an der Universität Trier.
O-TON 1
Grundsätzlich wird im Altgriechischen ein Verb, das Verb angello, durch verschiedene Adverbien näher bestimmt, um auszudrücken, dass eine Nachricht falsch ist. Das Verb angello bedeutet in etwa ‚verkünden‘– wir kennen das aus dem deutschen Wort ‚Engel‘, das bedeutet ja, derjenige, der eine Kunde tut, der eine Nachricht bringt. Aber ein Begriff, der nah an dem, was wir als Fake News heute bezeichnen würden, wäre etwa pseudangelia. Wir können darin das Wort angelia erkennen, das mit angello zusammenhängt, also die Nachricht, die Kunde. Und pseudo das bedeutet ‚falsch‘, wie in Pseudonym, ein ‚falscher Name‘. Pseudangelia ist also eine Nachricht, die falsch ist und dementsprechend eine, eventuell könnte man sagen, eine Falschmeldung.
MUSIK 5: Guards oft he Cult – 1:10
SPRECHERIN
Falschmeldungen, wilde Spekulationen und Gerüchte sind besonders dann im Umlauf, wenn sich Menschen verunsichert und verängstigt fühlen. Zum Beispiel, wenn sich eine Epidemie ausbreitet – das war schon im 5. Jahrhundert vor Christus der Fall. Während des Peloponnesischen Krieges zwischen dem von Athen geführten Attischen Seebund und den Spartanern grassiert eine Seuche in Athen. Sie ist als Attische Seuche oder auch als Pest von Athen bekannt – heute geht man davon aus, dass es Fleckfieber oder die Pocken gewesen sein könnten.
SPRECHER
Die Menschen leiden unter anderem an Fieber, Übelkeit, Durchfall, Bläschen und Geschwüren auf der Haut. Etwa ein Viertel der Bevölkerung Athens stirbt. Die ursprüngliche Quelle der Seuche ist bis heute unklar. Doch damals verbreiten sich schnell Spekulationen und Gerüchte über die Ursachen der Krankheit.
O-TON 2
Ein gutes Beispiel ist die Darstellung der Seuche in Athen im 5. Jahrhundert durch den Historiker Thukydides, wo es tatsächlich präsentiert wird, wie in Athen verschiedene Gerüchte liefen, wie eben zur Seuche gekommen sei und dementsprechend die Schuld durch diese Gerüchte mal auf die Angreifer aus Sparta oder auf die politische Führung, wie zum Beispiel Perikles, geworfen wurden.
SPRECHER
Eines der Gerüchte besagt, dass die Spartaner von der Krankheit angeblich verschont bleiben, die Athener dagegen krank werden und sterben. Viele Menschen glauben deshalb, dass die Spartaner die Krankheit gezielt eingeschleppt hätten, um die Athener Bevölkerung zu schwächen. Denn dass Athen im Peloponnesischen Krieg eine Niederlage erleidet, wird letztlich auch auf die Auswirkungen der Krankheit zurückgeführt.
MUSIK 6: Athenian Fighters – 47 Sek
SPRECHERIN
Lügen, Gerüchte und Fake News werden in der Antike vor allem mündlich weitergegeben, an Orten, wo sich Menschen treffen, wie bei Bürgerversammlungen, auf öffentlichen Plätzen, beim Friseur, auf dem Markt oder in der Familie. Also an Orten, an denen man sich auch heute noch Ratsch und Tratsch aus der Nachbarschaft erzählt. Auch Briefe und Dokumente spielen eine Rolle. So sind Dokumente auf Papyrus aus dem 2. Jahrhundert nach Christus bekannt, die fälschlicherweise den Tod eines römischen Herrschers verkünden, so der Gräzistik-Professor Diego De Brasi.
O-TON 3
Zum Beispiel in der Kaiserzeit, als dann das Gerücht umging, dass Marc Aurelius schon tot war und über verschiedene, teilweise offizielle Briefe des Militärs sozusagen auch diese Meldung weitergegeben wurde, um dann aber tatsächlich sie zurückziehen zu müssen, als sich herausstellte, dass der Kaiser noch nicht tot war.
Musik 7: Still no result – 1:02 Min +
Musik 8: leaving the junkyard – 39 Sek
SPRECHER
Als sich die falsche Nachricht vom Tod Mark Aurels, wie er im Deutschen genannt wird, verbreitet, lässt sich Avidius Cassius zum römischen Kaiser ausrufen. Doch auch nachdem bekannt wird, dass die Todesnachricht falsch ist und Aurel lebt, hält er an der Proklamation fest. Avidius Cassius schafft es aber nicht, seine Herrschaft zu etablieren. Ein Offizier ermordet ihn im Jahr 175. Der Ursprung der Falschmeldung über Mark Aurels angeblichen Tod ist unklar. Es gibt mehrere Theorien: Möglicherweise setzte Avidius Cassius die Nachricht selbst in die Welt, möglicherweise spielte auch Aurels Gattin Faustina eine Rolle. Sie soll Kontakt zu Avidius aufgenommen und ihm das Angebot gemacht haben, ihn im Falle des Todes ihres Gatten zu heiraten und ihm so zur Macht zu verhelfen.
SPRECHERIN
500 Jahre zuvor gab es ebenfalls eine Fake News – mit fatalen Folgen. Es handelt sich um eine Todesnachricht von Alexander dem Großen, dem König von Makedonien im Jahr 335 vor Christus.
Musik 9: Labyrinth oft he souls - 1:04 Min
SPRECHER
Der Kontrahent von Alexander dem Großen, der griechische Staatsmann Demosthenes, setzt das Gerücht in die Welt, Alexander sei bei einem Kampf gefallen. Das Land sei ohne Herrscher, die Griechen könnten sich jetzt von der Herrschaft der Makedonen befreien. In der Folge begehren die Menschen in Theben auf. Doch der durchaus lebendige Alexander der Große marschiert daraufhin mit seinem Heer in Theben ein und schlägt den Aufstand nieder. Tausende Menschen werden getötet oder als Sklaven verkauft, große Teile der Stadt zerstört.
MUSIK hoch
SPRECHERIN
Menschen in der Antike ist bereits natürlich bewusst, dass es die Möglichkeit der Täuschung gibt, dass nicht alle Informationen und Gerüchte, die man sich auf dem Markt oder in Versammlungen zuraunt, stimmen.
SPRECHER
Und griechische Philosophen wie Platon weisen auf den Unterschied zwischen dem, was nur scheinbar wahr und dem, was tatsächlich wahr ist, hin. Auch Meinungen und Halb-Wahrheiten tauchen in philosophischen Diskussionen auf. Der Altphilologe De Brasi.
O-TON 4
Die philosophische Diskussion zeigt, dass zumindest bei gebildeten Leuten eine Reflexion darüber, was wahr oder was falsch sein kann, entstand und dass man sich tatsächlich auch Gedanken darüber gemacht hat, wie man eventuell hinter eine Falschmeldung kommen kann. Also (…) wir haben bei Platon manche Passagen, wo es auch auf die verschiedene Art und Weise, wie Redner ihre Worte und ihre Erzählungen legitimieren, eingegangen wird. Zum Beispiel, ob sie jetzt hervorheben, dass das, was in einer Rede gesagt wird, (…) überliefert ist, seit wie lange das überliefert ist, oder wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass der Sprecher momentan etwas sagt, dass er glaubt, es sei wahrscheinlich, und er hofft, dass das Publikum, das ihm zuhört, auch genug Verstand hat, um zu verstehen, dass das, was er präsentiert, nur eine Hypothese ist.
SPRECHERIN
Nur eine Hypothese ist ein Fall aus der Herrschaft des ägyptischen Pharao Ramses II. im Jahr 1274 vor Christus. Die angeblich älteste, bekannte Fake News wird immer wieder in Artikeln und Dokumentationen über historische Falschnachrichten aufgeführt.
Musik 10: Holy War – 43 Sek
SPRECHER
Es geht um den Feldzug der Ägypter gegen die Hethiter. 20.000 Kämpfer marschieren unter dem Kommando des jungen Pharaos. Doch der gerät in einen Hinterhalt. Die Hethiter kesseln das ägyptische Heer am Fluss Orontes ein – das Gebiet liegt heute in Syrien. Es kommt zu einer Schlacht - zur „Schlacht von Kadesch“. Sie soll ein bis zwei Tage gedauert haben - der Pharao entkommt gerade noch so.
SPRECHERIN
In Denkmälern wie dem Tempel von Abu Simbel verewigten die Steinmetze nach seiner Rückkehr diese Schlacht von Kadesch. Doch die Beinahe-Niederlage soll als Sieg verkauft worden sein, heißt es immer wieder. Bis zur heutigen Zeit. Aber Roxane Bicker vom Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München hält das für falsch:
O-TON 5
Wir haben im Team in der Tat ((jetzt in der Vorlaufzeit)) relativ viel diskutiert: Gibt es Fake News im Alten Ägypten? Und wir sind zum Schluss gekommen: Nein, es gibt keine Fake News im Alten Ägypten. (…) Der König musste sein Volk nicht irgendwie beeinflussen. (…) Im Alten Ägypten hat das vollkommen anders funktioniert und wir können an die altägyptische Weltsicht nicht mit unserem heutigen rationalen Verstand hinangehen.
SPRECHERIN
Der allmächtige Pharao, der sich als Sohn der Gottheiten verstand, als ihr Bevollmächtigter, Abgesandter und Nachfolger, stand über allen Dingen. Er galt als Herr und Beschützer Ägyptens. Er musste sich also nicht gut verkaufen – und das tat er auch nicht, auch nicht in den Schlacht-Tableaus von Kadesch. Bei genauer Betrachtung sei durchaus zu erkennen, dass die Lage für Ramses II. brenzlig war, sagt Roxane Bicker und zeigt die entsprechenden Szenen auf einer Abbildung.
O-TON 7
Und so sehen wir zum Beispiel das Lager der ägyptischen Soldaten, die ihre Pferde aus den Streitwagen abgespannt haben, die zusammengepackt haben, die dort an ihren Kesseln sitzen und kochen. (…) Aber wenn man ein Stückchen weiter nach rechts guckt, dann sieht man, dass das Lager dort schon aufgebrochen wird und dort die Hethiter in ihren Streitwagen heranrasen, um das Lager zu überfallen. Wir sehen den Wesir, der ist auch so bezeichnet, Tjati, Wesir, der steht direkt daneben, der auf dem Rücken eines Pferdes sitzt. Ohne Zaumzeug. Ohne Sattel. Ohne alles. Man ist in Ägypten nicht geritten, man hat Pferde lediglich vor Streitwagen gespannt. Dass hier der Stellvertreter des Königs, der höchste Beamte, auf dem Rücken eines Pferdes sitzt, um Hilfe zu holen, das ist ein Zeichen aller-allerhöchster Not. Das ist etwas, was man sonst nicht getan hat. Wir haben an verschiedenen Stellen Ramses groß dargestellt, in seinem Streitwagen, wo er sich zurückdreht und seine hohen Beamten, seine Ratgeber schillt und schimpft, anders kann man das nicht nennen.
SPRECHERIN
Die Behauptung, dass die Schlacht von Kadesch durch den Pharao bewusst falsch dargestellt worden sei, ist aus Sicht der Ägyptologin also eine falsche Interpretation. Nicht alles, was berichtet wird, ist wahr – aber auch umgekehrt, nicht alles, was als falsch „entlarvt“ ist, wirklich falsch…
MUSIK 11: The Discovery – 26 Sek
SPRECHERIN
Zeitsprung in die frühe Neuzeit. Damals taucht im deutschsprachigen Raum erstmals den Begriff „Zeitung“ auf. Die Menschen wollen wissen, was in der Welt passiert, welche Neuigkeiten es gibt, sagt der Historiker, Professor Daniel Bellingradt. Er lehrt am Institut für Europäische Kulturgeschichte an der Universität Augsburg.
O-Ton 8
Diese Nachrichtenströme in Europa, die sich da entwickeln, die kommen so ab dem 14. Jahrhundert, gibt es mehr Briefe, die wir nachweisen können, in denen Neuigkeiten geteilt werden. Und diese Neuigkeiten sind nicht nach dem Kriterium wahr oder falsch, sondern nur nach Aktualität: wie neu ist das, was du mir da berichtest. (…) Und man nimmt erst mal die neue Information an, und die bewertet dann vielleicht nachher, ob die richtig oder falsch ist für sich selbst. Meistens kann man es gar nicht verifizieren, ob das stimmt oder nicht stimmt.
SPRECHER
Der Buchdruck ist noch relativ neu. Zu Beginn des Nachrichtenwesens kursieren deshalb handschriftliche Zeitungen, sogenannte Aviso-Briefe mit Informationen von Nachrichtenschreibern aus Italien. Die Schreiber sammeln Informationen und verschicken diese per Boten und Postreiter an reiche Kunden. Was in Italien "avvisi" heißt, wird im deutschsprachigen Raum "Zeitung" genannt. Die ersten "geschriebenen Zeitungen" im deutschen Raum abonnieren die Fugger - die sogenannten Fuggerzeitungen. Die Informationen kommen von Diplomaten, Kaufleuten und Reisenden. Es sind Briefwechsel mit Berichten und Meldungen über politische Entwicklungen und Kriege.
O-TON 9
Und da lassen die sich extra alles berichten, was es an Neuigkeiten gibt. Aviso heißt auch nichts anderes als ein Bericht, eine Neuigkeit. Die wollen extra Gerüchte haben, (…) die wollen die Fake News mit dabei haben, die sagen: Schick uns alles, was du in Neuigkeiten kennst.
SPRECHERIN
Die klare Unterscheidung zwischen wahren und falschen Nachrichten beginnt erst mit den gedruckten Zeitungen ab dem Jahr 1605.
Musik 12: The shed not to be used – 22 Sek
SPRECHER
1618 beginnt der Krieg, der später als Dreißigjähriger Krieg bekannt wird. Es geht um die Führungsrolle im Heiligen Römischen Reich und in Europa. In dieser Zeit werden Nachrichten zur Ware. Daniel Bellingradt:
O-TON 10
Und hier kommt jetzt Kritik mit rein. Hier auf einmal merkt man, dass man in Kriegssituationen vielleicht auch verlässliche Informationen, wahre Informationen vielleicht doch mehr brauchen könnte als falsche. Und hier entwickelt sich auch so eine Medienkritik zum ersten Mal unter Kriegsbedingungen. Diese Geburt der Zeitungen, diese Geburt der Neuigkeiten, das ist eine Geburt der Gegenwartsbeobachtung eigentlich.
SPRECHERIN
Nachrichtenschreiber geben nun auch offen zu, dass ihre Zeitung auch Errata, also Fehler, enthalten können, sagt Bellingradt.
O-TON 11
Die sagen von Anfang an: Ich an meinem Korrespondenzort in Straßburg, kann gar nicht entscheiden, ob die Nachricht aus der Toskana, ob die Nachricht aus (…) Konstantinopel, ob die richtig ist. Ich melde die aber. Wenn ich dann in der nächsten Woche eine Korrektur bekomme oder einen anderen Informationsstand habe, dann schreibe ich das rein.
Musik 13: Blood on the stairs – 53 Sek
SPRECHERIN
Das ist auch eine Art Selbstschutz, denn die Nachrichtenschreiber brauchen ein Privileg, eine Art Lizenz ihres Regionalfürsten oder Königs. Und dieser hat die Möglichkeit, die Erlaubnis zur Veröffentlichung von Zeitungen zu entziehen, wenn diese aus seiner Sicht zu viele Fake News beinhaltet. Im Jahr 1623 heißt es zum Beispiel in einer Zeitung, es gebe – so wörtlich – „seltsame Zeitungen“ aus England – soll heißen: seltsame Nachrichten. Die Leser bekommen also den Hinweis, dass die Information möglicherweise nicht stimmt, die Quelle nicht sehr vertrauenswürdig ist.
SPRECHER
Viele Menschen können damals nicht lesen. Sie bekommen aber trotzdem mit, wenn eine wichtige Nachricht in den Zeitungen steht, denn die Neuigkeiten werden laut vorgelesen – in der Familie oder auch in der Taverne. Kollektiv-Rezeption heißt der Begriff dazu in der Wissenschaft. Die Leser und Zuhörer diskutieren sogleich darüber, ob Berichte wahr oder falsch sein könnten – eine beginnende Debatte über Fake-News. Und das ist wichtig: Denn angesichts des Krieges sind die Zeitungen voll mit Manipulationsversuchen, sagt Daniel Bellingradt.
O-TON 12
Und das ist wie heute: Kriegsparteien haben ein großes Interesse daran, (…) Falschinformationen zu streuen, um selbst einen Vorteil zu haben. Dieser Dreißigjährige Krieg ist zudem noch ein religiös konnotierter Krieg. Also hier treffen katholische Heere auf protestantische Heere und das ist ein europäischer Krieg, der stattfindet. Und jede dieser militärischen Großgruppen, die mitmacht, religiös auch noch mal aufgeteilt, nutzt natürlich propagandistische Informationen über den Ausgang von einer Schlacht zum Beispiel. Je nachdem, was für der Zeitung man damals in die Finger bekam, ist diese Schlacht im Dreißigjährigen Krieg - einmal haben die Protestanten gewonnen, einmal haben die Katholiken gewonnen.
SPRECHERIN
Der Nachrichtenmarkt ist umkämpft. Zeitungsmacher werfen sich gegenseitig vor, unwahre Berichte zu verbreiten. Mit der zunehmenden Zahl falscher Nachrichten mitten im Dreißigjährigen Krieg nimmt die allgemeine Kritik an Medien Fahrt auf. Diese wird in Flugblättern geäußert, die große Abbildungen enthalten und damit ein breiteres Publikum erreichen, Menschen die nicht oder nicht gut lesen können. Daniel Bellingradt:
O-TON 13
Eine Medienkompetenz ist in der frühen Neuzeit sehr viel ausgeprägter als heute vorhanden. Selbst Illiteraten war im 16., 17. Jahrhundert klar, dass die Informationen, die ihnen hier angeboten wird, (…) dass die nicht wahr sein muss. Das ist ein Informationsangebot, ein Deutungsangebot. Und man ist sich eigentlich auch bewusst, dass da Fehler drin sind. Man weiß nicht, wer das meldet. (…) Also diese Medienkompetenz, diese Skepsis, die grundlegende Skepsis und eben auch ein Bedürfnis, weiter andere Quellen sich anzugucken, nicht nur einer Quelle zu glauben, das ist in der frühen Neuzeit sehr viel ausgeprägter, als es heute ist. Wir haben diese Medienkompetenzen ein bisschen verlernt.
Musik 14: Neurotic illusion - 35 Sek
Sprecherin:
Das ist der eine Aspekt, andererseits aber ist es noch nie so schwer gewesen wie heute, Fake News zu entlarven. Täuschend echte Videos und Bilder, mit täuschen echten Stimmen werden als wahre Begebenheit verkauft – und dies in einer Geschwindigkeit, die einen leicht die Kontrolle über die Wirklichkeit verlieren lässt. Dabei wäre das heute wichtiger denn je: denn auch auf Basis von Fake News bilden sich die Bürgerinnen und Bürger eine Meinung, die wahlentscheidend sein könnte.