Gerold Riedmann, Chefredakteur von DER STANDARD, und Petra Stuiber, stellvertretende Chefredakteurin, analysieren den überraschenden Wahlsieg der FPÖ mit 28,8 Prozent. Sie erörtern die Herausforderungen der Regierungsbildung, da FPÖ-Chef Kickl um das Kanzleramt kämpft. Während die ÖVP nicht koalieren möchte, bleibt die Rolle des Bundespräsidenten entscheidend. Die Gäste beleuchten auch die Auswirkungen auf die politische Stabilität in Österreich und die zukünftigen Perspektiven der Parteien nach dieser historischen Wahl.
Die FPÖ hat durch eine gezielte Kommunikationsstrategie und Mobilisierung in sozialen Medien fast 30 Prozent der Wählerstimmen gewonnen.
Die ÖVP sieht sich durch den dramatischen Stimmenverlust und den Ausschluss einer Kooperation mit der FPÖ vor enormen Herausforderungen.
Der Wahlerfolg der FPÖ wirft internationale Besorgnis auf und könnte rechtspopulistische Bewegungen in anderen EU-Ländern stärken.
Deep dives
Wahlergebnis und überraschende Wende
Das Wahlergebnis in Österreich zeigt einen dramatischen Wandel, bei dem die rechtspopulistische FPÖ auf fast 30 Prozent der Stimmen ansteigt, während die konservative ÖVP einen deutlichen Verlust von 11,2 Prozent hinnehmen muss. Dies ist das erste Mal, dass eine Partei mit Verbindungen zur NSDAP die Wahl als stärkste Kraft gewinnt, was internationale Besorgnis hervorruft. Trotz vorhersehbarer Prognosen überrascht das Ergebnis viele, da es eine klare Zunahme an Wähleranzahl für die FPÖ impliziert, die zuvor in einem der schwersten politischen Skandale der letzten Jahre eine schwere Niederlage erlitt. Die Reaktionen sind heftig, und der Ausgang der Wahl wirft grundlegende Fragen über die zukünftige politische Landschaft Österreichs auf.
ÖVP und die Suche nach Koalitionen
Die ÖVP steht vor einer schwierigen Situation, da Parteichef Karl Nehammer die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der FPÖ ausschließt. Infolge des Wahlverlusts hat die ÖVP den Auftrag, die Gründe für die Radikalisierung der Wähler zu analysieren und Lösungen zu finden. Während die FPÖ einen massiven Zu- und Rückfluss von Stimmen, insbesondere von ehemaligen ÖVP-Wählern, verzeichnen kann, sieht sich die ÖVP mit der Herausforderung konfrontiert, neue Koalitionen zu bilden und bestehende Differenzen innerhalb der eigenen Reihen zu überwinden. Diese Unsicherheiten und der Druck, begünstigen möglicherweise eine fragmentierte politische Landschaft.
Strategie der FPÖ: Kommunikation und Wähleransprache
Die FPÖ hat offensichtlich eine effektive Kommunikationsstrategie im Wahlkampf verfolgt, speziell im Bereich der sozialen Medien, um Wähler zu mobilisieren und eine breite Ansprache zu finden. Viele ehemalige ÖVP-Wähler haben zur FPÖ gewechselt, unter anderem aufgrund unzufriedener Reaktionen auf Covid-Maßnahmen und einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber den Klimaschutzmaßnahmen der grünen Parteien. Neben der traditionellen Klientel hat die FPÖ auch neue Wähler erreicht, einschließlich Frauen, deren Unterstützung in der Vergangenheit eingeschränkt war. Die Imagepflege durch attraktive Plakatkampagnen und proaktive Ansprache hat sich offensichtlich als schlagkräftig erwiesen.
Internationale Reaktionen und europäische Auswirkungen
Der Wahlausgang hat nicht nur in Österreich, sondern auch international für Aufregung gesorgt, da europäische Politiker, darunter Viktor Orban, den Erfolg der FPÖ gratulierten. Die Durchsetzung einer rechtspopulistischen Bewegung in einem EU-Land wirft Fragen zu den politischen und gesellschaftlichen Folgen auf, insbesondere im Hinblick auf das westliche Werteverständnis, die Menschenrechte und die Demokratie. Diese Entwicklung könnte den Einfluss rechtsextremer Parteien in anderen europäischen Ländern stärken und die politische Stabilität der EU gefährden. Grundlegende Fragen über die zukünftige Zusammenarbeit innerhalb Europas und den Zusammenhalt der Union könnten aufgeworfen werden.
Zukunftsperspektiven und Unsicherheiten
Die politische Landschaft nach den Wahlen bleibt ungewiss, da schwierige Koalitionsverhandlungen bevorstehen und die Bildung einer stabilen Regierung eine Herausforderung darstellt. Die möglich gewordenen Koalitionen zwischen der FPÖ und der ÖVP scheinen weitgehend ausgeschlossen, während die Suche nach alternativen Partnern an Komplexität gewinnt. Die österreichische Gesellschaft könnte sich in einem schwellenden Konflikt zwischen stark radikalisierten und gemäßigten Kräften wiederfinden, was die politische Stabilität gefährden könnte. Angesichts dieser Unsicherheiten wird die Zukunft der österreichischen Politik stark davon abhängen, wie die Parteien und ihre Führungen auf die veränderten Wählerdynamiken reagieren und welche Koalitionen letztendlich gebildet werden können.
Nach dem historischen Sieg der FPÖ steht Österreich vor schwierigen Regierungsverhandlungen. Wie gelang der FPÖ dieser Erfolg, und wie geht es jetzt weiter?
Österreich hat ein neues Parlament gewählt. Und obwohl Prognosen den Ausgang der Wahl schon lange vorhergesagt haben, löst der Erdrutschsieg der rechtspopulistischen bis rechtsradikalen FPÖ heftige Reaktionen aus. Mit 28,8 Prozent liegen die Freiheitlichen mehr als zwei Prozentpunkte vor der zweitplatzierte Volkspartei – in der man bis zuletzt auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen gehofft hatte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik liegt bei einer Nationalratswahl eine Partei auf Platz eins, die ihre Wurzeln in einer Nachfolgeorganisation der NSDAP hat.
In Österreich stehen nun schwierige Sondierungsgespräche an. Denn FPÖ-Chef Herbert Kickl will Bundeskanzler werden, aber abgesehen von der ÖVP möchte niemand mit den Freiheitlichen regieren, und ÖVP-Chef Karl Nehammer hat zumindest ausgeschlossen, mit Kickl zu koalieren. In Österreich sind nun alle Augen auf den Bundespräsidenten gerichtet, der traditionsgemäß den Regierungsbildungsauftrag an die stimmenstärkste Partei vergibt. Doch Alexander Van der Bellen lässt sich bislang Zeit und betont, dass eine neue Regierung das Vertrauen des Bundespräsidenten brauche – welches Kickl mutmaßlich nicht hat. Aber was kann der Bundespräsident gegen eine Partei ausrichten, die fast 30 Prozent der Wählerstimmen hinter sich hat?
In dieser Folge von Inside Austria sprechen wir über das Wahlergebnis in Österreich. Wir fragen nach, wie der FPÖ dieser Erfolg gelingen konnte und was das Ergebnis für die Zukunft des Landes bedeutet.
In dieser Folge zu hören: Gerold Riedmann (Chefredakteur DER STANARD), Petra Stuiber (stellvertretende Chefredakteurin DER STANDARD); Interview & Gestaltung: Margit Ehrenhöfer und Lucia Heisterkamp; Produktion: Christoph Neuwirth