
SWR Kultur lesenswert - Literatur Rainald Goetz – Wrong | Buchkritik
May 23, 2024
04:09
Rainald Goetz trägt für seinen Vortrag einen pinkfarbenen Trainingsanzug. Aus einer gar nicht so großen Tasche packt er erstaunlich viele Bücher aus und deponiert sie vor sich auf dem Tisch. Das dauert ein bis zwei Minuten. Dann fördert er Papierstapel zu Tage. Rasch macht er sich noch ein paar letzte Notizen. Dann lässt sich der Vortrag nicht länger aufschieben: Rainald Goetz spricht.
So geschehen vergangenen Herbst nach der Uraufführung seines Dramas „Baracke“ am Deutschen Theater in Berlin. So zu sehen auf Youtube.
Pretty in Pink am Deutschen Theater
Abgedruckt ist dieser Vortrag jetzt in einem Band mit Essays, Gesprächen, Kritiken, Notaten, Tagebüchern aus den letzten zwanzig Jahren. Er erscheint pünktlich zu Rainald Goetz‘ 70. Geburtstag unter dem Titel „Wrong“. Daraus ergibt sich das Bild eines originellen Denkers, seines irrlichternden Suchens, seines präzisen Empfindens und seiner ganz eigenen Art, Dinge und Menschen wahrzunehmen. Als „huschendes Schreiben“ und „flatterndes Denken“ hat Goetz selbst das bezeichnet. Dabei sehnt er sich, wie er 2022 in einem Interview verriet, nach Güte, Zärtlichkeit und Mitleidsfähigkeit. Dass Literatur dennoch „vor Negativität bersten“ soll, wie er 2019 in seinem Arbeitsjournal notierte, muss dazu nicht unbedingt ein Gegensatz sein.Ich träume den irrationalen, extrem simplen Traum von GÜTE, dass die Leute nett miteinander umgehen, rücksichtsvoll, zartfühlend, vernünftig, höflich. Das wäre eine Revolution, das schon, aber die könnte nur jeder für sich selbst machen, wenn er sie machen wollen würde.Quelle: Rainald Goetz – Wrong
Der Körper im öffentlichen Raum
Berühmt wurde Rainald Goetz 1983, als er sich bei seiner Bachmann-Preis-Lesung mit einer Rasierklinge in die Stirn schnitt und sein Blut aufs Papier tropfen ließ. Inzwischen lehnt er ab, was zu Performance und Verkleidung tendiert, auch wenn der Auftritt im pinkfarbenen Trainingsanzug dagegen sprechen mag. Über sein Erscheinungsbild nachzudenken ist schon deshalb unausweichlich, weil er in seinen Texten immer wieder über die Wirkung von Körpern im öffentlichen Raum nachdenkt. So beobachtete er jahrelang, weil er einen Roman über den Politikbetrieb schreiben wollte, Politikerauftritte im Bundestag. Ein Porträt seines verehrten Verlegers Siegfried Unseld beginnt er damit, wie der raumgreifende Mann sich rasch in den Schritt fasst, während er auf ihn zukommt. Und einen Vortrag im Berliner Wissenschaftskolleg leitete Goetz im Februar 2023 mit der Überlegung ein, was wohl in all den Köpfen vor ihm im Publikum vor sich geht:Was sind das für Leute? Wie reden sie, wie bewegen sie sich, wie schauen sie aus und was haben sie an? Wie also drückt ihr körperliches Sein, ihre Kleidung und ihr Habitus das aus, was sie gedanklich sind. Wie steht das im Verhältnis zueinander, wie passt es zusammen?Quelle: Rainald Goetz
