
SWR Kultur lesenswert - Literatur Liebe, Ehr‘ und „water closet“ – Der Anglist Manfred Pfister erforscht die Englische Renaissance
Dec 22, 2025
04:09
„Renaissance“ meint wörtlich „Wiedergeburt“. Damit ist die Rückwendung auf die Antike und deren Neubewertung gemeint.
Aber Renaissance bedeutet viel mehr: Neue Techniken in der Malerei, in der Architektur, neue Strömungen in der Musik und Literatur. Die Reformation gehört hierher wie auch der Buchdruck und die Pestepidemien.
Die Renaissance erstreckte sich von Italien aus über das ganze Festlandeuropa – und erreichte auch England.
Englands kulturelle Blüte unter Königin Elisabeth I.
Die englische Renaissance wird auch „Elisabethanisches Zeitalter“ genannt, da unter der Königin Elisabeth I. das Reich erstarkte und künstlerische Hochblüte erreichte.Doch wenn es Sünde ist, nach Ehr zu lechzen, / Bin ich das sündigste Geschöpf der Welt.Diese Aussage lässt William Shakespeare zwar König Heinrich V. machen, aber sie könnte genauso gut von Elisabeth stammen. Unter „Ehr“ verstand sie nicht nur wirtschaftliche, politische und militärische Prosperität, sondern auch die der Welt des Geistes. Der Anglist Manfred Pfister lässt in seiner Publikation „Englische Renaissance“ diese Geisteswelt in allen Facetten aufleuchten. Auf über 450 Seiten des großformatigen und reich bebilderten Buchs findet man Ausschnitte aus Dichtung, Prosa, Drama und Philosophie – meist in neuer Übersetzung. Auch Praxisnahes ist vorhanden – etwa die Erfindung des „water closet“ durch Sir John Harington. Oder das erste Handbuch für Hebammen von Jane Hape, in der sie ganz offen über die Klitoris schreibt. Denn in ihrer Präsenz (…)Quelle: Manfred Pfister – Englische Renaissance
(…) liegt das Hauptvergnügen der lustvollen Kopulation, und in der Tat, risse uns die Lust nicht so überwältigend hin, würde kein Mann und keine Frau je aus Liebe sterben.Quelle: Manfred Pfister – Englische Renaissance
Shakespeares Werke im Zentrum
Erstaunlich auch das Buch „On Dreams“ des Universalgelehrten Sir Thomas Browne: Er nahm einiges von Sigmund Freuds „Traumdeutung“ und von den Traum-Texten der Surrealisten vorweg. Dass Musik und Malerei in Pfisters Buch einen eher kleinen Raum einnehmen, hat nichts mit Ignoranz zu tun. Die englische Renaissance fokussierte sich tatsächlich auf die Textebene. Natürlich stehen die Werke Shakespeares im Zentrum, auch seine „Sonetts“, in denen die Liebe zu einem jungen Mann und zur „dark lady“ verhandelt werden – bis heute ein Hort der Spekulation. Und ein besonderer Ort der Übersetzungskunst: Ganze 53 Gesamtübersetzungen der Shakespeare-Sonette gibt es auf Deutsch! In Pfisters Buch kommen die Klassiker der englischen Renaissance gebührend zu Wort – etwa John Miltons „Paradise Lost“, Christopher Marlows „Doctor Faustus“, Thomas Hobbes‘ „Leviathan“ und „Utopia“ von Thomas Morus.Schreibende Ladies
Es gab aber auch eine kleine Anzahl von schreibenden Damen: Lady Mary Wroth schuf mit der Romanze „Urania“ das erste Prosawerk, das von einer Frau auf Englisch verfasst wurde. Romantische Liebesabenteuer sind auch in Lady Wroth‘ Sonetten zu finden.In diesem fremden Labyrinth, wohin mich wenden? / Überall Wege – doch wo liegt mein Weg? / Geh ich nach rechts, muss ich in Liebe brennen, / Geh ich nach vorn, so droht Gefahr und schreckt.Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle, trat als Philosophin und Schriftstellerin hervor – und publizierte unter ihrem vollen Namen und nicht anonym. Ihr Prosawerk „The Blazing World“ gilt als Vorläufer der Science-Fiction. Ob schreibende Lady, schreibender Sir oder einfacher Autor – sie alle haben der englischen Renaissance ihren unverkennbaren Stempel gegeben. Manfred Pfister hat ihnen allen ein Denkmal gesetzt – eines, das im Lesen sehr lebendig wirkt. Sein spannend geschriebenes und wundervoll gestaltetes Buch „Englische Renaissance“ hat das Zeug zu einem Standardwerk.Quelle: Manfred Pfister – Englische Renaissance
