Mythos Mutterinstinkt - Mit Hirnforschung gegen alte Rollenbilder
May 26, 2023
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Annika Rösler, Journalistin und Autorin des Buches "Mythos Mutterinstinkt", und Evelyn Höllrigl Tschaikner, Co-Autorin des gleichen Werks, hinterfragen in ihrem Gespräch den Mythos des „Mutterinstinkts“. Sie diskutieren, dass die emotionale Bindung vor allem von Nähe und Kontakt abhängt, nicht von biologischen Faktoren. Zudem beleuchten sie, wie gesellschaftliche Normen den Druck auf Mütter verstärken und warum diverse Familienmodelle mehr Anerkennung brauchen. Zukunftsvisionen der Elternschaft kommen ebenso zur Sprache.
Der Glaube an einen angeborenen Mutterinstinkt wird als gesellschaftliches Konstrukt entlarvt, das den Druck auf Mütter erhöht.
Elternschaft wird als erlernbarer Prozess betont, der durch aktive Teilnahme und enge Bindung zwischen Eltern und Kind geprägt ist.
Deep dives
Der Mythos des Mutterinstinkts
Der weit verbreitete Glaube an einen sogenannten Mutterinstinkt wird als gesellschaftliches Konstrukt entlarvt. Biologisch oder neurologisch gibt es keinen nachweisbaren Instinkt, der Frauen dazu veranlasst, intuitiv zu wissen, was für ihre Kinder am besten ist. Stattdessen berichten Journalisten und Autorinnen darüber, dass die Vorstellungen von Mutterinstinkt stark von kulturellen Normen und Erwartungen geprägt sind, die oft in Familien und Gesellschaften vermittelt werden. Diese Erkenntnisse nehmen den Druck von Müttern, als hätten sie angeborene Fähigkeiten, und eröffnen einen neuen Blick auf Elternschaft als einen Entwicklungsprozess, der erlernt und nicht instinktiv ist.
Die Phase der Matriszenz
Matriszenz beschreibt die Entwicklungsphase, in der eine Frau zur Mutter wird, und ist vergleichbar mit der Pubertät in Bezug auf neuronale Veränderungen im Gehirn. Diese wissenschaftlichen Befunde zeigen, dass Mütter im Verlauf dieser Phase signifikante Veränderungen erleben, die sich über mehrere Jahre erstrecken können. Während der Matriszenz variieren die individuellen Erfahrungen von Müttern erheblich, was die Annahme eines pauschalen Mutterinstinkts weiter untergräbt. Die Phase wird als sensibel und verletzlich angesehen, in der Mütter Unterstützung benötigen und Veränderungen in Beziehungen sowie in der Selbstwahrnehmung erfahren.
Auswirkungen auf die Gesellschaft
Der Glauben an den Mutterinstinkt führt oft zu einer defizitären Wahrnehmung von Menschen, die keine Kinder haben möchten oder können. Ein neuer gesellschaftlicher Ansatz würde nicht nur Mütter entlasten, sondern auch das Stigma reduzieren, das Frauen betrifft, die sich gegen die Mutterschaft entscheiden. Es wird betont, dass verantwortungsbewusste Elternschaft nicht nur die Aufgabe von Müttern ist, sondern auch von Vätern und anderen Bezugspersonen, was eine diversifizierte Sicht auf Familie fördert. Dies könnte zu einem gesünderen gesellschaftlichen Verständnis von Erziehung und Fürsorge führen, das alle Menschen einbezieht.
Die Rolle der Bereitschaft und Zeit
Elternschaft wird als Lernprozess betrachtet, der auf der Bereitschaft basiert, Zeit mit dem Kind zu verbringen und eine Bindung aufzubauen. Studien zeigen, dass auch nicht gebärende Eltern durch aktive Teilnahme an der Fürsorge neurologische Veränderungen erfahren können, die ihre Fähigkeit zur Elternschaft unterstützen. Dies verdeutlicht, dass der Aufbau einer Eltern-Kind-Bindung nicht durch einen angeborenen Instinkt, sondern durch Engagement und Interaktion gefördert wird. Dieses Verständnis kann als Entlastung für Menschen dienen, die sich in ihrer Rolle als Eltern unsicher fühlen und ihnen die Zeit geben, die sie brauchen, um diese neue Identität zu entwickeln.
Einen "Mutterinstinkt" gibt es nicht, sagt die Wissenschaft. Für die tiefe Gefühlsbindung zu einem Kind ist der enge Kontakt ausschlaggebend – auch wenn Schwangerschaft und Geburt durchaus Veränderungen im Gehirn bewirken.
Das Konzept vom "Mutterinstinkt" erzeugt außerdem nicht nur einen großen Druck auf Mütter, sondern schließt zum Beispiel auch Familienkonstellationen aus, in denen es keine leibliche Mutter gibt. In dieser Episode von "Eine Stunde Liebe" erklären Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner, warum es laut der modernen Hirnforschung keinen Mutterinstinkt gibt, und wie werdende Mütter nochmal in die Pubertät kommen.
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Ihr hört in dieser "Eine Stunde Liebe":
00:12:30 - Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner erklären, warum das Konzept "Muttertät" entlastend sein kann
00:21:06 - Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner über Zukunfts-Visionen von Elternschaft
00:27:30 - Janina erzählt im Liebestagebuch von einer großen Veränderung
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Empfehlungen aus der Folge:
Annika Rösler, Evelyn Höllrigl Tschaikner: Mythos Mutterinstinkt. Wie moderne Hirnforschung uns von alten Rollenbildern befreit und Elternschaft neu denken lässt. Kösel, 240 Seiten, 2023.