Blitzoffensive in Syrien: „Keiner hat mehr Lust, für Assad zu sterben“
Dec 7, 2024
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Peter Neumann, ein führender Terrorforscher, diskutiert die bedeutende Rolle der islamistischen Rebellengruppe HTS und deren bedrohliche Offensive gegen das Assad-Regime. Klaus-Dieter Frankenberger, ehemaliger F.A.Z.-Auslandschef, analysiert die umstrittenen geopolitischen Folgen, unter anderem das Zusammenspiel zwischen Russland und Iran. Beide Gäste beleuchten die Herausforderungen, mit denen Assads Truppen konfrontiert sind, sowie die abnehmende Loyalität seiner Soldaten, während sich das geopolitische Gleichgewicht im Nahen Osten weiter verschiebt.
Die Blitzoffensive der islamistischen Rebellengruppe HTS zeigt die Schwäche des Assad-Regimes und dessen Verlust an militärischer Loyalität und Stabilität.
Russland und Iran, entscheidende Unterstützer Assads, könnten aufgrund ihrer eigenen internen und geopolitischen Herausforderungen an Einfluss verlieren, was das Regime zusätzlich destabilisieren könnte.
Deep dives
Syrische Rebellenoffensive und der Niedergang Assads
Die islamistische Rebellengruppe HTS führt derzeit eine blitzartige Offensive in Syrien durch, die zu einer schnellen Eroberung mehrerer Städte führte, darunter Aleppo und Hama. Dies stellt eine ernsthafte Bedrohung für das Regime von Bashar al-Assad dar, das seit über einem Jahrzehnt herrscht. Viele Beobachter hatten eine derartige Offensive nicht erwarten können, da die syrischen Streitkräfte kaum Gegenwehr leisten, was die Geschwindigkeit der territorialen Gewinne der Rebellen erklärt. Diese Entwicklung lässt darauf schließen, dass das Assad-Regime nicht die Stabilität bieten kann, die es einst vorgab, und dass die militärischen Kräfte massiv demoralisiert sind und teilweise desertieren oder sich weigern, weiter zu kämpfen.
Internationale Akteure und ihre Interessen
Russland und der Iran haben entscheidende Interessen in Syrien, wobei Assad auf ihre Unterstützung angewiesen ist, um im Machtkampf zu bestehen. Während Russland versucht, seine Ressourcen auf den Ukraine-Konflikt zu konzentrieren, könnte die Unterstützung für Assad geschwächt werden, was gleichzeitig zu Spannungen zwischen Russland und Iran führt. Der Iran hingegen sieht in Assad einen wichtigen Verbündeten, da Syrien als Landkorridor für den Waffenschmuggel und militärische Operationen gegen Israel von entscheidender Bedeutung ist. Diese wechselnden Dynamiken lassen die Frage offen, wie lange Assad weiterhin auf die Loyalität seiner internationalen Verbündeten zählen kann.
Die Rolle der HTS und ihre Ambitionen
Hayat Tahrir al-Sham (HTS), einst eng mit Al-Qaida verbunden, hat sich neu positioniert und seine Ambitionen auf einen islamistischen Staat in Syrien beschränkt, ohne den direkten Konflikt mit dem Westen zu suchen. Trotz ihrer moderaten Rhetorik im Vergleich zum IS bleiben sie eine pragmatische, islamistische Kraft, die bereit ist, Allianzen einzugehen, um ihr Ziel zu erreichen. HTS propagiert momentan, dass sie nach dem Sturz von Assad eine stabile Ordnung etablieren möchten, doch es bleibt unklar, ob sie nach einem möglichen Sieg nicht doch auf erweiterte militärische Ambitionen setzen würden. Die unklare Strategie und der relative Erfolg der HTS könnten sie ermutigen, beständig neue Gebietsgewinne zu erzielen.
Flüchtlingskrise und geopolitische Folgen
Die aktuelle Offensive der HTS und die Unsicherheiten rund um das Assad-Regime könnten zu einer weiteren Destabilisierung Syriens führen, die mit einem erneuten Anstieg der Flüchtlingszahlen einhergehen könnte. Es besteht die Möglichkeit, dass sich ein Machtvakuum bildet, das nicht nur das Assad-Regime weiter unter Druck setzt, sondern auch dem IS die Gelegenheit gibt, wieder Fuß zu fassen. Gleichzeitig müssen die Nachbarländer und internationale Akteure, einschließlich der EU, die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die regionale Sicherheit und Migration berücksichtigen. Die geopolitischen Spannungen rund um Syrien, einschließlich des Einflusses der Türkei und der USA, drehen sich zunehmend um die Fragen der Sicherheit und der Stabilität in der Region.
Putin bündelt seine Ressourcen im Angriffskrieg gegen die Ukraine, Iran ist durch den Krieg mit Israel massiv geschwächt. Jetzt müssen beide Länder einem weiteren Partner im Nahen Osten zur Hilfe eilen: Baschar Al-Assad. Die islamistische Rebellengruppe HTS hat vor wenigen Tagen eine Blitzoffensive gestartet und zuerst Aleppo und mittlerweile auch weitere Städte erobern können. Assads Regime könnte also zum ersten Mal seit Langem bedroht sein. Kann der syrische Diktator eine harte Gegenoffensive organisieren? Und werden der Kreml und Teheran ihren Verbündeten fallen lassen? Darüber sprechen wir mit dem Nahostexperten Christian Hanelt, Terrorforscher Peter Neumann, Konfliktforscher Malik al-Abdeh und F.A.Z.-Korrespondent in Beirut, Christoph Ehrhardt.
Ihrs Hosts: Kati Schneider und Felix Hoffmann
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