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Vasco da Gama - Ein Seefahrer verändert die Welt
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Quick takeaways
- Vasco da Gamas Seereise von 1497 markierte den Beginn der europäischen Dominanz und führte zur Ausbeutung lokaler Kulturen in Afrika und Indien.
- Die unterschiedliche Wahrnehmung Vasco da Gamas zeigt, wie kulturelle Perspektiven die historische Bewertung von Entdeckern prägen können und Konflikte verursachten.
Deep dives
Vasco da Gamas Entdeckungsreise und ihre Konsequenzen
Vasco da Gama fand 1497 den ersten europäischen Seeweg nach Indien, was den Beginn der europäischen Dominanz in Afrika und Südostasien markierte. Diese Entdeckungsfahrt, unterstützt von König Manuel I. von Portugal, war nicht nur eine Reise, sondern auch ein entscheidender Moment für die Expansion europäischer Interessen. Die portugiesische Expedition war mit 150 Mann Besatzung und militärischer Ausrüstung ausgestattet, um sowohl Handelsbeziehungen aufzubauen als auch mögliche Bedrohungen abzuwehren. Diese Reise führte zu einer grundlegenden Veränderung in den Handelsrouten und begann das Zeitalter der europäischen Kolonialisierung, das viele lokale Kulturen beeinträchtigte.
Die unterschiedliche Wahrnehmung von Vasco da Gama
In Portugal wird Vasco da Gama als Held gefeiert, während seine Handlungen aus indischer Sicht als Beginn der Ausbeutung und Unterdrückung angesehen werden. Während seiner Entdeckungsreise wurde er von den einheimischen Völkern sowohl gefürchtet als auch als Bedrohung wahrgenommen, was zu Missverständnissen und Konflikten führte. Diese paradoxe Wahrnehmung zeigt, wie kulturelle Perspektiven die historische Bewertung von Figuren beeinflussen können. So gibt es in Portugal zahlreiche Denkmäler und Straßen, die nach ihm benannt sind, während in Indien sein Name oft mit Brutalität und imperialer Aggression verbunden ist.
Die Schwierigkeiten und Tragödien der Expedition
Die Rückreise von Vasco da Gama nach Portugal war von dramatischen Herausforderungen geprägt, einschließlich der schlechten Witterungsbedingungen und der Mangelernährung, die zu schwerem Skorbut führten. Von den 150 ursprünglich mitgereisten Männern starben rund 30 an den gesundheitlichen Auswirkungen dieser langen Reise. Zudem erlebte da Gama den persönlichen Verlust seines Bruders Paolo, was die emotionale Belastung zusätzlich verstärkte. Trotz dieser Widrigkeiten wurde seine Expedition als Erfolg gewertet, weil sie neue Handelsrouten erschloss und die portugiesische Seemacht festigte, auch wenn sie oft mit Gewalt und Brutalität einherging.
Seine Seereise von Portugal über Afrika nach Indien läutet Ende des 15. Jahrhunderts das Zeitalter der europäischen Dominanz in Afrika und Südostasien ein, eröffnet den Weg für Ausbeutung und Kolonialisierung. Von Steffi Illinger
Credits
Autorin dieser Folge: Steffi Illinger
Regie: Silke Wolfrum
Es sprachen: Ditte Ferrigan, Peter Weiß
Technik: Heiko Hinrichs
Redaktion: Karin Becker
Im Interview:
Dirk Friedrich, Historiker, Übersetzer, Herausgeber
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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Literatur:
Dirk Friedrich: Vasco da Gamas erste Fahrt nach Indien 1497-1499. Ein Augenzeugenbericht. 2014
Luis de Camoes: Die Lusiaden. Hrsg. Von Dirk Friedrich 2013
Roger Crowley: Die Eroberer. Portugals Kampf um ein Weltreich. 2015
Ulli Kulke: Vasco da Gama. Die Suche nach den Gewürzinseln. 2011
Vasco da Gama:Die Entdeckung des Seewegs nach Indien. Ein Augenzeugenbericht 1497-1499, hrsg. Von Gernot Gierz, 1980
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Eine simple Grabplatte in einer Kirche, eingelassen im steinernen Fußboden - viel mehr erinnert nicht an den Mann, der die Portugiesen durch damals für sie unbekannte Gewässer bis hierhergeführt hat – an die legendäre Malabar-Küste in Südindien.
Lediglich sein Name ist hier eingraviert: Vasco da Gama – so steht es in der Franziskaner-Kirche der Stadt Kochi, der ältesten von Europäern gegründeten Kirche Indiens.
Vasco da Gama hatte als erster Europäer den Seeweg nach Indien gefunden.
Aus indischer Sicht endete hier allerdings keine Heldenreise: denn dieser Vasco da Gama hat mit seiner Entdeckungsfahrt auch das Zeitalter der Unterdrückung und Ausbeutung Indiens eingeleitet.
Ganz anders ist das Gedenken bis heute in Portugal:
OT 1 Dirk Friedrich
Also auf die Figur Vasco da Gama blickt man nach wie vor sehr, sehr positiv.
Vasco da Gama begegnet einem im Alltag ständig und überall. Es gibt Straßen und Plätze, sind nach ihm benannt und Hotels und Restaurants und Schulen, das Vasco-da-Gama-Shopping-Center, also Vasco da Gama, begegnet einem überall und ständig.
SPRECHERIN
Der Historiker Dirk Friedrich lebt und arbeitet in Portugal und hat im Eigenverlag auch den Augenzeugenbericht über die erste Reise dieses Vasco da Gama herausgegeben, den roteiro da primeira viagem de Vasco da Gama a India.
GERÄUSCH - Meerrauschen
ZITATOR – Augenzeugenbericht – wie ein „historischer“ Ansager
„Im Namen Gottes, Amen! Im Jahr 1497 sandte König Dom Manuel, der erste dieses Namens in Portugal, vier Schiffe auf Entdeckung aus, die Gewürze bringen sollten. Als Kommandant der Schiffe fuhr Vasco da Gama und von den anderen Schiffen befehligte eines sein Bruder Paulo da Gama und ein anderes Nicolao Coelho…“
MUSIK veni sanctus spiritus 0‘42
SPRECHERIN
Vasco da Gama ist etwa 28 Jahre alt, als ihn der portugiesische König Manuel I. auf die Seereise Richtung Indien schickt:
Vermutlich wird er um 1469 in Südportugal geboren und stammt aus niedrigem Adel, sein Vater ist Provinz-Gouverneur in Sines. Als Jugendlicher wird er aufgenommen in den Orden der Christusritter, zu seiner Zeit eine Art portugiesischer Kreuzritterorden der Seefahrt.
Sehr viel weiß man nicht über das Vorleben des Mannes, den der portugiesische König an die Spitze dieser bestens vorgeplanten Expedition stellt:
OT 2
Also sprich, er hat diesen Job nicht bekommen, weil er ein besonderer Seefahrer war. Sondern vermutlich eher, weil er über andere Fähigkeiten verfügte. Also das Kommando eines Schiffes, das Kommando einer Flotte und die Navigation des Schiffes, das waren zwei recht unterschiedliche Dinge. Und was Vasco da Gama also für die Position brauchte oder mitbrachte, das war vermutlich Entschlossenheit und er brachte wahrscheinlich auch diplomatische Fähigkeiten mit.
SPRECHERIN
Schon mehr ist über Art und Ausstattung der Expedition bekannt:Vasco da Gamas Fahrt fußt auf jahrzehntelangen Bemühungen der Portugiesen, in den Atlantik Richtung Süden vorzustoßen, Schritt für Schritt hatten sie sich an der afrikanischen Küste vorangeschoben. Ihr Ziel: das sagenhafte Land, wo der Pfeffer wächst. Der Handel mit den kostbaren Gewürzen Indiens war fest in muslimischer Hand, seit Konstantinopel 1453 durch die Osmanen erobert worden war. Der Landweg nach Indien war den Europäern verschlossen, also galt es, den Seeweg zu finden.
MUSIK Manfredina e rotta (C1433700016) 0‘25
Rund 10 Jahre vor Vasco da Gama erreicht Bartolomeu Dias im Jahr 1488 das sturmumtoste Cap der guten Hoffnung an der Spitze Südafrikas. Er tut dies mit wendigen Karavellen, dreimastigen Segelschiffen mit wenig Tiefgang, ideal, um die Flüsse des unbekannten Kontinents zu erkunden – aber unpraktisch auf hoher See.
Nach der Umrundung des Caps zwingt ihn seine Mannschaft zur Umkehr, doch seit Dias` Fahrt ist klar: Afrika kann umfahren werden, der Weg Richtung Indien liegt im Bereich des Möglichen.
Für die erneute Expedition hat die Seefahrtsbehörde des Königs einen neuen Schiffstyp entwickeln lassen, die Nao: sie konnte härter am Wind segeln und der unruhigen Tiefsee trotzen, und gleichzeitig mehr Ladung und Proviant aufnehmen für die endlose Reise in unbekannte Gewässer.
MUSIK L’homme armé 0‘33
SPRECHERIN
Die Einschiffung von Vasco da Gama und seiner Mannschaft im Juli 1497 ist ein pompöser Staatsakt:
In der Lissaboner Kathedrale werden die Kommandanten der vier Schiffe feierlich gesegnet, König Manuel und die Bevölkerung verabschieden die Seefahrer ein zweites Mal an der Tejo-Mündung, bevor sie die Segel mit den markanten roten Kreuzen des Christusritterordens hissen und Richtung Atlantik am Horizont verschwinden.
Mit Vasco da Gama segeln:
rund 150 Mann Besatzung und 12 Strafgefangene, vorgesehen für Landgänge in unbekannten Territorien.
Mitgeführt werden außerdem Briefe König Manuels an die christlichen Herrscher in Indien, denn die Portugiesen gehen davon aus, dass sie christliche Königreiche finden werden.
An Bord sind zudem zwanzig Geschütze und die sogenannten Padroes, steinerne Wappensäulen, die die portugiesische Landnahme markieren sollen.
GERÄUSCH / Meeresrauschen
Vasco da Gama segelt südwärts, vorbei an den Kanaren und den Kapverden, doch dann bricht er mit der Schifffahrts-Route seiner Vorgänger. Er hangelt sich nicht an der Küste Westafrikas entlang, sondern folgt den Passatwinden und Meeresströmungen und schlägt Kurs Südwest ein, fährt mitten hinein in den atlantischen Ozean. Drei Monate befinden sich die Portugiesen auf hoher See, sehen nichts als Wasser, Wellen und Wolken, bevor der Kommandant Richtung Osten beidrehen lässt, um so besser um das gefürchtete Kap herum zu kommen – was ihm mit einigen Rückschlägen auch gelingt.
OT 3
Dem Bericht zufolge hat er genau die Eigenschaften, wegen der er vermutlich ausgewählt wurde. Also er war entschlossen.
Er war grundsätzlich diplomatisch und abwägend, war aber auch jederzeit in der Lage, hart durchzugreifen und sich Respekt zu verschaffen. Er lässt foltern, er lässt Geiseln nehmen, wenn ihm das eben unterwegs opportun erschien.
MUSIK Maluf 0‘29
SPRECHERIN
Mit seinen vier Schiffen tastet er sich an der Küste Ostafrikas entlang Richtung Norden und hinein in den arabisch-muslimisch geprägten Kulturraum – über Mosambique und Mombasa bis nach Malindi. Nicht überall sind die Fremden willkommen, doch im Hafen von Malindi nimmt der lokale Fürst die Fremden freundlich auf und stellt ihnen einen Lotsen zur Verfügung, mit dem Vasco da Gama die Überfahrt wagen kann, über den indischen Ozean.
Denn im Gegensatz zur Route entlang der afrikanischen Küste handelt es sich hier um einen vielbefahrenen Seeweg, auf dem Gewürze, Seide, Juwelen von China über Indien nach Persien und Ägypten verschifft werden.
Nach nur 23 Tagen taucht die palmengesäumte Küste Südindiens auf:
SPRECHERIN
Drei Tage später erreichen sie ihr Ziel, die Hafenstadt Kalikut, Umschlagplatz für den asiatisch-arabischen Gewürzhandel, Zwischenstation auf den Handelsrouten einer längst globalisierten Welt, in der die Europäer die eigentlichen Randfiguren sind.
OT 4
Ich glaube tatsächlich, dass das die Portugiesen davon überrascht waren, wie groß der dortige Handelsplatz ist, wie international dort Handel getrieben wird und in welch ein politisches und kulturelles Zentrum sie dort kommen. Das hat die Portugiesen ganz sicher überrascht. Und das ist ja auch letzten Endes etwas, was eigentlich bis heute in der auf jeden Fall Geschichtsschreibung aus europäischer Sicht deutlich zu kurz kommt.
SPRECHERIN
Vasco da Gama war durch feindselige Erlebnisse an der afrikanischen Küste vorsichtig geworden – bevor er selbst an Land geht, schickt er als Boten einen der Strafgefangenen in die Stadt, der nach seiner Rückkehr von einem seltsamen Erlebnis berichtet:
MUSIK Puer natus est 0‘10
ZITATOR
…und die, mit denen dieser ging, führten ihn zu zwei Mauren aus Tunis, die kastilisch und genuesisch sprechen konnten…
SPRECHERIN
Tatsächlich, die Portugiesen haben die längste Seereise der bisherigen Geschichte angetreten, um in europäischen Sprachen begrüßt zu werden.
MUSIK Puer natus est 0‘23
ZITATOR
Und der erste Gruß, den sie ihm zuriefen, war der folgende: „Hol dich der Teufel! Wer hat dich hierhergebracht?“ Und sie fragten, was wir so weit in der Ferne suchten, und er antwortete ihnen: „Wir kommen, um Christen und Gewürze zu suchen.“
OT 5
Kalikut, wo er gelandet ist, war eben ein ganz, ganz großes Zentrum. Und dort sind solche Nachrichten eben schneller angekommen als Vasco da Gama selber. Und die Mauren haben ihn zum einen ein bisschen gefürchtet, eben wegen möglicherweise auch wegen seiner, seiner Brutalität oder wegen seines Rufes, der Brutalität, der ihm vorausgeeilt ist. Aber dann, irgendwann haben sie ihn auch erkannt. Äh, da kommt ein neuer Player auf diesem Markt, der hier Geschäfte machen möchte. Man hat ihn, den Portugiesen, also auch unter wirtschaftlichen Aspekten eine Konkurrenz vermutet.
SPRECHERIN
Immer wieder unterliegen die Portugiesen Fehleinschätzungen, zeigt sich ihr eingeschränkter Horizont und ihre Unkenntnis anderer Kulturen.
Und sie bleiben überzeugt, gefunden zu haben, was sie neben Gewürzen auch suchen – nämlich Christen am anderen Ende der Welt. Dieser Gewissheit folgend deutet der Augenzeuge auch hinduistische Tempel zu christlichen Kirchen um:
Musik Harappa 0‘49
ZITATOR:
Der Gesamtbau der Kirche ist von der Größe eines Klosters, ganz aus behauenem Stein…und in der Mitte der Kirche ist ein Turm ganz aus Stein mit einer Tür…die aus Bronze war, und innen drin war ein kleines Bild, von dem sie sagten, dass es die Mutter Gottes sei…und viele andere Heilige waren an die Wände der Kirche gemalt, sie hatten Diademe, und ihre Darstellung war fremdartig, denn die Zähne waren so groß, dass sie einen Zoll aus dem Mund heraus kamen, und jeder Heilige hatte vier oder fünf Arme…
SPRECHERIN
Ausgestattet mit dem Selbstbewusstsein christlicher Eroberer müssen sie hier allerdings realisieren, dass man sie nicht wirklich ernst nimmt.
Ihr Ziel: eine Audienz beim Zamorin, dem regionalen Herrscher, den sie König nennen. Mit ihm soll Vasco da Gama Handels-Verträge abschließen.
Doch die Begegnungen leiden von Anfang an unter Missverständnissen und einer gestörten Kommunikation. Und das fängt schon bei den Gastgeschenken an. Mit ihren Gaben
MUSIK Puer natus est 0‘20
ZITATOR
… zwölf Bahnen gestreiftem Tuch, vier scharlachroten Kapuzzen, sechs Hüten, vier Korallensträngen, sechs Handwaschbecken, einer Kiste Zucker und jeweils zwei Fässer Honig und Öl…
SPRECHERIN
…können die Portugiesen nicht beeindrucken. Vasco da Gama kann sich nur in die diplomatische Ausflucht retten, bei einer nächsten Expedition von
OT 6
Er wurde immer wieder vertröstet. Es wurde eben gegen ihn intrigiert. Also er musste sich dieser schlechten Nachrede der Mauren beim Zamorin widersetzen. Und bei dem Ganzen natürlich gleichzeitig sehr, sehr diplomatisch und bedächtig bleiben.
Und zum einen waren die Portugiesen einfach dort der kleinste Fisch im Aquarium, also ganz, ganz schwach vertreten und …hatten ja noch keinen Fuß gefasst in der Region.
SPRECHERIN
Die Rückreise gestaltet sich dramatisch: Denn die Portugiesen brechen überstürzt auf, in Unkenntnis der Monsun-Zeiten und Strömungen.
Die Witterungsverhältnis machen diese Seefahrt für die Besatzung zu einer Katastrophe:
MUSIK Archaischer Gesang (C1480470044) 0‘47
Es herrscht Flaute auf hoher See, die genauso bedrohlich ist wie heftige Stürme: denn jetzt wird die Versorgung mit frischen Nahrungsmitteln zum Problem,…
ZITATOR
…derart, dass uns die ganze Mannschaft am Zahnfleisch krank wurde, das ihnen über die Zähne wuchs, so dass sie nichts essen konnten.
SPRECHERIN
Der gefürchtete Skorbut:
ZITATOR
Auch schwollen ihnen die Beine an, und es wuchsen auch sonst am Körper große Geschwüre, die einen Mann so schädigten, dass er starb, ohne irgendeine andere Krankheit zu haben. Daran starben uns in dieser Zeit 30 Leute… (S.77)
SPRECHERIN
Rund 100 seiner Leute verliert Vasco da Gama durch die Mangel-Krankheit. Sie werden 93 Tage und damit dreimal so lange für die Überquerung des indischen Ozeans brauchen, wie auf der Hinreise.
Und dann trifft den Kommandanten auch noch ein privater Schicksalsschlag:
Sein Bruder Paolo da Gama, der das Kommando über das zweite Expeditionsschiff hat, erkrankt schwer. Vasco da Gama lässt Halt machen auf den Azoren – und es bleibt ihm nur, seinen Bruder beim Sterben zu begleiten.
Das Ausmaß seiner Trauer lässt sich nur erahnen: Vasco zieht sich neun Tage in ein Kloster zurück, bevor er sich endgültig auf die Heimfahrt begibt nach Lissabon.
Da war das dritte Expeditionsschiff schon vorausgefahren und als erstes am Ziel. Vasco da Gamas Erfolg schmälert das nicht: Der Kommandant hatte für Portugal und für die Europäer den Seeweg nach Indien gefunden.
MUSIK L’homme armé 0‘39
Und nicht nur das: 1800 neue Orte haben die Portugiesen auf ihren Seekarten verzeichnen können, sechs neue Padroes, also Wappensäulen, als Wegmarken an der ostafrikanischen Küste und zwei in Indien gesetzt und damit ihren Anspruch bekräftigt über weite Landstriche dieses Globusses. Der König, Manuel I., nennt sich nun „Herr der Eroberungen, der Seefahrt und des Handels mit Äthiopien, Arabien, Persien und Indien.“
Geräusch Wasser + Kanonen
Bereits im Jahr 1500 startet die nächste Expedition, nun mit 13 Schiffen und rund 1500 Mann Besatzung. Diesmal heißt der Kommandant Pedro Alvarez Cabral, er lässt sich so weit nach Westen treiben, dass er nebenbei Brasilien entdeckt, bevor er Indien ansteuert.
Sein Ziel, in Kalikut eine Faktorei, also einen Handelsstützpunkt zu errichten, endet mit einer Eskalation: 50 Portugiesen und etwa 500 arabische Seeleute sterben in den Auseinandersetzungen, Cabral lässt Kalikut bombardieren, bevor er im südlicher gelegen Kochi freundlicher aufgenommen wird.
MUSIK Magnum miraculum 0‘41
SPRECHERIN
Und 1502 sticht auch Vasco da Gama wieder in See Richtung Indien. Diesmal führt er eine Flotte von 20 Schiffen, allesamt hochgerüstet und mit Kanonen bestückt.
Nun steht er keiner Expeditionsreise in unbekanntes Gebiet mehr vor.
Vasco da Gama wird von seinem König losgeschickt, um einen Handels- und Glaubenskrieg zu führen. Er soll sich nicht mehr mit Diplomatie aufhalten, sondern mit Bombardements Handelsniederlassungen erzwingen und die verhassten Mauren vertreiben. Entsprechend auch sein Titel: „Admiral der Indischen Meere“.
OT 7
Der Zweck diesmal war es, entlang der Route und in Indien Handelsstützpunkte zu errichten, die portugiesischen Interessen also durchzusetzen und vor allen Dingen auch lokale Widerstände zur Not mit Waffengewalt wieder niederzuschlagen... Wahrscheinlich sind es tatsächlich die Waffen und die Entschlossenheit, diese Waffen auch einzusetzen, die die Portugiesen da, …dort den Vorteil verschafft. Denn wie es nachher dargestellt wurde und wie es ja heutzutage noch ganz, ganz häufig zu hören ist, ist Portugal dorthin gekommen und hat sozusagen die Zivilisation dorthin gebracht. Also Handel und Zivilisation sind erst mit den Portugiesen dort nach Indien gekommen, aber das ist eben ist totaler Quatsch.
SPRECHERIN
Schon auf der Hinreise statuiert Vasco da Gama ein Exempel, das an Grausamkeit kaum zu übertreffen ist:
GERÄUSCH - KANONENHALL
Er lässt ein Schiff festsetzen, die Miri, auf dem sich über 300 Mekkapilger auf der Rückreise nach Indien befinden, Kaufleute mit ihren Frauen und Kindern. Diese glauben anfangs noch, dass es um einen Akt von Piraterie geht und versuchen, ein Lösegeld zu verhandeln. Doch der Admiral lässt das Schiff beschießen, Feuer legen und schaut ungerührt zu, wie es manövrierunfähig auf hoher See untergeht. Am Ende sind alle an Bord der Miri tot, Frauen, Männer und Kinder, bis auf 20, die Vasco da Gama mitnimmt, um sie später in ein portugiesisches Kloster zu zwingen.
Diesmal lässt sich Vasco da Gama auch nicht auf langwierige Verhandlungen ein mit dem Herrscher von Kalikut. Er fordert vom Zamorin, alle muslimischen Händler hinauszuwerfen – eine Ungeheuerlichkeit angesichts der Jahrhunderte andauernden Handelsbeziehungen. Und er lässt Geiseln nehmen:
MUSIK Wol auff wir werden s’laufen 0‘41
ZITATOR
Und als der Admiral in dieser Stunde sah, dass vom König keine Botschaft kam, nahm er zweiunddreißig Mauren, …und befahl, sie auf den Schiffen aufzuhängen, damit man sie von der Stadt sehen könne. Als sie aufgehängt waren, wurden Geschütze abgefeuert, und wir sahen Häuser und Palmen einstürzen. Am Nachmittag befahl der Admiral, alle Mauren herunterzunehmen und ihnen die Köpfe, Hände und Füße abzuschneiden und alles mit Ausnahme der Körper, die sie in das Meer warfen, mit einem Brief in ein kleines Boot zu legen. (S.165)
SPRECHERIN
Die Inder sehen in den Portugiesen brutale Piraten – doch Vasco da Gama kann die Rivalität der indischen Fürsten ausnützen. Freundliche Aufnahme findet er im südlicher gelegenen Kochi. Der dortige Raja, der lokale Herrscher, möchte seinerseits die Oberhoheit des Zamorins in Kalikut loswerden – und erlaubt den Portugiesen, ein Fort zu bauen, der erste Brückenkopf der Portugiesen in Indien.
MUSIK Archaischer Gesang 0‘24
Als Vasco da Gama 1503 von seiner zweiten Indienreise zurückkehrt, hinterlässt er an der Malabar-Küste eine Blutspur, der weitere und noch grausamere Eroberungsfahrten der Portugiesen folgen – sie verleiben Indien ihrem Königreich nach und nach ein.
Vasco da Gama selbst zieht sich nach dieser Reise ins Privatleben zurück, wird in den Hochadel aufgenommen, mit seiner Frau bekommt er sieben Kinder. Möglicherweise hatte er sich mehr Anerkennung von seinem König, Manuel I. erwartet – es werden 21 Jahre vergehen, bis er noch einmal nach Indien entsandt wird, von Manuels Nachfolger, König Joa III.
Diesmal wird Vasco da Gama als frischernannter Vizekönig von Indien dorthin geschickt, um für Ordnung sorgen. Denn die Herrschaft der Portugiesen über Südindien ist durch Misswirtschaft und persönliche Bereicherung geprägt. Da soll der Kommandant zweier erfolgreicher Indienfahrten nach dem Rechten sehen.
MUSIK Harappa 0‘41
Vasco da Gama trifft im September 1524 zum dritten Mal in Indien ein, diesmal mit 14 Schiffen und rund 3000 Mann Besatzung, und er beginnt aufzuräumen. Doch er ist geschwächt, Geschwüre am Hals hindern ihn am Sprechen, möglicherweise hat er sich mit Malaria infiziert.
Er stirbt noch im selben Jahr am Weihnachtstag, dem 24.Dezember 1524, in Kochi, und wird in einer Kirche bestattet, die portugiesische Franziskaner hier errichtet haben.
Doch seine Totenruhe währt nicht lange:
1538 werden seine Gebeine nach Portugal überführt, und viel später dann, 1898 wird er nochmals umgebettet:
er erhält ein prachtvolles Ehrengrab im Jeronimos-Kloster in Belém bei Lissabon.
Ein literarisches Denkmal hatte er da schon erhalten: In den „Lusiaden“ feiert der Schriftsteller Luis de Camoes 1572 den Seefahrer der Nation:
MUSIK L’homme armé 0‘19
ZITATOR
Vasco da Gamas, der mutvolle Kapitän,
der sich so großem Wagnis unterzog,
hochschwellenden und selbstvertrauenden Herzens,
dem jederzeit erwies das Glück die Gunst…
SPRECHERIN
Ein Heldenepos, das die portugiesische Geschichte ganz im Sinne nationaler Größe deutet, Vasco da Gamas Fahrt beschreibt als Endpunkt der portugiesischen Entdeckungsfahrten und Ausgangspunkt für ein portugiesisches Weltreich.
OT 8
Und er lässt ihn eben auch sämtliche Abenteuer dieser Reise bestehen, also Abenteuern, Widrigkeiten, die es tatsächlich gegeben hat. Er selber erfindet aber auch noch einiges dazu. Also etwa im mit ständigem Rückgriff auf die römische oder griechische Mythologie lässt er also verschiedene Götter für oder gegen Vasco da Gama und seine Flotte agieren. Und das Ganze wurde bald zum zum Nationalepos und hat dann eben sehr zur Verbreitung des Ruhmes Vasco da Gama beigetragen.
MUSIK 3 Recercari 0‘30
SPRECHERIN
In Portugal bleibt Vasco da Gama der gefeierte Entdecker des Seewegs nach Indien:
OT 9
Er wird nach wie vor tatsächlich als eine Art Held verehrt, bzw. ist die Personifizierung mittlerweile vergangener nationaler Größe. Also er selber wird sehr, sehr unkritisch betrachtet.