

WESTDEUTSCHLAND NACH 1945 - Wie die Sieger sich zerstritten
Der Zweite Weltkrieg war kaum vorbei, NS-Deutschland und Japan hatten kapituliert, da erkannten die Westalliierten und die Sowjetunion, dass sie keinen Draht mehr zueinander fanden. Das Ergebnis war der Auftakt zum "Kalten Krieg". Von Rainer Volk (BR 2007)
Credits
Autor: Rainer Volk
Regie: Rainer Volk
Es sprachen: Krista Posch, Axel Wostry, Helmut Stange
Redaktion: Brigitte Reimer
Im Interview: Prof. em. Dr. Rolf Steininger
Besonderer Linktipp der Redaktion:
SR: Interpretationssache
Was macht Über-Songs wie Let it Be, Nothing Else Matters, Skyfall oder Beethovens Mondscheinsonate so "über"? Das findet Roland Kunz in "Interpretationssache" raus. Er hört genau hin und erzählt die Geschichten dahinter. So wie beim berührenden Soundtrack von „Schindlers Liste“: Eine der besten Filmmusiken, die der große John Williams in seiner langen Karriere geschrieben hat. Roland erzählt, warum John Williams sich diesem Oscar-prämierten Film erst nicht gewachsen fühlte und was den Soundtrack von Schindlers Liste so außergewöhnlich macht. ZUM PODCAST
Linktipps
Radiowissen (2020): Potsdamer Abkommen – Eine Konferenz und ihre Folgen
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg? Darüber berieten im Sommer 1945 die Siegermächte USA, Großbritannien und Sowjetunion in Potsdam. Die Konferenz stand im Zeichen wachsender Spannungen zwischen Ost und West. JETZT ANHÖREN
ZDF (2020): Welt am Abgrund
Ende der fünfziger Jahre beginnt das nukleare Spiel der Supermächte - die USA und die UdSSR stationieren Atomraketen in Europa. Und im geteilten Deutschland stehen sich die beiden Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt direkt gegenüber. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
O-Ton 1: Roosevelt – Jalta-Bericht
Erzählerin:
Es ist der 1.März 1945. In Washington bilanziert Präsident Roosevelt vor dem US Kongress die Konferenz von Jalta. Er spricht von einem erfolgreichen Kraftakt der drei Großmächte für den Frieden, sieht einseitiges Handeln, Einflusssphären und Machtgleichgewichts-Denken am Ende.
Übersetzer
„Als Ersatz schlagen wir eine Weltorganisation vor, der sich alle friedliebenden Nationen anschließen können. Ich bin sicher: der US-Kongress wird diesem Ergebnis als Anfang einer stabilen Friedens-Struktur zustimmen. Darauf können wir eine bessere Welt für unsere Kinder und Enkel – ihre und meine – aufbauen; eine Welt, auf der sie leben können und müssen. Das ist die eine Botschaft, die ich für Sie habe. Ich empfinde sie sehr tief – und ich weiß, es geht ihnen heute und in Zukunft ähnlich.“
Erzählerin:
Wenige Wochen später sind diese Worte bereits veraltet. Nicht nur, weil Roosevelt am 12. April 1945 stirbt – also noch vor der deutschen Kapitulation -, sondern weil auch vom Weltfrieden kaum mehr die Rede ist. Wichtige interne Papiere der Siegermächte des Weltkriegs zeigen, dass schon bei der Konferenz von Jalta - im Nachhinein betrachtet –die Teilung der Welt in Ost und West beschlossen und der „Kalte Krieg“ eröffnet worden ist. Zu Beginn des Treffens, am 4.Februar 1945, ahnt das keiner der Anwesenden. Im Gegenteil: die Gesprächs-Atmosphäre auf der Halbinsel Krim ist freundlich. Stalin, später der Bösewicht schlechthin für den Westen, wird von einer Wochenschau als Sieger der Schlacht an der Oder gelobt:
O-Ton 2:
The distinguished man, on whose sturdy shoulders falls the responsibility of the government of Russia came to the conference with the enviable prestige
of being the architect of the greatest land victory of the war.”
O-Ton 3: (Lautsprecher/Leipzig)
„Alle Personen in dieser Stadt werden unver¬züglich und vorbehaltlos alle Anordnungen und Befehle der Militärregierung …. Sabotage und Plündern sind verboten. Auf jedes dieser Verbrechen steht die Todesstrafe… Behalten Sie ihre Lebensmittelkarten… Im Freien darf man sich nur zwischen acht und zehn Uhr des Morgens… weitere Ankündigungen werden folgen.“
Erzählerin:
Als die Alliierten sich den Deutschen im besiegten Land als neue Herren vorstellen – hier eine Lautsprecherdurchsage aus Leipzig – sind Euphorie und gegenseitiges Wohlwollen der Sieger jedoch schon verflogen
ATMO
Erzählerin:
So schreibt der britische Premierminister Winston Churchill dem neuen US-Präsidenten Truman am 12.Mai ’45 per Telegraph einen langen, sorgenvollen Brief über die Strategie der Sowjetunion:
Zitator 2:
„Ich habe mich stets um die Freundschaft der Russen bemüht; aber ihre falsche Auslegung der Jalta-Beschlüsse, ihre Haltung gegen Polen, ihr überwältigender Einfluss auf dem Balkan, …die Verkoppelung ihrer Macht mit der Besetzung und Kontrolle so ungeheurer und weiter Gebiete… beunruhigen mich ebenso sehr wie Sie. Wie wird sich die Lage in ein bis zwei Jahren darstellen, wenn die britischen und amerikanischen Armeen nicht mehr existieren und die Franzosen noch keine beachtliche Armee aufgestellt haben…?!
Erzählerin:
Zwar ist Churchill bald ohne Amt, denn seine Konservative Partei verliert Ende Juli 1945 bei Unterhauswahlen die Mehrheit; doch der Nachfolger Attlee und der neue Außenminister Bevin teilen seine Meinung. Der Innsbrucker Zeithistoriker, Professor Rolf Steininger, einer der besten Kenner der Zeit des „Kalten Krieges“, sagt resümierend:
O-Ton 5: Steininger – GB/45:
„Wir haben in London eine Entwicklung, die schon seit dem Frühjahr 45 – man kann sogar noch weiter zurück gehen, aber Frühjahr 45 von tiefem Misstrauen gegenüber der sowjetischen Politik getragen ist – von der sogenannten „russischen Gefahr.“
Erzählerin:
Bei der Potsdamer Konferenz von Juli bis Anfang August 1945 bestätigen die Weltkriegs-Alliierten zwar die Jalta-Vereinbarung, Deutschland aufzuteilen in Besatzungszonen und einen Kontrollrat für gesamtdeutsche Fragen einzusetzen. Auch werden die Bedingungen für die Kapitulation Japans und die so genannte „Oder-Neisse-Linie“ als künftige Westgrenze Polens diskutiert. Doch Truman ist nicht Roosevelt. Der Neuling im Weißen Haus, bisher mit Weltpolitik wenig befasst, hat sich rasch eingearbeitet. Rolf Steininger hält den Sohn eines einfachen Farmers aus Missouri keineswegs für ‚überfordert’ mit der Materie:
O-Ton 6: (Steininger – Truman)
Truman ist massiv unterschätzt worden. Truman ist so „down to earth“ – ein Mann der praktischen Politik. Er ist auch jener, der zum ersten Mal Molotov sagt: Haltet Eure Verträge ein – dann wir auch. Und er ist auch schon von einem tiefen Misstrauen getragen.“
Erzählerin:
Diese Haltung Trumans bildet sich im Laufe des Jahres 1945 allmählich heraus. Bezeichnend ist, wie er bereits in Potsdam gegenüber Stalin ein Weltereignis quasi ‚im Nebensatz’ ankündigt: den Abwurf der ersten Atombombe.
O-Ton 7: (BBC-Hiroshima)
„Scientists, British and American have made the Atomic Bomb at last. The first one was dropped on a Japanese city early this morning. It was……
Erzählerin:
Zwei Tage nachdem die britische BBC – wie alle anderen Radiosender der Welt auch – den Abwurf von Hiroshima meldet, greifen Sowjettruppen am 8.August auf dem asiatischen Kriegsschauplatz ein. Briten und Amerikaner sehen die schnellen Erfolge als Beweis für die Schlagkraft Moskaus. Das vergrößert den Argwohn gegenüber Stalin. Prompt lehnt Truman eine sowjetische Beteiligung an der Besetzung der japanischen Insel Hokkaido ab; umgekehrt verweigert Stalin den USA den Wunsch, auf der Insel-Gruppe der Kurilen einen Stützpunkt zu errichten:
Zitator 1:
„Wünsche dieser Art werden normalerweise entweder einem besetzten Land vorgelegt oder einem alliierten Land, das unfähig ist, einen bestimmten Teil seines Landes selbst zu verteidigen… Ich glaube nicht, dass die Sowjetunion in eine dieser beiden Kategorien eingereiht werden kann.“
Erzählerin:
In Europa schnürt sich das Problemknäuel im Herbst und Winter 1945-46 weiter zu: Vor allem verschlechtert sich überall die Ernährungslage: in Frankreich, Italien, Großbritannien, aber auch in Deutschland sind Lebensmittel knapp. Dazu kommt: das glorreiche Großbritannien ist praktisch pleite. Der berühmte Welt-Ökonom John Maynard Keynes, damals Berater der Londoner Regierung, nennt angesichts der Lage drei Bedingungen, um die Situation zu stabilisieren:
Zitator 2:
„Diese Bedingungen sind a) eine intensive Konzentration auf Ausweitung der Exporte, b) drastische und unmittelbare Einsparungen unserer Überseeausgaben und c) substantielle Hilfe von den Vereinigten Staaten unter Bedingungen, die wir akzeptieren können.“
Erzählerin:
Die Verhandlungen mit den Amerikanern sind zwar erfolgreich; Großbritannien wird der Großteil seiner Schulden aus dem Pachtleih-Gesetz, das im Krieg zum Einkauf von Kriegsgütern diente, erlassen. Darüber hinaus kann der Schatzkanzler ein Darlehen zu niedrigen Zinsen aufnehmen. Aber: London kann diese 3,75 Milliarden Dollar nicht wie gewünscht einsetzen. Daran sind die Sowjets Schuld: Der Innsbrucker Zeithistoriker Professor Rolf Steininger:
O-Ton 8: (Steininger – Geld/GB)
„Die Briten waren in einer schwierigen Situation. Die Sowjetunion hat sich nicht an die Viermächte-Vereinbarung gehalten, sie hat nicht Lebensmittel in die Westzonen geschickt. In London standen die Hausfrauen Schlange vor den Brotläden – das war noch nicht einmal im Krieg vorgekommen. Das große Darlehen aus den USA, was die Briten für sich eigentlich nutzen wollten, müssen sie nun nehmen, um die Deutschen in ihrer Zone durchzufüttern – die Millionen mehr sind als geplant.“
Erzählerin:
Kurz: das Bild ist düster – und es besteht wenig Aussicht auf Aufhellung. Während britische und amerikanische Diplomaten lange Denkschriften an ihre Regierungen schicken, deren Warnungen vor der Sowjetunion auf ein unterschiedliches Echo stoßen, wendet sich Winston Churchill an die Weltöffentlichkeit. Am Ende des ersten Nachkriegswinters, genauer: am 5.März 1946, hält er an der Universität von Missouri in Fulton einen Vortrag über die Lage in Europa und schildert dem Publikum ungeschminkt die Tatsachen, wie er sie sieht:
O-Ton 9: (Churchill – Iron Curtain)
„From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic… lay all the capitals of the ancient Europe… lie in what I must call the Soviet sphere.“
Übersetzer (Zitator 2):
„Von Stettin an der Ostsee bis nach Triest an der Adria ist ein Eiserner Vorhang über Europa herabgelassen worden. Hinter dieser Linie liegen alle Hauptstädte der alten Staaten von Zentral- und Osteuropa. Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia: Alle diese berühmten Städte, und auch die Bevölkerung um diesen Städten liegen in einer Sphäre, die ich Sowjetische Sphäre nennen muss.“
Erzählerin:
Heute weiß man: die Ansprache ist genau berechnet. In London haben der Premier und der Außenminister sie gelesen; auch US-Präsident Truman kennt ihren Inhalt. Denn er reist gemeinsam mit Churchill in der Eisenbahn nach Fulton. Als ihn Journalisten nach Ende der Veranstaltung dazu befragen wollen, stellt sich der US-Präsident jedoch überrascht und weicht aus. In den USA ist die Mehrheit der Bürger nämlich dafür, möglichst schnell abzurüsten und die eigenen Soldaten heim zu holen. Noch ist der „Kalte Krieg“ nicht mehrheitsfähig. Das Weiße Haus und das US-Außenministerium brauchen also eine Gelegenheit, der Welt Moskaus Haltung zu zeigen. Sie bietet sich bei der großen Außenminister-Konferenz im Frühjahr 1946 in Paris. Das Treffen behandelt vordergründig Friedensverträge mit den ehemaligen Verbündeten Hitlers – zum Beispiel (mit) Italien. Premierminister Attlee beteuert:
O-Ton 10: (Attlee – Paris)
„We’re discussing these treaties…we are trustees of the unborn children of the future.“
Übersetzer (Zitator 2):
„Wir besprechen diese Verträge frei und offen, vor aller Welt. Wir fühlen hier den Druck der Weltmeinung. Mögen unsere Ohren dafür offen bleiben, denn kein Land, kein Herrscher kann es sich leisten, sie zu ignorieren.
Wir sind Abgesandte einzelner Länder, aber gemeinsam sind wir für alle Menschen der Erde verantwortlich, die Friede und Sicherheit wollen. Wir sind Treuhänder der ungeborenen Kinder der Zukunft.“
Erzählerin:
Das Pathos trägt gewisse Früchte – die Friedensverträge werden 1947unterzeichnet. Doch sind sie fast nebensächlich. Bei den wahren Kernpunkten, der Deutschlandpolitik, habe sich in Paris gezeigt, so Rolf Steininger, wie groß der Graben zwischen West und Ost im Sommer 1946 bereits sei:
O-Ton 11: Steininger - Pariser AMK)
„Diese Außenminister-Konferenz, endet im Juli, wenn sie so wollen, mit einem totalen Desaster. Molotov bewegt sich kei¬nen Millimeter. Bevin rastet fast aus. Es gibt diese wunderbare Szene, wo er um den Tisch herumläuft und den Molotov am Kragen schüttelt und fragt: Warum sagst Du immer „Njet“? Aber: Bevin hat klare Vorgaben vom Kabinett was zu tun ist im Ernstfall. Und Bevin schlägt vor: wenn die Sowjetunion nicht zurück¬kehrt zu einer gemeinsamen Deutschlandpolitik, sprich auch einer gemeinsa¬men Wirtschaftspolitik, Nahrungsmittel in die Westzone, dann wird Großbritan¬nien seine Zone alleine organisieren.“
Erzählerin:
Die Briten haben für ihre Ansichten inzwischen bei den Amerikanern einen wichtigen Verbündeten: Lucius D. Clay. Der damals 49jährige General und stellvertretende Militärgouverneur der US-Zone drängt Washington im Sommer 1946 rascher Tatsachen zu schaffen – bis hin zur Bildung einer westdeutschen Regierung. Aber Außenminister James F. Byrnes zieht kleinere Schritte vor – wenngleich auch sie eindeutig sind:
O-Ton 12: (Byrnes-Ankündigung)
„Hier ist das Große Haus der Württembergischen Staatstheater in Stuttgart, der Stadt des Länderrats. Es mag dies mit ein Grund sein, warum der Außenminister … eine volle Klarlegung der Richtlinien, die die Vereinigten Staaten bis zum heutigen Tage befolgt haben und die in Zukunft eingeschlagen werden sollen.“
Erzählerin:
6. September 1946, der Reporter von Radio Stuttgart kündigt eine Rede von Byrnes an, die dieser vor deutschen und amerikanischen Honoratioren hält.
Sie genießt seither einen geradezu legendären Ruf, als „Rede der Hoffnung“:
O-Ton 13: (Byrnes-Rede)
The American people, who fought for freedom…Das amerikanische Volk, das für die Freiheit gekämpft hat, will die Deutschen nicht versklaven. Das amerikanische Volk will dem deutschen Volk die eigene Regierung zurückgeben; das amerikanische Volk will dem deutschen Volk helfen zurückzufinden zu einem Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt… Nations of the world.“
O-Ton 14: (Steininger/Byrnes)
„Trotz aller Papierknappheit wurde die Rede in hunderttausenden von Exemplaren in der amerikanischen Zone verteilt. Und wenn sie die Reaktionen (nehmen): die Ministerpräsidenten, der Geiler, der Ministerpräsident, hat Tränen in den Augen; Erhard – der spätere Wirtschafts¬minister – ist begeistert. Das heißt: hier wird eine Schneise geschlagen. Zum ersten Mal sehen die Deutschen. Plötzlich: der große, der große Bruder, die USA, bieten uns die Hand zur Zusammenarbeit – nicht Partner – zur Zusam¬menarbeit an. Das war wie ein Durchatmen, wie frischer Wind. Man wusste: jetzt geht’s los.“
Erzählerin:
Die Welt erhält durch die Byrnes-Rede den ersten eindeutigen Hinweis: die USA denken nicht, wie nach Ende des 1.Weltkriegs, an einen Rückzug auf den eigenen Kontinent. General Clay lässt den klärenden Worten von Byrnes im Herbst 1946 Taten folgen. Er trifft dabei, nicht nur wegen der ökonomischen Notlage, auf einen ausgeprägten Kooperationswillen in London. Im dortigen Außenministerium schreibt der Leiter der Deutschland-Abteilung um die gleiche Zeit ein Memorandum, in dem er betont, wie wichtig bessere wirtschaftliche Verhältnisse aus Sicht der Deutschen sind:
Zitator 2:
„Wir müssen darauf achten, dass der Teil Deutschlands, der auf westlichen Ideen beruht, sowohl politisch wie auch wirtschaftlich attraktiver ist als der Rest.
Wenn wir dies tun, können wir darauf hoffen, dass Ost-Deutschland früher oder später unter westlichen Einfluss gebracht werden kann, oder dass der sowjetische Einfluss dort zumindest zu einem gewissen Grad ausgeglichen wird.“
Erzählerin:
Eine der wichtigsten westlichen Ideen ist die Demokratie: in der britischen und der amerikanischen Zone haben bereits erste Wahlen stattgefunden, teilweise sind die Länderverfassungen durch Referenden demokratisch ‚abgesegnet’. Die hohe Wahlbeteiligung und die Mehrheiten für bürgerliche Parteien zeigen den Besatzern: die Deutschen wollen den Weg des Westens mitgehen. Lobend erklärt Botschafter Robert Murphy, politische Berater der US-Militärregierung, im Radio:
O-Ton 15: (Murphy)
„Amerikaner mit denen ich gesprochen habe, haben mir ge¬gen¬über ihre Bewunderung dafür ausgedrückt, wie sich Deutsche bemühen, eine Demokratie aufzubauen. Sie haben mit Interesse die Wahlen in der ameri¬ka¬nischen Zone verfolgt.“
O-Ton 16: (Musik – „Glenn Miller – „705“)
Erzählerin:
Freiheit – das haben die Deutschen bis dahin nur in den Medien, wie hier in der Musik alliierter Radiosender – erfahren. Nun schaffen die Briten und Amerikaner auch wirtschaftliche Voraussetzungen. Die Besatzungszonen, faktisch ‚Kleinstaaten’ mit schwierigsten Ein- und Ausfuhrbedingungen für Waren, werden Ende 1946 zusammengeschlossen zur „Bi-Zone“. Die Wochenschau berichtet:
O-Ton 16: Bizonen-Abkommen/Wochenschau
„Der englische Außenminister Bevin und der amerikanische Außenminister Byrnes unterzeichneten gegen Jahres¬ende ein Abkommen, das die amerikanische und englische Zone zunächst wirt¬schaftlich vereint. Das Abkommen tritt am 1.Januar 1947 in Kraft. Damit ist der erste Schritt zur wirtschaftlichen Einheit Deutschlands getan. Ein hoffnungsvol¬ler politischer Abschluss des alten Jahres, der für das neue Antrieb und Ankur¬belung der Wirtschaft verspricht.“
Erzählerin:
Für die Sowjetunion ist die Bizone jedoch ein Affront. Moskau betont in allen Verhandlungen verbal die Bereitschaft, weiter eine gesamtdeutsche Lösung anzustreben – wenn es Reparationen aus den Westzonen erhält. Doch darauf wollen sich Amerikaner und Briten nicht mehr einlassen. So kommt es im ersten Halbjahr 1947 zur Eskalation des „Kalten Krieges, symbolisiert durch zwei Daten – den 12. März, den Tag der „Truman-Doktrin“ und den 5. Juni, den Tag des „Marshall-Planes“. Der Grund dafür aber ist nicht allein die wirtschaftliche Stabilisierung Deutschlands. Attlee, Bevin, Truman und der seit Januar ’47 zum Nachfolger von Byrnes bestellte US-Außenminister Marshall haben ebenso sehr Krisengebiete auf dem Balkan, in Ostmitteleuropa und im Mittleren Osten im Blick:
Zitator 1:
In Polen werden die Parlamentswahlen im Januar 1947 von der Sowjetunion manipuliert – die von ihr protegierten so genannten „Block-Parteien“ erhalten 93 Prozent der Stimmen. In der Tschechoslowakei propagiert der kommunistische Ministerpräsident Gottwald ein Bündnis aller Slawen unter Führung der Sowjetunion; in Griechenland kämpfen linke Guerrilla-Verbände gegen die Regierung. Im Iran weigert sich Moskau entgegen den Vereinbarungen, seine Truppen zurückzuziehen
Erzählerin:
In diese Querelen hinein beginnt in Moskau das nächste geplante Außenminister-Treffen der Alliierten – am 10.März 1947, also zwei Tage ehe Präsident Truman im US-Kongress seine berühmte Rede hält. // Geschichtsforscher wie Rolf Steininger sehen die Diskussionen in der Sowjet-Hauptstadt als letzten Lackmus-Test vor der Teilung der Welt:
O-Ton 17: (Steininger – Moskau)
„Der große Test für einige, für einige war’s gar kein Test mehr, ist dann die Außenminister-Konferenz im März/April 1947. Die Briten haben den Eindruck: die Sowjets wollen eine Lösung. Die Russen wollen aber gleichzeitig massiv Reparationen. Und wir kennen alle diesen berühmten Spruch von George Marshall, dem Außenminister: Die Ärzte diskutieren und der Patient stirbt. Und da sehen Sie: es gibt da keine Annähe¬rungspunkte mehr. Da ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Und vor allen Dingen die USA – organisieren jetzt das, was sie sozusagen „kontrollieren“ können.“
Erzählerin:
Im Frühsommer 1947 ist die Kriegskoalition am Ende. West und Ost haben das Vertrauen zueinander verloren. Es geht – und das erstaunt im Rückblick – weniger um eine konkrete Kriegsgefahr, als um Befürchtungen vor einer Machtzunahme der jeweils anderen Seite. Wichtig ist: die Pläne beider Seiten bleiben defensiv, auch der bereits kurz erwähnte „Marshall-Plan“, der – und das unterstreicht das Gesagte über Deutschland und Europa – sich an den ganzen Kontinent richtet:
O-Ton 18: (Steininger - ERP)
„Es ging den Amerikanern nicht nur um Deutschland in dieser Phase, sondern auch um Westeuropa. Es ging um die Stabilisierung Frankreichs, es ging um die Stabilisierung Italiens – das waren die Länder mit den stärksten kommunistischen Parteien. Und die Furcht in Washington war noch nicht einmal so sehr, dass die Sowjets durchmarschieren. Sondern die Befürchtung war, dass die sowjetische „Fünfte Kolonne“, d.h. die kommunisti¬schen Parteien das Ruder übernehmen würden.
Erzählerin:
Wie klar die beiden Machtblöcke im Laufe des Jahres 1947 bereits fertig ‚betoniert’ sind, zeigen interne Analysen der US-Regierung. So schreibt der US-Diplomat George Kennan im November 1947:
Zitator 1:
„Die Kriegsgefahr ist mancherorts äußerst übertrieben worden. Die sowjetische Regierung will keinen und erwartet keinen Krieg mit uns in der vorhersehbaren Zukunft. …Die politische Ausbreitung des Kommunismus konnte zumindest zeitweilig zum Stillstand gebracht werden.“