Mouhanad Khorchide, ein angesehener Islamwissenschaftler und Religionssoziologe, spricht über die neue Dokumentationsstelle zum politischen Islam in Österreich. Er erläutert, warum diese Notwendigkeit besteht, trotz der Sorgen muslimischer Vertreter über mögliche Ausgrenzung. Khorchide thematisiert die komplexe Beziehung zwischen Politik und der muslimischen Gemeinschaft sowie die Herausforderungen, die aus extremistischen Tendenzen und genderbezogenen Problemen hervorgehen. Dabei plädiert er für kritische Selbstreflexion innerhalb der Gemeinschaft.
Der politische Islam birgt die Gefahr, Gesellschaften zu spalten, weshalb eine genaue wissenschaftliche Analyse seiner Strukturen und Ideologien notwendig ist.
Muslimische Gemeinschaften sollten Selbstkritik üben und Bildung fördern, um proaktiv mit internen Herausforderungen und externen Vorurteilen umzugehen.
Deep dives
Der politische Islam und seine Gefahren
Der politische Islam stellt eine bedeutende Herausforderung dar, die oft unterschätzt wird, insbesondere im Vergleich zu gewalttätigem Extremismus. Diese Ideologie hat das Potenzial, Gesellschaften subtil zu spalten, indem sie sich unter dem Deckmantel von Integration und Menschenrechten ausbreitet. Wichtige Strukturen des politischen Islams sind weltweit gut vernetzt, und es fehlt an Wissen über ihre Ideologien und Rekrutierungsmethoden. Die Schaffung einer Beobachtungsstelle wird als notwendig erachtet, um die Strukturen und Ziele des politischen Islams wissenschaftlich zu analysieren und zu verstehen.
Differenzierung zwischen Islam und politischem Islam
Die neue Dokumentationsstelle soll klar zwischen dem politischen Islam und dem Islam als Religion unterscheiden, um Missverständnisse zu vermeiden. Kritiker betrachten die Initiative als islamophob, während Befürworter argumentieren, dass sie auch Muslime vor dem Missbrauch ihrer Religion durch extremistische Ideologien schützen kann. Es wird betont, dass diese Betrachtung nicht gegen Muslime gerichtet ist, sondern gegen eine spezifische Ideologie, die den islamischen Glauben instrumentalisiert. Dies könnte auch dazu beitragen, das Vertrauen zwischen muslimischen Gemeinschaften und der restlichen Gesellschaft zu fördern.
Herausforderung durch rechtsextreme Diskurse
Die politische Landschaft ist von einer Welle rechtsextremer Angriffe auf muslimische Gemeinschaften geprägt, oft ausgelöst durch populistische Rhetorik. Muslime sollten proaktiv gegenüber ihren eigenen Herausforderungen sein, anstatt sich in einer Opferrolle zu vergraben. Die Gespräche unter muslimischen Organisationen sollten sich auf eine ehrliche Selbstkritik konzentrieren, um die Herausforderungen im eigenen Umfeld anzugehen. Nur durch einen selbstreflexiven Ansatz können die Gemeinschaften ihre Position gegenüber rechtsextremistischen Angriffen stärken und integrativer agieren.
Die Rolle von Bildung und Selbstkritik
Ein zentraler Aspekt für muslimische Gemeinschaften ist die Verbesserung der Bildung und Aufklärung über den politischen Islam. Es wird vorgeschlagen, interne Studien durchzuführen, um die Inhalte des religiösen Unterrichts und die Predigten in Moscheen zu untersuchen. Diese Selbstbeobachtung könnte dazu beitragen, gesellschaftliche Probleme wie das Thema Kopftuch oder patriarchalische Strukturen zu thematisieren, bevor sie von außen diktiert werden. Ein offener Diskurs innerhalb der Gemeinschaft könnte helfen, Missverständnisse und Vorurteile abzubauen und eine gerechtere Darstellung des Islams zu fördern.
Der Religionssoziologe Mouhanad Khorchide erklärt im Gespräch mit FALTER-Chefredakteur Florian Klenk, warum er sich bei der Dokumentationsstelle der Regierung zum politischen Islam engagiert, obwohl die islamischen Religionsvertreter Sorge vor Ausgrenzung äußern und nicht eingebunden sind.
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