

WIE WIR MENSCHEN WURDEN – Der Neandertaler
Neandertaler waren keine primitiven Halbaffen, sondern eine Menschenart mit Sprache, Kultur, Ritualen, und entwickeltem Sozialverhalten. Sie haben die gleichen Vorfahren wie der moderne Mensch, begegneten dem Homo Sapiens über mehrere Jahrtausende und zeugten mit ihm Nachkommen. Noch heute trägt der moderne Mensch Gene dieses Vorfahren in sich. Von Geseko von Lüpke (BR 2023)
Credits
Autor dieser Folge: Geseko von Lüpke
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Julia Fischer, Rahel Comtesse
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview: Rebecca Sykes, Svante Pääbo, Francois Savatier, Harald Floss, Joachim Bauer
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Linktipps:
radioeins (2024): Spermienkonkurrenz und das Verschwinden der Neandertaler
Der Neandertaler verschwand erstaunlich schnell, nachdem der moderne Mensch seinen Lebensraum in Europa und Westasien besiedelte. Als eine Theorie für das schnelle Aussterben gilt die Spermienkonkurrenz. ZUM PODCAST
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt: Dauerausstellung “Evolution des Menschen”
Wie gingen unsere Vorfahren auf zwei Beinen? Wann fing der Mensch an, Werkzeuge zu benutzen – und wie veränderte das Feuer unser Miteinander? In der Dauerausstellung “Evolution des Menschen” im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt bekommst du einen Blick in unsere Ursprünge – wie sich Gesichter wandelten und wie wir heute durch Forschung Stück für Stück unsere Geschichte zusammensetzen. ZUR AUSSTELLUNG
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Sie war in Felle gehüllt – die kleine Gruppe von Erwachsenen mit vielen Kindern. Ihre großen Augen lasen die Landschaft mit großer Aufmerksamkeit. Vielleicht war das Land eine Tundra mit Pferden, Büffeln, Mammuts. Vielleicht auch tropisch mit Flusspferden und Löwen. Oder eiskalt mit Bären, Rentieren, Wölfen. Als sie die Höhle in der engen wilden Klamm fanden, von der man heute noch redet, waren sie bepackt mit Speeren, Steinmessern, geflochtenen Körben voller einfacher Utensilien. Die kleinen Kinder der Horde wurden getragen, einige pflückten Essbares, heilende Pflanzen, Kräuter. Irgendjemand von ihnen trug schützend die Glut des letzten Feuers, das bald schon die Höhle im Neandertal wärmen sollte.
SPRECHER
Früher war es eine 1000 Meter lange und etwa 50 Meter tiefe enge Schlucht mit überhängenden Wänden, Wasserfällen, vielen kleineren Höhlen und großem Artenreichtum. Wir wissen nichts Genaues vom Leben der Menschen vor oder in der Höhle, von der Sprache ihrer Bewohner, von ihren Liedern und Ritualen, von ihren Gefühlen und ihrem Denken. Wir wissen nicht, wie und warum einer von ihnen vor 42.000 Jahren starb und hinten in der Höhle liegen blieb oder begraben wurde, bis man Jahrzehntausende später, im Jahr 1856, seinen Schädel und einige seiner Knochen fand. Im Neandertal selbst blieb seit dieser historischen Entdeckung kein Stein auf dem anderen.
SPRECHERIN
Zwar wurden die Schädelplatte und ein paar Knochen erkannt und aufgehoben. Doch alles andere landete auf einem Schuttberg, wurde weggesprengt, abgetragen, verwertet: Hundert Jahre Kalk-Bergbau haben das malerische Tal inzwischen fast vollständig zerstört. Statt Wildbächen rauscht heute unweit die A3 vorbei. Über die einst urzeitliche Landschaft fliegen die Passagierjets zum Flughafen Düsseldorf. Um an die Stelle zu gelangen, wo die Knochen lagen, die dem Neandertaler seinen Namen gaben, hat man jüngst einen 20 Meter hohen Turm errichtet – denn wo sich eins die historische Höhle befand, ist heute nichts, nur Luft.
Oben auf der Plattform kann man auf Knopfdruck Filme einer möglichen Vergangenheit abspielen und in Fernrohren fingierte Neandertaler beobachten. Und selbst die sind nicht mehr, für wen man sie lange hielt, sagt die Direktorin des Neandertal-Museums Bärbel Auffermann. Nicht primitive Halbaffen, sondern stolze indigene Menschen.
O-TON Bärbel Auffermann
Wissenschaft ist ja immer auch ein Spiegel der aktuellen Zeit.
Die allerersten Darstellungen des Neandertalers, die man sieht, zeigen immer so einen sehr haarigen, nackten Menschen. Meistens in der Nähe einer Höhle, kauernd oder lauernd und eigentlich immer mit einer Keule in der Hand. Das sind alles Attribute, die ihm aus diesem abendländischen Mythos des wilden Mannes zugeschrieben werden. Das konnte, sollte nicht unser direkter Vorfahre sein, war etwas Primitives, über das wir uns mit unserer Zivilisation erhoben haben. Das ist so ein eurozentristischer Blick auf das Fremde. Jetzt sind wir diverser aufgestellt in unseren Gesellschaften und lassen vielleicht den Neandertaler auch hinein. Er ist nicht unser direkter Vorfahre. Er ist unser - 'Cousin' trifft es ganz gut - ein entfernter Verwandter, mit dem sich unsere direkten Vorfahren immer wieder in verschiedenen geografischen Regionen sicherlich auch getroffen und vermischt haben.