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Er war verehrt und gefürchtet. Den Stadtplaner Robert Moses nennt man bis heute den "Master Builder" New Yorks. Er galt als ebenso arrogant wie brillant, als visionär und rücksichtslos. 44 Jahre lang konnte er die Metropole mit gewaltigen und umstrittenen Bauprojekten wie kein anderer im Alleingang formen. Von Florian Kummert (BR 2021)
Credits
Autor: Florian Kummert
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Rainer Buck, Sven Hussock
Technik: Adele Kurdziel
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Jason Harber
Besonderer Linktipp der Redaktion:
NDR & mdr: OZ. Graffiti-Künstler. Schmierfink. Rebell.
Zwei Jahrzehnte lang geht der Graffiti-Sprayer OZ – bürgerlich Walter Fischer – jede Nacht raus und »macht Hamburg bunter«, wie er sagt – oder, wie andere urteilen: Er verschandelt die Stadt. Immer wieder wird er verprügelt. Und immer wieder verurteilt, insgesamt zu mehr als acht Jahren Gefängnis. Doch OZ macht immer weiter, am Ende stirbt er als Künstler. Was war sein Antrieb? Kai Sieverding und Sven Stillich begeben sich auf die Suche nach dem Menschen hinter der Sprühdose und finden ein Leben, das geprägt ist von Extremen.
Linktipps:
ZDF (2024): Weltstädte – New York
Für viele ist New York die Stadt der Städte: eine Stadt, die sich hoch in den Himmel schraubt und immer neue Rekorde bricht. Ein wimmelnder Schmelztiegel, der nie zur Ruhe kommt. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
ERZÄHLERIN
New York City. Die Stadt der Städte, mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Stadt der Luxusvillen und der Slums. Stadt der atemberaubenden Ausblicke und der stundenlangen Staus. Eine Weltmetropole, wie die belgisch-amerikanische Schriftstellerin Lucy Sante einmal sagte, mit einem zwiespältigen Charakter, durchsetzt von Widersprüchen, anziehend und abstoßend zugleich, so gewaltig und extrem, dass niemand ihn allein ersonnen haben könne.
ERZÄHLER
Und doch gibt es einen Mann, der diese Stadt formen konnte. Einer, der ihr seinen Stempel aufdrückte und die Landschaft von New York City und Umgebung über Jahrzehnte hinweg modellierte.
ERZÄHLERIN
Ein Mann, der immense Macht anhäufte, der Bürgermeister und Gouverneure kontrollierte, der das Rampenlicht mied und aus dem Schatten heraus sein New York bauen konnte. Sein Name: Robert Moses.
OTON VOICEOVER Jason Haber 1
„He is alive in spirit anyway, because you're on his roads, you're in his traffic. The routes that you take, whether you use Google Maps or just your own intuition, they are plotted by Robert Moses.“
„Sein Geist schwebt bis heute über der Stadt, vor allem auf seinen Straßen, in seinem Verkehr. Die Routen, die wir heute mit oder ohne Navi nehmen, hat Robert Moses vorgeplant.“
ERZÄHLERIN
Jason Haber, Autor und früherer Professor für Städteplanung am John Jay College, lebt und arbeitet in New York. Je mehr er sich mit der Geschichte und den städteplanerischen Herausforderungen seiner Heimatstadt auseinandersetzte, desto häufiger stolperte er über einen Namen.
OTON VOICEOVER Jason Haber 2
„I was struck by the fact that living on Long Island to the east of New York City and then coming into the city how much of my life’s movement and patterns were directed by a man that I didn't know, that most people didn't know by name and I think didn't realize the implications of what he did and how he did it and when I started asking questions like who created the Long Island Expressway, why Robert Moses, who created this tunnel, this bridge, this road, this park, it always seemed to come back to Moses.“
„Ich bin lange von Long Island östlich der Stadt nach Manhattan gependelt. Dabei ist mir bewusstgeworden, dass für all diese Lebenszeit, für meinen Bewegungsablauf ein Mann verantwortlich ist, dessen Namen viele gar nicht kennen, von dem viele nicht wissen, wie einflussreich er war. Aber als ich recherchiert habe: Wer hat den Long Island Expressway gebaut, wer hat diesen Tunnel, jene Brücke, diese Straße, jenen Park gebaut, dann war die Antwort immer: Moses.“
ERZÄHLERIN
Robert Moses war der Bauherr öffentlicher Bauten, und zwar einer der einflussreichsten und mächtigsten des 20. Jahrhunderts. Moses galt als brillant und arrogant, als visionär und rücksichtlos.
OTON VOICEOVER Jason Haber 3
„When you talk to people in New York about Robert Moses who aren’t deeply enmeshed in the topic they'll say things like was he the governor? Was he the senator? Was he the mayor? Most people are surprised that he was none of those three. Most notably, Robert Moses was never elected to any public office. In a democracy the way it supposed to work, we have a representative government where the officials who are in power are responsible and have to answer for their decisions or lack of decisions at the ballot box. Moses gets around this entirely and as a result it changes the story of how things evolved here in New York.“
„Wenn ich von Robert Moses und seinem Einfluss erzähle, werde ich oft gefragt: War er Gouverneur? War er Senator? War er der Bürgermeister? Und die Antwort überrascht die Leute: Er war nichts davon. Robert Moses wurde nie in ein öffentliches Amt gewählt. Dabei sollte es in einer Demokratie doch anders laufen. Wir haben eine repräsentative Regierung, in der die Machthaber sich vor den Wählern verantworten müssen, und auch abgewählt werden können. Moses umgeht dieses System komplett und verändert so den Werdegang von New York.“
ERZÄHLERIN
Jason Haber ist ein ausgesprochener Kritiker von Robert Moses und dessen städteplanerischen Visionen und Machtpolitik.
ERZÄHLER
Damit folgt er dem Gros der öffentlichen Meinung, die in den USA vor allem von einem Buch und der Rechercheleistung seines Autors geprägt wurde: „The Power Broker“ von Robert A. Caro. Eine über 1200 Seiten umfassende, mit dem Pulitzer Preis prämierte Mischung aus Biographie und Stadtgeschichte. Caros 1974 erschienenes Buch geht dem Leben und Werk von Robert Moses nach und - wie es im Untertitel heißt - dem „Niedergang von New York“. „The Power Broker“ zählt an der New Yorker Columbia Universität bis heute zur Pflichtlektüre und gilt als eines der wichtigsten stadtgeschichtlichen Bücher des 20. Jahrhunderts.
MUSIK
ERZÄHLER
Robert A. Caros Buch versucht, Robert Moses zu enträtseln. Wer ist dieser Mann, der 44 Jahre als Oberster Baumeister von New York das Bild der Stadt bestimmt. Der „Master Builder“, der kaum einen Bereich unberührt lässt und hunderte Meilen an Parkways und Stadtautobahnen schafft, ebenso hunderte von Parks, Spielplätzen und öffentlichen Stränden, der Brücken und Tunnel bauen und Viertel niederreißen lässt und hunderttausende Sozialwohnungen errichtet. Von den 1920er bis in die 1970er Jahre hinein macht Robert Moses seinen Einfluss geltend, in den fünf so genannten „Boroughs“, den fünf großen Verwaltungsbezirken der Stadt: Manhattan, Brooklyn, Queens, Bronx und Staten Island.
ATMO Autos, Hupen
ERZÄHLER
Robert Moses baut knapp 700 Kilometer an Straßen für die New Yorker, aber er selbst lernt Zeit seines Lebens nie ein Auto zu fahren. Da er ebenso die öffentlichen Verkehrsmittel meidet, lässt er sich von einem Chauffeur durch New York kutschieren.
ERZÄHLERIN
1888 als Sohn einer wohlhabenden, großbürgerlichen deutsch-jüdischen Familie geboren, steht Robert Moses bereits als Jugendlichem ein Fahrer zur Verfügung. Er wächst in gediegenem Luxus auf, nahe der Fifth Avenue. Und entwickelt sich zu einem ehrgeizigen Schüler, der 1909 in Yale zu den Besten des Abschluss-Jahrgangs gehört, ebenso wie anschließend in Oxford und an der Columbia University.
MUSIK
ERZÄHLER
Ab 1914 arbeitet er im öffentlichen Dienst und findet dabei einen wichtigen Verbündeten: Gouverneur Al Smith fördert die Karriere seines Protegés, obwohl die beiden Männer unterschiedlicher nicht hätten sein können. Moses, Spross einer privilegierten Familie und Al Smith, in armen Verhältnissen an der Lower East Side aufgewachsen, aber vom Wunsch beseelt, das Leben der ganz normalen Bürger zu verbessern. Voller Tatendrang unterstützt Moses Al Smiths Reformprogramm, doch gleichzeitig entwickelt er - mit Unterstützung des Gouverneurs - ein eigenes Projekt, so ambitioniert wie neuartig.
ERZÄHLERIN
Ende 1923, Anfang 1924. George Gershwin komponiert die Musik zu „Rhapsody in Blue“. F. Scott Fitzgerald vollendet den „Großen Gatsby“, den meisterhaften Roman über den amerikanischen Traum und seine Abgründe, dessen Handlung zwischen den Uferpromenaden auf Long Island und den Straßenschluchten von Manhattan pendelt.
ERZÄHLER
Da beginnt Robert Moses mit der Komposition einer anderen Art von Sinfonie, einer urbanen Rhapsodie. Statt Wörtern oder Noten benutzt er den Stadtplan, und zwar das gesamte 2100 Quadratmeilen umfassende Areal der Stadt New York und der sie umgebenden Landschaft, die er für das anbrechende Automobilzeitalter erschließen will.
ERZÄHLERIN
Er würde Parkanlagen bauen. Keine nur wenige Quadratmeter großen Spiel- und Sportflächen mit etwas Grün an den Rändern, wie es sonst üblich ist. Nein, Robert Moses schwebt ein Netz an Parks vor, durch breite, baumgesäumte Straßen verbunden, mit ausgedehnten Naturflächen und langen Sandstränden. Dazu Badehäuser, Umkleidekabinen, Open-Air-Cafés und Restaurants.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Der Zugang zu den Stränden von Long Island war lange Zeit nur den Superreichen auf ihrem Privatgrund vorbehalten. Doch Robert Moses schafft weitläufige Park- und Strandanlagen für die wachsende Mittelschicht, komfortabel, hygienisch und gut zu erreichen. Ebenso revolutionär wie die Anlagen sind die Anfahrtswege. Moses - mittlerweile Vorsitzender der „Long Island State Park Commission“ sowie Präsident des „State Council of Parks“ - lässt mit den sogenannten „Parkways“ ein Netz aus landschaftlich schön gestalteten Straßen bauen, ohne Kreuzungen, Ampeln, oder Bahnübergänge.
ERZÄHLER
Im Sommer 1929 eröffnet Jones Beach und wird für Robert Moses ein triumphaler Erfolg. Allein am Eröffnungstag setzen sich 25.000 New Yorker in ihre Autos, um den neuen Park und die Anlagen zu besuchen. Weitere 325.000 werden im ersten Monat folgen, um sich an den weißen Sandstränden und der Brandung zu erfreuen, und später auch an einem Amphitheater mit Meeresblick und Musikshows. Zudem lässt Moses eine Minigolfanlage errichten und einen eleganten Wasserturm, eine Kopie des Campanile auf dem Markusplatz in Venedig. Landschaftsarchitekten aus der ganzen Welt strömen nach Jones Beach um die Anlagen und das Straßennetz zu bewundern.
OTON VOICEOVER JASON HABER 4
„We have to remember the New York before World War Two, there was a huge lack in infrastructure. And so I've argued that New York actually needed A Robert Moses, someone with the vision and ability to build and create and modernize. But instead we got THE Robert Moses. And it's that difference that makes all the difference in in the New York story.
Because the Robert Moses that we got was a a racist who used his racial hatred to punish minority communities very clear in how certain roads were built.“
„New York vor dem Zweiten Weltkrieg litt unter einer mangelhaften Infrastruktur. Deshalb sage ich immer, dass die Stadt einen Robert Moses dringend nötig hatte, also einen Städteplaner mit Vision, der bauen und kreieren und modernisieren konnte. Stattdessen haben wir aber den Robert Moses bekommen, und das macht in der Stadtentwicklungsgeschichte einen gewaltigen Unterschied aus. Denn der Robert Moses, den New York bekam, war ein Rassist, der seinen Rassismus benutzte, um Minderheiten auszugrenzen, etwa indem er Straßen auf bestimmte Weise bauen ließ.“
ERZÄHLERIN
Robert Moses, der subtile Rassist, dessen Vorbehalte gegen bestimmte Bevölkerungsschichten sich von Anfang an in der städtebaulichen Anlage seiner Projekte zeigen. Ein Vorwurf, den Jason Haber bereits in den Zufahrten zu Jones Beach bestätigt sieht. Wer zu den neuen Parks und Stränden wollte, musste mit dem Auto anfahren. Für die New Yorker, die auf U-Bahnen, Busse und Züge angewiesen waren, blieben die Anlagen unerreichbar. Moses selbst hatte die Zustimmung zum Bau einer Eisenbahnstrecke nach Jones Beach verweigert. Und die vielen elegant geschwungenen Brücken über die Parkways ließ er so niedrig bauen, dass sie für die meisten Busse unpassierbar waren.
OTON VOICEOVER JASON HABER 5
„Why in the world were the overpasses of these roads build so low? The answer is he wanted cars only on them. Minority communities at the time typically took busses. They weren't car owners at the time, and this kept minorities out of Jones Beach. And if you look at all the early photos of Jones Beach there, on many of them you will only see white people. It’s done by design. It’s racism by design. And Moses is responsible for that.“
„Warum um alles in der Welt waren diese Brücken mitten in der freien Natur so niedrig gebaut? Die Antwort: Moses wollte auf den Parkways nur Autos haben. Denn die schwarze Bevölkerung war überwiegend auf Busse angewiesen. Schwarze konnten sich nur in Ausnahmefällen ein eigenes Auto leisten. Sehen Sie sich all die frühen Fotografien von Jones Beach an. Auf den meisten sind ausschließlich Weiße zu sehen. Das war so geplant. Rassismus durch Städteplanung. Und Moses ist dafür verantwortlich.“
MUSIK
ERZÄHLER
Nach dem Erfolg mit Jones Beach und weiteren Anlagen versucht Robert Moses seine politische Macht durch eine Wahl zu zementieren, aber er scheitert krachend. Bei den Gouverneurswahlen 1934 verliert Moses gegen den demokratischen Kandidaten, und zwar mit dem höchsten, bis heute jemals gemessenen Abstand an Stimmen. Er mag ein brillanter Redner sein, doch sein Auftreten wirkt kühl, mitunter arrogant und alles andere als volksnah.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Volksnähe hingegen hat der 1934 neu ins Amt gewählte Bürgermeister Fiorello LaGuardia im Übermaß. Unter ihm sieht Moses eine andere Chance, Macht anzuhäufen. LaGuardia bittet Moses, sich um die städtischen Parkanlagen zu kümmern und City Park Commissioner zu werden. Moses ist einverstanden, doch macht etliche Bedingungen. Er lässt alle Bezirksparkverwaltungen zu einer einzigen zusammenlegen, unter seiner Leitung. Zudem besteht er darauf, sämtliche bisherigen Staatspark-Ämter auf Long Island zu behalten.
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Und er besteht auf einen weiteren Posten: Geschäftsführer und Generaldirektor der „Triborough Bridge Authority“, eines groß angelegten öffentlichen Brücken-Bauprojekts, das Manhattan, die Bronx und Queens miteinander verbinden soll. Der Bürgermeister stimmt zu. Und Moses selbst schreibt das Gesetz, das ihm seine neue Position einrichtet.
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Theoretisch sollten öffentliche Behörden wie die Triborough Bridge Authority nach Fertigstellung des jeweiligen Projekts und Begleichung der Kosten wieder aufgelöst werden. Doch Robert Moses hat nicht die Absicht, diese Behörde jemals wieder zu schließen. Denn die Brücken mit ihren Mautstationen sind eine ideale Einnahmequelle. Und diese Millionen von Münzen aus der Maut nutzt er durch geschickt formulierte Gesetzespassagen als stetigen Geldstrom, um damit Mittel für zukünftige Projekte zur Verfügung zu haben. So schafft sich Robert Moses eine Machtbasis, die ihn vor etwaigen Eingriffen des Bürgermeisters, des Gouverneurs und anderer absichert. Auf dem Höhepunkt seiner Macht hat er 12 Posten gleichzeitig inne.
ERZÄHLER
Moses kann sich - ohne Wahl, nur durch Ernennung - über die Amtszeiten von fünf New Yorker Bürgermeistern und sechs Gouverneuren an der Macht halten. 1946 übernimmt er das neu geschaffene Amt des Stadtbaukoordinators. Damit hat er das Sagen über sämtliche öffentliche Bauvorhaben in allen fünf Boroughs. Nicht nur über Parks und Parkways, Tunnel und Brücken, sondern auch über Wohnungsbauprogramme, Schulen und Gemeindezentren.
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Moses fädelt den Bau des UNO-Hauptquartiers auf einem ehemaligen Schlachthofgelände am Ostufer Manhattans ein. An der Upper West Side lässt er das Slum-Viertel San Juan Hill abreißen, um das Kulturzentrum Lincoln Center, mitsamt dem Neubau der Metropolitan Opera zu errichten. Ganz im Sinne von Le Corbusieur und anderer Verfechter des Modernismus verfolgt Robert Moses seinen Plan einer Stadt der Moderne. Störende Stadtbewohner werden zur Verschiebemasse.
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Die Vorkriegseleganz von Projekten wie Jones Beach ist nun passé. Moses prägt den Wohnungsbau der Nachkriegszeit, indem er in den 1950er und 60er Jahren kastenförmige Apartmenthochhäuser errichten lässt. Allein in Harlem verschwinden 100 Hektar an alter Bausubstanz und müssen 40.000 neuen Wohneinheiten weichen. Ein zweischneidiges Schwert. Viele Anwohner können zum ersten Mal in eine eigene Wohnung ziehen, doch die kasernenartige Backsteinarchitektur ist anonym und abweisend. Der Schriftsteller John Cheever kritisiert die Mietskasernen: Sie würden jedes Fünkchen Fantasie vermissen lassen, kein Mensch wäre jemals auf eine Stadt von solcher Monotonie auch nur im Traum gekommen.
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„Planners from around the country and around the world came to New York to learn the ways of Moses. So in the Twentieth Century there were Moses disciples that saw what he was doing and then took that to their own cities. The problem was the centerpiece of Moses urban plans: it didn't revolve around people. It revolved most importantly around the car. And I've called it the error of the autocracy where the car is the dominant actor on the streetscape.“
„Städteplaner aus dem ganzen Land und sogar weltweit kamen nach New York um von Robert Moses zu lernen. Es gab im 20. Jahrhundert viele Moses-Schüler, die seine Konzepte dann auch in ihren Städten verwirklichten. Das Problem daran war aber: Diese Art der Stadtplanung drehte sich nicht um die Menschen, sondern vor allem um das Automobil. Ich nenne es den „Fehler der Autokratie“. Wir haben unser Straßenbild von den Bedürfnissen der Autos bestimmen lassen.“
MUSIK
ERZÄHLERIN
Für Stadtplaner wie Jason Haber ist dieser Fokus auf das Automobil die Ursünde, die einen Teufelskreislauf in Gang gesetzt hat. Ursprünglich hatte Moses seine Parkways gebaut, um Großstadtbewohnern die Möglichkeit zu einer Landpartie zu geben. Doch ab den 50er-Jahren werden neben diesen Parkways immer mehr Vorstadtsiedlungen aus dem Boden gestampft. Die Zahl der Pendler wächst und wächst, und mit ihnen die Staus und Wartezeiten und auch der Frust der Autofahrer. Für Robert Moses als Verkehrsplaner gibt es nur eine Lösung: mehr Straßen.
ERZÄHLER
Keine alleeartigen Parkways mehr, sondern achtspurige Expressways, 70 Meter breit, ohne unnötige Kurven und Umwege. Für den sieben Meilen langen Cross-Bronx Expressway lässt Moses 40.000 Menschen umsiedeln und die Arbeitersiedlung East Tremont dem Erdboden gleichmachen.
ERZÄHLERIN
Elf Expressways entstehen in der Ära Moses. Betonschneisen auf einer Länge von 130 Meilen, die einige der am dichtesten besiedelten Wohngebiete der Welt durchschneiden. Betonschneisen, für die über eine Viertelmillion New Yorker Bürger - meist aus der Unterschicht - ihre Wohnung verlassen müssen. Doch die neuen Highways sind bald schon wieder überlastet. Und der Widerstand gegen weitere Trassen quer durch Manhattan wächst.
MUSIK
ERZÄHLER
Moses lässt ein 14 Block großes Areal am westlichen Rand von Greenwich Village als „Stadterneuerungsgebiet“ ausweisen, sprich: zum Abriss freigeben. Doch diesmal wehren sich die Bewohner des West Village - mit Erfolg. An der Spitze des Widerstands steht eine kämpferische Frau und begnadete Autorin: Jane Jacobs.
ERZÄHLERIN
Mit ihrem Sachbuch „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ prangert sie die Sünden des modernen Städtebaus an, vor allem die Siedlungen für Geringverdiener – in ihren Augen schlimmere Brutstätten für Verbrechertum, Vandalismus und soziale Hoffnungslosigkeit als die Slums, die sie ersetzen sollten. Sie kritisiert Promenaden, die kein Spaziergänger benutzt, die irgendwo sinnlos beginnen und nirgendwo hinführen, und Schnellverkehrsstraßen, die die Großstädte ausweiden. All das sei keine Stadterneuerung, sondern Raubbau, Städteabbau.
MUSIK
ERZÄHLER
Mit Protestaktionen kämpfte Jane Jacobs um den Erhalt des West Village. Sie betonte die für das städtische Klima die so wichtige Vielfalt, das Nebeneinander von Geschäften, Bars, Restaurants, Wohn- und Mietshäusern, Fabriken und Werkstätten, das Stadtplanern wie Jason Haber bis heute als Vorbild dient.
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„Her vision of urban planning comes from her looking out her window. She would see the ballet of the city, as she called it the butcher coming in to open his shop, the kids walking home from school, the people doing commerce in the small retail spaces. Everyone played a part in this ballet and the intricacy of it kept the city and the neighborhood safe. When you remove that and you create these lack of retail areas like the the public housing projects that Moses built, no retail, inner courtyards, you know they're breeding grounds for bad behavior.“
„Woher kam ihre Vision für eine Stadtplanung? Indem sie aus dem Fenster sah. Und was sie sah, nannte sie „das Ballett der Stadt“. Der Metzger, der morgens kommt um seinen Laden zu öffnen. Die Kinder, die nach der Schule nach Hause gehen. Das Gewusel der Leute, die in den Läden ihre Einkäufe erledigen. Alle spielen in diesem Ballett eine wichtige Rolle, halten die Stadt lebendig und machen das Viertel so auch sicherer. Stoppt man aber dieses Miteinander, wenn es etwa in den Siedlungen keine Geschäfte und Treffpunkte mehr gibt, und vor allem nur nach innen gerichtete Höfe, wie in den Wohnungsbauprojekten von Moses, dann fördert das den Verfall der Sitten.“
ERZÄHLERIN
Jane Jacobs schafft es, eine breite Allianz gegen Moses zusammenzutrommeln und seine Highwaypläne durch das West Village endgültig zu stoppen. Zudem sorgt ab 1965 die New Yorker „Landmarks Preservation Commission“, die erste Denkmalschutzbehörde in den Vereinigten Staaten, für ein Umdenken. Hunderte Einzelgebäude sowie komplette historisch gewachsene Viertel wie Greenwich Village werden unter Denkmalschutz gestellt. Die Ära von Robert Moses neigt sich dem Ende zu. Gouverneur Nelson Rockefeller – selbst ein fintenreicher Machtmensch - entzieht ihm nach und nach die Ämter.
ERZÄHLER
Widerwillig geht Robert Moses 1968 in den Ruhestand. Bis ins hohe Alter bleibt er streitlustig. Er stirbt 1981, im Alter von 92 Jahren. Bald gerät sein Name immer mehr in Vergessenheit.
ERZÄHLERIN
Es ist eher Jane Jacobs‘ Vision von einer Metropole, die sich in den kommenden Jahrzehnten durchsetzen wird. New York stoppt fast alle großen Straßenbauvorhaben und steckt Milliarden Dollar in den Um- und Ausbau des U-Bahn-Netzes. Und die Stadtverwaltung wird so neuorganisiert, dass keine Einzelperson mehr die Machtfülle anhäufen kann, die Robert Moses innehatte.
Allerdings gibt es dennoch bis heute Anhänger einer solchen Ausnahmeposition. Jason Haber:
OTON VOICEOVER JASON HABER 8
„You hear that all the time about Robert Moses: „ At least he got it done!“ But that's not the whole story. Tell „At least he got it done!“ to the hundreds thousands of minorities who lost their homes, their jobs, their wellbeing, their livelihood because of decisions that Robert Moses made. Tell it to the guy sitting in traffic for two and a half hours when it should only be 25-30 minutes because of poorly planned roads. People are so enamored by the new, the shiny, by construction, that sometimes they don't take a step back and say is it worth the cost?“
„Immer wieder höre ich diesen Satz über Robert Moses: „Er war wenigstens ein Macher!“ Sagen Sie mal „Er war ein Macher!“ zu den Hunderttausenden, meist Schwarzen oder Latinos, die ihre Häuser, ihre Lebensgrundlage, ihr Viertel verloren haben, wegen Entscheidungen, die Robert Moses getroffen hat. Sagen Sie das den Leuten, die wegen der Straßenplanung jeden Tag zweieinhalb Stunden im Stau stehen, obwohl sie eigentlich nur eine halbe Stunde entfernt wohnen. Wir lieben alles Neue, lieben die glänzenden Fassaden, die Bauten. Und so vergessen wir innezuhalten und uns zu fragen: sind die Kosten nicht zu hoch?“
MUSIK
ERZÄHLER
Andere sind weniger kritisch und loben das umfangreiche Fernstraßennetz, das Robert Moses hinterlassen hat. Ein Netz, dass der moderne Großstadtverkehr zum Überleben braucht, heißt es, auch wenn in vielen amerikanischen Metropolen die Stadtzentren von Expressways zerrissen und verunstaltet wurden.
ERZÄHLERIN
Zumindest Manhattan ist dieses Schicksal erspart geblieben. New York hat sich von Robert Moses formen lassen, hat sich mal verschönern und oft verwunden lassen, aber hat sich - rechtzeitig - zur Wehr gesetzt.