"Wir sollten Schwangere mental unterstützen wie Hochleistungssportler"
Feb 12, 2024
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Kristin Graf ist Mentaltrainerin und entwickelt die Methode "Die friedliche Geburt", während Wolf Lütje als Psychotherapeut mit 40 Jahren Erfahrung die Geburtshilfe revolutioniert. Sie betonen die Bedeutung von Mentaltraining zur Vorbereitung auf die Geburt, ähnlich wie bei Hochleistungssportlern. Sie diskutieren auch die Notwendigkeit von emotionaler Unterstützung und Kontrolle während des Geburtsprozesses. Zudem beleuchten sie, wie positive Einstellungen und bewusste Sprache das Geburtserlebnis verbessern können.
Mentaltraining und Hypnose sind entscheidend, um Frauen während der Geburt emotional und physisch zu unterstützen und Ängste abzubauen.
Die Einbeziehung der Partner in den Geburtsprozess verbessert nicht nur das Erlebnis der Frau, sondern fördert auch eine positive Atmosphäre.
Die Notwendigkeit einer umfassenden Nachbetreuung und traumatherapeutischen Maßnahmen nach schwierigen Geburtserfahrungen ist essenziell für das Wohlbefinden der Mütter.
Deep dives
Die unterschiedlichen Geburtsbilder
Es gibt eine Vielzahl von Vorstellungen über Geburten, die oft konträr zueinander stehen. Auf der einen Seite wird die natürliche Geburt als harmonisch und intim dargestellt, während auf der anderen Seite das Bild einer klinischen, technischen Geburt vorherrscht, die oft als kalt und unpersönlich wahrgenommen wird. Beide diese Bilder sind Klischees, die in der Realität oft nicht den Erfahrungen der Frauen gerecht werden. Tatsächlich können Geburtsereignisse stark variieren, und für einige Frauen wird die Geburt zu einer traumatischen Erfahrung, während andere sie als eine der schönsten Momente in ihrem Leben empfinden.
Traumatische Geburtserfahrungen
Es wird festgestellt, dass zwischen 30 und 50 Prozent der Frauen von traumatischen Geburtserfahrungen berichten, was auf die große Variabilität in den Erfahrungen zurückzuführen ist. Viele gebärende Frauen fühlen sich während des Geburtsprozesses machtlos und erleben Angst oder sogar Gewalt. Zudem wird die Problematik angesprochen, dass Frauen oft nicht in die Entscheidungen während der Geburt einbezogen werden, was ihr Gefühl der Kontrolle weiter verringert. Ein prägnantes Beispiel ist die Therapie-Erfahrung einer Frau, die trotz erfolgreicher medizinischer Unterstützung ihre Geburt als traumatisch empfand, weil sie nicht genügend Mitbestimmung und Unterstützung erhalten hatte.
Der Einfluss von mentalem Training
Das Konzept der 'guten Geburt' wird aufgegriffen, bei dem der Fokus auf positiven Erfahrungen für alle Beteiligten gelegt wird. Mentaltraining und Hypnose werden als wirksame Methoden zur Verbesserung des Geburtserlebnisses präsentiert, ohne dass diese als esoterisch angesehen werden. Der mentale Zustand der Frauen beeinflusst das geburtserleben erheblich; Frauen, die sich auf den Prozess konzentrieren und ihn als natürlichen Vorgang betrachten, erleben häufig weniger Schmerz und Interventionen. Die Ansätze mentaler Unterstützung sollen den Frauen helfen, Vertrauen in ihre eigene Fähigkeit zur Geburt und in die Begleitpersonen zu entwickeln.
Die Rolle von Vorstellungen und Glaubenssätzen zur Geburt
Die Erwartungen und Glaubenssätze, die Frauen vor der Geburt beistehen, beeinflussen maßgeblich ihren Geburtverlauf und ihr Erlebnis. Negative Darstellungen von Geburten in den Medien, wie schreiende Mütter und Gewalt, können Ängste schüren, die sich auch in körperlicher Anspannung während der Geburt manifestieren. Die Notwendigkeit, solche Bilder durch positivere, stärkende Geschichten und Darstellungen zu ersetzen, wird hervorgehoben, um den Frauen ein selbstbewussteres und angstfreies Geburtserlebnis zu ermöglichen. Zudem wird betont, dass Bildung und Vorbereitung entscheidend sind, um bessere Erfahrungen zu schaffen.
Hilfe für Väter und Begleitpersonen
Die Rolle der Partner und Begleitpersonen während der Geburt spielt eine entscheidende Rolle, doch oft sind sie sich ihrer Aufgaben nicht bewusst. Es wird geraten, dass Väter sich ebenso wie werdende Mütter auf die Geburt vorbereiten, um sowohl emotionale als auch praktische Unterstützung bieten zu können. Indem Väter die Gebärende wie einen Hochleistungssportler behandeln, indem sie beispielsweise Wasser reichen oder eine beruhigende Präsenz bieten, können sie helfen, eine positive Atmosphäre zu schaffen. Eine wichtige Botschaft dafür ist, dass die Begleitperson in der Lage sein muss, sich emotional um sich selbst zu kümmern, um die Frau effektiv unterstützen zu können.
Nachbetreuung und traumatherapeutische Ansätze
Die Notwendigkeit von Nachbesprechungen und traumatherapeutischen Angeboten nach traumatischen Geburtserlebnissen wird deutlich. Geburtshelfer sollten nicht nur während der Geburt, sondern auch im Nachgang für eine umfassende Betreuung der Frauen sorgen. Die Implementierung eines traumadiskursiven Ansatzes im Gesundheitswesen wird als unerlässlich angesehen, um den Frauen einen Raum für ihre Erfahrungen zu geben, diese zu verarbeiten und geeignete Unterstützung zu erhalten. Das Ziel ist es, eine Kultur der Offenheit und des Verständnisses zu schaffen, um sicherzustellen, dass die Frauen postpartal nicht mit ihren Erfahrungen alleine bleiben.
"Die meisten kennen nur Horrorgeschichten über die Geburt", sagt die Mentaltrainerin Kristin Graf. "Viele assoziieren besonders Klinikgeburten heute automatisch mit Trauma und Gewalt", erzählt auch der ehemalige Chefarzt und Geburtscoach Wolf Lütje. Beide wollen das ändern. Was braucht es für eine gute Geburt ohne Angst, in der sich Schwangere weder ausgeliefert noch bevormundet fühlen?
Eine gute Vorbereitung, antworten Kristin und Wolf den Podcasthosts Melanie Büttner und Sven Stockrahm. Und die beginnt für Kristin mit Mentaltraining, wie es auch Hochleistungssportler bei Wettkämpfen nutzen. Nach zwei traumatischen Geburtserfahrungen änderte Kristin bei ihrem dritten Kind alles: Sie setzte die Tools ein, die sie als Mentaltrainerin seit Jahren nutzte. Mit Hypnose und Trance brachte sie ihr drittes Kind fast schmerzfrei zur Welt. Daraus entwickelte sie eine eigene Methode, mit der sie heute Tausende Schwangere unterstützt.
Zugleich seien drei Faktoren für gute Geburtshilfe entscheidend, sagt Wolf: Das Gefühl der Gebärenden, eine gewisse Kontrolle zu bewahren, selbst wenn im Notfall die Geburt anders als erhofft verläuft, eine beständige Betreuung und die Beteiligung an Entscheidungen.
Mehr zu unseren Gästen und weitere Infos
Kristin Graf hat eine Geburtsvorbereitungsmethode entwickelt, die medizinisches Wissen mit den Erfahrungen des Mentaltrainings verbindet: die friedliche Geburt. In Kursen online wie offline hat sie bereits mehr als 25.000 Schwangere begleitet. Mehr zu ihr und ihrer Methode erfahrt ihr auf die-friedliche-geburt.de, Instagram und im gleichnamigen Podcast.
Dr. Wolf Lütje ist Geburtscoach, Psychotherapeut und ehemaliger Chefarzt und seit 40 Jahren in der Geburtshilfe tätig. Im Laufe seiner Karriere hat er einen Erfahrungsschatz von mehr als 60.000 Geburten aufgebaut, die er zum Teil selbst begleitet hat. Er ist zudem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Mehr zu ihm erfahrt ihr auf Instagram und www.geburts-coach.de.
Eine deutsche Studie (EJSP: Hoffmann et al., 2023) lieferte zuletzt Hinweise, dass Frauen, die die Geburt als einen natürlichen Prozess betrachten, weniger medizinische Unterstützung bei der Geburt benötigen und weniger Depressionen und posttraumatischen Stress entwickeln.
Es gibt einige ältere Studien, die Hinweise auf positive Geburtserfahrungen und Schmerzlinderung durch Hypnose aufzeigen, allerdings braucht es weitere Forschung. (British Journal of Anaesthesia: Cyna et al., 2004)
In dieser Folge wird das Buch "Jede Geburt ist einzigartig" der Hebamme Jana Friedrich erwähnt, die positive Geburtsgeschichten schildert. Außerdem verweist Wolf auf "Erzählende Affen: Mythen, Lügen, Utopien – wie Geschichten unser Leben bestimmen" von Samira El Ouassil und Friedemann Karig.
Folge den Sexpodcasthosts, der Ärztin und Sexualtherapeutin Melanie Büttner und dem ZEIT-ONLINE-Ressortleiter Wissen, Sven Stockrahm, auf Instagram unter @dr.melanie.buettner und @svensonst.
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