Kenan Güngör ist Politikwissenschaftler und Soziologe, spezialisiert auf Integrationsfragen, während Lukas Matzinger FALTER-Redakteur und Autor ist. Sie diskutieren die drohenden Konsequenzen für Hunderttausende mit türkischen Wurzeln aufgrund des österreichischen Staatsbürgerrechts. Das Thema der Doppelstaatsbürgerschaft wird erörtert, ebenso wie die gesellschaftlichen Spannungen und Stigmatisierungen, die diese Gemeinschaft betreffen. Zudem beleuchten sie Lösungen und die Notwendigkeit von politischem Willen zur Unterstützung Betroffener.
Die Ermittlungen gegen Austro-Türken führen zu Existenzängsten und bedrohen die soziale sowie wirtschaftliche Sicherheit dieser Gemeinschaft in Österreich.
Die politischen Maßnahmen zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft könnten als diskriminierend angesehen werden und verschärfen die Spannungen zwischen ethnischen Gruppen in der Gesellschaft.
Deep dives
Der Verlust der Staatsbürgerschaft
Die österreichischen Behörden ermitteln gegen eine bedeutende Zahl von Bürgern, die als Austro-Türken gelten und möglicherweise einen türkischen Pass besitzen. Diese Ermittlungen haben bereits dazu geführt, dass einigen Menschen die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, was eine massive Verunsicherung und Angst in der betroffenen Community ausgelöst hat. Viele dieser Personen leben seit Jahrzehnten in Österreich, haben hier Familien gegründet und fürchten nun um ihre Existenzgrundlage. Der Verlust der Staatsbürgerschaft kann für diese Menschen nicht nur rechtliche, sondern auch soziale und wirtschaftliche Konsequenzen haben, was die Situation für viele äußerst prekär macht.
Rechtliche Unsicherheit und Komplikationen
Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich erlauben grundsätzlich keine Doppelstaatsbürgerschaft, was die Situation für viele Betroffene kompliziert macht. Wenn jemand, der seine österreichische Staatsbürgerschaft verliert, auch keine türkische Staatsbürgerschaft mehr hat, könnte er staatenlos werden. Dies führt zu erheblichen Unsicherheiten, da die Betroffenen möglicherweise keinen Zugang zu sozialen Diensten oder Arbeitsgenehmigungen haben, die zuvor mit ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden waren. Zudem müssen viele Betroffene aktiv Nachweise erbringen, um zu belegen, dass sie nicht illegal doppelte Staatsbürger sind, was die Belastung und die administrativen Hürden weiter erhöht.
Politische Motivation hinter den Maßnahmen
Die Maßnahmen der österreichischen Behörden könnten als politisches Instrument angesehen werden, um bestimmte ethnische Gruppen zu diskriminieren und zu stigmatisieren, insbesondere im Hinblick auf die FPÖ. Diese Partei hat die Situation genutzt, um populistische Stimmung zu erzeugen und die Vorschläge zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft von Personen mit türkischem Hintergrund in die öffentliche Debatte zu bringen. Dies könnte langfristige negative Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in Österreich haben und fördert das Gefühl der Ausgrenzung in Betroffenen Gemeinschaften. Die betroffenen Personen empfinden nicht nur rechtliche, sondern auch emotionale und psychosoziale Belastungen durch die politischen Maßnahmen.
Der Aufruf zur politischen Lösung
Forderungen nach einer Lösung, die die betroffenen Austro-Türken nicht kriminalisieren, sondern ihnen die Möglichkeit geben, zwischen ihrer türkischen und österreichischen Staatsbürgerschaft zu wählen, werden laut. Einige Experten und Politiker schlagen vor, eine Regelung einzuführen, die es den Menschen ermöglichen würde, ihre Staatsbürgerschaft ohne strenge Sanktionen zu klären. Diese Lösung könnte dazu beitragen, Unsicherheiten zu beseitigen und die betroffenen Personen in die Gesellschaft zu reintegrieren. Es wird jedoch ein entsprechender politischer Wille benötigt, um diese komplexe Problematik ohne Vorurteile und Diskriminierung zu lösen.
Wegen angeblicher Vergehen um einen türkischen Zweitpass bedrohen Österreichs Behörden die Existenz von Hunderttausenden. Zu hören: Grünpolitikerin Berivan Aslan, Politikwissenschaftler Kenan Güngör sowie FALTER-Redakteur Lukas Matzinger.