Dissens auf hohem Niveau - Martina Läubli, Martin Ebel und Dirk Knipphals diskutierten im ausverkauften Heilbronner Schießhaus vier auf der SWR Bestenliste im November verzeichneten Romane:
Martina Clavadetschers „Die Schrecken der anderen“ (C.H. Beck),
Thomas Pynchons „Schattennummer“ (Rowohlt),
Ian McEwans „Was wir wissen können (Diogenes Verlag) und
Anja Kampmanns „Die Wut ist ein heller Stern“ (Hanser Verlag).
„Die Schrecken der anderen“: Platz 7 der November-Bestenliste
Schon beim ersten Roman, der besprochen wurde, war sich die Jury uneins. Während Martina Läubli (NZZ) die Genrevielfalt und den Einfallsreichtum von Clavadetschers Roman lobte, kritisierte Dirk Knipphals (taz) nicht nur die skurrilen Figuren, sondern vor allem die betont unernste Tonlage der Prosa, die nicht zum Thema passen würde:
vergangene und gegenwärtige NS-Verstrickungen in der Schweiz.
„Schattennummer“: Platz 3 der November-Bestenliste
Martin Ebel (Tages-Anzeiger) gestand, mit „Schattennummer“ den ersten Roman von
Thomas Pynchon gelesen zu haben. Er sei so befremdet wie beeindruckt von dem unberechenbaren Text, der sich psychologischen Lesarten verweigere. Knipphals sah in der Doppelbödigkeit die eigentliche Qualität dieser Literatur:
Pynchons Romane seien immer beides, Pulp und hohe Sprachkunst, die sich nicht zuletzt im Spiel mit musikalischen Themen und auch in politischen Spitzen zeige. Für Martina Läubli, die sich zwar über viele Ideen des Autors amüsieren konnte, war Pynchons Roman (Platz 3) aber schlichtweg 200 Seiten zu lang.
„Was wir wissen können": Platz 2 der November-Bestenliste
Bei
Ian McEwan (Platz 2) wurde es nahezu religiös. Dirk Knipphals nannte den Autor einen „Hohepriester“, Martin Ebel sogar einen „gnädigen Literaturgott“, der Nachsicht mit seinen fehlgeleiteten Figuren habe.
Was Martina Läubli nicht davon abhielt, das ihrer Meinung nach etwas zu routinierte Konstruieren und Erzählen zu hinterfragen. Vor allem der zweite Teil des Romans, der sich in einer erwartbaren Kriminal- und Liebesgeschichte verläppere, habe sie weniger überzeugt.
„Die Wut ist ein heller Stern": Platz 1 der November-Bestenliste
Große Einigkeit zum Abschluss bei
Anja Kampmann. In poetischer Prosa erzähle die Autorin, wie die Nazis auch das proletarische Milieu der Hamburger Reeperbahn ab 1933 zu kontrollieren beginnen. Der in kurzen Szenen „hingetupfte“ Roman sei zwar eindeutig historisch verortet, gleichwohl gehe die Autorin auch der aktuellen Frage nach, warum eine Diktatur mit aller Gewalt auch die Herrschaft über den weiblichen Körper durchsetze.
„Die Wut ist ein heller Stern“ (Platz 1) gehörte zu den herausragenden Romanen dieser Saison, befand die Jury.
Aus den vier Büchern lasen Antje Keil und Dominik Eisele. Durch den Abend – eine Kooperation mit dem Literaturhaus Heilbronn – führte Carsten Otte.