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Walter Ulbricht: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" | 15.6.1961
Jun 14, 2024
34:43
1961 flüchten pro Tag 300 DDR-Bürger nach West-Berlin
Zwei Monate, bevor in Berlin die Mauer errichtet wird, dementiert der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht diese Pläne: Niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten. Doch in welchem Zusammenhang fielen diese Worte? Die Situation: Immer mehr DDR-Bürger flüchteten nach West-Berlin – etwa 300 am Tag. Das war für die DDR auch ein wirtschaftliches Problem. Sie bezifferte die Kosten auf eine Milliarde Mark. Walter Ulbricht drängte deshalb die sowjetische Führung unter Chruschtschow, die Grenze nach West-Berlin zu schließen. Aber Moskau wollte primär etwas anderes: Nämlich einen formellen Friedensvertrag. Und zwar mit West-Berlin als einer sogenannten Freien und neutralen Stadt – die also nicht zur Bundesrepublik und somit auch nicht zur NATO gehören sollte.Pressekonferenz über Friedensvertrag
Dieser Friedensvertrag ist das eigentliche Thema der etwa einstündigen Pressekonferenz am 15. Juni 1961. Die Frage, wie die Grenze von West-Berlin gestaltet werden solle, fällt relativ spät. Und es ist Ulbricht selbst, der das Wort "Mauer" als erster in den Mund nahm. Am Anfang der Pressekonferenz stehen die grundsätzlichen Fragen des geforderten Friedensvertrages im Mittelpunkt. Dann meldet sich ein Bruno Winzer aus Karl-Marx Stadt. Winzer wird als geflüchteter westdeutscher Offizier vorgestellt. Heute weiß man: Er war als Militäragent der DDR in der Bundesrepublik tätig. Seine angebliche Flucht und die damit verbundenen "Enthüllungen" über angebliche Aggressionspläne der Bundeswehr dienten der DDR-Propaganda und auch dazu, die Abschottung West-Berlins mit Argumenten zu unterfüttern.Staatsgrenze: Annamarie Doherr hakt nach
Am Ende der Pressekonferenz geht es um die konkreten Auswirkungen auf Berlin. Jetzt kommen auch Vertreter aus dem Westen zu Wort. Zunächst der "Spiegel", dann ein Korrespondent der "Daily Mail" in London und schließlich meldet sich Annamarie Doherr von der "Frankfurter Rundschau", die bei Ulbricht nochmal nachhakte und ihm seinen berühmten Satz entlockt. Sie fragt nicht nach einer "Mauer", sondern:Bedeutet die Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?Woraufhin Walter Ulbricht antwortet:Quelle: Annamarie Doherr, Journalistin, Frankfurter Rundschau
Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.Annamarie Doherr war selbst 1945 aus der sowjetisch besetzten Zone nach West-Berlin übergesiedelt.Quelle: Walter Ulbricht