
SWR Kultur lesenswert - Literatur Karl-Heinz Ott – Die Heilung von Luzon
Aug 18, 2025
04:09
Ein deutsches Paar Ende vierzig, gerade angekommen in Manila. Übermüdet, überfordert, gereizt. Tom und Rikka sind nicht zum Spaß auf die Philippinen gereist. Mit ihr stimmt irgendetwas nicht, und ihm geht es in dieser Fremde wie zu Hause, er fühlt sich schon beim Aufwachen erschöpft:
Allerdings steckte hinter dieser Schwermut vermutlich etwas ganz anderes, viel Schlimmeres, woran er lieber nicht denken mochte. Dabei wusste er nur zu gut, was es war. Es war ein innerer Aufruhr, den er mit aller Kraft niederzuhalten suchte. Im Grunde wollte er einfach nur wieder der sein, der er einmal war.„Die Heilung von Luzon“ beginnt als Beziehungsroman. Doch dieses Bild eines Berliner Lehrers in der Midlife-Crisis und seiner vielleicht ein wenig labilen Frau weitet sich. Ein anderes Paar, ebenfalls aus Berlin, tritt hinzu: der egozentrische Mittfünfziger Bock, dessen beste Zeiten als jungwilder Regie-Berserker lang vorbei sind, und die zehn Jahre jüngere Gela, die eigentlich viel zu nett ist für den unduldsamen Kerl.Quelle: Karl-Heinz Ott – Die Heilung von Luzon
Ein kleines Resort, fast wie in der Südsee
Alle vier finden sich wieder in einem kleinen Resort am Meer, mit ursprünglichem Strand, rauschenden Wellen, fantastischen Sonnenuntergängen und freundlichen Einheimischen, darunter drei junge Grazien, die vom Rezeptionstresen aus das Geschehen überwachen. Tom fühlt sich wie in der Südsee.Das Schöne aber war dieses Schlichte, dieses Einfache, kein Tourismus, nichts Überfülltes.Wozu man wissen muss, dass der Roman im Jahr 2004 spielt – und dass gleich jenseits des Zauns das ganze Arsenal trauriger Tropen lauert: Bruchbuden, Bettler und Bauruinen, Kampfhähne und Kabelgewirr, sogar Leprakranke.Quelle: Karl-Heinz Ott – Die Heilung von Luzon
Krude Zeremonien an Krebskranken
Aber die Gäste des Strandresorts sind ja auch nicht in den Ferien. Jeden Tag werden sie zu einem philippinischen Heiler kutschiert, der krude Zeremonien an Krebskranken vornimmt. Die letzte Hoffnung für Rikka wie für Bock – und für die attraktive Hotelmanagerin Susanne aus Moers. Die unbeirrbar optimistische Todgeweihte und ihr Begleiter, ein bramarbasierender Esoteriker, fungieren als Katalysatoren der emotionalen Dynamik in diesem Quartett. Der Roman erzählt davon in Episoden, deren Perspektive jeweils Tom, Rikka, Gela oder Bock gehört. So kann er ganze Lebensgeschichten offenlegen, Kindheiten in Oberschwaben und Oberbayern, Zeiten von Depression und Desorientierung und die eingefahrene, verkrustete Gegenwart. Das Bedauern über die „roads not taken“, die verpassten Lebenschancen plagt alle vier. Aber während sich bei den beiden Kranken nach und nach eine gewisse Schicksalsergebenheit einstellt, eruptiert bei den beiden Gesunden die wilde Hoffnung auf gemeinsames Glück.Letzte Dinge, Ironie und kleine Komödien
Daraus wird nichts, schließlich sind wir hier bei Karl-Heinz Ott, dem Experten für beschädigte Bürgerlichkeit und das Ertragen des Aussichtslosen. Doch obwohl es um traurige, ja letzte Dinge geht, ist „Die Heilung von Luzon“ kein trübseliges Buch. Wie sich Missverständnisse und Fehlinterpretationen in den Perspektivwechseln offenbaren, ist von tiefer Ironie, und die Hahnenkämpfe zwischen dem aufgeblasenen Theatermacher Bock und dem tapfer dagegenhaltenden Philosophielehrer Tom sind komische Dramolette:Wusstet ihr, dass in Manila Gründgens gestorben ist“, warf Tom ein. „Da kennt sich einer aus“, murmelte Bock. „Man weiß nicht, ob Selbstmord oder ...“, sagte Tom, jedenfalls waren Schlaftabletten im Spiel.“ „Hab ich nie von gehört“, sagte Gela, und zu Bock: „Wusstest du das?“ „Jedes Wort parfümiert, alles Pose, ein Rampengeck“, brummte er vor sich hin. „Hohe-Ton-Scheiße, kein einziger Satz echt.Gesellschaftskomödie und Liebesdrama, philosophische Gespräche, Theaterintrigen, Mystery und das alte Motiv des Westlers im Orient – all dies verbindet Karl-Heinz Ott mit leichter Hand. Ein kluges Capriccio als Porträt exemplarisch alternder Wirtschaftswunderkinder.Quelle: Karl-Heinz Ott – Die Heilung von Luzon
