
SWR Kultur lesenswert - Literatur Eine berührende und eindrucksvolle Recherche: Lorenz Hemickers „Mein Großvater, der Täter"
Jul 22, 2025
04:09
Persönlich hat Lorenz Hemicker seinen Großvater nie kennengelernt, er starb 1973, fünf Jahre vor der Geburt des Autors. Inzwischen, nach jahrelangen Recherchen, glaubt sein Enkel diesen Mann aber gut genug zu kennen, um sich ein Urteil über ihn erlauben zu können.
Was nichts daran geändert hat, dass es dem FAZ-Redakteur noch immer schwerfällt, diesen Mann seinen Großvater zu nennen, im Gegenteil. Lieber nenne er ihn nach seinem Vornamen, Ernst, schreibt Lorenz Hemicker in seinem Buch.
Nach der Lektüre dieser eindringlichen Spurensuche in einer deutschen, allzu deutschen Familiengeschichte dürfte das niemanden verwundern. Immerhin war Ernst Hemicker als SS-Offizier an Massenerschießungen von Juden beteiligt. Unter anderem.
Er war ein williger Vollstrecker. Ein Massenmörder, der geholfen hat, Zehntausende zu töten. Und er wurde zum Fluch für meinen Vater, den diese Schuld sein Leben lang bedrückte. Meinen Frieden kann ich mit ihm darum niemals schließen.Quelle: Lorenz Hemicker – Mein Großvater, der Täter
Folgenreiches familiäres Schweigen
Tatsächlich handelt Lorenz Hemickers Buch nicht nur vom Nazi-Großvater. Sondern auch von der Last des familiären Schweigens nach dem Krieg, das erst durch eine drohende Anklage wegen Beihilfe zum Massenmord in den späten Sechzigern beendet wurde. Seinen Vater Peter habe das Wissen um die Taten seines Erzeugers zeitlebens verfolgt; geradezu zwanghaft sei er bei jedem Familienessen auf den Holocaust zu sprechen gekommen, erinnert sich der Autor. Zugleich habe sein Vater aber die Rechtfertigungen des Großvaters ein ums andere Mal reproduziert, habe sich regelrecht an sie festgeklammert. Ernst Hemicker behauptete bis zuletzt, er habe nur Befehle befolgt. Und sei sogar, als er im November 1941 die Erschießung Tausender Jüdinnen und Juden im Wald von Rumbula überwachen musste, zusammengebrochen.„Natürlich lief alles reibungslos“
Eine Behauptung, für die Lorenz Hemicker in den Aussagen anderer Beteiligter keinerlei Belege fand. Fakt ist dagegen, dass sein Großvater als gelernter Tiefbauingenieur für einen SS-General die berüchtigten Gruben im Wald von Rumbula konstruierte, inklusive der nach unten führenden Rampen. Schließlich habe man es den „armen Menschen“ nicht zumuten können, auch noch hinunterzuspringen, wie es der Großvater bei einer Vernehmung formulierte.Die Ermordung der Juden und der zivilisierte Umgang mit Menschen standen nebeneinander, ohne dass dies für ihn zu einem offenkundigen Widerspruch wurde: Mal sprach er wie ein Techniker, mal mitfühlend wie ein Mensch, dem seine Arbeit zuwider war. „Natürlich lief alles reibungslos“, gab Ernst zu Protokoll. Gedanken habe er sich keine gemacht. Der Auftrag sei ja eine Fachaufgabe gewesen.Quelle: Lorenz Hemicker – Mein Großvater, der Täter
