Was kann man beim Singen über sich und die Gesellschaft lernen, Herr Lehmann?
Dec 19, 2023
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Martin Lehmann, der 29. Kreuzkantor des über 800 Jahre alten Dresdner Kreuzchores, erzählt von seinen Erfahrungen als ehemaliger Kruzianer. Er spricht darüber, wie berührende musikalische Momente Emotionen wecken und die Bedeutung von Gemeinschaft im Chorgesang hervorheben. Zudem erläutert er, wie Chormitgliedschaften Werte fördern und Jugendliche unterstützen, ihre sozialen Herausforderungen zu meistern. Ein Blick auf die Herausforderungen des Weihnachtsoratoriums und die Kraft der Stille im kreativen Prozess rundet das faszinierende Gespräch ab.
Martin Lehmann betont die Bedeutung des gemeinsamen Singens für die persönliche Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt der Kinder im Chor.
Die Herausforderungen, Jugendliche für das Chorsingen zu begeistern, erfordern kreative Rekrutierungsstrategien und ein verstärktes Augenmerk auf musikalische Bildung.
Deep dives
Die Besonderheit des Kreuzchors
Der Kreuzchor in Dresden ist eine kulturelle Institution mit über 800 Jahren Tradition und herausragendem Renommee, die als älteste Bildungseinrichtung der Stadt gilt. Der aktuelle Kreuzkantor, Martin Lehmann, hebt hervor, dass der Chor nicht nur musikalischen Einfluss hat, sondern auch als Kulturbotschafter agiert, der über die Stadtgrenzen hinaus wirkt. Besonders während der Weihnachtszeit ist der Chor sehr aktiv und gibt zahlreiche Auftritte, wobei ein wesentlicher Teil der Darbietungen in der Kreuzkirche stattfindet, was das spirituelle Element der Chormusik unterstreicht. Bei mehr als 15 Konzerten während dieser Zeit wird die Bedeutung des Chors sowohl für die Gemeinde als auch für die Stadt Dresden sichtbar.
Herausforderungen bei der Nachwuchsförderung
Martin Lehmann thematisiert die grundlegenden Herausforderungen, Kinder und Jugendliche für das Chorsingen zu begeistern, insbesondere in Zeiten, in denen digitale Unterhaltung und sportliche Aktivitäten dominieren. Obwohl er genügend talentierten Nachwuchs findet, macht er auf die allgemeine gesellschaftliche Abnahme des Interesses am Singen aufmerksam, was teilweise auf unzureichende musikalische Bildung zurückzuführen sei. Um dem entgegenzuwirken, setzt der Kreuzchor auf aktive Rekrutierung und das Erlebnis des gemeinsamen Singens, welches eine besondere Energie erzeugt. Lehmann ist überzeugt, dass Kinder, die die Gemeinschaft und das Miteinander im Chor erleben, ihre Erfahrungen wertschätzen und im Crescendo ihrer musikalischen Karriere bleiben.
Die persönliche Entwicklung als Kreuzkantor
Martin Lehmann reflektiert über seinen eigenen Werdegang im Kreuzchor, in dem er selbst als Kind gesungen hat, und erläutert, wie diese Erfahrungen seine berufliche Laufbahn geprägt haben. Der Weg zur Chorleitung war für ihn eine bewusste Entscheidung, die durch seine Leidenschaft für Musik und das Arbeiten mit Kindern motiviert war. Er betont, dass der Kreuzchor nicht nur eine musikalische Ausbildung bietet, sondern auch wichtige soziale Fähigkeiten vermittelt, da die Jungen lernen müssen, im Team zu arbeiten und sich in der Gruppe zu behaupten. Diese Aspekte werden durch strenge Regeln und einen klaren Rahmen unterstützt, was den Mitgliedern hilft, ihre Disziplin und ihren Zusammenhalt zu entwickeln.
Die Kunst und Disziplin der Probenarbeit
Der Probenalltag im Kreuzchor ist strukturiert und erfordert eine Balance zwischen individueller Arbeit und Gesamtproben, um den hohen musikalischen Ansprüchen gerecht zu werden. Jeder Sänger hat in der Regel nur begrenzte Zeit, um mit dem Gesamtchor zu proben, da die Besetzung sich häufig ändert, was regelmäßige Anpassungen und Übungen erfordert. Martin Lehmann hebt hervor, dass die Resonanz des Publikums und das gemeinsame Musizieren eine wertvolle Erfahrung schaffen, die über die Therapie hinausgeht und Glück und Gemeinschaft fördert. Die Herausforderungen des Chorleitens in einem sich ständig verändernden Umfeld machen es notwendig, auch über die reine Musik hinaus zu denken und den sozialen Aspekt des Chorslebens als Bildungsort zu betrachten.
"Wenn wir spüren, dass der Saal pianissimo leise ist und alle gebannt zuhören, oder wenn der Schlussapplaus uns suggeriert: Jungs, das habt ihr toll gemacht! Dann gibt uns das eine Energie, die uns über viele Proben trägt", sagt Martin Lehmann. Er leitet den Dresdner Kreuzchor, in dem 135 Jungen singen. Ob der Chor das Publikum bei einem Auftritt erreiche, spüre er schon in seinem Rücken, sagt Lehmann. Der 50-Jährige ist in Dresden aufgewachsen und war in seiner Kindheit selbst "Kruzianer" – so nennen sich die Sänger des Kreuzchors. Nach dem Abitur studierte er Chordirigieren an der Dresdner Hochschule für Musik und leitete anschließend mehrere Mädchen- und Knabenchöre, unter anderem in Wuppertal und im fränkischen Windsbach. Im Jahr 2022 übernahm er den mehr als 800 Jahre alten Dresdner Kreuzchor – als 29. Kreuzkantor seit der Reformation. Im Podcast sagt er, warum ihm schon als Kind bei Bach die Tränen gekommen sind und was sein damaliger Chorleiter dazu gesagt hat. Er erzählt, wie man pubertierende Jungs für einen Chor begeistert und was man beim Singen über sich und die Gesellschaft lernen kann.
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