
Industrie in Gefahr − Brauchen wir eine andere Klimapolitik?
ARD Presseclub
Emissionshandel, Auslastung und Innovationstopf
Henrike Adamsen diskutiert Auslastungsprobleme, Anreize und Umverteilung von Erlösen in Innovationsprojekte.
Die deutsche Industrie steckt in einer tiefen Krise. Seit 2019 sind rund 150.000 Jobs verloren gegangen, besonders hart trifft es die Chemiebranche – mit der Automobilindustrie das Rückgrat des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Welche Rolle spielt dabei der Klimaschutz?
Im Presseclub wird schnell klar: Die Ursachen sind vielfältig – und die Schuldzuweisungen oft zu einfach. Petra Pinzler spricht von „Phantomschmerzen“ in der Chemieindustrie. Denn Jahrzehntelang habe sie kaum für CO₂-Zertifikate gezahlt, jetzt aber tue die Umstellung weh. Die Probleme lägen weniger am Emissionshandel als an strukturellen Schwächen – von Bürokratie über mangelnde Investitionen bis zur Schuldenbremse. Klaus Stratmann hält dagegen: Die energieintensive Industrie dürfe dringend entlastet werden. Die Branche stehe „am Anfang vieler Wertschöpfungsketten“ und sei von „eminenter Bedeutung“ für den Standort. Wenn die Chemie schwächelt, gefährde das das gesamte Produktionsnetz. Zwar müsse der Klimaschutz weitergehen, wir müssten aber zeigen, dass wir klimaneutral werden können, ohne uns zu ruinieren.
Henrike Adamsen betont, dass die Branche schon länger kämpft – nicht nur wegen der Klimapolitik, sondern auch wegen Billigimporten aus China und US-Zöllen. Zwar habe der Emissionshandel im Energiesektor gut funktioniert, in der Chemieindustrie jedoch kaum Wirkung gezeigt. Kostenlose Zertifikate hätten den Anreiz, grün zu investieren, verringert. Dennoch dürfe man die Transformation nicht aufgeben: Der Staat müsse gezielt Nachfrage nach klimafreundlicher Chemie schaffen.
Björn Finke warnt vor Überreaktionen: Die Forderung einiger Manager, den Emissionshandel abzuschaffen, sei „saublöd“. Stattdessen müsse das System an die Realität angepasst werden. Denn andere Wirtschaftsmächte wie China und die USA spielten nach eigenen Regeln – das verteuere die Transformation in Europa. Es gebe keinen „Businesscase“ für grüne Umstellung, solange Strom und Wasserstoff so teuer seien, so Finke. Die EU müsse dringend nachjustieren.
Beim Thema Industriestrompreis herrscht Einigkeit: gut gemeint, aber kein Allheilmittel. Adamsen nennt ihn ein „Trostpflaster“, Stratmann sieht darin höchstens eine „Überlebenshilfe“, keine Investitionsperspektive. Pinzler verweist darauf, dass Transformationen immer auch Chancen bringen: „Wir schreiben auch nicht mehr mit der Schreibmaschine. Es entstehen neue Jobs, wo alte wegfallen.“
Zum Schluss richtet sich der Blick nach vorn. Der Ausbau erneuerbarer Energien und die Nutzung von grünem Wasserstoff sind zentral – auch wenn der Ausbau teurer und langsamer verläuft als geplant. Der heutige Presseclub zeigt, wie schwierig der Balanceakt zwischen Klimaschutz und Industrieerhalt ist.
Moderatorin Ellen Ehni diskutiert mit den Gästen: Henrike Adamsen (WirtschaftsWoche),
Björn Finke (Süddeutsche Zeitung), Petra Pinzler (DIE ZEIT) und Klaus Stratmann (Handelsblatt).


