
„Von ABBA bis Zappa“: Buch über die Popjahre im wilden Süden
SWR Kultur lesenswert - Literatur
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Politische Dimension der 60er-Jahre-Krawalle
Moderator thematisiert Ende-60er-Proteste wegen Eintrittspreisen; Wagner erklärt die Wahrnehmung von Agenturen als Profiteure.
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Episode notes
Am Anfang - da waren Krawalle. Die kamen mit der Popmusik in den Südwesten. Erst war es Krawall aus Begeisterung, erzählt Christoph Wagner in seinem Buch. Bei Bill Haley gingen schon Ende der 50er Jahre auf dem Stuttgarter Killesberg ein paar Stühle zu Bruch.
Ende der 60er wurden die Krawalle politisch. Kaum ein Konzert, das nicht gestürmt wurde, wegen der Eintrittspreise. Die haben viele als Ausbeutung der Jugend empfunden. Konzertagenturen galten ihnen als Profitmacher. Der Autor Christoph Wagner sah das damals genauso und versuchte auch, kostenlos in die Hallen zu kommen:
„Ich war oft auch bei diesen dabei, die dann versucht haben, durchs Klofenster einzusteigen, oder hinten durch die Türen, die man aus Brandschutzgründen offenlassen musste“, gibt der Autor zu.
„Aber ich meine, die Eintrittspreise waren damals so lächerlich, aber irgendwie, man war halt dagegen, und aus so einem Lebensgefühl heraus hat man da mitgemacht.“
Das Stuttgarter Pop-Verbot
1970 gab es so heftige Krawalle bei Konzerten in der Stuttgarter Liederhalle und auf dem Killesberg, dass Stadt und Veranstalter schließlich genug hatten vom gate-crashenden Rowdytum. Die Folge: Das „Stuttgarter Pop-Verbot“. „Damit war Stuttgart dann für so ungefähr zwei Jahre für Popmusik tot. Und die Tour-Agenturen, die haben natürlich geguckt, wo können sie hier im Südwesten auftreten, im Großraum Stuttgart. Und da bot sich dann, als Notnagel zuerst, die große Sporthalle in Böblingen an, und die kleinere Ausstellungshalle zuerst in Sindelfingen“, so Wagner. Die war eigentlich für Vereine gedacht, Kleintierzüchter haben dort samstags ihre Hasen ausgestellt. Zugelassen war die Halle für 1.500 Zuschauer, aber es passte auch mal 3.000 rein. Dann war eben kein Durchkommen mehr. Für niemanden. Wagner erinnert sich: „Die Fleetwood Mac, die sind dann zu ihrem Auftritt gekommen, und die kamen nicht durch das Publikum durch. Das war im Winter, da war es steinkalt, die mussten um die Halle rumlaufen und sind dann über einen Hintereingang auf die Bühne gekommen.“ Die Halle zum Konzertort gemacht, hatten vier Schüler vom örtlichen Wirtschaftsgymnasium. Sie hatten in der Böblinger Sporthalle einen Auftritt von Canned Heat gesehen. „Und dann haben wir gesagt, wir vier, wir waren mit der Schülerzeitung Wühlmaus da, das kriegen wir auch hin, ja. Und so hat’s angefangen.“ So erinnert sich Roland Stolz, der so zum jugendlichen Veranstalter ohne eigenen Profit wurde. Alle Einnahmen gingen an die Künstler und an die Stadt als Vermieter der Halle. „In den Ankündigungsartikeln in der Zeitung haben sie die Kostenkalkulation publik gemacht, um ja nicht in den Verdacht zu kommen, dass man Gewinn machen will, das war ja ein Unding.“Soundcheck und Fußball in einem
Dafür liefen ihre Konzerte – mit drei oder vier Mark Eintrittspreis - gänzlich ohne Krawalle ab. Roland Stolz und seine Mitveranstalter konnten dafür zum Beispiel mit den Jungs von Status Quo zwischen Soundcheck und Auftritt Fußball spielen. Die konnten das: „...eigentlich ganz gut. Der Drummer war im Tor.“ Später hatte Sindelfingen auch eine Messehalle, und die Stadt hatte sich neben Böblingen als Veranstaltungsort etabliert. Das blieb so, auch als in Stuttgart längst wieder Popkonzerte zugelassen waren. Die Vorstellung von Christoph Wagners Buch „Von ABBA bis Zappa“ hat bei vielen die Erinnerung an erlebte Konzerte aufgefrischt: „In Sindelfingen Mike Oldfield, in Böblingen: Santana, Frank Zappa, Bad Company, Commodores, Peter Gabriel – also ich kann mich noch an Jethro Tull erinnern, und an Saga. – Das was ich mich am meisten erinnere, aber das ist schon in den 80er Jahre gewesen, das war Queen, ja. Ich bin da immer noch geflasht, mir geht da noch die Gänsehaut hinten den Rücken runter.“Internationale Musikgeschichte in der schwäbischen Provinz
Christoph Wagner hat für das Buch viel Zeit in Archiven verbracht, alte Zeitungen und Bücher gelesen, sich mit Veranstaltern von damals unterhalten. Er will aber mehr als eine kleine Lokalgeschichte mit großen Namen erzählen. Ihm geht es auch darum, anhand der Konzerte in der schwäbischen Provinz ein Stück internationale Musikgeschichte zu erzählen. „Ein Beispiel wäre Sly and the Familiy Stone“ 1973 in Böblingen, so kam erstmals der Funk in die Gegend, erklärt Wagner – auch Soul war in Deutschland erst seit sechs Jahren bekannt – so beschreibt er das Konzert nicht nur, das viele damals überfordert haben muss. Ein Kritiker schrieb: „die Gruppe lärmte wie eine 50-Mann-Trachtenkapelle“. Wagner ordnet es ein: „Also den Kontext, den historischen Kontext, und auch den kulturellen. Also Gender-mixed Band, mit Frauen in der Gruppe, race-mixed, was ungewöhnlich war in den USA damals, das waren alles wichtige Punkte, die man wissen muss, um diese Gruppe goutieren zu können. Und um das ging es mir im Prinzip: In dem Sandkorn die ganze Welt.“The AI-powered Podcast Player
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