
Störtebeker und Co - Eine wahre Piraten-Geschichte?
Radiowissen
Intro
Dieses Kapitel beschreibt die dramatische Hinrichtung von Klaus Störtebeker und seinen Mitstreitern im Jahr 1401 in Hamburg, umgeben von einer neugierigen Menschenmenge. Es wird auf die historischen HintergrĂŒnde und die Unsicherheiten bezĂŒglich Störtebekers IdentitĂ€t sowie auf die ungenauen Berichte ĂŒber ihn eingegangen.
Wer war Klaus Störtebeker? Die Suche nach dem berĂŒchtigten Piraten hĂ€lt einige Ăberraschungen bereit. So wurde er wahrscheinlich nicht 1401 in Hamburg hingerichtet, wie es die Legende bis heute erzĂ€hlt. Doch es gibt genĂŒgend Spuren, die in die wahre Welt der mittelalterlichen "VitalienbrĂŒder" fĂŒhren, einer Art Söldnertum zur See. Unter ihnen taucht tatsĂ€chlich ein Mann auf, der Störtebeker hieĂ. (BR 2025)
Credits
Autor/in dieser Folge: Georg Florian Ulrich
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Thomas Birnstiel, Christian Baumann
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Gregor Rohmann, Regionale Kulturgeschichte Mecklenburgs an der UniversitÀt Rostock
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Piraten der Adria - Wilde Zeiten an Kroatiens KĂŒste
Wo heute Urlauber ĂŒber Inseln wandern trieben in frĂŒheren Jahrhunderten gefĂŒrchtete Piraten ihr Unwesen: Uskoken aus Senj, Narentaner aus Brac, Hvar, Korcula oder der Kacic-Clan aus OmiĆĄ ĂŒberfielen Handelsschiffe, die zwischen Venedig und dem Nahen Osten verkehrten. Autor: Bernd-Uwe Gutknecht (BR 2025)
https://www.ardaudiothek.de/episode/urn:ard:episode:4203d246b2185414/
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecher:
Hamburg im Mittelalter. Es ist der 20. Oktober 1401. Auf dem Grasbrook, einer Wiese vor den Toren der Stadt, hat sich eine Menschenmenge versammelt. Die Menschen strömen in Scharen heran, trotz des norddeutschen Herbstwetters.
Musik 2
"Stakeout" - Album: McCanick (Josh C. Waller's Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und AusfĂŒhrender: JĂłhann JĂłhannsson - LĂ€nge: 0'58
Sprecher:
Sie umringen eine Gruppe gefesselter MĂ€nner. Viele der Gefesselten sind krĂ€ftig gebaut, ihre Gesichter von den Jahren auf See sonnengegerbt. Es sind VitalienbrĂŒder, Freibeuter. Jahrelang haben sie Nord- und Ostsee unsicher gemacht, Handelsschiffe der Hanse ausgeraubt. Jetzt hat eine Flotte von Hamburger Kaufleuten sie endlich dingfest gemacht. Auf SeerĂ€uberei steht die Todesstrafe. Eine Gruppe Wachleute schiebt die Menge der Schaulustigen beiseite, öffnet einen Kreis. Der Scharfrichter tritt in die freigewordene FlĂ€che. In seinen HĂ€nden das lange Richtschwert. Der AnfĂŒhrer der SeerĂ€uber ist als erstes dran.
Musik 3
"Attack on Gerhardts" - Komponist: Jeff Russo - Album: Fargo Year 2 (Score from the Original MGM / FXP Television Series) - AusfĂŒhrende: Jeff Russo & USC Drum Corps - LĂ€nge: 0'21
Sprecher:
Das Hemd wird ihm ausgezogen, er muss sich auf den Boden knien. Ein letztes Mal blickt er auf seine Mannschaft. Sein Name: Klaus Störtebeker. Ein Priester erteilt ihm die Absolution, dann ist es soweit. Der Scharfrichter hebt den Kopf Störtebekers auf. Er wird ihn mit einem groĂen Eisennagel an einem Pfahl befestigen.
ATMO HammerschlÀge
Als Abschreckung an alle SeerÀuber.
Sprecherin:
So wird die Legende vom SeerĂ€uber Klaus Störtebeker gerne erzĂ€hlt. Doch wessen Kopf rollte an diesem Tag wirklich? Die meisten Historiker sind sich heute sicher: Der Kopf von Klaus Störtebeker â war es nicht. Denn fĂŒr einen SeerĂ€uber mit diesem Namen finden sich in dieser Zeit keine Belege. In keiner Quelle, keinem Bericht taucht ein Klaus Störtebeker als SeerĂ€uber auf. Obwohl die Kaufleute der Hanse sonst jede Begebenheit mit fast erbsenzĂ€hlerischer Genauigkeit festhielten. Vor allem, wenn es ums Geld ging. So wissen wir, dass es im Oktober 1401 tatsĂ€chlich eine Hinrichtung auf dem Grasbrook gab. Unter âDiversesâ, findet sich die Abrechnung des Scharfrichters: FĂŒnf Pfund, in etwa der Wochenlohn eines Handwerkers - fĂŒrs Enthaupten der âVitalienbrĂŒderâ. Sauber notiert in den GeschĂ€ftsbĂŒchern der Stadt â GeschĂ€ftsleute sind eben GeschĂ€ftsleute. Aber: einen Klaus Störtebeker sucht man in den Aufzeichnungen der Stadt vergebens.
Sprecher:
Doch wenn man sich durch die Quellen arbeitet, stöĂt man auf eine Spur. Professor Gregor Rohmann ist Mittelalter-Historiker. Sein Spezialgebiet: SeerĂ€uber in der Nord- und Ostsee. Er hat sich auf die Suche nach dem âechtenâ Störtebeker gemacht.
O-Ton 1 Rohmann
Wenn man sich die archivalischen Quellen, die es zu dem Namen Störtebeker gibt, mal zusammensucht und quasi das Puzzle zusammensetzt, dann ergibt sich, dass dahinter mit ziemlich groĂer Wahrscheinlichkeit ein Danziger Kaufmann und Seemann steht.
Sprecherin:
Der wahre Störtebeker - also gar kein âechterâ Pirat, sondern ein Kaufmann?
Sein Name wĂ€re dann ĂŒbrigens auch gar nicht âKlausâ â sondern Johann Störtebeker. Doch dieser Johann könnte der Ursprung der Legende gewesen sein.
Musik 4
"Sento d'amor la fiamma" - Album: Aremorica - Land of Elves-AusfĂŒhrende: Jessica Baran-Surel - Komponist: Lorenzo Da Firenze - LĂ€nge: 0'47
Sprecherin:
Johann Störtebeker, geboren in Danzig, etwa um 1360. In der Stadt leben damals etwa 10.000 Menschen. Ihre Zahl wĂ€chst, auch weil die Deutschordensritter Danzig als Anlaufpunkt fĂŒr ihre EroberungszĂŒge nutzen. Die Stadt ist ein wichtiger Handelsknotenpunkt. Auf den StraĂen hört man neben Niederdeutsch und Polnisch auch Russisch, Englisch, Französisch oder Latein. Fast jeden Tag trifft ein neues Schiff ein.
Auf den MĂ€rkten bieten HĂ€ndler aus Russland Pelze und Honig an, es gibt Bernstein aus dem Baltikum, Wein aus Frankreich, gesalzene Heringe aus LĂŒbeck, Tuche aus Flandern und â aus England.
Sprecher:
Es sind diese Tuche aus England, die aus dem Kaufmann Johann Störtebeker einen Kaperfahrer machen werden. WĂ€hrend er in der Hansestadt aufwĂ€chst, geraten die Kaufleute dort immer wieder in Streit mit den englischen Kaufleuten. Lange hatten sich die Danziger mit dem Tuchhandel eine goldene Nase verdient. Sie brachten billige Wolle aus England nach Flandern, um sie dort zu teuren TĂŒchern verarbeiten zu lassen. Und diese verkauften sie dann im Baltikum, wo die TĂŒcher gefragt waren. Internationaler Modehandel â im Mittelalter. Doch die EnglĂ€nder wollen nicht lĂ€nger zusehen, wie andere mit ihrer Wolle Geld verdienen. Sie fangen an, selbst TĂŒcher herzustellen. Und wollen die auch selbst verkaufen. Das passt den Danziger Kaufleuten natĂŒrlich nicht. Immer öfter kommen sich die Kaufleute aus England und Danzig in die Quere. Englische Kaperfahrer nehmen Danziger HĂ€ndlern ihre Ware ab, die verhaften daraufhin englische Kaufleute. Noch schlimmer: Der englische König fordert ab 1401, dass die Kaufleute der Hanse wieder Zoll zahlen, wenn sie in England Handel treiben wollen. FĂŒr die Danziger ist das MaĂ voll. Sie fordern ein Handelsverbot fĂŒr die EnglĂ€nder, wollen deren Vordringen in den Ostseeraum ein Ende setzen.
Musik 5
"Thirteenth Dalai Lama" - Album: Kundun - Komponist: Philipp Glass - LĂ€nge: 0'27
Sprecher:
In dieser Zeit sticht Johann Störtebeker das erste Mal mit einer eigenen Mannschaft in See. Der Kaufmann will nicht mehr nur Handel treiben. Seine Mannschaft und er schlieĂen sich den Fahrten gegen die EnglĂ€nder an. Sie werden das, was man in der Zeit VitalienbrĂŒder nennt.
Sprecherin:
VitalienbrĂŒder â sind das nicht Piraten? Nicht ganz. Den Begriff gibt es zu Störtebekers Zeiten schon lĂ€nger, und Störtebeker und seine Kumpane sind nicht die ersten, die so bezeichnet werden. UrsprĂŒnglich kommt der Name aus dem Französischen. Als vitailleurs wurden Seeleute bezeichnet, die sich in Kriegsdienste begaben. Z. B. in dem sie die Truppen mit Viktualien, also Lebensmitteln versorgten. Aus den französischen vitailleurs wurden im Deutschen dann die VitalienbrĂŒder.
OT 2 Rohmann:
Mir hat das mal eine Altgermanistin erklĂ€rt, dass ganz oft bei Ăbernahme solcher Begriffe aus dem Französischen im deutschen oft ein -BrĂŒder drangehĂ€ngt wird. Also Söldner werden zu GardebrĂŒdern und vitailleurs werden dann eben VitalienbrĂŒder.
Sprecherin:
Die VitalienbrĂŒder beschrĂ€nken sich jedoch nicht auf die Versorgung mit Lebensmitteln. Bald ĂŒbernehmen Gruppen, die sich so nennen, auch andere âDienstleistungenâ: ĂberfĂ€lle, Blockaden, Angriffe auf feindliche Schiffe. Viele agieren nebenbei weiter als Kaufleute. Doch wo immer bewaffnete Seeleute gefragt sind, fĂŒllen sie die MarktlĂŒcke â gegen entsprechenden Lohn. Sie sind Söldner der Meere.
Sprecher:
Genau solche MĂ€nner sind in Johann Störtebekers Zeit gefragt. Störtebeker braucht Leute, die die Seefahrt und das Kriegshandwerk verstehen. Die MĂ€nner schlafen meist auf dem offenen Deck, Kabinen gibt es auf den Mittelalterlichen Koggen nur selten. Sie mĂŒssen Wind und Wellen trotzen, auf StĂŒrme genauso gefasst sein wie auf feindliche Schiffe. Ihre Waffen bringen die KĂ€mpfer oft selbst mit. ArmbrĂŒste, Schwerter, Bögen. Das Meerwasser setzt den teuren Waffen zu. Doch sie mĂŒssen auch auf See einsatzbereit sein, und ihre Besitzer wissen, wie man mit ihnen umgeht. Bei Störtebekers Mannschaft handelt es sich nicht um eine Horde ungebildeter Raufbolde. Sie sind Profis. Und sie haben es auf die englischen Schiffe abgesehen.
Musik 6
"Thirteenth Dalai Lama" - Album: Kundun - Komponist: Philipp Glass - LĂ€nge: 1'00
Sprecherin:
Bald nachdem sie in See stechen, macht sich Störtebeker mit seiner Mannschaft erstmals einen Namen. Er ist mit anderen KapitĂ€nen in der Nordsee unterwegs, und bringt englische Schiffe auf. ZurĂŒck im Hafen beklagen sich englische HĂ€ndler.
OT Englischer Bericht 1 (ZITATOR als Overlay)
One called Strotbeker, by force of armes, and by the assistance of the men of Wismer and Rostok, and others of the Hans, did upon the Sea neere unto Norway [ausblenden]
ZITATOR
Jemand namens Strotbeker, hat mit Waffengewalt und mit UnterstĂŒtzung von Leuten aus Wismar [âŠ], bösartig und ungerechterweise bei Norwegen Wachs, Tuch und Eisen im Wert von 467 GoldmĂŒnzen entwendet!
OT Englischer Bericht 2 (ZITATOR als Overlay)
Stertebeker, with others their accomplices of the Hans, unlawfully took upon the sea a certain ship of [ausblenden]
ZITATOR
Störtebeker mit anderen Komplizen der Hanse, entwendete ein Schiff und fuhr es nach Marstrand in Schweden, dort haben sie den Schiffsmeister ausgeraubt, Möbel und Salzfische mitgenommen!
Sprecherin:
Storbiker, Strotbeker Stertebeker. Immer wieder taucht Johann Störtebeker in englischen Schadensverzeichnissen auf. Die englischen HĂ€ndler notierten alles minutiös, sobald ihnen ein Schaden entstanden war, alles minutiös auf. In der Hoffnung, irgendwann Schadenersatz zu erhalten. Diese Vermerke haben sich bis heute erhalten. Etwa fĂŒnf Jahre lang, von 1394 bis 1399 macht Störtebeker die Nordsee unsicher. Englische Kaufleute hĂŒten sich, ihm auf See zu begegnen.
Sprecher:
Sollten sie doch das Pech haben, liefen die Begegnungen oft nach einem Àhnlichen Muster ab.
Musik 7
"Lasa & Zabala (Titulos)" - Komponist: Pascal Gaigne - Album: Lasa & Zabala (Original Motion Picture Soundtrack) - LĂ€nge: 0'41
Sprecher:
Am Horizont taucht ein fremdes Schiff auf. Von weitem lĂ€sst sich kaum ausmachen, wer an Bord ist. Ist es ein befreundeter HĂ€ndler? Oder doch eine Bedrohung? Schwer zu sagen. In dieser Zeit gibt es keine Fernrohre oder Ă€hnliches. Vielleicht hat das andere Schiff Neuigkeiten, wĂ€re zu einem Handel bereit? Man nĂ€hert sich. Sobald die beiden Schiffe nebeneinander sind, wird es ernst. Man verstĂ€ndigt sich in einer Mischung aus Niederdeutsch und Englisch. Bald wird klar. Es sind VitalienbrĂŒder, und sie wollen das Schiff ĂŒbernehmen. Die meisten Seeleute im Mittelalter waren bewaffnet. Doch kein Schiff besaĂ Waffen, die das andere Schiff hĂ€tten versenken können. Wollte man die Kontrolle ĂŒber ein anderes Schiff ĂŒbernehmen, musste man die gegnerische Mannschaft ĂŒberwĂ€ltigen. Und hier waren VitalienbrĂŒder meist im Vorteil.


