Erinnerung stellt die höchste Form des Vergessens dar, schrieb Anfang der 90er der Journalist Eike Geisel, der ein gnadenloser Kritiker der Wiedergutwerdung der Deutschen und des deutsch-jüdischen Verbrüderungskitsches war. Auch wenn sein Zitat nicht mehr 1:1 auf die heutige Zeit übertragen werden kann, beschreibt es dennoch gut die heutige Rezeption des Holocaust: je mehr die Erinnerung an den Holocaust universalisiert wird, desto mehr verschwindet die Spezifik der industriellen Massenvernichtung der Juden Europas vor 80 Jahren.
Darüber hat Jan Gerber ein Buch geschrieben, welches vor kurzem im Berliner Verlag Edition Tiamat erschien. Wir sprechen über die Rezeption des Holocaust in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg bzw. im kalten Krieg, in der eine seltsame Mischung aus Fortschrittsoptimismus und Katastrophenbewusstsein vorherrschte und kaum ein Platz für die Erinnerung an die Massenverbrechen an den Juden vorhanden war (auch nicht in Israel). Dies hatte auch viel mit dem Bild des "Helden" in der Gesellschaft zu tun. Im Laufe der 70er Jahre rückte die Opferperspektive mehr und mehr in den Mittelpunkt und ab den 90ern, pünktlich zum Ende der Ost-West-Auseinandersetzungen, setzte eine Globalisierung der Erinnerung ein, die schlußendlich in den heutigen Irrungen und Wirrungen der postkolonialen Holocaustrelativierung (vorläufig) endet. Darüber sprechen wir, auch anhand von Beispielen aus der Populärkultur wie Filmen oder den Stalag-Comics, die im Israel der 60er Jahre sehr populär waren.
Jans Buch:
https://edition-tiamat.de/books/das-verschwinden-des-holocaust
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