
Ersi Sotiropoulos – Was bleibt von der Nacht
SWR Kultur lesenswert - Literatur
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Worin sieht der Roman die Ursachen der Schreibschwierigkeiten?
Zitatpassage und Moderator deuten an, dass Kavafis' Probleme beim Schreiben auch inneren, persönlichen Ursprung haben könnten.
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Episode notes
Kaum etwas ist überliefert über die drei Tage, die Konstantinos Kavafis im Paris der Belle Époque verbrachte. Im Juni 1897 war er 34 Jahre alt und befand sich mit seinem älteren Bruder auf einer Europa-Reise.
Kavafis, der bis heute griechische Schriftsteller und Schriftstellerinnen inspiriert, war damals noch weit entfernt vom Ruhm, seine Lyrik war unausgereift und mittelmäßig. Genau dies, die literarische Suche, die Irrungen und Wirrungen des jungen Dichters, interessieren die Romanautorin Ersi Sotiropoulos.
Was mich, und ich glaube uns alle, fasziniert, ist die Frage, wie ein Künstler (…), vom Typ her wohl eher scheu, unterdrückt in seinem Privatleben und gequält von Widersprüchen und inneren Zweifeln (…), diesen Sprung geschafft hat. Wie wird er zu dem Kavafis, den wir kennen?Quelle: Ersi Sotiropoulos – Was bleibt von der Nacht
Kavafis in Paris – ein rauschhaftes Schlüsselerlebnis
In „Was bleibt von der Nacht“ imaginiert sie Kavafis Paris-Aufenthalt als rauschhaftes Schlüsselerlebnis für seine künstlerische und auch für seine persönliche Entwicklung. Sie beschreibt, wie der Grieche aus dem provinziellen Alexandria durch die Straßen der pulsierenden französischen Hauptstadt streift und sich in ihnen verliert, wie dabei äußere Eindrücke und Kavafis komplexe Innenwelten immer wieder verschwimmen: Innenwelten, die von unfertigen Versen, Kindheits-Erinnerungen und erotischen Fantasien bevölkert sind. Zwar schreibt Sotiropoulos über den Dichter in der dritten Person, aber sie schaut nicht von außen auf ihn, sondern nimmt seine Perspektive ein.Eine Locke des jungen Tänzers war über die Rückenlehne des Sessels geglitten. Weiches, frisch gewaschenes Haar mit hell schimmernden Strähnen. Und da war so etwas wie ein Duft, himmlisch, der hin und wieder zu ihm herüberwehte. (…) Er atmete tief ein und schloss die Augen. Ein Duft nach Milch und frischem Getreide.Quelle: Ersi Sotiropoulos – Was bleibt von der Nacht
Schaffensdrang und Selbstzweifel
Konstantinos Kavafis homosexuelles Begehren zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Die Autorin schildert es als intensive und unausgelebte Leidenschaft, die den Lyriker mal beglückt, mal an den Rand des Wahnsinns treibt. Später wird es Kavafis gelingen, über sein erotisches Begehren zu schreiben – ja, dieses wird zu einer treibenden Kraft für seine Poesie. Das Schwanken zwischen überbordendem Schaffensdrang und quälenden Selbstzweifeln, das verzweifelte Ringen um eine eigene literarische Stimme – Ersi Sotiropoulos Darstellung der inneren Kämpfe des Dichters ist durchaus überzeugend:Verfluchte Adjektive, dachte er. Verfluchter Reim. Etwas früher war ihm der Gedanke gekommen, dass diese ganzen Schwierigkeiten beim Schreiben vielleicht gar nicht vom Schreiben selbst herrührten. Vielleicht war es ein ihm eigenes, ein inneres Problem. Dieses starke Bedürfnis nach einem Bruch in seiner Dichtung (…), dieser irrationale Drang, die Regeln zu verletzen (…), sich von den Lyrismen und der überladenen Sprache zu befreien.Quelle: Ersi Sotiropoulos – Was bleibt von der Nacht
Meisterhafte Beschreibung von Menschen und Orten
So wird in dem Roman Kavafis Blitzbesuch in Paris zu einem Befreiungsschlag und das Jahr 1897 zu einem Wendepunkt in seinem künstlerischen und persönlichen Werdegang. Konstantinos Kavafis hat nichts Schriftliches über jene Tage hinterlassen – aber Ersi Sotiropoulos ist eine originelle und tiefschürfende Fiktionalisierung gelungen. Sie nähert sich der Person des Dichters mit so viel Einfühlungsvermögen, Empathie und Kenntnis seines Werks, dass sie das Interesse der Lesenden weckt. Darüber hinaus lässt die Autorin durch ihre meisterhafte Beschreibung von Menschen und Orten das Paris des fin de siècle aufleben, mit seiner Atmosphäre von Lebensfreude, Hedonismus, Frivolität und Dekadenz. Auch deshalb ist „Was bleibt von der Nacht“ ein lesenswertes und reizvolles Buch.The AI-powered Podcast Player
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