Speaker 2
sie haben es natürlich nicht so genannt, weil es spanisch ist. Ja,
Speaker 1
genau. Also viele der Nachtschattengewächse hatten ja eine wichtige Bedeutung als Heilpflanzen. Einige wurden auch als Genuss oder für Rauschmittel verwendet. Die enthalten nämlich Alkaloide, das Solanin, das aufs zentrale Nervensystem wirkt. Mit unterschiedlichen Folgen. Manche lösen Halluzinationen aus, bei anderen kann der Konsum aber auch tödlich enden. Man kennt ja den Stechapfel, die Alraone oder auch die Tollkirsche, die auch Belladonna genannt wird. Das heißt, die Nachtschattengewächse waren schon seit Jahrhunderten als Zauberpflanzen bekannt. Und dementsprechend sind sie der Tomate zunächst mal eher vorsichtig begegnet. Und es kommt auch der Name Liebesapfel daher für die Tomaten, weil vermutet wurde, dass sie aphrodisierend wirken könnte. Allerdings bei der Tomate ist das Solanin kein Problem. Das steckt vor allem in den Stängeln und in den Blättern. Außer man ist sehr unreife Tomaten. Das sollte man ja eher nicht machen. Also wo man aufpassen muss, ist vor allem bei Kartoffeln. Da muss man wirklich aufpassen, weil das Solanin auch hitzebeständig ist und fettunlöslich. Daher wird es durch das Kochen auch nicht zerstört.
Speaker 2
Ja, deswegen, was man sehr nicht überlebt, ist das Einfrieren. Also echt? Ja. Also du hast gesagt, das ist nur in den Blättern hauptsächlich, oder? Bei
Speaker 1
der Tomate, ja genau. Aber
Speaker 2
beim Erdapfel, da gibt es ja zum Beispiel eine Geschichte, die ich gelesen habe, dass es in Peru auch usert ist, so Erdäpfel hochzutragen in die Höhe, wo es so kalt ist, und sie dann dort aufzulegen am Boden. Und über Nacht frieren sie. Und damit wird das Gift zerstört.
Speaker 1
Ah, ich glaube, sagen darf. Hast du das erzählt, glaube ich, auch
Speaker 2
in der Folge, oder? In der Folge habe ich es nicht erzählt, weil das erst nachdem ich die Folge gemacht habe, gelesen habe.
Speaker 2
es ist eine meiner Lieblingsanekdoten. Das heißt, die gehen da drauf, wo es kühl ist, lassen sie einfrieren über Nacht und dann nehmen sie sie wieder mit und dann kann man sie genießen. Ich bin aber nicht sicher, ob es dasselbe Giftstoff ist oder drin ist, aber eben um ursprünglich ungenießbare Erdäpfel genießbar zu machen, reicht das Einfrieren.
Speaker 1
Interessant. Also ich habe gelesen, dass man neue Züchtungen eben dahin macht, dass sie weniger Solanin enthalten. Und dass man aber selbst mit Wegschneiden, wenn sie erstmal Triebe haben, nicht mehr weiterkommt und man die dann eher entsorgen sollte. Ja. Also
Speaker 2
diese Anekdote, die ich gerade erzählt habe, das kann ein Hinweis, dass jetzt alle ihre Erdäpfel einfrieren sollen und dann davon ausgehen, dass sie genießbar sind. Ich möchte Ihnen nur einmal gesagt haben.
Speaker 1
Es ist kein Aufruf. Kein medizinischer Ratschlag. Nein. Aber auch wenn schon bald klar war, dass Tomaten essbar sind, setzen sie sich erstmal in der Küche trotzdem nicht durch. Und das hat mit der Viersäfte-Lehre zu tun.
Speaker 1
Vier-Säfte oder die Humoral- Pathologie, über die haben wir jetzt schon öfter geredet, unter anderem in der Folge 413 Paracelsus A, Arzt und Alchemist. Und die Viersäftelehre geht ja zurück auf die antiken Autoren Hippokrates und Galen und war über viele Jahrhunderte die wichtigste medizinische Krankheitslehre in Europa. Also die Vorstellung war, dass es vier Körpersäfte gibt, Blut, Schleim, Galle und schwarze Galle. Und eine Krankheit bedeutet, dass diese Körpersäfte nicht mehr im Gleichgewicht stehen. Und die Therapie bestand daher oft darin, die Körpersäfte wieder in Einklang zu bringen. Also die Fachbegriffe dafür sind Eukrasie und Dyskrasie, also Wohlmischung und Fehlmischung. Und man konnte in diesen Einklang der Körpersäfte eingreifen durch so Maßnahmen wie den Adalas, wo man eben dann Blut verloren hat. Aber auch die Ernährung hat eine wichtige Rolle gespielt, weil das Essen sollte auch ein Stück weit die Mischung der Körpersäfte widerspiegeln. Und dafür wurde alles in so ein Schema eingeteilt, das sogenannte galenische Viererschema. Es gab warm, kalt, feucht und trocken. Und da hat man eben alle Lebensmittel einteilen können. Und man sollte mit allem, was man zu sich nimmt, so einen gewissen Ausgleich schaffen. Und die Tomate ist nach diesem Schema am äußersten Rand von kalt und feucht. Und galt daher als eher ungesund und schwer auszugleichen. Und das war eben ein weiterer Faktor, der dazu beigetragen hat, dass sich die Tomate nur langsam auf den europäischen Tellern breit macht. Stell mir gerade so eine Tomate vor, was sich so breit macht. Na da, fress mich. Es gab zum Beispiel die Sorge, dass die Tomaten Melancholie auslösen könnten. Das gilt übrigens auch für die Auberginen. Also während sich in Italien dann der Name Pomodoro etabliert, oder Pomidoro, verwenden wir ja den Namen Tomate, beziehungsweise du sagst vielleicht Paradeiser, oder?
Speaker 2
Ja, alternierend, wie es mir gerade einfällt. Ich darf beides, weil ich halber Deutscher und halber Österreich habe.
Speaker 1
Verstehe. Und die Bezeichnung Paradiesapfel, die war auch schon im 16. Jahrhundert im Umlauf. Das Wort Tomate stammt aber von den Azteken und interessant ist, auf Nahuatl heißt die Tomate Xitomatl.
Speaker 2
Ja, das weiß ich sogar.
Speaker 2
das ist einer dieser Fun Facts. Weil die eigentliche Tomatl ist das, was wir als Tomatio kennen. Ah,
Speaker 1
sehr gut, okay.
Speaker 2
Und das Xitomatl, die in Spanisch sprechen, das heißt Xitomatl, bedeutet im Grunde, dass es geschält ist. Also die rote Tomate ist diese Vorsilbe. Ich glaube, es hat ja unterschiedliche Tomatensorten, die unterschiedliche Vorsäbe gehabt haben und die Hitomatel ist die rote Tomate, weil sie eben keine Schale hat. Wie zum Beispiel die Tomatio.
Speaker 1
Genau, also was du sagst, habe ich auch so in der Vorbereitung gelernt. Also Hitomatel oder Xitomatel, das ist das Wort für das, was wir heute als die Tomate bezeichnen. Das Wort Tomate steht eigentlich auf Nahuatl nur für eine runde Frucht, also es ist eher eine allgemeine Bezeichnung. Und das, was du gesagt hast mit der Tomatillo, das wurde bezeichnet als Miltomatl. Das war die Miltomatl. Und die Miltomatl, also die Tomatillo, ist aber keine Tomate in unserem Sinne, sondern gehört zu den Physalis.
Speaker 2
Ja, deswegen hat sie auch dieses, und ist dann auch so leicht klebrig.
Speaker 1
Genau, das ist so Bären- und Kirschenartig.
Speaker 1
deshalb, genau, es bezeichnet eigentlich zwei unterschiedliche Arten. Und was sich aber in Europa dann als Tomate durchgesetzt hat, ist eben der Überbegriff, der eigentlich bei den Azteken nur die allgemeine Bezeichnung war für diese runde Frucht.
Speaker 1
uns ist dann eben die Bezeichnung Tomate hängen geblieben und die Tomatillos sind interessanterweise ein Stück weit so in Vergessenheit geraten, auch in den Amerikas. Aber vor allem seit den 1970er Jahren sind die Tomatillos in der mexikanischen und lateinamerikanischen Küche wieder sehr beliebt geworden. Erst seit den 1970ern? 1970er Jahren, genau. Die haben die Tomatillos auch so ein Stück weit vergessen. Weil die Tomatillos sind ja in Europa jetzt nicht besonders beliebt geworden. Also gibt es ja nicht so häufig wie die Tomaten. Ja. Wir haben einmal Tomatillos am Balkon gehabt. Und? Ja, gut. Einmal ist
Speaker 2
eine, wir haben nicht viele dran gehabt, es sind nicht viele gewachsen. Und wir wohnen ja im dritten Stock. Und einmal ist eine runtergefallen. Und weil wir nicht so viele gehabt haben und sie ist im Garten von der Nachbarin ganz unten gefallen und dann habe ich so ein Ding gebastelt aus unterschiedlichen Küchengeräten, dass ich runterlassen habe können, um sie wieder hochzuziehen, so aus dem Gras aufzuheben. Beim ersten Mal hat es nicht funktioniert, dann habe ich es wieder reingeholt und habe es nur verbessert, meine Contraption. Und dann habe ich es wieder aus dem Fenster gekämpft und dann war die Tomatia weg. Hat die Nachbarin sie gefunden und ins Haus getragen und hoffentlich verspeist. Sehr
Speaker 1
gut. Hätte es auch klingeln können,
Speaker 2
oder? Ja, rein theoretisch, aber das wäre nicht so lustig gewesen. Hätte ich
Speaker 1
gedacht, oh Gott.
Speaker 2
Hätte ich gedacht, was fällt hier für Essen vom Himmel. Hervorragend.
Speaker 1
Aber es gibt beim Namen der Tomate noch eine Besonderheit. Und zwar, der lateinische Name der Tomate ist Solanum lycopersicum. Solanum steht für Nachtschattengewächs und das Lycopersicum steht für Wolf, Lycos und Apfel oder Pfirsichpersicum, also Wolfspfirsich. Und das geht auf Galen zurück. Und die Frage ist natürlich, was hat er jetzt mit dem lateinischen Namen der Tomate zu tun, wo er mit ziemlicher Sicherheit nie eine Tomate gesehen hat? Es ist aber so, er beschreibt in der Antike eine Giftpflanze und diese Giftpflanze nennt er Wolfspfirsich. Und Botaniker im 17. Jahrhundert gehen davon aus, fälschlicherweise, dass Galen damit die Tomate gemeint haben könnte. Und deshalb ist der lateinische Name benannt nach Galen und dem Wolfspfirsich. Die erste Erwähnung der Tomate in der Literatur in Europa stammt vom italienischen Arzt und Botaniker Pietro Mattioli. In den 1550er Jahren wurde er Leibarzt am Hof der Habsburger in Prag. Das ist nur der Funfact für dich. Und er beschreibt 1544 die Tomate als neue Art der Aubergini, die in reifem Zustand rot oder golden wäre. Und zehn Jahre später aktualisiert er dann die Beschreibung und gibt der Pflanze dann den Namen Pomidoro, also goldene Äpfel. Und das war 1554 der Fall und so heißen die Tomaten in Italien bis heute. Und wir können davon ausgehen, dass die Tomaten im Laufe der Jahrzehnte immer häufiger auch auf den Tellern gelandet sind. Und es ist nicht nur in Europa. Also die Spanier haben die Tomaten auch in den Kolonien verbreitet. Ich habe in meiner Folge über William Bly, also 483, Bounty, Brotfrucht und die Rum-Rebellion, ja auch erzählt, dass die Kolonialmächte diesen Pflanzentransfer aktiv vorangetrieben haben und es ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war. So kommt die Tomate auch in die Karibik und nach Asien. Und man kann sehen, dass es in Italien wirklich eine Weile dauert, bis sich die Tomate als Lebensmittel so richtig durchsetzt. Also sie kommt dort in den 1520er bzw. 1530er Jahren an, aber erst Mitte des 17. Jahrhunderts nimmt die Entwicklung jetzt dann richtig Fahrt auf. Die erste Erwähnung in einem Kochbuch findet sich bei Antonio Latini, einem Koch in Neapel. Das Buch heißt Los Galco alla Moderna und erscheint 1694. Also man sieht, es dauert eine ganze Weile, bis die Tomate so wirklich auch in der Küche Verwendung findet. Und dieses Buch enthält ein Rezept für eine Tomatensauce und drei Gerichte mit Tomaten. Und diese Gerichte nennt er alla Spaniola, also nach spanischer Art.
Speaker 1
ich habe mal das Rezept dabei für die Salsa di Pomodore alla Spaniola. Und die geht so, du nimmst ein halbes Dutzend reife Tomaten, röstest sie über der Glute eines Feuers. Dann wird die Haut entfernt und die Tomaten mit einem Messer sehr klein geschnitten. Dann kommen dazu klein gehackte Zwiebeln, fein gehackte Peperolo, wo nicht ganz klar ist, was Peperolo sind, aber vermutlich irgendeine Art von Paprika oder Peperoni. Chili. Chili. Und ein wenig Thymian. Dann wird alles gemischt mit Salz, Öl und Essig angerichtet. Und dann ergibt es, wie Latini schreibt, eine sehr schmackhafte Soße für gekochtes Fleisch oder anderes.
Speaker 2
Ja, das klingt gut. Das hat das Hautentfernen über dem Feuer dann noch wahrscheinlich so einen leicht geräucherten Geschmack, oder? Das
Speaker 1
kann gut sein, ja. Also man kann sagen, Ende des 17. Jahrhunderts sind Tomaten jetzt in der Küche Italiens angekommen, aber von der Tomatensauce für Pasta und der Pizza sind wir noch einige Zeit weg. Davon ist jetzt bei Latini noch überhaupt nichts zu lesen. Es geht jetzt eher in der nächsten Zeit um die Verfügbarkeit, also um die Haltbarmachung und das Erfinden von Rezepten. Und halt nicht mehr um die Frage, ob die Tomaten giftig sind oder nicht. Also diese Frage ist durch. Und vielleicht wird die Tomate am Kaiserlichen Hof in Wien sogar besungen in einem außergemütlichen Opernspektakel. Il Pomodoro ist eine Oper des Komponisten Antonio Cesti, die 1668 in Wien uraufgeführt worden ist. Und es war eine Festa Theatrale, eine Festoper. Und die hatten so einen offiziellen Anstrich. Also die hat man am Hof in Wien veranstaltet bei Geburtstagen oder bei Hochzeiten. Il Pomodoro wurde zum Geburtstag der Kaiserin Margarita Teresa von Spanien aufgeführt, im neu errichteten Hoftheater auf der Cortina. Aber es war nicht nur einfach eine Oper, es war eine Prunkoper. Es gilt als das größte Opernspektakel des 17. Jahrhunderts. Es beginnt schon mal bei der Länge. Die fünf Akte dauerten nämlich mehr als acht Stunden. Und vermutlich hat die Uraufführung zehn Stunden gedauert und wurde auf zwei Nachmittage aufgeteilt, damit die Leute nicht so
Speaker 2
lange sitzen müssen. Darf man auch nichts anderes vorhaben. Es
Speaker 1
gab 23 Bühnenbilder, zahlreiche Kostüme und es ist wahrscheinlich die längste und teuerste Oper, die jemals in Wien aufgeführt worden ist.
Speaker 1
es hätte jetzt zwar super gut gepasst, aber ich muss zugeben, die Oper hat nichts mit Tomaten zu tun, sondern mit dem Urteil des Paris. Eine Geschichte aus der griechischen Mythologie. Und da geht es wirklich um einen goldenen Apfel, Il Komodoro. Und das ist ein goldener Apfel, um den sich die Götter da streiten. Und darauf geht auch die Bezeichnung Zankapfel zurück. Aha. Das große mediale Werk über die Tomate erscheint dann erst 1978 in Form eines Films. Hast du eine Idee, welchen Film ich meinen könnte?
Speaker 2
Angriff der Killertomaten.
Speaker 1
Es ist natürlich die Angriff der Killertomaten. Und ich habe ernsthaft versucht, ihn mir anzuschauen in der Vorbereitung, weil ich ihn als Einleitung verwenden wollte, aber ich habe es nicht geschafft. Also war mir zu trashig und absurd. Aber du hast den Film sicher gesehen, oder? Bin mir nicht sicher. Es gibt auch noch Teil 2 und Teil 3 und es gibt auch noch eine Serie und so. Es gibt auch noch mehr. Vielleicht hast du was anderes aufgesehen.
Speaker 2
Ja, vielleicht habe ich auch nur drüber gelesen.
Speaker 1
Interessant fand ich, dass es in einer Szene da stürzt ein Hubschrauber ab. Und das war nicht geplant. Das war wirklich ein Unfall, den sie dann mitgefilmt haben. Und nachdem sich der Pilot aber unverletzt retten konnte, haben sie dann beschlossen, den Absturz mit einzubauen in den Film. Und der zerstörte Hubschrauber ist mit Abstand das teuerste am ganzen Film. Ja, das glaube
Speaker 2
ich. Jedenfalls,
Speaker 1
es gibt noch einen anderen Grund, warum sich die Tomate in Italien immer weiter verbreitet im 17. und 18. Jahrhundert. Vor allem im Süden, wo sie auch deutlich besser wächst als im Norden, weil die Tomate an sich ja viel Sonne braucht. Und das hat zu tun mit der Veränderung der Küche insgesamt. Also der Abschied, zumindest an den Fürstenhöfen, von der Gewürzküche. Also man kann sagen, der Aufstieg der Tomate beginnt mit dem Ende der Gewürzküche. Das zeigt sich übrigens auch schon beim Kochbuch von Latini. Der war nämlich eigentlich Koch am Hof in Neapel und er beschreibt in dem Kochbuch neben den Tomatengerichten eigentlich, was er für die Bankette so gekocht hat. Und da gibt es halt viel Zimt und Zucker und Nelken und Muskatnuss und allerhand exotische Gewürze und ja auch noch nicht die Trennung zwischen herzhaftem Hauptgericht und süßem Dessert. Und auf der anderen Seite beschreibt er aber gleichzeitig schon modernere Gerichte, abseits dieser klassischen höfischen Gewürzküche. Und da kommen eben dann diese Tomatengerichte mit ins Spiel.
Speaker 2
Interessanterweise
Speaker 1
ist aber so, dass die höfische Küche in Italien sich jetzt zwar abwendet von einer Gewürzküche, aber die orientiert sich jetzt in den nächsten Jahrhunderten bis zur Revolution von 1789 erstmal an der französischen Küche. Ein weiterer Schritt, der zur Verbreitung der Tomate geführt hat, ist die Möglichkeit der Haltbarmachung durch Reduzieren, also die Herstellung von Tomatenmark. Damit konnte man, auch wenn es nur kurze Erntezeiten gab, das ganze Jahr auf Tomaten zugreifen. Das wird dann auch als Konservanera bezeichnet. Also man hat wirklich die Tomaten einfach ausgelegt auf so einem Tisch und hat sie dann getrocknet und hat dann die Tomate eben so weit reduziert, bis man dann das Tomatenmark hatte.
Speaker 1
hat auch, glaube ich, jede Menge Fliegen immer angezogen und so, die dann immer verjagt werden mussten. Also die hygienischen Bedingungen der Tomatenmarke Herstellung im 19. Jahrhundert oder 18. und 19. Jahrhundert waren, glaube ich, nicht ideal. Aber es zeigt schon, Tomaten wurden wenig roh gegessen. Üblicherweise, so heiß, wurden sie zweimal gekocht. Einmal, um die Haut abzuziehen und ein zweites Mal um sie dann zu verarbeiten. Interessant ist auch der Weg der Tomate in die USA. Der führt nämlich zweimal über den Atlantik. Also erst nach Europa und dann wieder zurück. Also sie hätten ja im Grunde genommen auch den Weg aus Mexiko näher gehabt. Aber wir wissen zum Beispiel von Thomas Jefferson, dem dritten Präsidenten der USA, dass er Tomatensamen in die USA geschickt hat, nachdem er in Paris Tomaten gegessen hat und begeistert war vom Geschmack. Und der zweite Weg, wie die Tomaten in die USA kommen, ist dann aus den spanischen Kolonien, weil große Teile der heutigen USA, die waren unter spanischer Herrschaft und die haben eben die Tomaten aus den Kolonien und aus der Karibik importiert.
Speaker 1
wir haben ja schon öfter über die vielen nationalen Mythen geredet, die häufigen Ursprung haben im 19. Jahrhundert. Und es lässt sich auch aufs Essen beziehen. Und ich erinnere mich da vor allem an eine Folge, die du mal gemacht hast, nämlich Folge 181 von Gulasch, Pörkölz und Nationalgerichten.
Speaker 1
ist es so, dass ja kaum eine Küche so sehr mit Tomaten in Verbindung gebracht wird wie die italienische. Und wir haben aber jetzt auch schon gesehen, dass Italien auch eine besondere historische Beziehung zu Tomaten hat, weil dort eben die Tomate in Europa am meisten verwendet wurde und wird. Wir wissen inzwischen aber auch, dass Italien als Staat zwar 1861 entstanden ist, aber dass es bis nach 1945 gedauert hat, bis sich Italienisch als einheitliche Sprache etabliert hat. Dass Italien bis heute sehr stark geprägt ist durch recht unterschiedliche Regionen. Wenn wir daher von der italienischen Küche reden, dann kann das nur was sein, was sich erst recht spät so rausgebildet hat. Trotzdem können ja die einzelnen Gerichte eine lange Tradition haben. Und so ist es auch bei Pasta und Pizza. Also Pasta gibt es schon viel länger als die Kombination mit Tomatensauce und bei der Pizza ist es ebenfalls so. Also die Geschichte der Nudeln und der Pizza überlasse ich dir, Richard. Da kennst du dich deutlich besser aus. Wichtig ist nur, beides, sowohl Pasta als auch Pizza, gab es schon viel länger, als man es mit Tomatensoße kombiniert. Aber interessant im Zusammenhang mit den Tomaten ist, dass Pasta und Pizza in Neapel eigentlich Streetfood waren. Also es hat man unterwegs gegessen. Und die moderne Form der Pizza entstand dort so im 18. und 19. Jahrhundert. Wann die Tomatensoße mit draufkam, ist allerdings nicht überliefert. Entscheidend ist aber, dass es zusammenfällt mit den Auswanderungswellen in die USA. für einiges an Furore gesorgt hat, vor allem in Italien, und du kennst das vielleicht von Alberto Grandi, Mythos Nationalgericht. Ja. Die erfundenen Traditionen der italienischen Küche, warum Parmesan politisch ist. Und da schreibt er, die italienischen Immigranten schufen im Ausland, insbesondere in Nordamerika, einen Großteil der italienischen Küche, die später nach Italien rückimportiert wurde.
Speaker 2
Eben, das ist auch so das Absurde. Mir ist das auch eingefallen, als du gesagt hast, das ist ja quasi über zwei Wege in die USA. Und so ist es ja auch mit der Pizza. Also die bringen sie mit in die USA und dort entsteht eigentlich erst die Pizza, wie wir sie kennen, und die kommt dann zurück nach Italien und wird dort zum Nationalgericht.
Speaker 1
Genau. Und Grandi geht sogar so weit, und das hat dann viele gestört, die sich auf eine lange Tradition berufen haben, dass er schreibt, der Mythos der italienischen Küche ist in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden und damit vor rund 50 Jahren.
Speaker 2
Ja, nicht außergewöhnlich eigentlich. Und ist ja auch nichts dabei. Also außer für jene, die so viel Wert haben. Es
Speaker 1
ist deswegen nichts dabei, weil es einfach bei allen so ist, mehr oder weniger. Genau, und weil es auch trotzdem so sein kann, dass die einzelnen Gerichte eine lange Tradition haben. Also Pizza und Pasta haben ja eine lange Tradition, aber in der Form, wie wir sie heute jetzt konsumieren, als das italienische Gericht, das ist eben erst eine neuere Erfindung.
Speaker 2
glaube ich, bis in die 50er Jahre oder bis in die 60er kein Pizza gegessen. Ja, ja. Kein einziges Mal ein Pizza gegessen, weil das halt einfach was ist, was so im Süden war und dann hat es erst Zeit gebraucht, bis es dann von denen, die aus dem Süden emigrierten und dann wieder zurückkommen sind, in den Norden von Italien gebracht worden ist.
Speaker 1
Ganz genau, weil das meinte ich auch mit diesen regionalen Unterschieden. Der Süden und der Norden in Italien sind einfach bis heute auch sehr unterschiedlich. Und
Speaker 2
ist mit Süd und Nord dann auch ähnlich, wie was du gesagt hast, mit den Tomatensamen, anstatt dass sie von Mexiko in die USA zuerst umweg Europa und dann wieder zurück in die USA?
Speaker 1
Also Grandis Argument ist eben zu sagen, dass das, was heute so als gesund und als die mediterrane Ernährung gilt, für die allermeisten in Italien in der Vergangenheit überhaupt nicht verfügbar war, sondern eher Mangelernährung der Normalfall war. Also er schreibt dazu, wer im eigenen Land Pasta und Pizza zu essen bekam, hatte keinen Grund, nach Amerika zu gehen.
Speaker 1
die Gerichte wie Pizza mit Tomatensauce und Mozzarella oder Pasta mit Tomatensauce, die entstanden eben erst im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts und waren lange eben nicht, wie du es auch gerade beschrieben hast, nicht in ganz Italien üblich, sondern eben in wenigen Orten in Süditalien, allen voran Neapel. Und dort eben erstmal als Streetfood. Und als Beispiel für eine Erfindung von so einem Nationalgericht, nennt er übrigens auch das von mir sehr geschätzte Gericht Spaghetti Carbonara.
Speaker 2
Ja, das ist ja noch jünger. Weißt du, woher man es denkt, dass es kommt? Ich glaube, es ist Zweiter Weltkrieg und da ist irgendwie darum gegangen, dass sie nur Speck und Eier zur Verfügung gehabt haben, die amerikanischen Soldaten und gesagt haben, mach da was draus.
Speaker 1
Ja genau, also zu dem Urteil kommt der Grandi auch, dass er sagt, im Grunde genommen ist es ein typisch amerikanisches Frühstück, also Eier mit Speck und dann haben sie halt in Rom noch Nudeln dazugegeben, weil halt Nudeln verfügbar waren. Aber das ist quasi die amerikanischen Soldaten nach 1945 erfunden haben, die Spaghetti Carbonara. Und weißt du, was man als Getränk dazu bestellen muss? Passt ganz gut dazu, zu den amerikanischen Soldaten.
Speaker 2
Naja, da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder Cola oder ein Americano, einen verwässerten Espresso. Ja genau, ich dachte natürlich an Euna Coca-Cola.
Speaker 2
der Band Spliff aus den 80ern. Kennst du nicht den? Ich glaube nicht. Es kann sein, dass ich es einmal gehört habe, weil ich kann mich erinnern, irgendwann habe ich auch Cabernada erwähnt und irgendjemand gepostet und irgendjemand hat, glaube ich, diesen Song als Reaktion. Aber vorher war ich nicht irgendwie familiar with it. Verstehe. Immer
Speaker 1
wenn ich Cabernada höre, habe ich in meinem Hinterkopf una Coca-Cola. Und dass Pizza als alltägliches Essen bei uns verfügbar ist, das ist ja auch noch eine recht neue Entwicklung. Die erste Pizzeria in Deutschland hat 1952 eröffnet. 1952. Und in Wien, Richard, halte ich fest oder magst du raten?