
Das Recht auf Urlaub - Wie es zur bezahlten Freizeit kam
Radiowissen
Die Evolution des Urlaubsrechts und der Massentourismus
In diesem Kapitel wird die historische Entwicklung des Urlaubsrechts beleuchtet und wie sich der Zugang zu bezahltem Urlaub im Laufe der Zeit verbessert hat. Von den Anfängen des Urlaubs als Luxusgut bis hin zum heutigen Anspruch auf bis zu sechs Wochen bezahlten Urlaub wird die Bedeutung des Urlaubs für das Lebensstandards der Deutschen verdeutlicht.
Sommer ist Urlaubszeit. Aber das Recht auf bezahlte Freizeit zum Ausspannen und Erholen war besonders für Arbeiter und Arbeiterinnen lange die Ausnahme. Vorreiter waren Brauereimitarbeiter in Stuttgart, die sich 1903 einen der ersten Tarifverträge mit einem bezahlten Jahresurlaub erstritten - allerdings nur drei Tage.Autor: Georg Gruber (BR2025)
Credits
Autor/in dieser Folge: Georg Gruber
Regie: Irene Schuck, Christian Baumann, Marlen Reichert
Es sprachen: Berenike Beschle
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
- Prof. Hasso Spode, Historiker, langjähriger Leiter des „Historischen Archiv Tourismus“ an der TU Berlin
- Dr. Holger Starke, Historiker für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, im Vorstand der Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens (https://ggb-berlin.de/de)
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Ferien sind eine wunderbare Zeit, und das Bedürfnis danach ist nur menschlich. Dennoch ist die Idee, sich jedes Jahr einige Wochen Auszeit zu nehmen, ziemlich neu. Vor zweihundert Jahren war sie den Menschen so fremd wie der Gedanke, in einer großen Blechkiste um die Welt zu fliegen. (BR 2017)
Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
Alles Geschichte – Der History-Podcast
Literatur:
- Hasso Spode, Traum Zeit Reise, Eine Geschichte des Tourismus, BeBra-Verlag 2025
- Hasso Spode, Urlaub Macht Geschichte, Reisen und Tourismus in der DDR, BeBra-Verlag 2022 (Hasso Spode ist der Historiker, der sich am längsten und intensivsten mit der Geschichte des Urlaubs, des Tourismus und des Reisens beschäftigt hat. Er war viele Jahre Leiter des Historischen Archiv zum Tourismus an der TU Berlin)
- Rüdiger Hachtmann, Tourismus-Geschichte, Vandenhoeck & Ruprecht 2007, (Umfassende kompakte Einführung zum Thema Tourismus mit kurzem Abschnitt über den Aspekt des bezahlten Urlaubs)
- Jürgen Reulecke, Die Entstehung des Erholungsurlaubs für Arbeiter in Deutschland vor dem ersten Weltkrieg, in: Dieter Langewiesche und Klaus Schönhoven, Arbeiter in Deutschland, Studien zur Lebensweise der Arbeiterschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Schöningh-Verlag, 1981, S. 240-268 (Jürgen Reulecke hat sehr genau und detailreich die Geschichte des Urlaubs für Arbeiter bis zum Beginn des ersten Weltkrieges untersucht)
- Jürgen Reulecke, Vom blauen Montag zum Arbeiterurlaub, Vorgeschichte und Entstehung des Erholungsurlaubs für Arbeiter vor dem ersten Weltkrieg, in:
- Archiv für Sozialgeschichte 16 (1976).
- Jürgen Reulecke, Die Anfänge des Erholungsurlaubs für Arbeiter, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 31 (1980) S. 716-727
- Sina Fabian, Geschichte des Reisens, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 2024 (Eine kurze kompakte Einführung in die Geschichte des Reisens)
- Christine Keitz, Reisen als Leitbild. Die Entstehung des modernen Massentourismus in Deutschland, dtv 1997. (Lesenswerte Untersuchung über die Ursprünge des Massentourismus)
- Karl Ihmels, Das Recht auf Urlaub. Sozialgeschichte Rechtsdogmatik Gesetzgebung, Athenäum Verlag 1981, (Eine der wenigen Abhandlungen aus juristischer Perspektive über das Recht auf Urlaub, Promotionsarbeit)
- Michael Schneider, Streit um Arbeitszeit. Geschichte des Kampfes um Arbeitszeitverkürzung in Deutschland, Bund-Verlag 1984 (Übersicht zum Thema Arbeitszeitverkürzung, mit interessanten Dokumenten im Anhang)
- Thomas Hofmann, Das Recht der Brauereiarbeiter am Ende des 19. und 20. Jahrhunderts, dargestellt insbesondere am Beispiel der Kulmbacher Brauereien, Verlag Dr. Kovac 2001. (Dissertation über die rechtliche Lage der Brauereiarbeiter, interessant auch mit Bezug auf Bestimmungen zu bezahltem Urlaub)
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Sprecherin
Das muss man sich mal vorstellen: Da hat man zum Beispiel monatelang am Bau Zementsäcke geschleppt und Gräben ausgehoben oder in Häusern Rohre verlegt. Und dann geht man mit seinem Urlaubsantrag zum Chef und erfährt: Urlaub? Völlig unnötig. Man habe sich ja bei der Arbeit schon erholt, so von wegen frische Luft und Bewegung. Undenkbar? Nein. Gar nicht. Denn so ähnlich war das früher. Aber der Reihe nach. Urlaub - das war ursprünglich ein Gnadenakt, auf den man keinen Anspruch hatte. Nachzulesen zum Beispiel in einem Universallexikon aus dem Jahr 1747:
Zitator
„Urlaub, Orlaub oder Verlaub heißt überhaupt nichts anders als die Erlaubniß, Nachsicht oder Vergünstigung derer Obern, daß ihre Untergebenen etwas thun oder unterlassen mögen, welches diesen sonst nicht frey gestanden hätte.“
1. O-Ton Hasso Spode
Erlaubnis bedeutete, sich von dem Hof, also dem Königshof oder vielleicht auch der Truppe für ein paar Tage zu entfernen. Und das machte man nicht aus reinem Vergnügen, sondern hatte man Familienangelegenheiten oder Geschäfte zu erledigen, oder was weiß ich.
Sprecherin
Erklärt der Historiker Prof. Hasso Spode, langjähriger Leiter des „Historischen Archivs Tourismus“ an der TU Berlin
2. O-Ton Hasso Spode
Urlaub war Erlaubnis, sich irgendwo vom Hof zu entfernen. Aber bezahlt war da gar nichts.
Musik 2
"After the Circus" - Komponist: Pawel Mykietyn - Album: EO (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'45
Sprecherin
Der Radius der meisten Menschen war lange klein, oft nicht sehr viel weiter als bis zum nächsten Dorf oder zur nächsten Stadt. Weiter herum kamen Kaufleute und Hausierer sowie Handwerksburschen auf der Walz oder Pilger und Pilgerinnen. Zum Vergnügen zu verreisen oder zu Bildungszwecken ist bis ins 19. Jahrhundert ein Privileg des Adels und gehobener bürgerlicher Kreise. Die meisten anderen Menschen konnten sich das Reisen auch finanziell gar nicht leisten. Da sogar höhere Staatsbeamte keinen Urlaub erhielten, wurde es Mode, sich mit einem ärztlichen Attest eine Bäderreise genehmigen zu lassen in Kurorte mit heilenden Thermalquellen, wie Aachen, Wiesbaden oder Baden-Baden.
3. O-Ton Hasso Spode
Da hat dann irgendwann die Reichsregierung, ich glaube es war 1873 kurz nach der Gründung des Kaiserreichs gesagt: Okay, wir machen jetzt Urlaubsregelungen für Beamte reichsweit. Die gab es ab 1873. Und bis zum Ersten Weltkrieg, dann also bis 1914, hatten praktisch alle Beamte Urlaub, und zwar von zwei Wochen, vier Wochen, teilweise sechs Wochen in den höheren Chargen.
Sprecherin
Das Beispiel der Reichsbeamten machte Schule, auch Landes- und Gemeindebeamte erhielten bald bezahlten Urlaub, gestaffelt nach Dienstgrad und Lebensalter. Ebenso in Handel und Industrie setzte sich die Idee durch, leitende und mittlere Angestellte so enger an das Unternehmen zu binden - damals wurden sie auch „Privatbeamte“ genannt. Siemens beispielsweise gewährte seinen Angestellten bereits 1873 zwei Wochen Erholungsurlaub, worauf die Arbeiter dort noch 35 Jahre warten mussten. Eine Begründung lautete lange: Arbeiter und Arbeiterinnen brauchen keinen Urlaub.
Musik 3
"The Beginning" - Komponist: Pawel Mykietyn - Album: EO (Original Motion
Picture Soundtrack) - Länge: 0'43
Zitator
„Es geht viel zu weit, einen Erholungsurlaub für Leute einzuführen, die nur körperlich tätig sind und unter die Gesundheit nicht schädigenden Verhältnissen arbeiten.“
Sprecherin
Argumentierte etwa die Chemnitzer Handelskammer im Jahr 1906.
Zitator
„Für Beamte, die geistig tätig sind und häufig Überstunden arbeiten müssen, die auch keine körperliche Ausarbeitung bei ihrer Tätigkeit haben, erscheint die Erteilung von Erholungsurlaub gerechtfertigt. Für Arbeiter dagegen ist ein solcher Urlaub in der Regel nicht erforderlich. Die Beschäftigung dieser Personen ist eine gesunde. Eine geistige Anstrengung kommt nicht vor, auch von körperlicher Überarbeitung kann man nicht reden.“
4. O-Ton Hasso Spode
Sie müssen sich vorstellen, diese Klassengesellschaft im Kaiserreich: Es gab zehn Prozent der Bevölkerung, da hat man gesagt, die haben den weißen Kragen, das sind die, die in den Büros sitzen und dann an die 90 Prozent haben mit den Händen gearbeitet. Die hatten die blauen Kragen. Und diese Kragen-Linie, die zeigt sich wunderbar in der Urlaubsgewährung. Man hatte damals natürlich auch Ärzte, die das legitimiert hatten, dieses Privileg zu verreisen zu dürfen, die haben gesagt ja, dieses Arbeiten im Büro, das zerrüttet sozusagen die Nerven. Es gab dann eine Krankheit, die erfunden wurde, die hieß Neurasthenie. Die gibt es heute nicht mehr. Aber man könnte vielleicht dazu sagen Burn-out, so in der Art. Und das befällt nur diese armen Menschen, die im Büro sitzen und die anderen also, die mit den Händen arbeiten, die arbeiten ja super gesund. Die sind ja entweder an der frischen Luft auf dem Lande oder in schönen Fabriken können Sie sich den ganzen Tag ausarbeiten. Das war natürlich zynisch.
Sprecherin
In einigen kleineren Betrieben erhielten Arbeiter zwar schon ein paar Tage Urlaub, allerdings nur als Belohnung: für Fleiß, besondere Leistungen, Pünktlichkeit oder lange Betriebszugehörigkeit. Oft waren Firmenjubiläen, ein Geburtstag oder die öffentliche Ehrung des Inhabers der Anlass. Doch profitierten davon nur wenige: Schätzungen zufolge hatten im gesamten Deutschen Reich vor 1900 nur rund 10.000 Arbeiter irgendeine Form von Erholungsurlaub bekommen, also nicht einmal ein Prozent der gesamten Arbeiterschaft. Und meist nicht mehr als drei bis höchstens sechs Tage im Jahr. Vorreiter war das Buchdruckergewerbe. Aber: man war von der Gunst der Chefs abhängig, ein Rechtsanspruch bestand nicht.
Zu den ersten Branchen, in denen ein Tarifvertrag abgeschlossen wurde, der auch bezahlten Urlaub beinhaltete, gehörten die Bierbrauereien. Hier war der Arbeitsalltag besonders hart.
5. O-Ton Starke
Der Betrieb erfolgte im Prinzip rund um die Uhr, also es gab oft keine freien Sonntage. Urlaub auch nicht. Die Arbeitszeiten waren im Prinzip ungeregelt.
Sprecherin
Erklärt der Historiker für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Holger Starke. Er ist im Vorstand der Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens.
6. O-Ton Starke
Die Brauereiarbeiter wohnten in ihrer Mehrzahl innerhalb der Brauerei, wurden dort auch beköstigt. Und waren dann zu Stoßzeiten immer gehalten, den Betrieb aufrechtzuerhalten, beziehungsweise wenn es dort Unregelmäßigkeiten gab. Der Monatslohn inkludierte die ganzen Überstunden und Sonntagsarbeit und so weiter. Und die Arbeitszeit war weit weg von den Forderungen der Arbeitnehmerorganisationen, die ja damals schon acht Stunden forderten. Aber die waren üblicherweise 13 Stunden oder noch höher. Und das rund um die Uhr an sieben Tagen.
Musik 4
"Kite" - Komponist: Pawel Mykietyn - Album: EO (Original Motion
Picture Soundtrack) - Länge: 0'43
Sprecherin
1903 wurde in Stuttgart der erste Tarifvertrag mit bezahltem Urlaub abgeschlossen. Einer der Gründe war, so vermutet Holger Starke, ein großer Gewerkschaftskongress, der dort ein Jahr vorher stattgefunden hatte. Damals war innerhalb der Arbeiterbewegung umstritten, ob man überhaupt Tarifverträge mit Unternehmen abschließen sollte. Die Reformer in den Gewerkschaften sagten ja, um die Lebensumstände der Menschen zu verbessern. Die Vertreter einer revolutionären Richtung sagten nein, denn solche Verträge würden die Arbeiterbewegung in das kapitalistische System integrieren und den revolutionären Elan abschwächen.
7. O-Ton Starke
Die ersten Tarifverträge, die modernen Tarifverträge, die so um 1900 bis 1903 abgeschlossen wurden, die sind gewissermaßen genau in dieser Übergangszeit entstanden als die inneren Auseinandersetzungen in der Arbeiterbewegung noch nicht entschieden waren.
Sprecherin
Auch wenn der Stuttgarter Tarifvertrag nur drei Tage Jahresurlaub festschrieb, hatte er dennoch eine hohe Symbolfunktion: Er stärkte das Selbstbewusstsein der Brauereimitarbeiter und diente als Blaupause für weitere Verträge, etwa in Greiz in Thüringen oder in Sachsen, wo zeitgleich für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft wurde.
8. O-Ton Starke
Ende 1902 machte der Leipziger Brauereiverein schon einen Vorschlag an die Brauereiarbeiterschaft in Leipzig, einen Vertrag abzuschließen, der auch schon Urlaubsbestimmungen enthielt als Anspruch, den aber gerade die in Leipzig ja revolutionär gesinnte Sozialdemokratie vorerst noch ablehnte, das wurde dann 1903 im Sommer abgeschlossen, dieser Vertrag, also nach Stuttgart, nach Greiz.
Sprecherin
Und um diese Tarifabschlüsse durchzusetzen, wurde auch gestreikt. Und sogar zum Bierboykott aufgerufen: Wir trinken kein Bier mehr, wenn ihr nicht einlenkt!
In den Folgejahren wurden auch in vielen anderen Orten Brauerei-Tarifverträge mit bezahltem Urlaub abgeschlossen, meist abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit.
Musik 5
"Kite" - Komponist: Pawel Mykietyn - Album: EO (Original Motion
Picture Soundtrack) - Länge: 0'40
Zitator
Im Tarifvertrag für München und Umgebung von 1905 erhalten Brauer nach einem Jahr eine Woche Urlaub. Maschinisten, Heizer, Bierführer und Reservebierführer, also die Arbeiter, die für den Transport der Bierfässer zuständig sind, müssen dafür hingegen drei Jahre beim gleichen Betrieb sein. Erst beim nächsten Tarifabschluss vier Jahre später bekommen auch Hilfsarbeiter, Ochsenknechte, Stallwärter, Tagelöhner, Flaschenfüllereiarbeiter sowie die Arbeiterinnen bezahlten Urlaub. Die Dauer: allerdings nur vier Tage.
Sprecherin
Aber selbst diese rigiden Regelungen blieben vor dem Ersten Weltkrieg noch die Ausnahme. Die Gewerkschaften selbst standen bezahltem Urlaub lange skeptisch gegenüber, auch weil er als ein Instrument zur Ruhigstellung der Arbeiter angesehen wurde, ein Mittel um -
Zitator
„Arbeiter und Angestellte an den Betrieb zu fesseln, sie in Abhängigkeit und Anspruchslosigkeit zu erhalten und dem gewerkschaftlichen Gedanken zu entfremden.“
Sprecherin
Wie es in einem Artikel in der SPD nahen Zeitschrift „Die Neue Zeit“ von 1912 heißt. Wichtiger waren ihnen höhere Löhne, die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit und bessere Arbeitsbedingungen. Auch auf politischer Ebene gab es nur wenige, die sich für das Thema einsetzten. 1909 hielt der sozialdemokratische Abgeordnete Emanuel Wurm das einzige ausführliche Plädoyer für Arbeiterferien vor dem Ersten Weltkrieg im Reichstag. Er forderte:
Zitator (Emanuel Wurm, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, Bd. 271, S. 325 f.)
„Ruhepausen, die tagelang dauern, Ferien! Man darf heute das Wort aussprechen, das vor Jahrzehnten noch mit einem Hohngelächter aufgenommen worden ist. Wir verlangen, dass die Arbeiter Ferien bekommen, Urlaub mit voller Zahlung des Lohns.“
Sprecherin
Aber noch gab es für eine gesetzliche Regelung keine Mehrheiten im Parlament.
Zitator Emanuel Wurm
„Aber die Zeit wird um so eher kommen, je stärker wir werden, wo auch auf diesen Gebieten von Ihnen Zugeständnisse gemacht werden müssen.“
Sprecherin
Manchem Arbeiter war es schließlich auch nicht ganz geheuer, als er endlich Urlaub bekam. So wie jenem Vorarbeiter im AEG-Werk in Berlin, der 1916 nach zwanzigjähriger Betriebszugehörigkeit erstmals vier freie Tage erhielt und dennoch jeden Mittag vorbeikam, um nachzuschauen, ob nicht inzwischen jemand anderes an seinem Arbeitsplatz stand.
Erst nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Anzahl der Branchen, in denen Tarifverträge mit Urlaubsanspruch abgeschlossen werden konnten. Die gesellschaftliche Stimmung hatte sich verändert, erklärt der Historiker Hasso Spode:
9. O-Ton Hasso Spode
In der Tat haben dann die Gewerkschaften in den 20er-Jahren für fast alle tariflich Beschäftigten einen Urlaubsanspruch durchgesetzt. Der war allerdings relativ gering, der war geringer als für Angestellte und Beamte, der dauerte so drei bis sechs Tage Urlaub im Jahr. Und dazu muss man sagen, dass erstens über ein Drittel der Arbeiter nicht tarifvertraglich erfasst waren. Das heißt, sie haben überhaupt keinen Urlaub gekriegt. Dann Saisonarbeiter, also Bauarbeiter vor allem kriegten keinen Urlaub. Heimarbeiterinnen waren es ja meistens, die kriegten auch kein Urlaub, und das Geld war superknapp, das weiß jeder. Die Weimarer Republik taumelte von einer Wirtschaftskrise in die nächste. Und da gab es die Regelung, der Abgeltung, davon haben ganz viele Arbeiter Gebrauch gemacht. Das hieß, nehmen wir mal an, die hatten sechs Tage Urlaub im Jahr, dann sind sie die sechs Tage trotzdem arbeiten gegangen und haben das doppelte Geld bekommen, also hatten die faktisch auch keinen Urlaub. Und die Reiseintensität, also der Anteil der Menschen, die jedes Jahr verreist sind, hat sich in der Arbeiterschaft eigentlich nicht groß erhöht, in den 20er-Jahren.
Sprecherin
Trotzdem wurde bezahlter Urlaub als große Errungenschaft gefeiert.
Musik 6
"Kite" - Komponist: Pawel Mykietyn - Album: EO (Original Motion
Picture Soundtrack) - Länge: 0'25
Zitatorin
„Wenigstens einmal im Jahr eine oder mehrere Wochen ausspannen, der ohne Unterbrechung unerträglichen Arbeitsfron entfliehen und sich als freier Mensch fühlen zu dürfen, das ist ein Ereignis im Leben des Arbeitnehmers, das seine Freude am Leben hebt und ihm Kraft gibt, sein im übrigen ernstes und schweres Dasein zu ertragen.“
Sprecherin
Heißt es in einem Artikel aus der „Gewerkschaftlichen Frauenzeitung“ vom September 1925.
Zitatorin
„Eine tiefgehende Erbitterung würde alle um Lohn und Gehalt fronenden Menschen erfassen, wenn Ihnen der Urlaub, den sie sich so schwer erkämpft haben, genommen werden sollte, wie es die Absicht des Unternehmertums ist.“
Musik 7
"1l" - Album: Equilirium - Komponist: Peter Votava - Länge: 0'25
Sprecherin
Die Weimarer Republik endete mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Die Gewerkschaften wurden zerschlagen, SPD und KPD verboten, also die Parteien, mit denen die meisten Arbeiter sympathisiert hatten. Urlaub war hier für die Nationalsozialisten ein Weg, die Arbeiter an das neue Regime zu binden.
10. O-Ton Hasso Spode
Da hatte der Gründer der Kraft-durch-Freude Organisation beziehungsweise der Pseudogewerkschaft - die hieß Deutsche Arbeitsfront - Robert Ley hatte gesagt: Wir müssen das Herz der heimatlos gewordenen Arbeiter gewinnen. Das bringt es eigentlich genau auf den Punkt. Die sind heimatlos geworden. Man hat ihnen ihre ganzen Vereine zerschlagen, hat ihre Parteien und Gewerkschaft zerschlagen, und man musste ihnen was Positives bieten. Und da hat sich das Thema Urlaub und Urlaubsreisen angeboten. Und in diese Lücke ist das Regime reingestoßen mit sehr viel Erfolg zunächst. Also der Hauptgrund, weshalb sie das gemacht haben war die noch anfangs fragile Herrschaft zu stabilisieren und haben tatsächlich einiges auf die Beine gestellt in der Hinsicht.
Sprecherin
Die Kraft-durch Freude-Organisation KDF bot Reisen durch Sonderkonditionen für Bahnfahrten und große Gruppen so günstig an, dass sie auch für Arbeiter und Arbeiterinnen erschwinglich waren - zumindest die Tages- oder Wochenendausflüge. Bis Kriegsbeginn 1939 fanden über 40 Millionen solcher Fahrten statt, darunter etwa sieben Millionen längere Urlaubsreisen. Rund 700.000 Menschen nahmen sogar an einer der bergehrten Kreuzfahrten teil, etwa nach Norwegen, Madeira oder ins Mittelmeer. Ein Recht auf bezahlten Urlaub wurde von den Nationalsozialisten zwar nicht gesetzlich verankert, aber in zahlreiche Tarifordnungen aufgenommen.
11. O-Ton Spode
Also fast jeder Arbeiter hatte jetzt Anspruch auf ein bis zwei Wochen, also auch die Bauarbeiter, auch die Frauen und Heimarbeiterinnen, auch die Jung-Arbeiterinnen und Arbeiter, die ursprünglich auch kaum Urlaub bekommen hatten. Also man kann sagen, sie haben bis zum Kriegsbeginn das Recht auf Urlaub in Deutschland durchgesetzt.
Sprecherin
Seit 1948 ist das Recht auf bezahlten Urlaub sogar in der UN-Menschenrechtscharta verankert, im Artikel 24.