Sternengeschichten

Florian Freistetter
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Feb 9, 2024 • 12min

Sternengeschichten Folge 585: Das Sternbild Drache

Ein Monster voll mit Astronomie Sternengeschichten Folge 585: Das Sternbild Drache Es wird wieder mal Zeit, dass wir uns eines der Sternbilder ansehen. Und der Drache ist ein ganz besonderes Sternbild. Ok - jedes Sternbild ist besonders, denn wie ich ja schon oft erklärt habe, sind die modernen Sternbilder ja einfach nur abgegrenzte Bereiche am Himmel. 88 Stück davon gibt es und es gibt keine Stelle am Himmel, wo man nicht irgendwas besonders finden könnte. Aber der Drache ist nicht nur ein altes Sternbild mit jeder Menge spannender Mythologie sondern auch ein Sternbild, in dem man aus so gut wie jedem Bereich der Astronomie etwas findet. Aber fangen wir mal damit an, wo der Drache ist. Man findet ihn im Norden; er windet sich quasi um den kleinen Bären herum, zu dem ja auch Polaris gehört, der Polarstern, der den Himmelsnordpol markiert. In Mitteleuropa kann man den Drachen deswegen auch das ganze Jahr über in jeder Nacht sehen und weil er vergleichsweise viele helle Sterne enthält, ist er auch leicht zu erkennen. Sucht euch einfach den Polarstern und schaut nach einer langen Kette aus Sternen, die sich in seiner Nähe über den Himmel windet. Das ist der Drache und dieses Sternbild war schon in der Antike bekannt. Es war eines der 48 Sternbilder, die Ptolemäus vor knapp 2000 Jahren in seinen astronomischen Werken aufgelistet hat, aber die Menschen haben dort auch schon früher alle möglichen Monster gesehen. In der Schöpfungsgeschichte der Babylonier hat man sich dort oben Tiamat vorgestellt; die Göttin des Salzwassers die als eine Art Seeschlange mit Hörnern dargestellt wird. Sie kämpft gegen Marduk, die Hauptgottheit der Babylonier, der Tiamat besiegt, ihren Körper zerteilt und aus den beiden Hälften Himmel und Erde erschafft. In der griechischen Mythologie gibt es auch jede Menge drachenähnliche Monster, zum Beispiel Ladon, der gleich 100 Köpfe hat und die goldenen Äpfel der Hesperiden bewacht, die Untersterblichkeit verleihen. Hat er auch immer super geschafft, bis Herkules gekommen ist und ihn umgebracht hat. In den Mythen der arabischen Nomaden hat man hier allerdings ein Kamel gesehen, dass sein Junges beschützt, das gerade von zwei Hyaenen angegriffen wird. Aber schauen wir uns jetzt lieber an, was es im Drachen zu sehen gibt. Wenn wir das Anfang Oktober tun und wir eine gute, dunkle Nacht erwischen, werden wir vielleicht mit jeder Menge Draconiden belohnt. So nennt sich ein Meteorstrom, also ein "Sternschnuppenschauer", der jedes Jahr um den 9. Oktober herum sichtbar ist. Dann bewegt sich die Erde durch den Staub, den der Komet 21P/Giacobini-Zinner im All hinterlassen hat und wir können sehen, wie jede Menge Sternschnuppen über den Himmel sausen. Wenn wir Glück haben, jedenfalls. Üblicherweise sind die Draconiden eher schwach, mit höchstens einer Handvoll an Sternschnuppen pro Stunde. Aber alle paar Jahrzehnte kann es richtig viel werden, wenn nämlich der Komet gerade vorher vorbei gekommen ist und frischen Staub hinterlassen hat. Das war zum Beispiel 1985, 1998 und 2011 der Fall, da konnte man ein paar hundert Sternschnuppen pro Stunde sehen. Wegen der Richtung, in die sich die Erde Anfang Oktober bewegt, scheinen die Sternschnuppen alle aus Richtung des Sternbilds Drache zu kommen und daher haben sie auch ihren Namen. Der hellste Stern eines Sternbilds wird üblicherweise mit dem griechischen Buchstaben Alpha bezeichnet, gefolgt von der lateinischen Bezeichnung des Sternbilds. Alpha Draconis ist aber nur der achthellste Stern im Drachen - aber trotzdem einer der wichtigsten. Auf jeden Fall war er das für die Menschen die vor knapp 5000 Jahren gelebt haben. Da war Alpha Draconis nämlich der Polarstern. Oder besser gesagt: Der Polarstern war damals natürlich auch schon der Polarstern, aber er war nicht dort, wo sich der Himmelsnordpol befindet. Da befand sich zu der Zeit eben Alpha Draconis. Die Achse, um die die Erde sich dreht und die in Richtung Himmelsnordpol zeigt, beschreibt im Verlauf von gut 26.000 Jahren einen kleinen Kreis am Himmel. Heute zeigt sie ungefähr dorthin, wo sich Polaris befindet. Damals war sie aber auf Alpha Draconis ausgerichtet. Und um das Jahr 20.000 herum wird sie das wieder tun. Der tatsächlich hellste Stern im Drachen ist Gamma Draconis beziehungsweise "Etamin" wie er auch genannt wird. Das bedeutet "Schlange" und Etamin ist nicht nur hell, sondern hat in der Geschichte der Astronomie auch eine wichtige Rolle gespielt. Ich habe davon schon in Folge 83 erzählt: Mit dem 16. Jahrhundert setzte sich langsam die Idee durch, dass die Erde sich um die Sonne bewegt und nicht umgekehrt. Wenn das so ist, dann müsste sich aber auch die Position der Sterne scheinbar verändern, weil wir sie im Laufe eines Jahres von unterschiedlichen Positionen im Sonnensystem aus beobachten. Sie müssten sich in Bezug auf die noch weiter entfernt liegenden Sternen leicht verschieben. Diesen Effekt, die "Parallaxe" sollte man messen können und die Leute haben versucht, es zu messen. Einer der ersten war 1725 der britische Astronom James Bradley, und er hat sich Gamma Draconis ausgesucht - unter anderem deswegen, weil er jede Nacht am Himmel zu sehen und darum gut wiederholt zu beobachten war. Und Bradley hat tatsächlich eine scheinbare Veränderung der Position gemessen, aber nicht die, die zu erwarten war. Bradley hatte die Aberration entdeckt. Die funktioniert, kurz gesagt, so: Die Erde bewegt sich durchs All. Licht der Sterne bewegt sich zur Erde. Das Licht ist aber nicht unendlich schnell. Stellen wir uns vor, das Licht eines Sterns fällt exakt senkrecht in die obere Öffnung eines Teleskops. Es braucht dann zwar nicht lange, um das untere Ende zu erreichen, aber es ist nicht unendlich schnell. In der kurzen Zeit bis es unten angekommen ist, bewegt sich die Erde ein kleines Stückchen weiter und verschiebt dadurch auch das Teleskop ein kleines Stückchen. Wenn das Sternenlicht dann auf unser Auge trifft - oder ein Messgerät, je nachdem - sieht es so aus, als sei das Licht eben nicht senkrecht aufgetroffen, sondern ein winziges bisschen aus der Senkrechten abgelenkt. Wie stark diese scheinbare Positionsänderung ist, hängt davon ab, in welche Richtung sich die Erde gerade bewegt; auf den Stern zu, von ihm weg oder irgendwas dazwischen. Das ändert sich im Laufe eines Jahres und so beschreibt der Stern ebenfalls im Laufe eines Jahres einen scheinbaren Kreis am Himmel. Das war zwar nicht die Parallaxe, die Bradley messen wollte - aber seine Messungen der Aberration konnten erstmals zweifelsfrei nachweisen, dass die Erde sich tatsächlich bewegt und nicht still im Zentrum des Universums steht. Was gibt es noch im Drachen? Den Stern Arrakis, der eigentlich Al-Rakis heißt oder wissenschaftlich My Draconis. Und ich erwähne den Stern eigentlich nur deswegen, weil der Science-Fiction-Autor Frank Herbert diesen Namen für den Planeten ausgewählt hat, auf dem sein Buch "Dune - der Wüstenplanet" spielt. Obwohl Arrakis dort den Stern Alpha Carinae umkreist, aber wir wollen jetzt nicht in die Details von Dune eintauchen. Echte extrasolare Planeten hat der Drache natürlich auch. Zum Beispiel die beiden, die den Stern Kepler-10 umkreisen. Das ist ein sonnenähnlicher Stern in 600 Lichtjahren Entfernung mit mindestens zwei bekannten Planeten. Der eine ist eineinhalb mal so groß wie die Erde und der andere mehr als doppelt so groß. Beide haben aber sehr viel mehr Masse: Der eine die 3fache und der andere die 7fache Masse unseres Planeten. Es gibt noch 18 andere bekannte Sterne im Drachen, die Planeten haben - aber auch am anderen Ende der Größenskala ist dort einiges zu finden. 1786 hat der Astronom William Herschel dort den Katzenaugennebel entdeckt oder NGC 6543, wie er offiziell heißt. Es handelt sich um einen über 3000 Lichtjahre entfernten planetaren Nebel. Also das, was entsteht, wenn ein sehr großer und heißer Stern am Ende seines Lebens das Gas aus dem er besteht, Schicht für Schicht ins All hinaus bläst. Beim Katzenaugennebel hat das ein Stern, der ungefähr 10.000 mal heller und knapp 20 mal heißer als unsere Sonne ist, mit Sinn für Ästhetik getan. Der Katzenaugennebel ist einer der komplexesten Nebel die wir kennen und sieht, wenig überraschend, wie ein Katzenauge aus. Es geht aber auch noch größer und weiter weg. Schauen wir auf die Draco-Zwerggalaxie. Die ist, wenig überraschend, eine kleine Galaxie. Sie besteht aus circa drei Millionen Sterne - viel weniger als die gut 100 Milliarden in der Milchstraße. Aber die Draco-Zwerggalaxie ist eine unserer Nachbarn, sie ist Teil der Lokalen Gruppe, also der Gruppe an Galaxien, zu der auch die Milchstraße gehört. Sie ist nur 280.000 Lichtjahre entfernt und deswegen vergleichsweise gut zu untersuchen. Und die Daten zeigen unter anderem, dass sich die Sterne dort viel zu schnell bewegen. Eigentlich sollte sich die Galaxie schon längst aufgelöst haben; die Gravitationskraft der paar Millionen Sterne reicht nicht, um sie zusammenzuhalten. Es muss dort also dunkle Materie geben, die Gravitationskraft ausübt und die wir nicht sehen können. Und es muss dort überdurchschnittlich viel dunkle Materie geben, viel mehr als in den anderen Galaxien. Die Kaulquappen-Galaxie würde nicht in den Raum zwischen uns und der Draco-Zwerggalaxie passen. Muss sie aber auch nicht, sie ist gut 420 Millionen Lichtjahre entfernt, im Sternbild Drache natürlich und sieht aus wie eine normale Spiralgalaxie, wenn sie nicht einen Schweif aus Sternen hinter sich herziehen würde, der fast 300.000 Lichtjahre lang ist. In der Vergangenheit ist sie einer anderen Galaxien zu nahe gekommen und die zwischen ihnen wirkenden Gezeitenkräfte habe jede Menge Sterne aus ihnen herausgerissen, so dass diese seltsame Form entstanden ist. Und wenn wir noch weiter hinaus schauen, finden wir im Drachen auch noch Abell 2218. So heißt ein Galaxienhaufen, dessen Licht mehr als 2 Milliarden Jahre bis zu uns braucht. Dort befinden sich ungefähr 10.000 Galaxien und diese gewaltige Masse krümmt den Raum enorm und lenkt so das Licht der Galaxien ab, das aus noch weiterer Entfernung zu uns kommt. Oder anders gesagt: Abell 2218 wirkt wie eine Gravitationslinse, die das Licht von fernen Objekten quasi verstärken kann, so das es für uns sichtbar wird, obwohl wir es eigentlich gar nicht mehr sehen sollten. 2004 hat man durch die Gravitationslinsenwirkung von Abell 2218 zum Beispiel eine Galaxie identifizieren können, deren Licht fast 13 Milliarden Jahre bis zu uns unterwegs war. Das bedeutet: Wir sehen etwas, das existiert hat, als das Universum gerade mal 750 Millionen Jahre alt war! Es gäbe noch viel mehr über den Drachen zu erzählen. Von den interplanetaren Staubkörnern der Draconiden, über die Sterne in unserer Nähe und ihre Planeten, über nahe Galaxien und fernste Galaxienhaufen. Der Drache bietet alles, was man sich in der Astronomie wünschen kann.
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Feb 2, 2024 • 14min

Sternengeschichten Folge 584: B2FH und die Entstehung der Atome

Wo kommt das ganze Zeug her? Sternengeschichten Folge 584: B2FH und die Entstehung der Atome "Die Sterne, die Sterne bilden unsre Sinnesart" und "Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, Durch eigne Schuld". Mit diesen beiden Zitaten von William Shakespeare beginnt ein wissenschaftlicher Fachartikel, der im Oktober 1957 veröffentlicht worden ist. Er trägt den Titel "Synthesis of the Elements in Stars", also auf deutsch: "Entstehung der Elemente in Sternen" und wurde von Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge, William Fowler und Fred Hoyle verfasst. Aus den Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen setzt sich auch der Spitzname dieses Artikels zusammen: B2FH. Und die Tatsache, dass ein wissenschaftlicher Fachartikel einen Spitznamen bekommen hat zeigt schon, dass es sich um eine ganz besondere Arbeit handeln muss. Es geht um nichts weniger als den Ursprung der Atome, der damals 1957 endlich verstanden wurde. Wir müssen aber ein wenig früher beginnen. Vor 1957 und eigentlich noch viel, viel weiter in der Vergangenheit. Heute wissen wir, dass das Universum vor circa 13,8 Milliarden Jahren begonnen hat. Damals ist in einem sehr kurzen Zeitraum sehr viel Energie freigeworden und daraus haben sich die ersten Bausteine der Materie gebildet. Protonen, Neutronen und Elektronen, also die Teilchen, aus denen die Atome bestehen. Damals aber noch nicht bestanden haben, und das ist der Punkt. Wir sehen heute eine Welt, die voll mit unterschiedlichsten Atomen ist. Mit Wasserstoff und Helium, aus dem die Sterne bestehen. Aber auch mit Kohlenstoff, der die Grundlage für das Leben bildet oder mit Sauerstoff, den dieses Leben atmet, zumindest hier auf der Erde. Wir sehen Silizium, wir sehen Eisen, wir sehen Gold, und so weiter. All diese chemischen Elemente unterscheiden sich durch die Anzahl der Protonen und Neutronen in ihrem Atomkern und die der Elektronen in ihrer Atomhülle. Aber wie sind sie entstanden? Wie haben sich die ganzen Protonen, Neutronen und Elektronen zu den verschiedenen Elementen zusammengefunden? Und vor allem: Wann und wo haben sie das getan? Als man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angefangen hat, sich genau darüber Gedanken zu machen, wusste man noch nicht viel über die Entstehung und Entwicklung des Universums. Man hatte gerade erst entdeckt, dass das Universum expandiert, aber mehr Details kannte man nicht. Viele Menschen sind wegen dieser Expansion davon ausgegangen, dass das Universum einen Anfang gehabt haben muss. Wenn es in der Vergangenheit kleiner war als heute und noch weiter in der Vergangenheit noch kleiner: Dann muss es zwangsläufig irgendwann mal mehr oder weniger ein Punkt gewesen sein. Aber es gab keine wirklich guten Belege für diese Behauptung. Und durchaus auch Alternative, wie zum Beispiel das Steady-State-Universum, von dem ich in Folge 491 ausführlich erzählt habe. Diese Hypothese besagt, kurz zusammengefasst, dass das Universum zwar expandiert - diesen Beobachtungsbefund konnte man nicht ignoriere - aber trotzdem ändert sich nichts. Soll heißen: Die Galaxien streben auseinander, aber im Raum dazwischen entsteht ständig spontan neue Materie, aus der dann neue Galaxien entstehen, die wieder auseinander streben, und in den neuen Zwischenräumen entsteht wieder neue Materie, und so weiter: Am Ende kriegt man ein expandieres Universum, das zu jedem Zeitpunkt quasi gleich aussieht; unendlich groß und ohne Anfang und Ende. Wie gesagt: Damals war das plausibel beziehungsweise genau so viel oder wenig plausibel wie die konkurrierende Urknalltheorie. Was hat das aber jetzt alles mit den Elementen zu tun? Die Frage nach der Entstehung des Universums ist deswegen wichtig, weil sie Einfluss auf die Art und Weise hat, wie die Elemente entstehen können. Der Physiker George Gamow zum Beispiel hat maßgeblich dazu beigetragen, die Theorie eines Urknalls zu entwickeln. Und schon in den 1930er Jahren darüber nachgedacht, wie dabei die chemischen Elemente entstehen können. Wenn, so seine Idee, damals die Protonen, Neutronen und Elektronen entstanden sind und auch alles noch extrem heiß und extrem dicht beieinander war, dann können die Atomkernbausteine ja miteinander verschmelzen und die diversen Atome bilden. Um den Wasserstoff muss man sich sowieso keine Gedanken machen, der besteht ja sowieso nur aus einem Proton im Kern, der ist quasi schon von Anfang an fertig. Wenn zwei Protonen (und zwei Neutronen) miteinander fusionieren, dann kriegt man ein Helium-Atom; wenn die Helium-Atome fusionieren, dann kriegt man noch schwerere Elemente, und so weiter. Die extremen Bedingungen nach dem Urknall haben dafür gesorgt, dass die ganzen Atome durch Fusion entstanden sind. Klingt gut, ist aber problematisch. Vor allem, weil die Sache schwierig wird, wenn man bei Helium angelangt ist. Helium hat zwei Protonen im Atomkern und zwei Neutronen. Also insgesamt vier Kernbauteilchen, sogenannte Nukleonen. Wenn da jetzt noch ein Nukleon dazu kommt, dann gibts ein Problem. Es gibt keine stabilen Atomkerne mit fünf Nukleonen. So ein Ding zerfällt sofort wieder. Gut, könnte man sagen. Dann schmeißen wir einfach zwei Helium-Atome zusammen, dann haben wir ein Atom mit acht Nukleonen. Kann man machen, aber dann kriegt man wieder ein instabiles Atom. Wir müssen aber irgendwie zu Kohlenstoff kommen, ein Atom mit sechs Protonen und sechs Neutronen, also zwölf Nukleonen. Diese Lücke zu überspringen; das "Fünf-Nukleonental" zu überwinden und bei Kohlenstoff zu landen: Da hatte niemand so recht eine Idee, wie das gehen könnte. Beziehungsweise stimmt das nicht ganz: Man kann natürlich überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass zwei Helium-Atome fusionieren und dann ein Beryllium-8-Atom bilden. Das ist zwar das instabile Ding, das ich vorhin erwähnt habe, aber vielleicht knallt ja gerade in der extrem kurzen Zeit, in der es noch existiert, ein drittes Helium-Atom dazu und wir kriegen stabilen Kohlenstoff? Sowas nennt sich ein "Drei-Alpha-Prozess" und rein theoretisch kann es passieren. Rein praktisch braucht es dafür aber eine ausreichend große Menge an Helium-Atome und natürlich auch ausreichend hohe Temperaturen. Heiß genug war es nach dem Urknall, aber es wäre nicht genug Helium da gewesen. Und jetzt kommt Fred Hoyle. Das ist einer der vier, die den B2FH-Artikel geschrieben haben, um den es ja heute eigentlich gehen sollte. Und Hoyle war es auch, der in den 1940er Jahren mit zwei Kollegen die Theorie des Steady-State-Universums entwickelt hat und deswegen war er kein großer Fan des Urknalls. Hoyle fand die Sache so bescheuert, dass er in einer Radiosendung die Idee eines Universums mit einem Anfang mit dem Begriff "Big Bang" lächerlich machen wollte. Was nicht so ganz funktioniert hat, denn das wurde später zum offiziellen Begriff um diesen Urknall zu beschreiben. Aber weil Hoyle den Urknall abgelehnt hat, war er natürlich auch davon überzeugt, dass die chemischen Elemente NICHT zu Beginn des Universums entstanden sein konnten. Wie denn auch, wenn es seiner Meinung nach keinen Beginn gegeben hat. Es muss also anderswo passiert sein, und da kommen eigentlich nur die Sterne in Frage. In ihrem Inneren ist es auch sehr heiß, das Material dort ist auch sehr dicht und besteht auch vor allem aus Wasserstoff und Helium. Da können die Atome auch fusionieren und neue chemische Elemente produzieren. Aber können sie das wirklich? Um das zu berechnen, muss man den Wirkungsquerschnitt der Atome kennen; also - vereinfacht gesagt - wissen, wie leicht sie mit anderen Atomen verschmelzen. Solche Messungen waren damals noch vergleichsweise neu, aber bei einem Besuch in den USA fand Hoyle entsprechende Werte bei einem Kollegen und nutze sie, um eine erste Arbeit zu schreiben, die zeigen sollte, wie die Atome im Inneren von Sternen entstehen. Darin war aber noch sehr viel nicht erklärt, unter anderem die Sache mit der unüberwindbaren Lücke bei fünf Nukleonen. Zurück an seiner Heimatuni in Cambridge, in England, setzte Hoyle einen Doktoranden auf das Problem an, der aber die Uni verließ, bevor er damit fertig war. Ein paar Jahre später, 1952, war es dann der amerikanische Astrophysiker Edwin Salpeter, der zeigen konnte, dass der Drei-Alpha-Prozess im Inneren von bestimmten Sternen durchaus funktionieren kann. Aber auch diese Arbeit war in Details noch nicht ausgearbeitet und Hoyle dachte sich, dass er diese Sache jetzt endlich vernünftig zu Ende bringen sollte. Bei einem weitere Besuch in den USA, am Caltech in Kalifornien, überzeugte er den Kernphysiker William Fowler davon, in seinem Labor ein paar Messungen anzustellen. Ich lasse die Details jetzt aus, aber es ging um folgendes: Wenn ein Kohlenstoff-Atom einen ganz bestimmten angeregten Zustand haben kann, also eine ganz bestimmte Menge Energie aufnehmen kann, dann kann das mit dem Drei-Alpha-Prozess in Sternen doch noch vernünftig funktionieren. Hoyle überzeugte Fowler, nach diesem Zustand zu suchen und die Suche war erfolgreich. Jetzt war auch Fowler mit an Bord und wollte mit Hoyle gemeinsam den Rest der Atomentstehung klären. Er reiste nach Cambridge, um dort mit Hoyle zu arbeiten. Der hatte aber keine Zeit, weil er an der Uni so viele Vorlesungen halten musste. Zum Glück waren damals aber auch Margaret und Geoffrey Burbidge dort und mit denen machte sich Fowler an die Arbeit. Ein Jahr später trafen sich alle vier bei Fowler am Caltech und begannen, die Sache gemeinsam zu bearbeiten. Aber die Burbidges mussten wieder zurück und mussten sich vor allem neue Stellen suchen, weil ihr Vertrag in Cambridge auslief. Fowler wollte sie unbedingt dauerhaft ans Caltech holen. Er hatte Einfluss dort und wollte für Geoffrey, der Theoretiker war, eine Stelle in seinem Institut besorgen und für Margaret, die beobachtenden Astronomin war, eine Position an der nahen Mount Wilson Sternwarte. Der Direktor dort meinte aber, er könne leider keine Frau anstellen, weil es keine passenden Toiletten für sie geben würde. "Dann geh ich halt in die Büsche", soll Margaret darauf gesagt haben, aber Fowler hat eine bessere Idee gehabt. Er hat Margaret eine Stelle am Caltech besorgt und für Geoffrey eine am Mount Wilson. Da konnte er zwar als Theoretiker nichts anfangen, aber er brachte einfach jedesmal Margaret mit, die dort dann ihre Arbeit am Teleskop erledigte, während er in einem der Büros seine theoretische Arbeit gemacht hat. Ob irgendwer die Büsche benutzen musste, weiß man nicht… Auf jeden Fall waren jetzt Fowler und die Burbidges in Kalifornien und Hoyle immer wieder zu Besuch. Jetzt konnten sie ihre Arbeit weiter treiben und den später berühmten Artikel schreiben. Dafür nutzten sie ihre eigene Forschung und trugen alle möglichen andere Arbeiten anderer Leute organisiert zusammen. Am Ende hatten sie einen gut 100 Seiten langen Artikel, der genau erklärte, wo die ganzen Elemente herkommen. Leichtere Atome, wie Kohlenstoff oder Sauerstoff werden in den großen Sternen fusioniert; bei schwereren geht das nicht mehr, aber auch da machten die vier Vorschläge für entsprechende Prozesse. Zum Beispiel Supernova-Explosionen und so weiter; darüber habe ich ja schon in anderen Folgen der Sternengeschichten gesprochen. Im B2FH-Artikel war nicht jedes letzte Detail der Entstehung der Elemente geklärt, aber das erste Mal gab es einen plausiblen Überblick darüber, wo und wie die ganzen unterschiedlichen Atome entstanden sind. Belegt durch Beobachtungsdaten, unterstützt durch theoretische Berechnungen: Es war ein revolutionäres Stück Astronomie. Die Nukleare Astrophysik, also die Wissenschaft der kernphysikalischen Vorgänge bei astronomischen Phänomen, konnte sich dadurch als ernsthafte Disziplin etablieren und niemand zweifelte mehr daran, dass es die Sterne sind, in denen die chemischen Elemente produziert werden. Es war Arbeit, die eines Nobelpreises würdig war und der wurde 1983 auch verliehen. Allerdings, etwas überraschend und unverständlicherweise, nur an William Fowler. Warum Margaret und Geoffrey Burbidge ausgelassen wurden, weiß man nicht. Bei Fred Hoyle sagen die Gerüchte, dass er vom Nobelpreis-Kommittee ignoriert wurde, weil er neben seiner genialen Forschung auch so viel an unorthodoxen Theorien arbeitete (und das ist noch sehr freundlich ausgedrückt); er hielt auch dann noch an seinem Steady-State-Universum fest, als schon längst klar war, dass es den Beobachtungen widerspricht; er dachte, dass Krankheiten durch Bakterien aus dem Weltall verursacht werden, und so weiter. So oder so: Alle vier von B2FH hätten den Preis verdient und alle vier haben auch immer wieder gesagt, dass alle gleichermaßen dazu beigetragen haben. William Fowler starb 1995, Fred Hoyle im Jahr 2001, Geoffrey Burbidge im Jahr 2010 und Margaret Burbidge 2020, im Alter von 100 Jahren. Über all ihre Karrieren könnte man noch jede Menge Geschichten erzählen. Aber das mache ich dann in anderen Folgen der Sternengeschichten.
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Jan 26, 2024 • 11min

Sternengeschichten Folge 583: Begraben im Weltall

Ein Friedhof zwischen den Sternen? Sternengeschichten Folge 583: Begraben im Weltall Heute reden wir bei den Sternengeschichten über den Tod. Nicht über den Tod von Sternen, oder den Tod von Galaxien oder den Tod des Universums. Sondern tatsächlich über den Tod von uns Menschen. Das ist kein erfreuliches Thema, aber wir sind alle lebendig und wir müssen alle sterben. Daran lässt sich nichts ändern. Und wenn man gestorben ist, wird man normalerweise auf die eine oder andere Art bestattet. In Europa findet das ebenso normalerweise auf einem Friedhof statt. Aber es gibt auch die Möglichkeit, sich im Weltraum bestatten zu lassen und davon möchte ich heute erzählen. Für eine Weltraumbestattung muss man nicht im Weltraum sterben. Es sind ja leider schon Menschen im All verstorben. Zum Beispiel die Crew der Sojus 11, am 30. Juni 1971, achdem die Kapsel von der sowjetischen Raumstation Saljut 1 abgedockt hat, um zurück zur Erde zu fliegen. Dabei kam es aber zu einer ungeplanten Öffnung eines Ventils und die Luft entwich aus der Kapsel. Die drei Kosmonauten, Georgi Timofejewitsch Dobrowolski, Wiktor Iwanowitsch Pazajew und Wladislaw Nikolajewitsch Wolkow konnten nach der Landung nur noch tot geborgen werden. Auch die Besatzungen der Space Shuttles Challenger und Columbia starben 1986 beziehungsweise 2003, als die Raumschiffe nach dem Start beziehungsweise bei der Columbia beim Wiedereintritt explodierten. Man kann darüber diskutieren, ob diese Menschen tatsächlich IM All gestorben sind oder in der Atmosphäre der Erde. Direkt im All, also zum Beispiel auf der Internationalen Raumstation ist bis jetzt tatsächlich noch niemand zu Tode gekommen. So oder so sind all die tragischen Todesfälle so abgelaufen, dass die Körper der Verstorbenen oder zumindest Überreste davon auf der Erde geborgen und bestattet werden konnten. Bei der Weltraumbestattung geht es um etwas anderes. Es geht darum, dass die sterblichen Überreste von Verstorbenen von der Erde ins Weltall transportiert werden. Die Idee, so etwas zu tun, ist nicht neu, aber auch noch nicht so wahnsinnig alt. Einer der ersten, der sich darüber Gedanken gemacht hat, war vermutlich der amerikanische Science-Fiction-Autor Neil R.Jones. 1931 veröffentlichte er eine Kurzgeschichte mit dem Titel "The Jameson-Satellit" die auf deutsch auch unter dem Titel "Das Zeitmausoleum" erschienen ist. Es geht darin um einen Professor Jameson, der seinen Körper nach seinem Tod unbedingt auf ewig erhalten möchte. Mummifizierung wie bei den alten Ägyptern ist ihm zu wenig, deswegen hat er dafür gesorgt, dass sein Körper in einem Raumschiff in eine Umlaufbahn geschossen wird, um dort auf ewig die Erde umkreist. Oder zumindest so lange, wie die Erde existiert. Natürlich bleibt das nicht so, es ist ja eine Science-Fiction-Geschichte, und deswegen kommen nach 40 Millionen Jahren ein paar Aliens vorbei und erwecken Professor Jameson wieder zum Leben, was für ihn der Start für jede Menge Abenteuer im Weltall ist. Aber sieht man mal davon ab, dass auch ein Körper in einem Erdsatellit vermutlich keine 40 Millionen Jahre überstehen würde - immerhin sind Umlaufbahnen in der Nähe der Erde nicht beliebig lange stabil, um nur ein Problem zu nennen - sieht man davon ab, dann würde man bei einer echten Weltraumbestattung auch ganz anders vorgehen. Es ist teuer, etwas ins All zu bringen. Egal ob die Nutzlast aus wissenschaftlichen Instrumenten besteht oder aus Leichen: Jedes Kilogramm das man von der Erde ins All bringt, kostet viel Geld. Deswegen wird bei einer Weltraumbestattung auch nur die Asche einer verstorbenen Person transportiert und auch nur ein Teil davon. Eingeschlossen in einer kleinen Kapsel reist die Asche ins All und wird dann entweder dort ausgesetzt und bleibt dort, bis sie irgendwann in der Erdatmosphäre verglüht. Oder es handelt sich um einen Suborbitalflug, wo die Raketen quasi in einem hohen Bogen nur kurz die Grenze zum Weltraum überschreitet und dann wieder, mitsamt der Asche, auf der Erde landet. Sowas wird dann auch meistens als "Memorial flight" und nicht als "Bestattung" bezeichnet. So oder so: Das erste, was man vielleicht eine Weltraumbestattung nennen könnte, fand am 22. Oktober 1992 statt. Da hob das Space Shuttle Columbia im Rahmen der STS-52-Mission ab. Das eigentliche Ziel war es, den Satelliten LAGEOS-2 auszusetzen, der die Geologie der Erde erforschen sollte und materialwissenschaftliche Forschung an Bord des Shuttles durchzuführen. Mit an Bord des Shuttles war aber auch ein wenig der Asche des im Jahr zuvor verstorbenen Autors und Produzent Gene Roddenberry, der ja unter anderem die Fernsehserie "Star Trek" geschaffen hat. Diese Asche landete aber auch wieder mit dem Shuttle auf der Erde. Die erste echte Weltraumbestattung wurde am 21. April 1997 durchgeführt und zwar von der Firma "Celestis", die sich auf genau so etwas spezialisiert hat. Damals waren 24 winzige Urnen mit jeweils ein paar Gramm Asche an der oberen Stufe einer Pegasus-Rakete angebracht. Diese Raketen werden von einem Flugzeug in die obere Atmosphäre gebracht und von dort gestartet. Der Flug im April 1997 startete von den kanarischen Inseln und sollte den spanischen Satelliten Minisat 01 ins All bringen, was auch geklappt hat. Ebenso wie der Transport der Asche der 24 verstorbenen Menschen ins All. Sie blieben, mit der Oberstufe der Rakete, dort auf einer Umlaufbahn, bis sie im Jahr 2002 beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglüht sind. Eine der Kapseln enthielt die Asche von Gene Roddenberry, der so noch zu einer echten Weltraumbestattung gekommen ist. Ebenfalls an Bord des ersten Begräbnisfluges war unter anderem die Asche von Gerard K. O'Neill, ein amerikanischer Raumfahrtpionier, der unter anderem viel am Bau von Raumstationen geforscht hat, die Asche des Raketentechnikers Krafft Ehricke und die Asche von Timothy Leary, dem Psycholgen, der unter anderem deswegen bekannt wurde, weil er sich für den medizinischen Einsatz von Drogen wie LSD ausgesprochen hat. Seit damals gab es jede Menge solcher Begräbnisflüge, bei denen hunderte Mini-Urnen ins All gebracht worden sind. Unter anderem war da auch die Asche des Schauspielers James Doohan dabei, der als "Scotty" in der Serie Star Trek bekannt wurde und 2007 von der Firma Celestis nach oben gebeamt wurde, wenn man so will. Einen ganz besonderen Begräbnisflug unternahm die Asche von Eugene Shoemaker. Der Geologe und Astronom war maßgeblich daran beteiligt, dass wir in der Mitte des letzten Jahrhunderts herausgefunden haben, das Asteroiden auch heute noch auf der Erde einschlagen; hat die Geologie des Monds erforscht und die Astronauten der Apollo-Missionen auf ihre Arbeit dort vorbereitet und wäre eigentlich auch selbst ein heißer Kandidat für einen Mondflug gewesen, wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht aus der Ausbildung ausscheiden hätte müssen. Nach seinem Tod im Jahr 1997 wurde ein Teil seiner Asche an Bord der NASA-Sonde Lunar Prospector zuerst in eine Mondumlaufbahn gebracht. Nachdem die Sonde dort ihre Arbeit bei der Vermessung des Mondes und des Nachweises von Wasser im Mondgestein erledigt hatte, hat man die Mission am 31. Juli 1999 mit einem gezielten Einschlag von Lunar Prospector in der Nähe des Südpols des Mondes beendet. Eugene Shoemaker war damit also der erste, der tatsächlich - zumindest zum Teil - auf einem anderen Himmelskörper bestattet wurde. Ein weiterer besonderer Fall ist Clyde Tombaugh. Der amerikanische Astronom, der 1930 den Pluto entdeckt hatte, starb 1997. Neun Jahre später, im Januar 2006 machte sich die Raumsonde New Horizons auf den Weg, um den Zwergplaneten das erste Mal aus der Nähe zu untersuchen. Mit an Bord war ein kleines bisschen der Asche von Tombaugh. Der Vorbeiflug an Pluto fand 2015 statt, im Jahr 2019 flog die Sonde am Asteroiden Arrokoth vorbei und sie ist immer noch unterwegs. Ob sie im fernen äußeren Sonnensystem noch Studienobjekte finden wird, wird sich zeigen, ebenso, wie lange der Kontakt mit ihr noch aufrecht erhalten werden kann. Auf jeden Fall ist New Horizons schnell genug, um der Anziehungskraft der Sonne zu entkommen. Sie wird das Sonnensystem verlassen und durch den interstellaren Raum fliegen - mitsamt der Asche von Clyde Tombaugh. Das klingt alles ein klein wenig romantisch, sofern man so etwas romantisch finden kann. Aber natürlich ist diese Art der Bestattung auch nicht ohne Kritik. Es ist, wie gesagt, teuer, wenn man Raketen ins All schicken will. Raumfahrt ist auch nicht sonderlich umwelt- oder klimafreundlich. Noch gibt es keine speziell für Begräbnisse gestartete Raketen, aber die Firma Elysium hat beispielsweise schon ein paar Begräbnisatelliten ins All geschickt. Angesichts des ganzen Weltraummülls der da schon rumfliegt, ist das vielleicht keine so gute Idee. Aus religiösen oder ethischen Gründen konnte man sich fragen, ob man die Asche eines verstorbenen Menschen einfach so aufteilen kann oder soll; einen Teil davon auf der Erde lassen und den Rest ins All schießen. Und dann gibt es ja auch Kulturen, wie zum Beispiel manche der amerikanischen Ureinwohner, für die der Mond selbst heilig ist. Und ungefragt den heiligen Ort anderer Menschen als Friedhof zu benutzen, ist auch nichts, was man ohne Not tun sollte. Noch ist das Thema der Weltraumbestattung eines, das kaum weitreichende Konsequenzen hat. Aber wenn wir in einer fernen Zukunft irgendwann auch einmal tatsächlich im All leben, dann werden wir uns darüber ernsthaft Gedanken machen müssen. Denn das Sterben gehört zum Leben eben einfach dazu.
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Jan 19, 2024 • 13min

Sternengeschichten Folge 582: Der kalte Fleck im Universum

Kosmische Frostbeule Sternengeschichten Folge 582: Der kalte Fleck im Universum In dieser Folge wird es kalt! Es geht um den kalten Fleck im Universum. Oder besser gesagt: Einen ganz besonderen kalten Fleck im Universum. Sieht man mal von solchen Ausnahmen wie Sternen oder Planeten ab, ist das Universum eigentlich überall enorm kalt. Aber es gibt einen Fleck, der kälter ist, als er sein sollte und den schauen wir uns heute ein wenig genauer an. Bis wir aber so weit sind, ihn uns genauer ansehen zu können, müssen wir aber ein wenig Kosmologie hinter uns bringen. Wir müssen tatsächlich fast beim Urknall beginnen, uns mit dunkler Materie und dunkler Energie beschäftigen und sowohl den kleinsten als auch den größten Strukturen im Universum. Also fangen wir besser gleich damit an. Der kalte Fleck befindet sich im Sternbild Eridanus. Von Europa aus ist das nicht zu sehen; da muss man schon bis nach Nordafrika oder den nahen Osten reisen oder noch weiter nach Süden. Aber das spielt auch keine Rolle, denn vom kalten Fleck ist mit freiem Auge sowieso nichts zu sehen. Auch nicht mit einem Teleskop, zumindest nicht mit einem normalen Teleskop. Man braucht ein Weltraumteleskop und ein sehr spezielles noch dazu. Der kalte Fleck zeigt sich nur den in den Bildern, die wir von der kosmischen Hintergrundstrahlung gemacht haben. Die war das Thema in Folge 316, deswegen fasse ich das nur kurz zusammen. Im frühen Universum - und wir werden uns dieses frühe Universum später noch genauer ansehen, war alles noch sehr heiß und sehr dicht aneinander gedrängt. Es war so heiß, dass es noch keine Materie im heutigen Sinn gab, es gab nicht einmal fertige Atome. Es gab nur Atomkerne und freie Elektronen, die normalerweise die Hülle von Atomen bilden. Damals aber noch nicht bilden konnten, weil es so heiß war. Alles hat sich dadurch so schnell bewegt, dass die Elektronen sich nicht an die Atomkerne binden konnten. Und weil das Universum so voll mit freien Elektronen war, konnte sich auch das Licht nicht ungehindert ausbreiten. Es ist von den Elektronen abgelenkt worden, hin und her gesaust und kam nicht vorwärts. Der junge Kosmos war also eine undurchsichtige Suppe aus Materie und Energie. Erst circa 380.000 Jahre nach dem Urknall war alles so weit abgekühlt, dass die Elektronen sich an die Atome binden konnten. Jetzt war der Weg frei für das Licht. Die Lichtteilchen sind von allen Orten des Universums in alle Richtungen davon gesaust. Gleichzeitig hat das Universum sich aber natürlich weiter ausgedehnt. Das erste Licht ist aber zum Teil immer noch unterwegs. Die Lichtteilchen, die damals dort waren, wo wir heute sind, sind natürlich schon längst weg. Aber dafür kommt Licht von anderen Orten des Universums zu uns. Weil dieses Licht eben damals überall war, kommt es auch heute noch aus jeder Richtung am Himmel auf die Erde. Was nicht heißt, dass die Erde ein besonderer Ort ist; würden wir irgendwo anders im Universum sein, wäre es genau so. Fassen wir mal kurz zusammen: 380.000 Jahre nach dem Urknall hat sich das Universum so weit abgekühlt, dass das Licht sich darin ausbreiten konnte. Ein Teil dieses ersten Lichts ist immer noch unterwegs und bildet deswegen eine "Hintergrundstrahlung", die von jedem Punkt des Himmels aus in Richtung Erde strahlt. In der Zeit seit damals hat sich das Universum aber auch ausgedehnt und dabei hat dieses Licht immer mehr Energie verloren. Damals war es kurzwellig, heiß, hell und voller Energie. Heute ist die Hintergrundstrahlung kalt geworden, ihre Temperatur liegt bei circa 2,7 Kelvin; also bei -270 Grad Celsius. Das entspricht Strahlung im Mikrowellenbereich und man braucht ein entsprechendes Teleskop, dass so etwas messen kann. Erstmal nachgewiesen hat man die kosmische Hintergrundstrahlung in den 1960er Jahren, damals noch mit Radioteleskopen von der Erde aus. Für unsere Geschichte ist aber ein anderer Aspekt sehr wichtig: Die Hintergrundstrahlung muss zwar überall gleich sein, aber nicht ganz gleich. Es muss winzige Variationen geben. Das im Detail zu erklären, würde eine Folge benötigen, die circa 10 mal so lang ist, aber ich probiere, es kurz zu halten. Unser Universum ist voller Strukturen. Es gibt Gegenden, die sind voller Galaxien. Und Gegenden, die komplett leer sind. Auf ganz großen Skalen betrachtet, sieht es zwar mehr oder weniger überall gleich aus. Aber die Materie ist eben nicht komplett gleichmäßig verteilt. Das muss einen Grund haben, den wir gehen eigentlich davon aus, dass die Materie nach dem Urknall tatsächlich gleichmäßig verteilt war. Es gab keine Ecke des Kosmos, wo der Urknall einen großen Haufen Zeug hin entstehen hat lassen und eine andere, die er übersehen hat. So ist das nicht gelaufen. Wie es gelaufen ist, stellen wir uns circa so vor: Das gerade entstandene Universum war voller Energie, die dafür gesorgt hat, dass der Raum sich ausdehnt, und zwar absurd schnell. Das ist die Phase der kosmischen Inflation, über die ich in Folge 573 schon gesprochen habe. Nach dieser Phase, in der sich das Universum in unvorstellbar kurzer Zeit unvorstellbar weit ausgedehnt hat, hat die Inflation geendet und dabei ist die Energie, die die Inflation angetrieben hat, in Materie umgewandelt worden. Wir haben jetzt also ein Universum, immer noch winzig, aber unvorstellbar und vor allem komplett gleichmäßig dicht gefüllt mit heißer Materie. Wie gesagt, das war eine sehr, sehr vereinfachte Version der Geschichte. Und wenn das schon alles wäre, dann müsste das Universum heute ganz anders aussehen. Wenn die Materie komplett gleichmäßig verteilt gewesen wäre, dann würde es keinen Grund geben, warum sich daran etwas ändern sollte. Die Gravitationskraft wäre an jedem Punkt des Universums genau gleich stark. Weil überall gleich viel Materie ist, würde jeder Punkt des Universums genau so viel Gravitationskraft ausüben wie jeder andere Punkt. Es gäbe ein Gleichgewicht und nichts ändert sich. Das Universum würde expandieren und abkühlen, aber es gäbe keinen Grund, warum die Materie sich zusammenballen und so etwas wie Sterne oder Galaxien bilden sollte. Die haben sich aber gebildet. Und das liegt an der Quantenmechanik. Der Prozess, bei dem das Universum sich durch die Inflation ausgedehnt hat und bei dem die Materie entstanden ist, ist ein quantenmechanischer Prozess und - wieder ohne in die Details zu gehen - bei der Quantenmechanik gibt es immer winzige Flukuationen. Diese mikroskopischen Quantenvariationen sind durch die Inflation dann quasi aufgeblasen worden und die Materie im jungen Universum war eben nicht exakt gleich verteilt. Es gab Bereiche mit mehr und Bereiche mit weniger Materie; der Unterschied war gerade groß genug, dass die Strukturen entstehen konnten, die wir heute sehen. Wenn die Materie damals aber nicht komplett gleich verteilt war, dann muss auch die Temperatur der Hintergrundstrahlung leicht unterschiedlich sein. Das liegt an etwas, das man den Sachs-Wolfe-Effekt nennt, und den müssen wir uns jetzt auch noch anschauen. Nach der Quantenmechanik kriegen wir es jetzt mit der Relativitätstheorie zu tun. Wieder in der extremen Kurzversion: Wir wissen, dass Masse den Raum krümmt und das hat Einfluss auf Licht, dass sich durch den gekrümmten Raum bewegt. Es gibt eine gravitative Rotverschiebung: Vereinfacht gesagt: Licht, dass sich durch einen stark gekrümmten Raum bewegen muss, verliert dabei ein wenig Energie und erscheint röter. Und weil das erste Licht, weil die kosmische Hintergrundstrahlung sich eben durch die nicht ganz gleichmäßig verteilte Materie bewegen musste, hat es dabei auch mal mehr und mal weniger Energie durch die gravitative Rotverschiebung verloren und damit auch eine leicht unterschiedliche Temperatur. Die Unterschiede sind winzig, es geht hier um Variationen von 1/30.000 Grad. Aber sie müssen da sein und wir haben sie gemessen. Das erste Mal 1992 mit dem COBE-Satelliten und dann immer genauer mit den Weltraumteleskopen WMAP und Planck. Wir wissen - wieder aus diversen quantenmechanischen Gründen - dass die Variationen der Temperatur in der kosmischen Hintergrundstrahlung nicht beliebig ausfallen können. Sie müssen bestimmten mathematischen und statistischen Mustern folgen und nach allem was wir bis jetzt gemessen haben, tun sie das auch. Nur in einer Region des Himmels, im Sternbild Eridanus, da ist das nicht der Fall. Genau das ist der Kalte Fleck, der 2004 in den Daten des WMAP-Satelliten entdeckt und später durch die Beobachtungen des Planck-Weltraumteleskops bestätigt worden ist. Die Hintergrundstrahlung die aus dieser Richtung kommt, ist kälter als sie sein sollte und sie ist es auf eine Art, die nicht zu den quantenmechanischen Fluktuationen passt, die man erwarten würde. Seit damals hat man durch mehr oder weniger spektakuläre Erklärungen probiert, die Existenz des kalten Flecks zu erklären. Zu den spektakulären Erklärungen gehört die Hypothese, dass der kalte Fleck quasi der Abdruck eines anderen Universums ist, das mit unserem verbunden war, bevor die beiden durch die rapide Expansion bei der kosmischen Inflation getrennt worden sind. Etwas weniger spektakulär, aber deutlich realistischer ist eine andere Erklärung. Dafür müssen wir nochmal zurück zum Sachs-Wolfe-Effekt. Wir düfen ja nie vergessen, dass das Universum sich ausdehnt. Stellen wir uns ein Lichtteilchen der Hintergrundstrahlung vor, dass sich durch das Universum bewegt. Was passiert, wenn es sich durch eine Gegend bewegt, in der besonders viel Materie ist. Oder besonders wenig. Besonders viel Materie findet man in den Galaxienhaufen, beziehungsweise den Superhaufen, den Strukturen, die aus Galaxienhaufen bestehen. Das Gegenteil davon sind die Voids, also die gigantischen Leerräume, die zwischen den Superhaufen liegen. Wenn sich unser Photon jetzt also in so einen Galaxienhaufen hineinbewegt, dann gewinnt es zuerst Energie. Und wenn es sich wieder rausbewegt, dann verliert es Energie - genau das habe ich vorhin erklärt, als ich den Sachs-Wolfe-Effekt erklärt habe. Aber so ein Galaxienhaufen ist groß! Selbst Licht braucht lange, um diese Region zu durchqueren. In dieser Zeit hat sich das Universum weiter ausgedehnt und auch der Galaxienhaufen ist durch die Expansion des Kosmos ein bisschen weniger dicht geworden. Oder anders gesagt: Als das Lichtteilchen in den Haufen hineingeflogen ist, war der Raum noch stärker gekrümmt als später, als es wieder rausgeflogen ist. Das Lichtteilchen hat also beim Rausfliegen weniger Energie verloren als es beim Reinfliegen gewonnen hat. Das nennt sich "integrierter Sachs-Wolfe-Effekt" und der ganze Prozess verläuft umgekehrt, wenn das Lichtteilchen aus einer normalen Region des Universums in eine Void hinein und wieder hinausfliegt. Dann kriegt es beim Rausfliegen weniger Energie zurück als es vorher verloren hat. Es ist also kälter geworden, als es sein sollte und genau das ist vermutlich die Ursache für den kalten Fleck. Irgendwo in der Richtung, in der der kalte Fleck am Himmel zu sehen ist, muss eine enorm große Void sein, also ein enorm großer Bereich des Universums, in dem sich so gut wie nichts befindet. Wir kennen jede Menge solcher Voids im Universum, aber die, die für den kalten Fleck verantwortlich sein könnte, haben wir erst 2015 gefunden. Sie trägt, ebenfalls nach dem Sternbild, den Namen "Eridanus Supervoid". Sie ist wirklich super; irgendwas zwischen einer halben Milliarde und einer Milliarde Lichtjahre groß! Das ist wirklich viel nichts; das Licht das diese Void durchquert hat, braucht dann auch noch gut 2 Milliarden Jahre, bis es bei uns angekommen ist. Und auch wenn es nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist, sieht doch alles danach aus, als sei dieses große Nichts im fernen Universum der Grund dafür, dass am Himmel ein zu kalter Fleck zu sehen ist.
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Jan 16, 2024 • 2min

Sternengeschichten Live ZUSATZTERMIN am 29.03.2024

Kommt zur zweiten Premiere der Live-Show! Hallo liebe Hörerinnen und Hörer der Sternengeschichten! Ich habe mich ja erst vor ein paar Wochen, im Dezember außertourlich an euch gewendet. Und mache das jetzt schon wieder. Keine Sorge, das wird jetzt nicht dauernd passieren, aber es gibt wieder ein paar aktuelle Sachen die ich euch sagen möchte und ich möchte die regulären Folgen der Sternengeschichten dafür nicht nutzen; da sollen wirklich nur die Sternengeschichten drin zu hören sein. Also! Im Dezember habe ich ja angekündigt, dass es in diesem Jahr die Premiere der Sternengeschichten als Live-Show auf der Bühne geben wird. Am 28. März 2024 in der Schwarzkaue Herten. Ich freu mich schon sehr darauf und ihr offensichtlich auch. Denn die Show war nach kurzer Zeit komplett ausverkauft. Deswegen hab ich mir gedacht, ich hänge noch einen Termin an! Und darum gibt es nun einen Tag später, am 29. März 2024 einen Zusatztermin. Wieder in der Schwarzkaue und dafür gibt es noch Karten. Wir werden einfach ein zweites Mal Premiere feiern! Warum auch nicht, ich freu mich wirklich schon sehr darauf und ein Tag zum Feiern ist viel zu wenig! Ich hoffe, wir sehen uns in Herten. Den Link zum Ticketkauf findet ihr unter schwarzkaue.de bzw. direkt in den Shownotes zu dieser kurzen Folge. Und es könnte auch sein, dass noch ein paar Karten für die Live Show zur Folge 100 von "Das Universum" zu kriegen sind. Da werde ich mit meiner Kollegin Ruth auf der Bühne stehen und die 100. Folge unseres Podcasts "Das Universum" feiern. Das wird auch sehr cool! So oder so: Bis bald in Herten. Und wenn alles gut läuft, gibt es die Sternengeschichten irgendwann vielleicht auch an anderen Orten zu sehen. Tickets Zusatztermin Sternengeschichten: https://schwarzkaue-herten.de/veranstaltung/sternengeschichten-die-live-premiere-in-unserem-spiralarm-der-milchstrasse-2/ Tickets "Das Universum": https://schwarzkaue-herten.de/veranstaltung/das-universum-wird-100-jubilaeums-gala-2
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Jan 12, 2024 • 9min

Sternengeschichten Folge 581: Nicole-Reine Lepaute und der Halleysche Komet

Die einzige Frau, die Ahnung hat Sternengeschichten Folge 581: Nicole-Reine Lepaute und der Halleysche Komet Nicole-Reine Lepaute war die "einzige Frau in Frankreich, die ein wirkliches Verständnis für die Astronomie hat". Das schrieb der französische Astronom Jérôme Lalande im Jahr 1803 und Lalande war nicht einfach irgendwer. Er war einer der bedeutendsten Astronomen des 18. Jahrhunderts und sein Name ist einer der 72, die auf dem Eiffelturm angebracht sind, um die Personen wegen ihrer wissenschaftlichen und technischen Leistungen zu ehren. Die heutige Folge soll aber von Nicole-Reine Lepaute handeln und nicht von Jérôme Lalande - obwohl man die Geschichte der einen nicht ohne die des anderen erzählen kann. Lepaute wurde am 5. Januar 1723 in Paris geboren, als Nicole-Reine Étable de la Brièr. Ihr Vater war Kammerdiener von Louise Élisabeth d’Orléans, einer Angehörigen des französischen Königshauses. Schon als Kind war klar, dass Nicole-Reine sehr intelligent war; sie las alle Bücher, die ihr unter die Finger kamen und schon als Kind war sie sehr an der Astronomie interessiert. Mit Mitte 20 heiratete sie Jean André Lepaute, der damals der königliche Uhrmacher war. Das war damals ein Beruf, für den man nicht nur handwerkliche sondern auch wissenschaftliche und mathematische Fähigkeiten brauchte und das Ehepaar Lepaute widmete sich dieser Aufgabe gemeinschaftlich. Nicole-Reine konstruierte gemeinsam mit Jean André auch eine spezielle astronomische Uhr, die 1753 bei der französischen Akademie der Wissenschaften präsentiert wurde. Dort wurde sie von Jérôme Lalande inspiziert, der damals schon ein bekannter Astronom war. Lalande war 1752 Direktor der Berliner Sternwarte geworden und 1753 Mitglied in der französischen Akademie der Wissenschaft. Sein Kontakt mit Nicole-Reine Lepaute war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit. Eines der gemeinsamen Projekte war das 1755 erschienene Buch "Traite d'horlogerie", eine Abhandlung über die Uhrmacherei. Veröffentlicht wurde es aber nur unter dem Namen von Jean André Lepaute, obwohl Nicole-Reine einen wichtigen mathematischen Teil beigesteuert hat. Will man zum Beispiel eine Pendeluhr bauen, dann funktioniert das nur, wenn man genau weiß, wie lange ein Pendel für eine Schwingung braucht. Genau das hat sie ausgerechnet, für Pendel die nur ein paar Zentimeter lang sind bis hin zu einem Pendel das für eine Schwingung eine Stunde benötigt und dafür circa 12.000 Kilometer lang sein. Dass der wissenschaftliche Beitrag von Frauen nicht offiziell gekennzeichnet wird, war damals leider üblich - aber zumindest Lalande hatte keinerlei Probleme damit, weswegen er auch offiziell darauf hin wies, dass diese Berechnungen von Nicole-Reine Lepaute stammten. Und weil er von ihren Fähigkeiten überzeugt war, arbeitete er auch später mit ihr zusammen. Ein aktuelles Problem der damaligen Zeit war die genaue Berechnung der Umlaufbahn des Halleyschen Kometen. Erst wenige Jahrzehnte zuvor hatte Edmond Halley ja überhaupt festgestellt, dass es diesen Kometen gibt und dass er einer prinzipiell vorhersagbaren Bahn folgt. Das war erst durch Newtons Gravitationsgesetz möglich, davor dachte man, dass Kometen einfach irgendwann und irgendwie auftauchen und wieder verschwinden. Jetzt aber bemühte man sich, möglichst genau vorherzusagen, wann der Komet das nächste Mal in die Nähe der Erde kommt und beobachtet werden kann. Das ist ein ziemlich kompliziertes Problem, denn dafür muss man zum Beispiel auch berechnen, wie die Anziehungskraft der Planeten Saturn und Jupiter die Bahn von Halley beeinflussen und dafür muss man berechnen, wie sich Saturn und Jupiter bewegen und gegenseitig beeinflussen, und so weiter. Kurz gesagt: Man muss jede Menge komplexe astronomische Berechnungen anstellen und genau das war es, was Nicole-Reine Lepaute besonders gut konnte. Lalande schlug Lepaute vor, diese Arbeit gemeinsam mit Alexis-Claude Clairaut durchzuführen, einem Mathematiker. Die drei stellten fest, dass vor allem die Störung des Jupiters einen ungewöhnlich großen Einfluss haben würde, und der Komet erst Anfang 1759 den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreichen und nicht schon Ende 1757 sichtbar sein würde wie andere berechnet hatten. Tatsächlich sah man den Halleyschen Kometen erst Ende 1758 am Himmel und der Termin für den sonnennächsten Punkt wich nur um gut vier Wochen von dem Zeitpunkt ab, den Lalande, Lepaute und Clairaut berechnet hatten. Ein großer Erfolg, den aber zumindest Clairaut nicht mit einer Frau teilen wollte. Er weigerte sich, den Beitrag von Nicole-Reine Lepaute anzuerkennen. Lalande hingegen war wieder einmal sehr deutlich. Sechs Wochen lang hatten die drei quasi Tag und Nacht gerechnet, schrieb er später und dann: "Die Hilfe Mme. Lépautes war so, daß ich ohne sie die enorme Arbeit überhaupt nicht hätte in Angriff nehmen können. Es war notwendig, die Distanz der beiden Planeten Jupiter und Saturn zum Kometen separat für jeden aufeinanderfolgenden Grad über 150 Jahre hinweg zu berechnen". In einem Buch, das Lalande über den Kometen schrieb, hat er den Beitrag von Lepaute explizit erwähnt; Clairaut hingegen, der 1760 ebenfalls ein Buch über die Mathematik der Kometenbewegung publizierte, strich ebenso explizit jede Erwähnung von Lepaute. Lalande und Lepaute arbeiteten weiterhin gemeinsam. Lalande war mittlerweile der Direktor der "Connaissance des temps" geworden. Das war und ist heute immer noch das offizielle astronomische Jahrbuch von Frankreich, dass Positionen von Sonne, Mond und Planeten enthält und Anweisungen, die man damit zum Beispiel seine Position berechnen kann. Damals waren solche Jahrbücher enorm wichtig, vor allem für die Seefahrt und es war keine geringe Aufgabe, jedes Jahr aufs Neue die nötigen Daten mit der notwendigen Genauigkeit zusammenzutragen. Lalande engagiert sich deswegen dafür Nicole-Reine Lepaute als Assistentin. Bis 1774 arbeiteten sie gemeinsam daran, bis Lalande dieses doch eher anstrengende Amt mit einiger Freude wieder abgeben konnte. Nur um sich gemeinsam mit Lepaute einer nicht weniger anstrengenden Aufgabe zu widmen: Für ein anderes astronomisches Nachschlagewerk rechnete Lepaute die Positionen der Sonne, des Mondes und der Planeten für den kompletten Zeitraum zwischen 1774 und 1793 aus. Daneben beschäftigte sie sich auch mit der Berechnung von Sonnenfinsternissen. Für eine Finsternis im Jahr 1764 veröffentlichte sie - diesmal unter ihrem eigenen Namen - zwei Karten, die den Verlauf der Finsternis für Europa und für Paris zeigten. Nicole-Reine Lepaute hatte neben all dieser Arbeit auch noch Zeit für ein Privatleben. Kinder hatten sie und ihr Eheman zwar nicht, aber sie adopierten den Neffen ihres Mannes und Nicole-Reine nahm sich die Zeit, ihn persönlich in Astronomie und Mathematik auszubilden. Erfolgreich, denn er wurde Mathematikprofessor und Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. Ein zweiter Neffe wurde ebenfalls von ihr unterrichtet und war schon im Alter von 6 Jahren in der Lage, astronomische Berechnungen anzustellen. Aber dessen Eltern hatten etwas gegen das wissenschaftliche Leben und verbaten ihm den Unterricht bei seiner Tante. Zu Beginn der 1780er Jahre musste dann auch Nicole-Reine Lepaute selbst ihre wissenschaftliche Arbeit sein lassen. Einerseits aus gesundheitlichen Gründen, da ihre Augen immer schlechter wurden. Andererseits musste sie sich um ihren sehr kranken Ehemann kümmern, was sie bis 1788 auch tat. Am 6. Dezember 1788 starb sie allerdings an Typhus; ein halbes Jahr vor ihrem Mann. "Die Zeit die ich mit ihr und ihrer Familie verbracht habe, ist die Zeit an die ich mich am liebsten erinnere", schrieb Lalande später. Bis sich auch der Rest der wissenschaftlichen Welt an sie erinnerte, hat es aber ein wenig gedauert. 1935 wurde ein Krater auf dem Mond nach ihr benannt und 1960 ein Asteroid. Und wer in Paris die Rue Albert Einstein entlang geht, vielleicht um die Bibliothèque Mathématiques Informatique der Universität zu besuchen, kann dort in die Rue Nicole-Reine Lepaute abbiegen. Die ist zwar nur gut 20 Meter lang, aber immerhin…
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Jan 5, 2024 • 10min

Sternengeschichten Folge 580: Enceladus und außerirdische Mikroben

Eisiger Mikrobenmond Sternengeschichten Folge 580: Enceladus und außerirdische Mikroben "In einem kurzen Nachtrag zu meinem letzten Artikel über Nebel, verkünde ich die Entdeckung eines sechsten Satelliten des Saturn". So beginnt ein Artikel von William Herschel, der am 12. November 1789 veröffentlicht wurde. Der englische Astronom, der durch die Entdeckung des Planeten Uranus ein paar Jahre zuvor weltberühmt wurde, hatte auch danach nicht aufgehört, den Himmel zu beobachten. Er fand zwei Monde des frisch entdeckten Uranus und dann auch zwei Monde des Saturn. Einer davon, nämlich Mimas, war das Thema von Folge 489 der Sternengeschichten. Heute sehen wir uns den anderen an: Enceladus. Diesen Namen hat ihm nicht William Herschel gegeben, sondern dessen Sohn John Herschel, der ebenfalls ein berühmter Astronom war. In der griechischen Mythologie ist Enkelados einer der Giganten, der gegen Zeus und die restlichen olympischen Götter kämpft. Als Saturnmond ist Encelados weniger gigantisch, er hat einen Durchmesser von nur circa 500 Kilometern, womit er es nur auf Platz 17 der größten Mondes des Sonnensystems schafft. Die Bahn des Mondes um Saturn ist fast perfekt kreisförmig und sein Abstand liegt bei circa 177.680 Kilometer, wenn man von den oberen Wolkenschichten aus misst. Er befindet sich damit auch außerhalb der Saturringe, zumindest außerhalb der klassischen Ringe. Denn Enceladus hat seinen ganze eigenen Saturnring, den sogenannten "E-Ring". Er ist mit 300.000 Kilometern extrem breit und Enceladus sitzt ziemlich genau in der Mitte dieses Rings. Der E-Ring leuchtet nicht sehr hell; das Material ist dort nicht so dicht wie bei den inneren Ringen, die man normalerweise meint, wenn man von den "Saturnringen" spricht. Man braucht gute Teleskope, wenn man ihn sehen will und deswegen wurde er auch erst 1966 entdeckt. Es hat allerdings bis 2005 gedauert, bis man auch herausgefunden hat, warum es den E-Ring überhaupt gibt. In diesem Jahr ist die Raumsonde Cassini das erste Mal an Enceladus vorbeigeflogen und danach noch ein paar Mal. Heute wissen wir, dass der E-Ring aus sehr kleinen Eis- und Staubpartikeln besteht; so klein, dass der Ring eigentlich instabil sein sollte. Die feinen Partikel werden durch die Strahlung der Sonne quasi aus der Umlaufbahn des Saturn gepustet und nach ein paar 10.000 Jahre sollte nichts mehr davon übrig sein. Dass wir ihn heute immer noch sehen können, liegt daran, dass es eine Quelle gibt, die immer wieder neue Eis- und Staubteilchen produziert. Diese Quelle ist - wenig überraschend - der Mond Enceladus. Misst man die Dichte der Ringteilchen, dann findet man genau dort am meisten, wo sich auch der Mond befindet. Nur: Wie produziert Enceladus diese Teilchen und wie kommen sie ins All? Dazu schauen wir uns am Besten den Mond ein wenig genauer an. Seine Dichte liegt bei circa 1,6 Gramm pro Kubikzentimeter, dass heißt er muss im Wesentlichen aus Eis bestehen, vermutlich mit einem Kern aus Gestein. Wäre es ein felsiger Himmelskörper oder gar ein felsiger Himmelskörper mit einem metallischen Kern, so wie die Erde, dann müsste seine Dichte weitaus höher sein. Dass Enceladus eine Eiswelt ist, sieht man auch daran, wie viel Sonnenlicht er reflektiert. Nämlich gut 99 Prozent, womit er mehr Licht reflektiert als alle anderen Himmelskörper im Sonnensystem von denen wir wissen; die Oberfläche von Enceladus ist heller als frisch gefallener Schnee. Was man auf Enceladus dagegen eher kaum sieht, sind große Krater. Der größte hat nur einen Durchmesser von 34 Kilometern und das ist ein Zeichen dafür, dass seine Oberfläche vergleichsweise jung ist. Für eine junge Oberfläche braucht es aber irgendeine Art von geologischer Aktivität. Ein geologisch toter Himmelskörper, wie zum Beispiel unser Erdmond, hat jede Menge Krater, in allen Größen. Jedes Trumm dass dort irgendwann mal eingeschlagen ist, hat einen Krater hinterlassen. Auf der Erde dagegen schlagen auch immer wieder Asteroiden ein, aber dort sorgen Plattentektonik und Vulkanismus auch dafür, dass sich die Erdoberfläche immer wieder erneuert und die alten Krater verschwinden. Auf einem 500 Kilometer großen Eismond ist aber eher nicht mit feuerspeienden Vulkanen zu rechnen. Dafür kann es dort eine andere Art von geologischer Aktivität geben: Den Kryovulkanismus, über den ich in Folge 300 schon ausführlich gesprochen habe. Der funktioniert im Prinzip genau so wie der Vulkanismus hier auf der Erde, nur dass Eis und Wasser die Rolle von Gestein und Magma spielen. Und dass so etwas auf Enceladus tatsächlich stattfindet, haben wir sogar schon beobachtet. Die Raumsonde Cassini hat Bilder der Eisfontänen gemacht, die aus Spalten in der Südpolregion des Mondes ins All hinaus schießen. Wir wissen aus den Messungen der Raumsonde auch, dass die Temperatur in der Umgebung dieser Spalten circa 20 Grad höher ist als normal. Es liegt also nahe, dass irgendwo im Inneren des Mondes flüssiges Wasser existiert, dass durch die Spalten aufsteigt und als Eis ins All geschleudert wird. Die Schwerkraft des kleinen Mondes reicht nicht aus, um es festzuhalten, und so kriegt der E-Ring immer wieder Nachschub. Was genau für die Erwärmung im Inneren des Mondes sorgt, ist noch unklar - aber die gravitative Wechselwirkung des Mondes mit Saturn und den anderen Monden in der Umgebung dürfte eine Rolle spielen; außerdem gibt es dort auch Ammoniak, dass den Schmelzpunkt von Eis herabsetzt. Am 9. Oktober 2008 ist Cassini dann in einem Abstand von nur 25 Kilometer an Enceladus vorbei geflogen. So dicht ist eine Raumsonde bis dahin noch nie an irgendwas vorbei geflogen und durch Glück hat man bei dieser nahen Begegnung auch noch eine frische Eruption erwischt. Cassini ist direkt durch eine "Wolke" aus Partikeln geflogen, die der Mond ausgestoßen hat. Es war so viel Material vorhanden, dass es sogar einen messbaren Effekt auf die Bewegung der Sonde gehabt hat. Und man konnte natürlich die Instrumente von Cassini nutzen um die Zusammensetzung des Material zu untersuchen. Es bestand unter anderem aus Wasserdampf, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und diverse andere organische Moleküle. Wasser, Wärme und diverse auf Kohlenstoff basierende Chemikalien: Das sind eigentlich genau die Voraussetzung, die man für die Entstehung von Leben benötigt. Und tatsächlich gilt Enceladus auch als einer der besten Kandidaten für die Suche nach außerirdischem Leben im Sonnensystem. Die Daten wir haben, deuten darauf hin, dass es einen kompletten Wasserozean unter der Eiskruste von Enceladus geben muss. Wir haben auch Wasserstoff-Moleküle gemessen, die aus den Spalten im Eis der Oberfläche kommen und Methan. Auf der Erde kennen wir Orte, die sehr gut zu diesen Daten passen würden: Die hydrothermalen Quellen am Meeresgrund, wo heißes Wasser aus dem Inneren des Planeten nach oben steigt und wo sich dann Mikroorganismen ansiedeln, die mit Hilfe von Wasserstoff und Kohlendioxid Methan produzieren. All das haben wir auch auf Enceladus nachgewiesen. Aber nur weil die Daten zur Existenz von Leben passen, bedeutet das nicht, dass sie die Existenz dieses Lebens auch belegen. Es kann genau so gut ein rein chemischer Prozess sein, der im Ozean von Enceladus abläuft und all diese Chemikalien produziert. Trotzdem hat sich die Astrobiologin Ruth-Sophie Taubner im Jahr 2018 die Sache genauer angesehen. Nicht auf dem Saturnmond, sondern in einem Labor auf der Erde. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen hat sie Methanothermococcus okinawensis erforscht. Dieser Mikoorganismus lebt auf der Erde an den vorhin erwähnten hydrothermalen Quellen. Dort produziert er Methan und Taubner wollte wissen, ob er das auch unter den Bedingungen könnte, die auf Enceladus herrschen. Also stellte sie die Bedingungen im Labor nach und das Ergebnis zeigt: Ja, Methanothermococcus okinawensis könnte auch im unterirdischen Ozean von Enceladus überleben. Das heißt natürlich nicht, dass genau dieser Mikroorganismus dort lebt. Das heißt nichtmal, dass dort irgendetwas lebt. Aber es zeigt, dass es auf Enceladus Leben geben könnte! Ob das wirklich so ist, wird sich aber erst zeigen, wenn wir irgendwann mal eine Raumsonde dorthin schicken, die den Mond nicht nur aus der Ferne betrachtet, sondern dort auch landet.
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Dec 29, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 579: Das Intracluster-Medium

Zwischen den Galaxien ist sehr spannendes Nichts Sternengeschichten Folge 579: Das Intracluster-Medium Das Weltall ist leer. Ok, es gibt jede Menge Planeten, Sterne und Galaxien. Aber sehr viel mehr gibt es Nichts. Der Raum zwischen den Planeten, zwischen den Sternen, zwischen den Galaxien: Der ist sehr viel größer und darin ist nicht viel zu finden. Aber ein bisschen was ist trotzdem da. Ich hab davon schon mal in Folge 79 gesprochen, aber da hauptsächlich davon, was man zwischen den Sternen finden kann. Heute geht es um das intergalaktische Medium und verglichen damit ist der Raum zwischen den Sternen regelrecht voll. Wenn man eine Chance auf echtes Nichts haben will, muss man die Galaxien verlassen. Aber wenn da wirklich komplett gar nichts zu finden wäre, dann wäre die Folge jetzt schon wieder vorbei. Ist sie aber nicht, denn wir schauen uns jetzt an, was da im Nichts doch noch zu entdecken ist. Wir müssen aber zuerst noch mal bei den Galaxien bleiben. Die sind nicht komplett gleichmäßig im Universum verteilt. Sie bilden Galaxienhaufen, also größere und kleinere Gruppen aus hunderten Galaxien. Und die Galaxienhaufen selbst bilden noch größere Strukturen, die galaktischen Superhaufen. In diesen Haufen, aber zwischen den Galaxien, finden wir das "Intracluster Medium". Es handelt sich um ein dünnes, heißes Gas, aber man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass da eine riesige Gaswolke existiert, durch die die Galaxien pflügen. Das Intracluster-Medium hat eine Dichte von ungefähr 0,001 Teilchen pro Kubikzentimeter. Das heißt, in einem Volumen von einem Liter findet man im Durchschnitt gerade mal ein einziges Teilchen. Oder noch einmal anders gesagt: So ein Teilchen des Intracluster-Mediums kann im Schnitt ein Lichtjahr weit fliegen, bevor es mit einem anderen Teilchen zusammenstößt. Und bevor ich jetzt immer "Teilchen" sage, klären wir mal, um was es sich dabei genau handelt. Wenig überraschend vor allem Wasserstoff. Das ist immerhin das häufigste Element im Universum, mit Abstand, und deswegen wundert es auch nicht, wenn die paar Teilchen die man zwischen den Galaxien findet, ebenfalls Wasserstoff sind. Ein bisschen Helium ist auch dabei, das zweithäufigste Element im Universum. Aber man hat auch andere Elemente gefunden. Kohlenstoff oder Stickstoff zum Beispiel. Das ist spannend: Im Raum zwischen den Galaxien ist weit und breit kein Stern zu finden. Es ist ja schon IN den Galaxien ein weiter Weg von einem Stern zu einem anderen. Aber ZWISCHEN den Galaxien liegen Millionen Lichtjahre an Nichts - wo kommen diese Elemente her? Denn für alles, was kein Wasserstoff oder Helium ist, braucht es auf jeden Fall einen Stern. Nur Wasserstoff und Helium sind direkt beim Urknall entstanden; der Rest durch Kernfusion im Inneren von Sternen beziehungsweise durch die Prozesse, die dann beim oder nach dem Tod eines Sterns passieren. Aber ohne Stern geht es nicht. Und natürlich sind die schwereren Elemente des Intracluster-Mediums auch in Sternen entstanden. Wenn so ein Stern dann stirbt, verteilt er seine Materie in der Gegend. Mal recht langsam, mal aber auch recht schnell, zum Beispiel durch Supernova-Explosionen. Und wenn die Supernova-Explosion eine wirklich heftige Explosion ist, kann Material dabei so stark beschleunigt werden, dass es aus der Galaxie in der sich der Stern befindet, hinaus geschleudert wird. Noch weiter kommt es dann aber normalerweise nicht. Denn die ganzen Galaxien eines Galaxienhaufens üben ja zusammengenommen eine enorme Gravitationskraft aus und die überwindet das Teilchen dann nicht. Es wird Teil des Intracluster-Mediums und bleibt dort. Was sehr gut für die Wissenschaft ist. Denn wenn wir ferne Galaxienhaufen ansehen, dann sind die ja wirklich weit weg. Das Licht von dort ist dementsprechend lange unterwegs. Wir sehen also in die Vergangenheit, unterschiedlich weit, je nachdem wie weit der Galaxienhaufen weg ist. Wir können dann in diesen Haufen das Intracluster-Medium untersuchen, die Häufigkeit der verschiedenen Elemente messen und wissen dann, wie gut die Galaxien zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Vergangenheit des Universums darin waren, Elemente zu produzieren. Aber wie beobachtet man das Intracluster-Medium eigentlich? Wenn da nur ab und zu ein Atom mitten im Nichts rumschwebt, wie soll man das beobachten, noch dazu in so enormer Entfernung? Zuerst einmal ist die Dichte des Intracluster-Mediums zwar gering - aber es gibt halt wirklich viel Raum zwischen den Galaxien und in Summe kommt da einiges zusammen. Man schätzt, dass circa 15 Prozent der Gesamtmasse eines Galaxienhaufens in Form von Teilchen des Intracluster-Mediums zwischen den Galaxien rumfliegt. Und mit der Gesamtmasse ist wirklich die gesamte Masse gemeint. Also nicht nur die Materie, die wir sehen können; also das, was zum Beispiel in Form von Sternen leuchtet. Sondern auch die dunkle Materie, die wir zwar nicht leuchten sehen, deren Gravitationswirkung wir aber beobachten können. Die Galaxien in einem Haufen bewegen sich zu schnell, als das der sichtbare Teil schon alles sein könnte. Es muss mehr Zeug da sein, dass Gravitationskraft ausübt, aber eben Zeug das nicht sichtbar ist und das Zeug nennen wir "dunkle Materie". Die Sterne aus denen die Galaxien bestehen machen nur circa 5 Prozent der Gesamtmasse aus, also nur ein Drittel der Masse des Intracluster-Mediums. Und der überwiegende Rest der Haufenmasse ist dunkle Materie. Trotzdem: Auch wenn es vergleichsweise viel Intracluster-Medium gibt, ist es immer noch extrem dünn verteilt. Wie kann man das sehen? Das liegt daran, dass das Intracluster-Medium extrem heiß ist, mit Temperaturen zwischen 10 und 100 Millionen Grad. Aber "Temperatur" heißt hier nicht das, was es üblicherweise heißt. Würde man ein Raumschiff in den Raum zwischen den Galaxien steuern und aussteigen, würde man nicht verbrennen. Wie denn auch, da ist ja nix. Ich hab das in Folge 367 erklärt: Wenn wir spüren, dass es heiß ist, liegt es im Prinzip daran, dass die Teilchen der Luft gegen uns stoßen. Und je schneller sich die Teilchen bewegen, desto mehr Hitze spüren wir. Anders gesagt: Temperatur ist ein Maß dafür, wie schnell sich ein Teilchen bewegt aber was wir spüren hängt von der Dichte der Teilchen ab. Und das Intracluster-Medium ist extrem heiß, aber wir würden nichts davon spüren, weil es so wenig dicht ist. Und es ist deswegen so heiß, weil die Teilchen so schnell sein müssen, wenn sie überhaupt aus den Galaxien in den Raum dazwischen gelangen wollen. Das ist aber nur ein Faktor; es gibt ja auch noch die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien. Mit ihrer Gravitationskraft beschleunigen sie Materie aus ihrer Umgebung auf enorme Geschwindigkeiten und schießen oft regelrechte Fontänen aus Gas mit enormer Geschwindigkeit hinaus in den intergalaktischen Raum. Und dann gibt es noch die Wechselwirkung zwischen den Galaxien. Wenn kleinere Galaxien zu größeren verschmelzen, wird das Material im intergalaktischen Raum durchgewirbelt und auch das führt zu einer Erwärmung. Wir haben also wenig Zeug, aber heißes Zeug und heißes Zeug gibt Strahlung ab. Beim Intracluster-Medium ist das vor allem Röntgenstrahlung und die kann man nachweisen. Wir beobachten ja ferne Galaxienhaufen wo man, vereinfacht gesagt, die ganzen Galaxien des Haufens mit dem Teleskop auf einen Blick sehen kann. Und wenn der Blick mit einem Röntgenteleskop erfolgt, dann sieht man damit auch die Strahlung, die aus dem Raum zwischen den Galaxien kommt. In Summe produzieren die ganzen Teilchen dort nämlich schon eine relevante Menge an Strahlung und wenn wir uns die genau genug anschauen, können wir daraus ableiten, wo das Zeug ist, wie dicht verteilt es ist und woraus es besteht. Es mag komisch erscheinen, wenn sich die Wissenschaft so stark mit diesen paar Teilchen beschäftigt, die zwischen den Galaxien rumfliegen. Aber sie sind wichtig! Ich hab schon erwähnt, dass man damit herausfinden kann, wie gut die Galaxien in der Vergangenheit darin waren, chemische Elemente zu produzieren. Das sind enorm relevante Informationen, wenn wir wissen wollen, wie sich das gesamte Universum entwickelt hat. Am Anfang gab es ja nur Wasserstoff und Helium und der Rest kam erst mit den ersten Sterne, die die ersten Galaxien gebildet haben. Und die folgenden Generationen von Sternen hatten dann schon mehr Elemente zur Verfügung, wodurch sich auch die ganze Entwicklung der Galaxien verändert hat. Durch die Beobachtung des Intracluster-Mediums können wir das nachvollziehen - wir können aber auch die Wechselwirkung zwischen den Galaxien besser verstehen. Wenn sich zwei Galaxien begegnen und nahe kommen, dann kann durch die zwischen ihnen wirkende Gravitationskraft Material aus den Galaxien hinaus ins Intracluster-Medium gezogen werden. Es bilden sich regelrechte Ströme aus Material, die noch lange Zeit später zeigen, dass eine Wechselwirkung stattgefunden hat, selbst wenn alles schon lange vorbei ist. Es kann aber auch umgekehrt laufen; Material aus dem Intracluster-Medium kann in eine Galaxie fallen und dort Einfluss auf die Entstehung von Sternen haben. Wenn wir verstehen wollen, wie sich das Universum entwickelt hat und wie die Galaxien so geworden sind, wie wir sie heute sehen, dann müssen wir uns auch damit beschäftigen, was sich dort befindet, wo fast nichts ist. Und das Intracluster-Medium ist übrigens nicht das einzige Nichts. Ich habe bis jetzt nur von dem gesprochen, was sich zwischen den Galaxien eines Galaxienhaufens befindet. Aber es gibt ja viele Galaxienhaufen. Und zwischen diesen Galaxienhaufen ist noch viel mehr leerer Raum. Ist der dann wirklich leer? Na ja - zumindest so leer, wie es nur irgendwie geht im Universum. Aber nicht völlig leer. Dort ist jetzt zwar wirklich nicht mehr viel. Aber das, was man dort noch finden kann, nennt sich das "Warm-heiße intergalaktische Medium" und ist eine extrem spannende Sache. Aber darüber reden wir in einer anderen Folge der Sternengeschichten.
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Dec 22, 2023 • 16min

Sternengeschichten Folge 578: Das Lambda-CDM-Modell

Einmal alles, mit Konstante und kalter Materie Sternengeschichten Folge 578: Das Lambda-CDM-Modell Heute geht es in den Sternengeschichten um Alles. Es geht um die Geschichte des Universums, vom Anfang bis zur Gegenwart. Und natürlich wird es keine vollständige Geschichte sein; ein Überblick muss reichen. Wir schauen uns aber trotzdem heute das Lambda-CDM-Modell an. So nennt man das, was landläufig als "Urknalltheorie" beschrieben wird oder auch das "Standardmodell der Kosmologie". Es geht also um das wissenschaftliche Modell, mit dem wir beschreiben, wie sich das gesamte Universum seit dem Urknall entwickelt hat. Natürlich nicht im kleinsten Detail; das Lambda-CDM-Modell beschreibt jetzt zum Beispiel nicht, wie die Sonne entstanden ist, wie sich die Säugetiere auf der Erde entwickelt haben oder wie die menschliche Zivilisation entstanden ist. Aber es kann dagegen sehr gut beschreiben, wie sich die großräumige Struktur in der Verteilung der Galaxien entwickelt hat, wie sich das Universum ausdehnt, warum es eine kosmische Hintergrundstrahlung gibt und warum sie so aussieht, wie sie aussieht. Und noch ein paar mehr Dinge, die wir uns dann vielleicht später ansehen. Fangen wir aber mal mit dem Namen an, denn da steckt schon jede Menge drin. Lambda-CDM-Modell klingt sehr wissenchaftlich und in diesem Namen stecken auch zwei der wichtigsten Komponenten des Modells drin. Der griechische Buchstabe Lambda wird in der Kosmologie verwendet um die kosmologische Konstante zu beschreiben. Und das "CDM" steht für "cold dark matter", also eine Variante der dunklen Materie. Das Standardmodell der Kosmologie ist also das eines Universums, in dem es eine kosmologische Konstante gibt und in dem kalte, dunkle Materie existiert. Was das bedeutet wird gleich klar werden; wir werfen aber zuerst noch einen kurzen Blick auf die Entwicklung des Modells. Wir müssen dafür zurück in die 1920er Jahre. Damals war durch Beobachtungen einer Sonnenfinsternis einerseits klar geworden, dass die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein tatsächlich in der Lage ist, die Gravitation korrekt zu beschreiben. Andererseits wusste man dank der Beobachtung ferner Galaxien, dass sich das Universum ausdehnt. Aus diesen beiden Erkenntnissen hat sich die erste Urknalltheorie entwickelt: Das Universum hat einen Anfang; es hat einen Anfang in der Zeit; es hat in einem extrem heißen und dichten Zustand begonnen und sich seitdem beständig abgekühlt und ausgedehnt. Aus diesem Modell heraus konnte man auch die Existenz der kosmischen Hintergrundstrahlung vorhersagen, von der ich in Folge 316 ausführlich gesprochen habe. Deswegen jetzt nur ganz kurz: Zu Beginn gab es im Universum noch keine Atome wie jetzt. Ein Atom besteht ja aus einem Atomkern aus Protonen und Neutronen und einer Hülle aus Elektronen. Damals war es aber so heiß, dass die Atomkerne und Elektronen enorm schnell bewegt haben. So schnell, dass sich die Elektronen nicht an die Atomkerne binden konnten. Das hat Konsequenzen gehabt, den neben Atomkernen und Elektronen gab es damals ja auch noch jede Menge Energie in Form von Strahlung. Die konnte sich nicht aber ungehindert ausbreiten, weil sie ständig von den freien Elektronen abgelenkt worden ist. Erst gut 400.000 Jahre nach dem Urknall war das Universum kühl genug, damit sich aus Atomkernen und Elektronen vollständige Atome bilden konnten. Und erst jetzt war der Weg frei für die Strahlung. Sie begann, sich durch das Universum auszubreiten, von jedem Punkt aus in jede Richtung. Was bedeutet, dass ein Teil davon auch heute noch unterwegs ist und der Teil, der gerade von den Punkten des Universums kommt, die ausreichend weit von uns entfernt sind, trifft dann eben auch gerade heute auf unsere Messinstrumente. Sofern wir welche haben natürlich. Aber in den 1960er Jahren hatte man die ersten und damit die kosmische Hintergrundstrahlung nachgewiesen, die von der Urknalltheorie vorhergesagt worden ist. Dass war auch der Moment, in der sich diese Theorie des Universums gegenüber den Alternativen durchgesetzt hat; bis dahin gab es noch viele Forscherinnen und Forscher, die zum Beispiel die Steady-State-Theorie (von der ich in Folge 491 gesprochen habe) favorisiert hatten. Mit dem Nachweis der kosmischen Hintergrundstrahlung war aber längst noch nicht alles erledigt. Irgendwie muss man ja auch erklären, wie aus der Suppe an Atomen in der Frühzeit des Univerums die ganzen Galaxien entstanden sind, die wir heute sehen. Wäre die gesamte Materie nach dem Urknall wirklich komplett gleichmäßig verteilt gewesen, dann hätte es keinen Grund gegeben, warum sich darin irgendwelche "Klumpen" bilden hätten sollen. Die Gravitationskräfte wäre dann überall gleich stark gewesen; jeder Teil des Universums hätte jeden anderen Teil genau gleich stark angezogen und es wäre ein Gleichgewicht entstanden. Wir sehen aber heute eindeutig, dass das so nicht gewesen sein hat können. Es gibt Bereiche im Universum, wo sehr viel Materie zu finden ist, nämlich die ganzen Galaxienhaufen. Und es gibt Bereiche, wo keine Materie ist, nämlich die großen Leerräume dazwischen, die sogenannten "Voids". Es muss also auch im frühen Universum Abweichungen vom Gleichgewicht gegeben haben: Bereiche, wo ein bisschen mehr Materie war und Bereiche, mit ein klein bisschen weniger Dichte. Die dichtere Bereiche haben eine stärkere Anziehungskraft ausgeübt als die weniger dichten und dort hat sich das Material geklumpt, noch mehr Anziehungskraft ausgeübt, und so weiter. Am Ende hat sich daraus die heute beobachtbare Verteilung der Galaxien entwickelt. Daraus folgt, dass auch die Hintergrundstrahlung nicht komplett gleichmäßig sein kann. Ich lasse die Details jetzt aus, die habe ich schon in den früheren Folgen erzählt. Aber wenn die Materie im frühen Universum ein bisschen ungleichmäßig verteilt war, dann muss es winzige Unterschiede in der Energie der Hintergrundstrahlung geben. Und die hat man 1992 auch tatsächlich gemessen. Es gab aber immer noch zwei Probleme. Das mit der Galaxienentstehung aus den ursprünglichen Dichteunterschieden in der Materie nach dem Urknall hat nicht funktioniert. Zumindest nicht, wenn man davon ausgeht, dass die Materie die wir heute sehen können, die gesamte Materie des Universums ist. Aber man wusste auch schon spätestens seit den 1960er Jahren, dass es da noch eine andere Art von Materie geben muss, nämlich die "Dunkle Materie". Darüber habe ich in Folge 25 und danach immer wieder gesprochen. Beobachtungen der Bewegung von Galaxien und Sternen haben gezeigt, dass sie sich so bewegen, wie sie es tun würden, wenn neben der normalen sichtbaren Materie noch sehr viel mehr Materie vorhanden ist, die wir nicht sehen können. Und auch die Entstehung von Galaxien lässt sich nur dann korrekt beschreiben, wenn man davon ausgeht, dass es sehr viel mehr Materie geben muss, die nicht leuchtet - dunkle Materie eben. Also wurden auch diese Beobachtungsdaten in das Urknallmodell inkludiert. Ende der 1990er Jahre entdeckte man auch, dass das Universum nicht nur expandiert, sondern im Laufe der Zeit immer schneller expandiert. Es muss als eine Kraft geben, die dafür sorgt, dass es das tut und die hat man "dunkle Energie" genannt. Diese Kraft verhält sich genau so, wie die "kosmologische Konstante", die Albert Einstein damals in seine allgemeine Relativitätstheorie eingebaut hat. Er hat das damals aber nicht getan, um ein Universum zu beschreiben, dass sich immer schneller ausdehnt. Er wollte ein Universum beschreiben, das sich gar nicht ausdehnt und weil seine Gleichungen aber ein expandieres Universum geliefert haben, hat er sie so modifiziert, dass sie eine Kraft enthalten, die dem entgegenwirken und das Universum statisch halten kann. Später hat man diese Konstante immer gleich Null gesetzt, weil man ja beobachten konnte, dass das Universum eben nicht statisch ist und tatsächlich expandiert. Die Entdeckung der beschleunigten Expansion hat aber gezeigt, dass die kosmologische Konstante in Einsteins Gleichungen einen Wert haben muss, der größer als Null ist. Um das Jahr 2000 herum war also klar: Um die Entwicklung des Universums zu beschreiben, brauchen wir ein Modell, dass in der Lage ist, sowohl den Einfluss der dunklen Materie als auch den Einfluss einer kosmologischen Konstante bzw. der dunklen Energie zu beschreiben. Und dieses Modell ist das Lambda-CDM-Modell: "Lambda" steht für die kosmologische Konstante und "CDM" für "cold dark matter". Und mit "cold" ist übrigens nicht die Temperatur im üblichen Sinne gemeint. "cold dark matter", also "kalte dunkle Materie" ist Materie, die nicht-baryonisch ist, also nicht aus den üblichen Protonen und Neutronen besteht, wie die Materie die wir kennen. Sie ist "kalt" in dem Sinn, dass sie sich sehr viel langsamer bewegt als die Lichtgeschwindigkeit. "Heiße" dunkle Materie wären zum Beispiel Neutrinos - die sind auch nicht-baryonisch, aber bewegen sich enorm schnell. Aber heiße dunkle Materie passt nicht zu dem, was man beobachtet. Die kalte dunkle Materie ist auch nicht in der Lage Energie in Form von Photonen abzugeben (sonst würden wir sie ja sehen) und sie wechselwirkt nur über die Gravitationskraft mit anderer Materie. Es wäre zu viel, das gesamte Lambda-CDM-Modell im Detail vorzustellen und zu erklären, aber es gibt sechs wichtige Parameter, die man kennen muss, wenn man auch konkret verstehen will, wie all das, was ich jetzt kurz beschrieben habe, tatsächlich funktioniert. Das ist zuerst einmal die Hubble-Konstante, also der Wert der angibt, mit welcher Rate das Universum heute expandiert. Dann muss man Omegab und Omegam kennen. Mit Omegab wird der Anteil der baryonischen Materie an der gesamten Energiedichte des Universums beschrieben und die "bayronische" Materie ist das, was wir als "normale" Materie kennen. Omegam ist dann der Anteil der gesamten Materie, also normale und dunkle Materie an der gesamten Energiedichte. Anders gesagt: Omegab sagt mir, wie viel normale Materie es im Universum gibt. Wenn man das von Omegam abzieht, weiß man, wie viel dunkle Materie es gibt. Und das was übrig bleibt von der gesamten Energiedichte, was keine dunkle oder normale Materie ist, ist die dunkle Energie. Die nächsten drei Parameter sind ein wenig kniffliger zu beschreiben. Zuerst ist da Tau, die optische Dichte zum Zeitpunkt der Reionisierung. Mit "Reionisierung" ist der Zeitpunkt gemeint, den ich vorhin beschrieben habe, also der Moment 400.000 Jahre nach dem Urknall, als sich die Elektronen an die Atomkerne gebunden haben und die "optische Dichte" beschreibt, wie gut sich die Strahlung zu dem Zeitpunkt im Universum ausbreiten konnte. Die letzten beiden Parameter heißen "Krümmungsfluktuationsamplitude" und "spektraler Index" und sind ein bisschen schwieriger zu verstehen. Es geht dabei um die "primordialen Fluktuationen", also die Dichteunterschiede in der Verteilung der Materie im ganz frühen Universum. Die kann man mathematisch mit den beiden Parametern die ich gerade erwähnt habe, beschreiben. Das läuft - sehr vereinfacht - so. Man schaut sich zum Beispiel einen Abschnitt des Himmels an, der 180 Grad umfasst - also eine Hälfte des Himmels - und misst dort die Energie der kosmischen Hintergrundstrahlung. Und dann schaut man sich den andere 180 Grad Ausschnitt an. Diese Werte vergleicht man, und bestimmt den Unterschied. Dann macht man das aber auch für alle kleineren Ausschnitte. Man teilt den Himmel in Viertel, in Achtel, in Sechzehntel, und so weiter - so weit die Auflösung der Instrumente reicht (und die reicht mittlerweile weit, bis hin zu Ausschnitten, die nur ein paar Hundertstel Grad groß sind). Wenn man jetzt in einem Diagramm die beobachtete Energieschwankungen in den jeweilgen Ausschnitten gegenüber der Größe der Ausschnitte aufträgt, dann kriegt man eine Linie, die auf und ab schwankt. Man kann sich die Sache auch als Schwingung in diese "Urmaterie" vorstellen, also als eine Grundwelle mit vielen Oberwellen, die bescheibt, wie sich die Dichte im Gas verändert. Die Krümmungsfluktuationsperiode und der spektrale Index sind jetzt zwei Zahlen, mit denen man genau diese Schwingung mathematisch darstellen kann. Wie gesagt: Alles ein wenig kompliziert, aber es geht ja immerhin um die Beschreibung des gesamten Universums! Und diese sechs sind nur die auf jeden Fall nötigen Parameter, ohne die geht es auf keinen Fall. In Wahrheit umfasst das Lambda-CDM-Modell noch sehr viel mehr Parameter, die ich mir jetzt aber spare. Auf jeden Fall ist das Lambda-CDM-Modell eine wirklich gute Beschreibung des Universums. Die Messdaten der Hintergrundstrahlung passen zum Beispiel sehr gut zu dem, was vorhergesagt wird, also zu der auf und ab schwingenden Kurve die ich gerade erklärt habe. Und daraus folgen Werte für den Anteil der baryonischen und dunklen Materie, mit denen sich die Entwicklung der Galaxien sehr gut nachvollziehen lassen. Aber natürlich ist das Modell nicht perfekt. Es gibt sehr viele offene Fragen und sehr viel, was wir noch nicht verstehen. Es ist also definitiv damit zu rechnen, dass wir das Lambda-CDM-Modell in Zukunft immer wieder erweitern, modifiziern und anpassen müssen. Oder vielleicht sogar irgendwann komplett umbauen. Was nicht heißt, dass alles falsch sein könnte. Wir haben ja konkrete Beobachtungen die uns zeigen, dass da zum Beispiel die Hintergrundstrahlung ist, die nur entstanden sein kann, wenn das Universum früher sehr viel heißer und dichter war. Wir sehen, dass das Univesum sich ausdehnt. Und so weiter. Diese Daten kann man nicht ignorieren. Aber weiß weiß, ob wir dem Lambda-CDM-Modell in Zukunft nicht noch ein paar andere Buchstaben hinzufügen müssen…
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Dec 15, 2023 • 13min

Sternengeschichten Folge 577: Der Krieg zwischen Sonne und Mond und die erste Science-Fiction-Geschichte der Welt

Nehmt euch vor den Weinrebenmädchen in Acht! Sternengeschichten Folge 577: Der Krieg zwischen Sonne und Mond und die erste Science-Fiction-Geschichte der Welt Science Fiction ist keine Wissenschaft, aber sie hat die Wissenschaft immer schon beeinflusst. Lange bevor die ersten Raketen ins Weltall geflogen sind, haben sich Menschen schon vorgestellt, wie es sein könnte, durchs Weltall zu reisen. Mal realistischer, wie zum Beispiel Jules Verne in seinem Roman "Von der Erde zum Mond", mal weniger realistisch, wie Johannes Kepler in seinem Werk "Somnium", von dem ich in Folge 472 der Sternengeschichten ausführlich erzählt habe. H.G. Wells hat sich in "Krieg der Welten" vorgestellt, wie das Leben auf dem Mars aussehen könnte, Arthur C. Clarke hatte die Idee zu geostationären Satelliten und einem Weltraumlift in seinen Büchern entwickelt und zumindest eine davon ist später Realität geworden. Und so weiter - kurz gesagt: Die Science Fiction inspiriert die Wissenschaft dazu, die dort gezeigten Visionen umzusetzen und die Wissenschaft inspiriert die Science Fiction, die Realität kreativ weiterzudenken. Die klassische Science Fiction mit den Werken von H.G. Wells, Jules Verne oder Mary Shelley beginnt im 19. Jahrhundert, die moderne Science Fiction in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Aber natürlich haben Menschen auch schon früher entsprechende Ideen gehabt. Die Science Fiction ist ein so vielfältiges Genre, dass sie sich schwer abgrenzen lässt und ebenso schwer ist es, die "erste" Science-Fiction-Geschichte der Welt zu identifizieren. Aber es ist vermutlich nicht völlig falsch, wenn man bei dem Buch "Wahre Geschichten" anfängt. Geschrieben wurde es vor fast 2000 Jahren, im 2. Jahrhundert von Lukian von Samosata. Die Stadt Samosata lag damals in der römischen Provinz Syrien und ihre Ruinen heute unter dem Wasser des Atatürk-Stausees in der östlichen Türkei. Über das Leben von Lukian weiß man nicht sehr viel, aber er hat vermutlich als Redner und Autor gearbeitet und es sind knapp 70 seiner Werke bekannt. Eines davon ist "Wahre Geschichten" und darin findet man die früheste bekannte Darstellung einer Reise durch den Weltraum und von außerirdischen Lebewesen. Lukian wollte aber keine klassische Science Fiction schreiben; so etwas gab es damals in dem Sinne ja auch nicht. Sein Reisebericht ist eher eine Parodie auf die damalige Geschichtschreibung. Und "Geschichtsschreibung" hat damals wenig mit dem zu tun, was wir heute darunter verstehen. Diese Berichte waren im Wesentlichen frei erfundene Geschichten über das, was angeblich tatsächlich in fernen Ländern beziehungsweise der Vergangenheit passiert ist. In seiner Einleitung schreibt Lukian zum Beispiel "So hat Ctesias, Ctesiochus Sohn, aus Cnidus, in seinem Buche über Indien Dinge geschrieben, die er weder selbst gesehen, noch von irgend Jemand erzählen gehört hatte." Und fährt fort: "Viele Andere haben sich, in demselben Geiste, zur Aufgabe gemacht, uns ihre weiten Reisen, ihre Irrfahrten zu beschreiben, und von ungeheuren Bestien, wilden und grausamen Menschen, seltsamen Sitten und Gebräuchen zu erzählen." Auch Lukian will so einen Bericht verfassen und beendet seine Einleitung mit den Worten: "So erkläre ich denn feierlich: 'Ich schreibe von Dingen, die ich weder selbst gesehen, noch erfahren, noch von Andern gehört habe, und die eben so wenig wirklich, als je möglich sind.' Nun glaube sie, wer da Lust hat!" Was sollen wir also glauben, wenn wir Lust dazu haben? Die Reise von Lukian beginnt bei den Säulen des Herakles, also in Gibraltar, wo er mit 50 Kameraden ein Schiff besteigt. Sie segeln hinaus in den Atlantik, um "neue Dinge kennen zu lernen und zu erfahren, wo der Ocean aufhöre, und was wohl das für Leute seyn mögen, die jenseits desselben wohnen". Als erstes finden sie eine Insel, auf der ein Fluss aus Wein fließt. Auch die Fische darin bestehen aus Wein und müssen mit normalen "Wasserfischen" gemischt werden, um beim Essen nicht zu betrunken zu werden. Und Lukian findet auch ganz besondere Weinreben: "Unten am Boden bestanden sie aus einem sehr kräftigen und dicken Stamme, weiter aufwärts aber waren es Mädchen, die bis auf die Hüften herab an allen Theilen vollkommen ausgebildet waren". Diese Wesen, halb Wein, halb Frau haben Haare aus Weinblättern und Weintrauben und sind den Männern anscheinend durchaus freundlich gesinnt. Aber Achtung: "Zwei meiner Gefährten, die sich verführen ließen, konnten sich nicht wieder losmachen, sondern wuchsen und wurzelten dergestalt mit ihnen zu einem Gewächse zusammen". Die restlichen Männer, die den Weinfrauen entkommen sind, besteigen ihr Schiff, das aber sofort von einem Sturm in die Luft gehoben wird. Dort oben segelt es dann weiter, sieben Tage und sieben Nächte. Am achten Tag erreichen sie "eine Art von Erde in der Luft […] gleich einer großen, kugelförmigen, von hellglänzendem Lichte erleuchteten Insel". Als sie dort anlegen, erkennen sie tief unter sich eine andere Erde, die sie als ihre eigene erkennen. Lukian stellt fest, dass er auf dem Mond gelandet ist und dort geht es wild zu. Er wird sofort von einer Truppe Ritter, die auf riesigen Vögeln reiten festgenommen und zum König des Mondes gebracht. Der erklärt, dass er ursprünglich auch von der Erde kommt, jetzt aber gerade Krieg mit den Bewohnern der Sonne führt. Der Mondkönig wollte nämlich den unbewohnten Morgenstern kolonialisieren, was dem Sonnenkönig aber nicht gepasst hat. Es gab Krieg und Lukian ist gerade rechtzeitig zur großen Schlacht gekommen. Dort kämpfen jede Menge seltsame Wesen. Zum Beispiel die "Krautflügler", "eine außerordentlich große Gattung von Vögeln, die, anstatt mit Federn, über und über mit Krautblättern bewachsen sind". Es gab auch "Knoblauchstreiter" und "Hirsenschießer", außerdem auch "Flohspringer", die auf Flöhen reiten die so groß wie zwölf Elephanten sind. Und die "Luftspringer", "die aus der Ferne Rettiche von entsetzlicher Größe auf den Feind schleuderten. Wer von einem solchen Rettiche getroffen ward, starb gleich darauf, indem die Wunde augenblicklich in eine abscheulich riechende Fäulniß übergieng". Trotz all des grässlichen Gemüses gewinnt der Mond die Schlacht. Alle feiern, bis auf einmal die "Wolkenzentauren" auftauchen, gigantische fliegende Wesen halb Mensch, halb Pferd, die für die Sonne kämpfen und zu spät aufgetaucht sind. Jetzt aber greifen sie an, der Krieg bricht erneut aus und die Sonne gewinnt die Oberhand. Eine Mauer wird zwischen Mond und Sonne errichtet, "aus einer gedoppelten Reihe dichter Wolken gebildet, wodurch eine vollkommene Mondsfinsterniß entstand". Der Mondkönig ist gar nicht froh über die Finsternis, aber am Ende gibt es dann doch einen Friedensvertrag. Bevor Lukian wieder weiter reist, verfasst er noch einen kurzen Bericht über die Lebensweise der Mondbewohner. Es sind übrigens wirklich Mondbewohner und nicht auch Mondbewohnerinnen, denn Frauen gibt es dort nicht. Kinder werden dort, wie Lukian schreibt, "von Männern geboren, mit denen man hier in der Ehe lebt, indem jeder bis zum fünf und zwanzigsten Jahre der Geheirathete ist, nach dieser Zeit aber selbst heirathet. Sie tragen die Frucht nicht in der Bauchhöhle, sondern in der Wade: sobald nämlich das Empfängniß geschehen ist, wird die Wade dick und immer dicker; nach einiger Zeit aber schneidet man sie auf und zieht ein todtes Kind heraus, das nun mit offenem Munde dem Winde ausgesetzt und so zum Leben gebracht wird." Es gibt aber auch Baummenschen, deren Entstehung ein bisschen anders läuft. Lukian erklärt: "Man schneidet einem Manne den rechten Hoden ab, und pflanzt ihn in die Erde: aus diesem wächst nun ein ungeheurer, fleischerner Baum, in Gestalt eines Phallus, mit Zweigen und Blättern. Die Frucht, die er trägt, ist eine Art ellenlanger Eicheln, aus welchen, wenn man sie reif werden läßt und sodann auseinander schlägt, die Menschen genommen werden." Nun ja. Lukian weiß auch, was die Mondwesen essen: Den Dampf, der von gebratenen Fröschen aufsteigt. Es gibt am Mond auch Weinreben, die aber keine Weintrauben haben, sondern welche aus Wasser. Lukian vermutet, hier den Ursprung der Hagelkörner gefunden zu haben, die ab und zu auf die Erde fallen. Auf dem Mond gilt man übrigens nur als schön, wenn man eine Glatze hat und die Bewohner können ihre Augen herausnehmen: "Wer also Lust hat, nimmt sie aus und hebt sie auf, bis er etwas zu sehen braucht, alsdann setzt er nur seine Augen wieder ein und sieht." Auf der Rückreise macht Lukian zuerst beim Morgenstern halt, auf dem aber nicht viel los ist. Dann gelangt er zur "Lampenstadt", die "etwas unterhalb des Thierkreises zwischen der Luftregion der Pleiaden und der der Hyaden" liegt, wie Lukian schreibt. Diese Stadt wird tatsächlich ausschließlich von Lampen bewohnt, die in Laternen leben und Lukian trifft sogar seine eigene Hauslampe von der Erde. Auf der landen sie dann auch endlich wieder, werden aber sofort von einem gigantischen Walfisch verschluckt, in dem über tausend Menschen leben und gegeneinander Krieg führen. Nach dem Aufenthalt im Fisch gelangen sie in ein Meer aus Milch und auf eine Insel aus Käse, treffen danach diverse tote Prominente auf der Insel der Seligen, bis sie endlich wieder auf eine größere Landmasse treffen, "von welchem wir vermutheten, daß es der, unserm Erdtheil gegenüber liegende, Continent seyn möchte". Hier endet der Bericht von Lukian und es ist klar, dass das alles erstmal wenig mit Science Fiction der Art zu tun hat, die wir heute gewöhnt sind. Aber es wäre auch höchst überraschend, wenn sich jemand vor 2000 Jahren Raumschiffe mit Laserkanonen oder ähnlicher Technik ausgedacht hätte. Die Fiction in Science Fiction kann nur auf der verfügbaren Science basieren und zu Lukians Zeit wusste man nichts über den Weltraum. Warum sollte der Mond nicht einfach mit einem Schiff erreichbar sein, dass durch die Luft fliegt? Warum sollten dort keine Menschen leben? Natürlich hat Lukian sich einfach irgendeinen lustigen Quatsch ausgedacht, das war ja auch Ziel seines Werks, wie er in der Einleitung geschrieben hat. Aber allein die Tatsache, dass er sich für seine Reise eben nicht eine beliebige Reise ausgedacht hat, sondern eine Reise zum Mond, zur Sonne und zum Morgenstern; eine Reise über die Grenzen der Erde hinaus, zeigt, dass die Menschen auch damals schon darüber nachgedacht haben müssen, wie es denn wäre, auf diesen leuchtenden Himmelskörpern zu leben, die man in der Nacht sehen kann. Wie es sein könnte, zu diesen unerreichbaren Orten zu reisen und was man dort erleben könnte. Lukian hat sich die selben Gedanken gemacht, die sich nach ihm unzählige Menschen gemacht haben und die am Ende dazu geführt haben, dass wir tatsächlich und in echt zum Mond gereist sind. Die "Wahren Geschichten" von Lukian sind eine Parodie die man nur wirklich verstehen kann, wenn man die Zeit versteht in der sie geschrieben wurden und den Zweck kennt, zu dem sie verfasst worden sind. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass Lukian in seiner Fantasie durchs Weltall und zu anderen Himmelskörpern gereist ist und man kann sie deswegen durchaus zur Science Fiction zählen. Lukian hätte seine Kritik an den zeitgenössischen Reiseberichten ja auch ebenso gut anbringen können, wenn er von Reisen in ferne Regionen der Erde geschrieben hätte. Hat er aber nicht; er ist zum Mond, zur Sonne und zu den Sternen gereist! Und wer weiß, was er auf dem unbekannten Kontinent alles erlebt hat, mit dessen Entdeckung die "Wahren Geschichten" enden. Der letzte Satz dort lautet: "Was ich nun weiter auf dem festen Lande sah und erlebte, soll in den nächsten Büchern erzählt werden". Leider ein falsches Versprechen; diese Bücher gibt es nicht. Aber wie sonst sollte ein Autor eine Geschichte voller Lügen beenden, als auf diese Weise…

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