

Sternengeschichten
Florian Freistetter
Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge - das Universum bietet genug Material für immer neue Geschichten.
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Sep 6, 2024 • 10min
Sternengeschichten Folge 615: Astronomische Poesie
Dunkel war's, der Mond schien helle...
Sternengeschichten Folge 615: Astronomische Poesie
Die Beschäftigung mit den Sternen, den anderen Himmelskörpern, den Galaxien und dem Rest des Universums ist nicht nur Wissenschaft. Von Anfang an war der Himmel und das, was dort passiert, auch etwas, was Kunst, Literatur, Religion und so gut wie alle anderen Bereiche des menschlichen Lebens beeinflusst hat. Ich habe in früheren Folgen schon öfter über die Mythen des Sternenhimmels oder über die religiösen Aspekte der Astronomie gesprochen. Und natürlich auch über Science Fiction, den Bereich, wo Astronomie und Literatur bzw. Film am direktesten aufeinandertreffen. Aber heute möchte ich ein Blick auf die Poesie werfen. Wer nach Gedichten mit astronomischen Hintergründen sucht, wird schnell fündig werden. Nehmen wir zum Beispiel das, was Friedrich Schiller im Jahr 1797 unter dem Titel "An die Astronomen" veröffentlicht hat. Was hat der große Dichter und Denker der Astronomie zu sagen? Das hier:
"Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen,
Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch gibt?
Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume,
Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.."
Gut - ich will hier jetzt keine Gedichtinterpretation machen. Aber natürlich muss ich da dem guten Schiller schon ein wenig widersprechen. Wenn es nach mir geht, kann gar nicht genug von Nebelflecken und Sonnen geschwatzt werden. Aber immerhin hat er recht damit, wenn er sagt, dass unser Gegenstand, die Astronomie, "der erhabenste im Raume" ist. Die Astronomie IST die beste Wissenschaft, was sonst. Wenn ich vermuten wollen würde, was Schiller damit meint, dann etwas in der Art von: Die wissenschaftliche Erforschung der Welt ist das eine, aber über diese materielle Forschung hinaus gibt es das "Erhabene", dass von der Wissenschaft nicht erfasst werden kann. Oder so irgendwie. Das geht in eine ähnliche Richtung wie der Teil des Gedichts "Lamia" des britischen Autors John Keats. 1819 hat er dort geschrieben:
„Denn flieht nicht aller Zauber vor den Tücken
Nüchterner Denkungsart? Da war einmal
Ein Regenbogen hehr am Himmelssaal:
Jetzt kennt man sein Gewebe, seinen Bau,
Die Wissenschaft erklärte ihn genau
Und rubrizierte ihn wie andre Dinge.
Philosophie wirft ihre kecke Schlinge
Um Engelsschwingen und um Zauberpracht
In Luft und Bergesschoß und Meeresnacht,
Zerreißt die Wunder.“
Keats beschwert sich darüber, dass die Welt weniger spannend wird, wenn die Wissenschaft sie nüchtern erklärt. Aber ich denke, da irrt er sich und sowohl Keats als auch Schiller würden die Sache vermutlich anders sehen, wenn sie heute leben würden und sehen könnten, was wir für fantastische Dinge herausgefunden haben. Ja, es gilt immer noch, das die Wissenschaft die Wissenschaft ist und die Kunst die Kunst. Und die Vermittlung von Wissenschaft muss noch viel aufholen. Aber dass das Universum da draußen nicht nur wissenschaftlich erforscht sondern auch schlicht und einfach wunderbar gefunden werden kann, sollte heute klar sein. Ebenso klar ist es meiner Meinung nach auch, dass die Wunder nichts von ihrer Faszination verlieren, wenn man sie verstanden hat. Oder, um den Physiker Richard Feynman zu zitieren: Es kommt immer nur Schönheit dazu!
Aber eigentlich soll sich diese Folge ja nicht mit Wissenschaftskritik in Gedichtform beschäftigen, sondern mit astronomischer Poesie. Schillers Freund Johann Wolfgang Goethe war nicht nur ein großer Dichter sondern auch Naturforscher. Er hat den Mond mit dem Teleskop betrachtet (unter anderem gemeinsam mit Schiller) und natürlich auch Gedichte darüber geschrieben. 1778 sogar eines, das den Titel "An den Mond" trägt; mir ein bisschen besser gefällt sein Werk aus dem Jahr 1828 mit dem Titel "Dem aufgehenden Vollmond", das mit folgenden Zeilen beginnt:
“Willst du mich sogleich verlassen?
Warst im Augenblick so nah!
Dich umfinstern Wolkenmassen,
Und nun bist du gar nicht da."
Da kann man natürlich viel hinein interpretieren, auch nicht-astronomische Themen. Aber alle, die sich schon mal auf die astronomische Beobachtung gefreut haben und dann vor einem wolkigen Himmel gestanden sind, können nachvollziehen, was Goethe da schreibt.
Es gibt aber auch Gedichte, die wissenschaftliche Erkenntnisse sehr direkt widerspiegeln. Zum Beispiel den schönen Text "Der Mondberg-Uhu" von Christian Morgenstern:
“Der Mondberg-Uhu hat ein Bein,
sein linkes Bein, im Sonnenschein.
Das rechte Bein jedoch des Vogels
bewohnt das Schattenreich des Kogels.
Bis hundertfunfzig Grad im Licht
gibt Herschel ihm (zwar Langley nicht),
im Dustern andrerseits desgleichen
dasselbe mit dem Minuszeichen.
Sein Wohl befiehlt ihm (man versteht),
daß er sich stetig ruckweis dreht.
Er funktioniert wie eine Uhr
und ist doch bloß ein Uhu nur.”
Ein Uhu, der auf einem Berg am Mond steht, scheint nicht viel mit Wissenschaft zu tun zu haben. Morgenstern schreibt aber über die Temperatur auf dem Mond. Das war eine Frage, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das Gedicht erschien, noch nicht ganz geklärt war. Denn wie soll man das aus der Ferne messen? Der britische Forscher John Herschel hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts probiert, die Infrarotstrahlung des Mondes zu beobachten. Also die Wärme, die vom Mond abgestrahlt wird, woraus man seine Temperatur berechnen kann. Das ist gar nicht so einfach, aber Herschel kam zu dem Schluss, dass Mondgestein im direkten Sonnenlicht enorm heiß sein muss, weit über 100 Grad. Der amerikanische Wissenschaftler Samuel Pierpont Langley war anderer Meinung, seine Messungen legten nahe, dass die Mondoberfläche nur wenig über Null Grad Celsius warm ist.
Genau das sind die Positionen, die in Morgensterns Gedicht auftauchen: Bis hundertfünfzig Grad im Licht, gibt Herschel ihm (zwar Langley nicht). Heute wissen wir, dass Herschel Recht hatte. Die Höchsttemperatur des Mondes im Sonnenlicht liegt bei circa 130 Grad, in der Nacht kann es auf -160 Grad abkühlen.
Die Verbindung zwischen Poesie und Astronomie funktioniert aber auch andersrum. Anstatt wissenschaftliche Erkenntnisse in Gedichtform zu packen, kann man auch probieren, astronomisches Wissen aus der Poesie zu extrahieren. Das hat man zum Beispiel bei der antiken Dichterin Sappho probiert, die vor mehr als 2500 Jahren auf der griechischen Insel Lesbos gelebt hat. Es sind nur wenige ihrer Gedichte erhalten, aber in einem davon wird es definitisch astronomisch:
"Untergegangen sind der Mond
Und die Plejaden. Es ist Mitternacht,
Die Stunden vergehen.
Ich aber schlafe allein."
Das ist der Anfang des "Mitternachtsgedichts" und wie es weitergeht, wissen wir nicht - mehr ist nicht erhalten. Und das ist natürlich nur die deutsche Übersetzung des originalen Textes und es gibt viele Möglichkeiten, das zu übersetzen. Trotzdem ist klar: Sappho erzählt hier nicht nur darüber, dass sie in besagter Nacht alleine schlafen muss, sondern hat davor auch zum Himmel geschaut. Vielleicht hat sie auf die Person gewartet, die sie gerne in ihrem Schlafzimmer gehabt hätte und dabei Mond und Sterne betrachtet? Das werden wir nicht herausfinden, Forscherinnen und Forscher haben aber probiert, ob sie vielleicht rauskriegen können, wann Sappho in der Nacht gewartet hat. Immerhin gibt es ja ein paar halbwegs konkrete Angaben: Es ist Mitternacht, der Mond war zu sehen, ist es jetzt aber nicht mehr und gleiches gilt für den Sternhaufen der Plejaden. Das Ergebnis: Irgendwann zwischen dem 25. Januar und dem 31. März. In dem Zeitraum kann man den Himmel auf der Insel Lesbos so sehen wie in Sapphos Gedicht. Das Jahr kann man damit natürlich nicht bestimmen und genaugenommen ist der Rest auch ein wenig zweifelhaft.
Das, was in der deutschen Übersetzung "Mitternacht" heißt, muss zum Beispiel überhaupt nichts damit zu tun haben, was wir heute unter dem Begriff verstehen. Es war damals nicht unüblich, die Nacht in drei Abschnitte zu unterteilen und das, was Sappho im Original meint, wäre besser mit "im zweiten Drittel der Nacht" übersetzt anstatt mit "Mitternacht". Am Ende ist es ein Gedicht über Einsamkeit und kein astronomisches Beobachtungsprotokoll und genau so sollte man meiner Meinung nach ingesamt mit dem Thema der astronomischen Poesie umgehen.
Die Sterne, die Nacht, der Mond und die Sonne: All das ist nicht nur Wissenschaft, sondern auch Inspiration. Wir wollen das Universum verstehen, aber wir wollen uns davon auch verzaubern lassen. Je nach persönlicher Einstellung können verstehen und verzaubern identisch sein oder nicht. Aber wenn wir Gedichte schreiben, dann wollen wir meistens unsere Emotionen ausdrücken. Und manchmal kann man dafür eben auch die Astronomie verwenden, so wie es der deutsche Dichter Friedrich Rückert in seinem wunderbaren Gedicht "Du bist mein Mond" getan hat, mit dem ich diese Folge auch beenden möchte:
"Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde;
Du sagst, du drehest dich um mich.
Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß ich werde
In meinen Nächten hell durch dich.
Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde;
Sie sagen, du veränderst dich.
Allein, du änderst nur die Lichtgeberde,
Und liebst mich unveränderlich.
Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde;
Nur mein Erdschatten hindert dich,
die Liebesfackel stets am Sonnenherde
Zu zünden in der Nacht für mich."

Aug 30, 2024 • 12min
Sternengeschichten Folge 614: Die Vela-Supernova
Eine wissenschaftliche Wundertüte mit explosiver Vergangenheit
Sternengeschichten Folge 614: Die Vela-Supernova
"Ein außergewöhnlich langer Strahl aus extrem schwachen Licht." So lautet der Eintrag mit der Nummer 3145 in einer sehr langen Tabelle, die der britische Astronom John Herschel im Jahr 1847 veröffentlicht hat. Die Beobachtungen dazu hat er aber schon am 1. März 1835 durchgeführt und zwar als er einige Jahre in Südafrika verbrachte, um dort den Himmel der südlichen Hemisphäre zu katalogisieren. Auf den ersten Blick ist dieser Eintrag jetzt nicht sonderlich spektakulär. Herschel hat in den Jahren zwischen 1834 und 1838 nicht nur jede Menge Sterne sondern auch Sternhaufen und "Nebel" beobachtet und klassifiziert. Und einer dieser vielen, vielen Nebel war eben der, der aussieht wie ein "außergewöhnlich langer Strahl aus schwachem Licht". Später wurde dieser "Bleistiftnebel", wie man das Objekt wegen seiner Form genannt hat, dann auch von anderen und mit besseren Teleskopen beobachtet. Bis man aber herausgefunden hat, worum es sich dabei handelt, hat es noch ein wenig gedauert.
Der Bleistiftnebel - der auf den modernen Aufnahmen eher wie ein Besen aussieht und deswegen auch ab und zu "Hexenbesen" genannt wird - ist nur eine von vielen nebligen Strukturen in dieser Himmelsregion und sie alle zusammen sind das Resultat einer gewaltigen Explosion, die dort vor langer Zeit stattgefunden hat. Eine Explosion, durch die wir überhaupt erst gelernt haben, was mit diesen Explosionen überhaupt los ist, warum sie stattfinden und was sie für Folgen haben.
Fangen wir aber am besten mal mit den grundlegenden Dingen an. Den Bleistiftnebel hat Herschel im "Segel des Schiffs" entdeckt. So heißt ein Sternbild des Südhimmels, das im 18. Jahrhundert eingeführt wurde, als man das antike Sternbild "Argo Navis" auseinander genommen hat. Argo war ein Schiff; das Schiff der Argonauten aus den griechischen Mythen. Da es den modernen Astronomen aber zu viel Platz am Himmel eingenommen hat, hat man es in drei neue Sternbilder unterteilt: Carina, den "Kiel des Schiffs", Puppis, das "Achterdeck des Schiffs" und Vela, das "Segel des Schiffs". Alle drei gehören auch heute noch zu den offiziellen Sternbildern und ich erzähle das vor allem deswegen, weil wir den Begriff "Vela" im folgenden noch sehr oft brauchen werden. "Vela" ist der latenische Begriff für "Segel" und so wie es in der Astronomie üblich ist beziehungsweise damals noch viel mehr üblich war, bekommen Himmelsobjekte eine Bezeichnung, die sich unter anderem zusammensetzt aus dem lateinischen Begriff des Sternbilds, in dem sie am Himmel zu sehen sind.
Und deswegen hat der Astronom Henry Risbeth dann auch die Bezeichnungen Vela-X, Vela-Y und Vela-Z verwendet, als er 1958 genau in der Region des Bleistiftnebels drei sehr starke Quellen von Radiostrahlung entdeckt hat. Der sowjetische Astronom Iossif Schklowski hat diese Objekte dann 2 Jahre später in einer Arbeit erwähnt, die den vielversprechenden Titel "Die Natur der Supernovae" trägt. Heute wissen wir ja schon recht gut, worum es sich dabei handelt: Um die gewaltigen Explosionen am Ende eines Sternenlebens. Wir unterscheiden zwei grundlegend unterschiedliche Arten. Supernovae vom Typ I, bei denen zwei Sterne einander umkreisen. Der eine ist schon am Ende seines Lebens angekommen und hat kein Material für die Kernfusion mehr. Wenn jetzt aber der andere Stern recht nahe ist, kann von dort neuer Wasserstoff auf den schon toten Stern gelangen, wodurch die Kernfusion jetzt erneut und enorm heftig einsetzt: Der Stern explodiert.
Supernovae vom Typ II entstehen, wenn sehr massereiche Sterne das ganze Material in ihrem Inneren für die Kernfusion verbraucht haben. Wenn die dann aufhört und keine Energie mehr von innen nach außen dringt, kollabiert der ganze Stern unter seinem eigenen Gewicht und das passiert so schnell und heftig, dass gewaltige Energiemengen frei werden und der Stern ebenfalls explodiert. Übrig bleibt, wenn überhaupt, nur ein sehr kleiner aber dafür sehr dichter und massereicher Rest, ein Neutronenstern; ein Objekt so schwer wie die Sonne, aber nur ein paar Dutzend Kilometer groß.
Damals, in den 1960er Jahren, waren die Grundprinzipien dieser Vorgänge zwar auch schon bekannt, aber das Thema war doch noch vergleichsweise neu und es gab viele offene Fragen. Aus seiner Untersuchung der Strahlung von Vela-X, Vela-Y und Vela-Z, zusammen mit den Daten über die ganzen nebelartigen Dinger in der Region konnte Iossif Schklowski aber bestimmen, dass dort genau so eine vorhin beschriebene Supernova vom Typ II stattgefunden haben muss. Der Bleistiftnebel und die anderen Wolken, die man dort sehen kann, sind die Überreste des Sterns, die bei der Explosion ins All geschleudert werden. Und die Radioquellen gibt es, weil die Sternenreste nicht langsam und friedlich durchs All wabern, sondern mit enormer Geschwindigkeit durch die Gegend sausen. Dabei leuchtet das Material und es leuchtet auch im Radiolicht.
Noch besser konnte man die Sache dann in den 1970er Jahren verstehen, denn da gab es die ersten guten Röntgendaten über die Region in Vela. Röntgenastronomie ist ja schwierig; viele Himmelsobjekte und Prozesse erzeugen Röntgenstrahlung, aber die ist nicht in der Lage, die Atmosphäre der Erde zu durchdringen. Heute haben wir gute Weltraumteleskope, die Röntgenastronomie betreiben können. Aber damals war die Sache noch ein wenig schwieriger. Zwei wissenschaftliche Arbeiten aus dem Jahr 1971 beschreiben, wie man vorgehen musste. Man packte Röntgendetektoren auf Raketen, die recht martialische Namen tragen, in dem Fall Nike-Tomahawk und Terrier-Sandhawk. Das war kein Zufall, denn diese Raketen waren tatsächlich eigentlich Boden-Luft-Raketen, die von Kampfschiffen aus abgefeuert wurden. Die hat man dann aber auch als untere Stufe für Höhenforschungsraketen benutzt, um so etwas wie Röntgenstrahlung aus dem All zu messen. So oder so ist es damit gelungen zu zeigen, dass aus den nebligen Überresten der Vela-Supernova starke Röntgenstrahlung kommt. Sehr stark; mehr als man fast überall sonst am Himmel messen konnte. Das hat aber genau zu dem gepasst, was drei andere Astronomen schon 1968 entdeckt haben. Mit dem Radioteleskop der Universität Sydney konnte man in der Gegend der Vela-Supernova einen Pulsar finden. Davon habe ich ja in Folge 142 schon sehr ausführlich erzählt. Diese Himmelskörper waren damals noch sehr neu, zumindest für uns. Erst ein Jahr vor der Beobachtung in Australien hat die britische Astronomin Jocelyn Bell überhaupt erst entdeckt, das es sowas wie Pulsare überhaupt gibt. Sie konnte extrem starke und vor allem extrem periodische Radiosignale vom Himmel empfangen, so regelmäßig, dass man kurzfristig sogar dachte, es könnten Botschaften von Aliens sein.
Waren sie aber nicht; was die Pulsare aber tatsächlich waren, war zu der Zeit noch ein wenig unklar. Es gab die Vermutung, es könnte sich um sehr schnell rotierende Neutronensterne handeln. In den äußeren Bereichen dieser Objekte wird jede Menge Radio- und Röntgenstrahlung erzeugt und Neutronensterne haben auch ein starkes Magnetfeld, dass diese Strahlung quasi fokusiert. Wenn der Neutronenstern jetzt gerade so rotiert, dass die magnetischen Pole in Richtung Erde zeigen, kriegen wir dort periodische Signale zu sehen. Wie der Lichtkegel eines Leuchturms streicht der Strahlungskegel des Neutronensterns dann bei jeder Rotation einmal über die Erde.
Klingt alles sehr plausibel. Aber damals wusste man nicht, ob das auch wirklich so ist. Geändert hat das erst die Erforschung der Vela-Supernova. Der Fachartikel, den die australischen Forscher geschrieben haben, trägt den Titel "Ein Pulsar-Supernova-Zusammenhang?" und stellte fest, dass der neu entdeckte Pulsar genau da sitzt, wo man schon vorher die nebligen Reste der Supernova gefunden hat. Wo also vermutlich ein Neutronenstern sein muss. Und dass das jetzt doch ein wirklich guter Beleg dafür sein könnte, dass Pulsare tatsächlich schnell rotierende Neutronensterne sind. Und so war es dann auch. Der Vela-Pulsar - wie er heute genannt wird - ist das, was vom kollabierenden Stern übrig geblieben ist und der Bleistiftnebel und die anderen Wolken dort sind das, was dieser Stern bei seiner Explosion hinaus ins All geschleudert hat.
Aus der Geschwindigkeit, mit der sich diese Reste bewegen und aus dem Raum, den sie derzeit einnehmen kann man auch - zumindest grob - zurückrechnen, wann sie sich auf den Weg gemacht haben, also wann die Supernova stattgefunden hat. Nämlich vor ungefähr 19.000 Jahren, es kann aber auch ein paar 1000 Jahre früher oder später gewesen sein; so genau sind die Daten leider doch nicht. Aber auf jeden Fall war das zu lange her, als das wir davon irgendwo alte Aufzeichnungen finden könnten. Und auch sonst nichts: Der Vela-Pulsar ist mit einer Entfernung von gut 1000 Lichtjahren zwar vergleichsweise nahe, zumindest wenn es um große Supernova-Explosionen geht. Aber es besteht keine Chance, dass irgendwas von dem Material das die Explosion ins All geschleudert hat, auf die Erde gelangt ist. Es bewegt sich zwar schnell, aber natürlich nicht mit Lichtgeschwindigkeit und 1000 Lichtjahren sind, was das angeht, eine sehr große Distanz. Es kann sein, dass wir in der Vergangenheit ein bisschen mehr Gammastrahlung abbekommen haben, die von der Vela-Supernova stammt - aber auch das hat vermutlich keine großen Auswirkungen gehabt.
Die Auswirkungen der Supernova auf die Wissenschaft waren dagegen sehr viel größer. Nicht nur, dass wir dadurch verstanden haben, wie Pulsare und Neutronensterne zusammenhängen. Auch in Zukunft werden wir noch viel vom Vela-Pulsar lernen können. Wir beobachten dort nämlich immer wieder sogenannte "Glitches". So nennt man ein Phänomen, bei dem sich die Rotationsgeschwindigkeit eines Pulsars kurzfristig erhöht und dann wieder langsamer wird. Eigentlich rotiert so ein Pulsar ja extrem regelmäßig. Extrem schnell - ein paar hundert bis tausend Umdrehungen pro Sekunde oder noch mehr sind völlig normal - aber eben auch sehr regelmäßig. Über lange Zeiträume hinweg verliert der Pulsar Schwung und wird langsamer, aber bei einem Glitch passiert etwas anderes. Die Rotationsgeschwindigkeit wird um circa ein Millionstel schneller, bleibt ein paar Dutzend Sekunden lang auf diesem erhöhten Wert, bevor sich die Geschwindigkeit dann in den nächsten paar Monaten wieder dem normalen Wert annähert. Wir vermuten, dass das irgendwas mit den Vorgängen im Inneren des Neutronensterns zu haben muss und mit den extremen Zuständen, die die Materie dort haben muss. Aber wirklich erklären können wir das noch nicht; dazu verstehen wir diese extremen Zustände zu wenig und wissen auch noch zu wenig über die Natur der Neutronensterne. Aber der Vela-Pulsar ist - neben einem anderen, dem Pulsar im Krebsnebel - der einzige, bei dem wir schon mehrere dieser Glitches beobachten konnten. Der Vela-Pulsar schickt auch immer wieder Mal Gammastrahlung mit überraschend hoher Energie ins All, mehr als man von einem Objekt dieser Art erwarten würde. Das hat vermutlich mit spontanen Änderungen seines Magnetfeldes zu tun, aber auch hier wissen wir noch nicht Bescheid. Aber wenn wir irgendwann Bescheid wissen, was im Inneren eines Neutronensterns passiert, dann werden wir das mit Sicherheit den Beobachtungen des Vela-Pulsars zu verdanken haben. Nicht schlecht für etwas, das mit
einem langen Strahl aus extrem schwachen Licht angefangen hat.

Aug 23, 2024 • 9min
Sternengeschichten Folge 613: Das abenteuerliche Leben der Quallengalaxien
Kosmische Quallen im galaktischen Fahrtwind
Sternengeschichten Folge 613: Das abenteuerliche Leben der Quallen-Galaxien
Wer schon einmal eine Qualle gesehen hat, die nicht tot und matschig irgendwo am Strand liegt, sondern durchs Meer eher schwebt anstatt zu schwimmen wird zustimmen: Diese Lebewesen sehen nicht so aus, als würden sie auf die Erde gehören. Mit ihren bunten Farben, transparenten Körpern, Tentakeln und wallend-schwebenden Bewegungen wirken sie definitiv außerirdisch und nicht von dieser Welt. Nun gibt es natürlich absolut keine Hinweise, dass es sich bei Quallen tatsächlich um Aliens handelt. Diese Tiere sind Teil des Lebens auf der Erde und so wie alles andere durch die Evolution entstanden. Und damit lassen wir die Biologie jetzt beiseite. Die ist zwar durchaus spannend - aber ich will etwas über Astronomie erzählen. Und so spektakulär es auch wäre, wenn ich jetzt von außerirdischen Quallen in den Ozeanen fremder Planeten berichten könnte: Darum geht es leider nicht. Es geht stattdessen um Galaxien und zwar eine ganz besondere Art von Galaxien, die man "Jellyfish galaxies" oder auf deutsch "Quallengalaxien" nennt.
Wenn man sich ein Bild von so einer Galaxie ansieht, dann sieht man schnell, warum sie so bezeichnet werden. Ich empfehle, im Internet nach einem Bild der Galaxie mit der Bezeichung IC 5337 beziehungsweise JW100 zu suchen. Oder die Galaxie ESO 137-001. In beiden Fällen sieht man eine Galaxie, die auf den ersten Blick in etwa so aussieht, wie man sich das vorstellt: Eine große Scheibe aus Sternen. Auf den zweiten Blick erkennt man aber tentakelartige Auswüchse die blau und rosa-rötlich leuchten und sich von der Scheibe weit hinaus ins All erstrecken. Insgesamt schauen die Galaxien tatsächlich so aus wie gigantische Quallen, die durch die Weiten des Weltraums treiben.
Abgesehen vom äußerst ansprechenden ästhetischen Eindruck dieser Galaxien erzählen uns diese kosmischen Quallen aber auch einiges darüber, was einer Galaxie im All so passieren kann. Die Jellyfish-Galaxien sind ein sehr beeindruckender Beleg dafür, dass selbst so etwas gewaltiges wie eine Galaxie aus hunderten Milliarden von Sternen nicht isoliert von ihrer Umgebung existieren. Davon kann man durchaus überrascht sein, denn immerhin sind Galaxien ja nicht nur enorm groß; zwischen ihnen ist auch enorm viel Platz. Unsere Milchstraße hat zum Beispiel eine Ausdehnung von circa 100.000 Lichtjahren. Bis zur nächsten Nachbargalaxie, der Andromeda, sind es aber immer noch gut 2,5 Millionen Lichtjahre. Da kann man schon auf die Idee kommen, dass da keinerlei Einflussmöglichkeit zwischen den Galaxien besteht.
Die Realität sieht aber anders aus. Ich habe in diversen Folgen ja schon davon erzählt, dass Galaxien eben gerade keine isolierten Objekte sind. Sie bilden Haufen und Gruppen, die durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden, die die Galaxien aufeinander ausüben. Die Milchstraße und die Andromeda sind zum Beispiel mit jeder Menge anderer Galaxien Teil der "Lokalen Gruppe", von der ich in Folge 371 ausführlich erzählt habe. Und diese Galaxienhaufen finden sich zu noch größeren Ansammlungen zusammen, den Superhaufen. Und ich habe auch schon oft erzählt, dass das leere All nicht wirklich komplett leer ist. Zwischen den Sternen, zwischen den Galaxien und zwischen den Galaxienhaufen ist zwar nicht viel, aber eben nicht Nichts. Dort finden wir die interstellare Materie oder, im Falle der Galaxienhaufen, das sogenannte Intracluster-Medium, von dem ich in Folge 579 mehr erzählt habe. Das sind zwar, vereinfacht gesagt, nur ein paar Atome hier und da, aber auch das kann Auswirkungen haben, wie wir noch sehen werden.
Also: Die Galaxien beeinflussen sich erstens gegenseitig durch ihre Gravitationskraft und bilden Gruppen. Und zweitens ist der Raum zwischen ihnen nicht leer. Schauen wir also mal so eine Galaxie an, die sich in einem Galaxienhaufen befindet. Sie bewegt sich, angetrieben durch die Gravitationskraft der anderen Galaxien und sie bewegt sich durch das Intracluster-Medium, also das extrem dünne Gas, das sich zwischen den Galaxien befindet. Was jetzt passiert, kennen wir aus dem Alltag. Dazu kann man sich zum Beispiel auf ein Fahrrad setzen und - gerne etwas schneller - losradeln. Dann wird man den Fahrtwind spüren und der wird einem die Haare nach hinten wehen lassen (sofern man Haare in ausreichender Länge hat natürlich). Galaxien haben keine Haare, aber die Sache mit dem Fahrtwind ist eine gute Analogie. Die Teilchen aus dem Intracluster-Medium treffen auf die interstellare Materie. Also all das Zeug, dass sich IN den Galaxien, zwischen den Sternen befindet. Das wird quasi gebremst und bleibt zurück, während die Galaxie sich weiter durch das Intracluster-Medium bewegt. So entstehen lange Ströme aus Gas und es ist Gas, dass durch diesen Vorgang ordentlich durchgewirbelt worden ist. Das kann dazu führen, dass sich das Gas zusammenballt zu Gaswolken, die dann kollabieren und so dicht werden, dass Kernfusion einsetzt. Oder anders gesagt: In den Gasströmen, die die Galaxie aufgrund des "Fahrtwindes" hinter sich her zieht, leuchten junge Sterne auf. So entstehen die bunten Tentakel der Jellyfish-Galaxien.
Etwas weniger poetisch wird dieser Prozess in der Astronomie als "Ram Pressure Stripping" bezeichnet, was auf deutsch so viel wie "Staudruck-Abtragung" bedeutet, aber eigentlich nie auf deutsch verwendet wird. Die ersten, die diesen Vorgang wissenschaftlich beschrieben haben, waren die amerikanischen Astronomen James Gunn und Richard Gott in einer Arbeit aus dem Jahr 1972. Eine detaillierte Untersuchung der Galaxien in weit entfernten Galaxienhaufen war aber erst später mit besseren Teleskopen möglich. Im Jahr 2014 haben Harald Ebeling, Lauren Stephenson und Alastair Edge Bilder ausgewertet, die das Hubble-Weltraumteleskop von Galaxienhaufen gemacht hat. Dabei fanden sie jede Menge sehr gute Bilder von Galaxien, die deutliche Anzeichen von sehr starken Ram Pressure Stripping zeigen. In ihrer Arbeit schreiben sie dazu "Aus offensichtlichen Gründen werden wir sie im folgenden als "Jellyfish-Galaxien" bezeichnen".
Die Bilder der Galaxien sind zwar im Vergleich mit den Aufnahmen aus späteren Jahren eher unscheinbar, aber man kann auch da die Ähnlichkeit mit Quallen erkennen. Seitdem sind Galaxien dieser Art auch in der Wissenschaft als "Jellyfish-Galaxien" bekannt und sie sind nicht nur schön, sondern auch wichtig, wenn wir verstehen wollen, wie so eine Galaxie funktioniert. Wenn wir in einem Haufen zum Beispiel sehr viele dieser Quallengalaxien beobachten, dann können wir davon ausgehen, dass auch das Intracluster-Medium entsprechend dicht ist. Je mehr Gas durch das Ram Pressure Stripping aus den Galaxien entfernt ist, desto weniger neue Sterne können dort entstehen. Andererseits kann der "Fahrtwind" auch Gas in den Galaxien komprimieren und so die Sternentstehung anregen. Auf jeden Fall ist aber klar: Jellyfish-Galaxien machen eine Entwicklung durch, die andere Galaxien nicht durchlaufen. Ihr Leben wird, etwas vereinfacht gesagt, quasi abgekürzt, die Sternentstehung läuft schneller als üblich und sie verlieren viel von dem Material, das für die Entstehung neuer Sterne nötig ist. Jellyfish-Galaxien zeigen uns, dass es auch für Galaxien unfreundliche Gegenden im Universum gibt. Aber immerhin sorgt der wilde Ritt durch die Galaxienhaufen dafür, dass wir ein paar extrem schöne Bilder machen können.

Aug 16, 2024 • 12min
Sternengeschichten Folge 612: Kommunikation mit Marsbewohnern im 20. Jahrhundert
Wie schickt man ein Telegramm zum Mars?
Sternengeschichten Folge 612: Kommunikation mit Marsbewohnern im 20. Jahrhundert
"Drei Männer verbrachten die letzte Nacht wartend, neben einem Radioempfänger, in dem Versuch eine Nachricht vom Mars zu erhalten." So beginnt ein Artikel, der am 24. Oktober 1928 in der britischen Zeitung "Daily Mirror" erschienen ist. Wir werden später noch erfahren, wer diese drei Männer waren und warum sie gehofft haben, dass sich Marsmenschen per Radiobotschaft bei ihnen melden. Ich beginne diese Geschichte aber mit der Zeit, in der sie spielt. Heute haben wir zwar jede Menge Grund, mit dem Mars per Funk Kontakt aufzunehmen. Aber wir tun das, weil wir im Laufe der Zeit jede Menge Raumsonden und Rover dorthin geschickt haben. Und die wollen wir von der Erde aus steuern; wir wollen ihre Daten empfangen, und so weiter. Wir wissen, dass definitiv nicht damit zu rechnen ist, dass sich irgendwelche Marsmenschen mit Botschaften bei uns melden und dass es auch nichts bringt, ihnen Nachrichten zu schicken. Es gibt keine Marsbewohner.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat die Sache aber noch ein wenig anders ausgesehen. Damals war es auch aus wissenschaftlicher Sicht nicht unplausibel, sich einen Mars vorzustellen, der von intelligenten Wesen bewohnt wird. Das lag einerseits daran, was wir damals über unseren Nachbarplaneten gewusst haben. Und andererseits vor allem daran, was wir nicht gewusst haben.
Der Mars war für uns lange Zeit nur ein rötlicher Punkt am Himmel. Zuerst war das ein Symbol der Götter, die sich da irgendwo im Himmel rumtreiben. Dann haben wir zwar rausgefunden, dass es sich um einen Planeten handelt muss, ein Himmelskörper, der so wie die Erde um die Sonne kreist. Aber sehr viel mehr gewusst haben wir nicht. In den ersten Teleskopen des 17. und auch in den besseren Modellen des 18. Jahrhunderts hat man nicht viel vom Mars erkennen können. Im 19. Jahrhundert sah die Lage schon ein bisschen besser aus, aber so wirklich viel war auch da nicht zu sehen. Ich habe in Folge 404 der Sternengeschichten von Giovanni Schiaparelli, Percivall Lowell und der Entdeckung der Marskanäle erzählt. Damals, gegen Ende des 19. Jahrhunderts dachte man, man hätte durchs Teleskop Kanäle am Mars gefunden. Künstliche Bauwerke, die Marsbewohner angelegt haben, um Wasser von den Polkappen (deren Existenz man ebenfalls im Teleskop sehen konnte) in die Wüsten des Äquators zu transportieren. Auch das klingt aus unserer heutigen Sicht absurd - und wir wissen ja auch, dass da keine Kanäle sind, sondern dass das optische Effekte und Fehler in den Teleskopen waren, die falsch interpretiert wurden. Aber damals hatte man eben so gut wie kein Wissen über den Mars oder die anderen Planeten. Man wusste, dass es sich beim Mars - und auch beim anderen Nachbarplaneten, der Venus - um Objekte handelt, die prinzipiell so wie die Erde waren. Also Himmelskörper mit einer festen Oberfläche und einer Atmosphäre. Man wusste außerdem, dass sowohl Mars als auch Venus prinzipiell genug Wärme von der Sonne abkriegen, um dort halbwegs lebensfreundliche Bedingungen zu ermöglichen. Und wenn unsere Nachbarplaneten bewohnbar sein können, nun ja - dann sind sie vermutlich auch bewohnt! Auch das war lange Zeit eine anerkannte Meinung in der Wissenschaft. Ein wenig beeinflusst auch durch die Religion hat man es quasi als Platzverschwendung angesehen, dass da Himmelskörper existieren, ohne das sie einen Sinn erfüllen. Und wenn offensichtlich der Zweck der Erde ist, die Heimat für uns Menschen zu sein, dann müssen die anderen Planeten das Zuhause anderer Wesen sein.
Gut, wir wissen heute, dass das Quatsch ist. Die Planeten sind nicht von irgendeinem Schöpferwesen nach Plan konstruiert worden; schon gar nicht für uns Menschen, die wir auch nicht die "Krone der Schöpfung" sind. Aber aus damaliger Sicht konnte man so eine Ansicht durchaus vertreten. Zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam dann noch ein weiterer Faktor dazu: In der Physik hat man gelernt, den Elektromagnetismus zu verstehen. Man war in der Lage, per Radiowellen Botschaften einfach so durch die Luft zu schicken. Was also lag näher, als zu versuchen, auf diesem Weg auch den Mars zu kontaktieren? Vor allem da der Mars gerade so schon nah war. Unser Nachbarplanet ist ja ein bisschen weiter weg von der Sonne als die Erde und braucht ein wenig länger für eine Runde um die Sonne. Der Abstand zwischen den beiden Planeten ändert sich logischerweise dauernd. Es kann sein, dass die Erde gerade auf der einen Seite der Sonne steht und der Mars weit, weit auf der anderen Seite.
Aber alle zwei bis drei Jahre gibt es eine sogenannte Oppostion. Dann befinden sich Erde und Mars auf der selben Seite der Sonne und sind einander sehr nahe. Das nutzen wir heute aus, um in diesen Zeiten vermehrt Raumsonden zum Mars zu schicken. Im frühen 20. Jahrhundert nutzte man die Gelegenheit, um zu versuchen, mit dem Mars zu kommunizieren.
Im August 1924, als gerade wieder so eine Opposition stattfand, forderte zum Beispiel Curtis Wilbur, Sekretär der US Navy ein Telegram an alle Radiostationen der amerikanischen Küste. Man wollte die Astronomie unterstützen und daher sollen alle zwischen 21. und 24. August nach Radiobotschaften aus dem All horchen. Das war bei weitem nicht der erste Versuch dieser Art. Schon in den Jahren davor hatte zum Beispiel Guglielmo Marconi ähnliches probiert. Marconi hatte immerhin 1909 den Physiknobelpreis für seine Arbeit an der drahtlosen Telegrafie erhalten. Er hat immer wieder davon berichtet, seltsame Signale aufgefangen zu haben, die aus dem Weltall stammen würden, vermutlich vom Mars. Und warum nicht antworten, wenn die Leute dort uns offensichtlich kontaktieren wollen?
Womit wir jetzt wieder bei den drei Männern vom Beginn der Geschichte sind. Die Hauptperson ist Hugh Mansfield Robinson. Eigentlich war er Beamter in der Steuerbehörde des Londoner Stadteils Shoreditch, in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist er aber durch seine Kommunikation mit den Marsbewohnern. Die lief nämlich schon, als der Kommunikationsversuch im Jahr 1928, von dem die Zeitung berichtet, gestartet wurde. Schon zwei Jahre zuvor, während der Mars-Opposition 1926 hatte Robinson die ersten Botschaften mit dem Mars ausgetauscht. Für diesen Zweck hatte er extra ein Instrument erfunden, ein Psychomotormeter. Das klingt zwar beeindruckend, läuft aber darauf hinaus, dass Mansfield Robinson behauptet hat, mit dem Mars einen telepatischen Kontakt hergestellt zu haben. Und zwar mit einer Marsfrau namens Oomaruru, über zwei Meter groß, so wie es auf dem Mars üblich ist, mit langen Haaren und sehr großen Ohren. Abgesehen vom unüblichen Aussehen läuft es auf dem Mars aber so wie auf der Erde, man fährt mit Autos, trinkt Tee und raucht Pfeife. In der damaligen Zeit waren Telepathie und Spiritualismus zwar enorm angesagt - aber man kann sich denken, dass so ein telepatischer Kontakt mit Marswesen von einigen trotzdem für Quatsch gehalten wurde.
Vielleicht hat Mansfield Robinson deswegen auch die britische Post bemüht. Im Oktober 1926 fragte er an der Sendestation in Rugby, damals eine der stärksten der Welt, wie viel es den kosten würde, ein Telegram über eine Entfernung von circa 56 Millionen Kilometer zu senden. Zu seinem Glück verrechnete die Post dafür nur den üblichen Tarif für eine Auslandsnachricht. Also schickte Robinson seine Botschaft ab, die aus den Worten "Opesti, Nipitia, Secomba" bestand. Was das bedeuten soll, wissen wahrscheinlich nur Robinson und die Marsbewohner, an die sie gerichtet haben; erklärt hat er die Botschaft nie. Die Postbeamten wurden angewiesen, auf eine Antwort zu warten, die aber leider nie angekommen ist. Zum Glück konnte Robinson aber ja telepatisch bei Oomaruru nachfragen und wurde von ihr informiert, dass das Telegram wohl nicht durchgekommen ist. Zwei Jahre später startete Robinson einen neuen Versuch. Die Post war mittlerweile ein wenig skeptisch was die Angelegenheit anging. Aber sie machte trotzdem mit, nicht, weil sie das als ernsthaften wissenschaftlichen Versuch betrachtet hat, wie aus einer internen Nachricht über das Ereignis hervor geht, sondern weil das gute Werbung für das Telegraphenamt war. Die Nachricht, die am 24. Oktober 1928 geschickt wurde, bestand aus den Worten "Mar la oi de earth" was laut Robinson "Liebe an den Mars von der Erde" bedeuten soll. Und dann wartete Robinson auf eine Antwort. Mit ihm dabei waren ein Journalist des Daily Mirror, von dem auch der zu Beginn erwähnte Artikel stammt. Und Professor Archibald Low, der von der Zeitung als "der berühmte Wissenschaftler" bezeichnet wird. Und der zwar tatsächlich ein interessante Erfindungen gemacht hat, aber keinen Job an einer Uni und schon gar keine Professur hatte. Sich aber dennoch gerne als Professor bezeichnet und in der Öffentlichkeit präsentiert hat. Er mochte die öffentliche Aufmerksamkeit, und, als Autor von Science Fiction Büchern, fand er Marsbewohner sicher auch sehr spannend.
Der Rest der wissenschaftlichen Welt war zwar weniger von Low begeistert, aber egal. Einen Radioempfänger bereitstellen konnte er auf jeden Fall - aber trotzdem die drei Männer die ganze Nacht auf eine Antwort vom Mars warteten, kam sie nie. Die Post hatte die falsche Frequenz verwendet - das war zumindest die Erklärung von Robinson. Aber auch als er später eine andere Nachricht mit angeblich passender Frequenz von einer Station in Brasilien verschicken ließ, kam keine Antwort.
Danach gab Robinson den Versuch auf, Telegramme zum Mars zu schicken und gründete stattdessen eine Schule, um den Menschen Telepathie beizubringen, um so den Weltfrieden zu erreichen. Die Idee stammte natürlich von Oomaruru, die sehr besorgt angesichts des Mangels an Frieden auf der Erde war. Eine begründete Sorge in den späten 1920er Jahren, aber eine von Marsmenschen inspirierte Telepathieschule ist vermutlich nicht der beste Weg, um mehr Frieden auf der Welt zu erreichen.
Robinson starb 1940 - und bis heute haben wir kein Telegramm vom Mars erhalten. Man sollte sich aber dennoch nicht zu lustig über Menschen wie den telepathischen Steuerbeamten machen. Ok, Robinson ist schon ein ziemlich heftiger Fall und wäre heute wahrscheinlich ein waschechter Esoteriker und Pseudowissenschaftler. Aber dass man damals versucht hat, mit Bewohnern des Mars zu kommunizieren, ist zumindest aus der Sicht des frühen 20. Jahrhunderts nicht völlig absurd. Es gab durchaus eine wissenschaftliche Basis für dieses Vorhaben. Wir tun das ja heute immer noch. Nicht mit dem Mars. Aber wir probieren herauszufinden, ob es Leben auf den Planeten anderer Sterne gibt; wir suchen sogar - mit höchst wissenschaftlichen Methoden - nach Botschaften intelligenter Außerirdischer und überlegen uns, wie wir mit etwaigen Aliens sinnvoll kommunizieren können. Ob das die Menschen der Zukunft genauso für Quatsch halten wie wir heute die Arbeit von Mansfield Robinson und Co wird sich zeigen. Aber egal ob Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft: Den Wunsch, nicht allein in diesem großen Universum zu sein, können wir alle verstehen.

Aug 9, 2024 • 13min
Sternengeschichten Folge 611: Die Schuhmann-Resonanz - Esoterik trifft Planetologie
Der "Herzschlag der Erde", aber wissenschaftlich!
Sternengeschichten Folge 611: Die Schuhmann-Resonanz - Esoterik trifft Planetologie
„Sättigen Sie Ihre Zellen mit der heilenden Schumann Resonanz Frequenz" - dazu fordert uns die Werbung für ein Hörbuch auf, denn wenn wir das tun, dann sind "Körper, Geist und Seele im Gleichgewicht" und wir können unsere "Lebensenergie deutlich steigern, die physische Struktur des Körpers harmonisieren und verjüngen". Und das funktioniert deswegen, weil "die Synchronisierung mit der natürlichen Frequenz des Planeten (7,83 Hz) den Menschen Vorteile wie verbessertes Lernen/Gedächtnis, Zellerneuerung, energetisches Gleichgewicht, weniger Stress, Erdung und tiefe Entspannung bringen kann". Die Schumann-Resonanz ist, wie uns eine andere Seite informiert, der "Herzschlag der Erde", die "genau mit der Eigenfrequenz des menschlichen Gehirns übereinstimmt. Damit beeinflusst sie unser Leben und unser Bewusstsein. Diese Frequenz wird von der Zirbeldrüse empfangen, die alle unsere Körperabläufe steuert." Und wenn wir ein paar Geräte kaufen, die uns mit diesem Herzschlag synchronisieren, dann wird alles wieder gut!
Keine Sorge, trotz all dieser unwissenschaftlichen Esoterik - und es IST unwissenschaftliche Esoterik, dazu kommen wir später noch - wird es hier heute natürlich trotzdem um Wissenschaft gehen. Ich erzähle etwas über die Erde, ihre Atmosphäre und über Möglichkeiten, wie wir andere Himmelskörper besser verstehen können. Dazu muss ich aber auch von der "Schuhmann-Resonanz" erzählen und die taucht leider im Internet sehr viel öfter in einem unwissenschaftlichen Esoterik-Zusammenhang auf als in einem wissenschaftlichen.
Aber wir bleiben bei der Wissenschaft. Und es ist eigentlich nicht schwer zu verstehen, was die Schuhmann-Resonanz ist. Es geht um elektromagnetische Wellen. Die sind nicht mysteriös, die kennen wir aus dem Alltag. Das Licht, das wir mit unserem Augen wahrnehmen können ist eine elektromagnetische Welle. Die Radiosignale, die wir mit unseren Radiogeräten (sofern wir so etwas noch haben) empfangen, sind elektromagnetische Wellen. Das WLAN-Signal mit dem wir online gehen, ist eine elektromagnetische Welle. Genau so wie Röntgenstrahlen, Mikrowellen, und so weiter. Elektromagnetische Wellen sind periodische Veränderungen in einem elektromagnetischen Feld und wie wir sie wahrnehmen hängt von der Wellenlänge ab. Elektromagnetische Wellen können künstlich erzeugt werden, aber selbstverständlich auch natürlich auftreten. Das beste Beispiel ist unsere Sonne, die uns mit elektromagnetischen Wellen in Form von Licht und Infrarotstrahlung, also Wärme, versorgt.
So weit, so klar. Elektromagnetische Wellen können außerdem abgelenkt werden. Der Weg von Licht kann durch optische Linsen verändert werden, was man zum Bau von Brillen oder Teleskopen nutzt. Elektromagnetischen Wellen können aber auch an elektromagnetisch leitfähigen Oberflächen reflektiert werden. Das nutzt man zur Konstruktion diverser technischer Bauteile, wie etwa Hohlraumresonatoren, aber wir reden jetzt nicht über Elektrotechnik. Wir reden über das, was sich der deutsche Physiker Winfried Otto Schuhmann in den 1950er Jahren überlegt hat. 1952 veröffentlichte er einen Aufsatz mit dem Titel "Über die strahlungslosen Eigenschwingungen einer leitenden Kugel, die von einer Luftschicht und einer Ionosphärenhülle umgeben ist".
Das klingt ein wenig technisch, aber man muss nur kurz überlegen, was mit einer "leitenden Kugel, die von einer Luftschicht und einer Ionosphärenhülle umgeben ist", gemeint ist. Unsere Erde ist, in erster Näherung, eine Kugel. Sie hat eine Luftschicht und sie hat eine Ionosphäre. So nennt man den äußeren Teil der Erdatmosphäre, der circa 100 Kilometer über dem Boden beginnt. Da ist nicht mehr viel Luft vorhanden aber immerhin noch ein paar Moleküle hier und dort und diese Moleküle werden durch die dort oben sehr starke und energiereiche Ultraviolettstrahlung der Sonne ionisiert. Das heißt, sie verlieren Elektronen aus den Hüllen ihrer Atome, wodurch sie nicht mehr elektrisch neutral, sondern geladen sind. Und die ganze Ionosphäre ist dadurch elektrisch leitfähig. Gleiches gilt für die Oberfläche der Erde, die ja weitestgehend von Salzwasser in den Ozeanen bedeckt ist. Aus dieser rein technischen Sicht ist die Erde also eine Kugel, die von zwei leitfähigen Schichten, dem Ozean und der Ionosphäre, eingehüllt wird und zwischen diesen beiden Schichten ist ein paar hundert Kilometer Platz.
Was auf der Erde auch noch passiert, sind Gewitter. Ich habe darüber ja schon in Folge 460 ausführlich gesprochen. Ständig kommt es in der Erdatmosphäre zu elektrischen Entladungen, es blitzt ein paar hundert Mal pro Sekunde. So ein Blitz ist jetzt aber auch nichts anderes als die Ursache für jede Menge elektromagnetische Wellen. Die können sich jetzt ausbreiten. Und sie tun das zwischen den beiden leitfähigen Schichten. Soweit ist das noch nichts besonderes. Winfried Schuhmann hat sich aber überlegt, dass es Wellen mit einer sehr großen Wellenlänge beziehungsweise einer sehr niedrigen Frequenz geben kann (das ist ja das gleiche). Wenn jetzt eine Welle entsteht deren Wellenlänge genau dem Erdumfang entspricht, dann geht die bei ihrem Auf- und Abschwingen exakt einmal um die Erde rum und trifft dann wieder auf sich selbst. So etwas nennt man eine "stehende Welle" und im Fall der Erde trifft das auf Wellen zu, die eine Frequenz von 7,83 Hertz haben. Das bedeutet: Die elektromagentische Welle schwingt 7,83 mal pro Sekunde. Zum Vergleich: Sichtbares Licht hat eine Frequenz von um die 500 Terahertz. Das sind 500 Billionen Schwingungen pro Sekunden!
Diese 7,83 Hertz sind die sogenannte Grundschwingung. Eine stehende Welle kriegt man aber auch anders. Die Welle kann ja zwischen Ionosphäre und Erdoberfläche reflektiert werden. Wenn sie jetzt, wieder vereinfacht gesagt, bei ihrer Runde um den Planeten genau auf die richtige Weise hin und her reflektiert wird, dann trifft sie am Ende wieder auf sich selbst. Wenn man das genau ausrechnet, sieht man, dass man auch bei Frequenzen von 14,3 Hertz, 20,8 Hertz, 27,3 Hertz und so weiter eine stehende Welle kriegt. Im Prinzip kann die Welle beliebig oft hin und her reflektiert werden und die Frequenz beliebig hoch werden. In der Praxis aber nicht, weil irgendwann verliert die Welle quasi an Schwung und verteilt sich irgendwo in der Atmosphäre. Unser Planet ist eben kein perfekter Wellenleiter, wie gut das funktioniert hängt vom Wetter ab, von der Jahreszeit, von der Temperatur, und so weiter.
Ok. Wir haben also einen Planeten mit einer Atmosphäre in der sich elektromagnetische Wellen ausbreiten können und wenn die eine passende Frequenz haben bzw. eine passende Wellenlänge, so dass der Umfang der Erde genau ein ganzzahliges Vielfaches dieser Wellenlänge ist, dann treffen diese Wellen bei ihre Ausbreitung nach einer Runde um den Planeten wieder auf sich selbst und erzeugen eine stehende Welle. Das interessant, aber was folgt jetzt daraus? Warum sollte uns das interessieren.
Es interessiert uns erst einmal deswegen, weil dieses Phänomen existiert! Die elektromagnetischen Wellen mit der Schuhmann-Frequenz sind zwar sehr schwach, aber wir sind durchaus in der Lage, sie zu messen. Und man kann aus diesen Messungen einiges lernen. Auslöser der Wellen sind ja Blitze. Und es gibt zwar immer irgendwo Blitze auf der Welt, aber Blitze entstehen nicht einfach so, sondern nur unter den passenden Bedingungen. Unter anderem muss die Temperatur passen, denn damit ein Gewitter entsteht, braucht es entsprechende Instabilitäten in der Atmosphäre, die durch warme und dadurch aufsteigende Luft ausgelöst werden. Oder anders gesagt: Die Zahl der Blitze hängt von der Temperatur ab und wenn ich die Schuhmann-Frequenzen überwache und messe kann ich daraus theoretisch auf die Anzahl der Blitze und damit auf die Temperatur schließen.
Noch interessanter wird es, wenn wir die Schuhmann-Frequenzen auf anderen Himmelskörpern erforschen. Ich habe in Folge 460 ja schon über die potenziellen Gewitter auf anderen Planeten gesprochen. Ein Himmelskörper den ich damals nicht erwähnt habe, ist der Titan. Der größte Mond des Saturn ist enorm interessant, wie ich in Folge 157 ausführlich erzählt habe. Er hat eine dichte Atmosphäre, er hat Flüsse und Seen aus flüssigem Methan und vielleicht einen Ozean aus flüssigem Wasser unter einer dicken Schicht aus Eis. Auch Titan hat, aus dem selben Grund wie die Erde, eine Ionosphäre aus geladenen Teilchen und wenn er auch einen salzigen, unterirdischen Ozean besitzt, dann könnte es auch dort Schuhmann Resonanzen geben. Blitze hat man bei Titan noch nicht nachgewiesen, aber der Mond befindet sich nahe am riesigen Saturn, der ein entsprechend starkes Magnetfeld hat und die Wechselwirkung mit diesem Magnetfeld wäre auch in der Lage, entsprechende Wellen anzuregen.
Im Jahr 2005 haben wir die Raumsonde Huygens auf dem Titan gelandet. Eines der Messinstrumente an Bord war in der Lage, entsprechende Messungen durchzuführen und HAT sogar eine elektromagnetische Welle mit einer passend niedrigen Frequenz nachgewiesen. Das bedeutet: Dort könnte tatsächlich ein unterirdischer Salzwasserozean sein. Und ich sage deswegen "könnte", weil leider nicht ganz klar ist, ob man wirklich eine elektromagnetische Welle gemessen hat, oder ob das Instrument vielleicht ein wenig fehlerhaft war. So oder so: Bei unserem nächsten Besuch auf dem Titan werden wir bessere Instrumente dabei haben um mithilfe der Schuhmann-Resonanzen herausfinden zu können, was sich tief unter der eisigen Oberfläche befindet.
Die Schuhmann-Resonanzen sind also erstens echte Wissenschaft und zweitens aus vielerlei Gründen interessant, nicht nur aus denen, die ich jetzt aufgezählt habe. Was sie aber drittens definitiv nicht tun, ist irgendeinen heilenden Einfluss auf unsere Zellen auszuüben oder sonst irgendwas von dem, was die diversen Esoterik-Firmen behaupten. Grundlage für diesen Unsinn ist ja die angebliche Übereinstimmung des "Herzschlags der Erde", also der Frequenz von 7,8 Hertz und den Frequenzen in unserem Gehirn. Ja, es stimmt: Misst man die elektrische Aktivität in unserem Gehirn, also die Arbeit unserer Nervenzellen, dann sieht man, dass dort diverse periodische Spannungsschwankungen auftreten. Es gibt Alphawellen, Deltawellen, und so weiter. Und es gibt sogar Wellen mit einer Frequenz von circa 7,8 Hertz. Aber: Das bedeutet überhaupt nichts. Die Frequenzen bei den Gehirnströmen reichen von 0,5 bis 70 Hertz, dass da auch was bei circa 8 Hertz dabei ist, ist nicht überraschend. Und überhaupt ist "Hertz" eine knifflige Einheit. "Hertz" bedeutet ja eigentlich nur "pro Sekunde". Eine Welle mit 8 Hertz schwingt acht mal pro Sekunde. Aber ich kann "Hertz" für alles verwenden, was irgendwie periodisch stattfindet. Wenn ich zum Beispiel 3 Mal in einer Minute aufs Klo gehen muss, dann sollte ich mich erstens vermutlich um medizinische Behandlung kümmern und kann zweitens feststellen, dass meine Frequenz beim Klogang 0,05 Hertz beträgt. Ich kann, wenn ich mich ein wenig anstrenge, durchaus 8 mal pro Sekunde mit der Hand hin und her winken. Aber nur weil diese 8 Winker pro Sekunde ebenso eine Frequenz von 8 Hertz haben wie die elektromagnetische Welle der Grundschwingung der Schuhmann-Resonanz, folgt daraus nicht, dass ich jetzt irgendwo besonders intensiv mit dem Planeten verbunden bin.
Man kann nur dann auf die Idee kommen, dass die Schuhmann-Resonanz irgendwas mit einer Heilwirkung zu tun hat, wenn man nicht verstanden hat, was die Schuhmann-Resonanz ist, wie sie verursacht wird und was das Konzept einer Frequenz bedeutet. Und damit beende ich jetzt diese Folge; die nächste erscheint, wie gewohnt in einer Woche und bis dahin ist genug Zeit um sich auszurechnen, welche Frequenz dieser Podcast bei einer Folge pro 7 Tage hat.

Aug 2, 2024 • 10min
Sternengeschichten Folge 610: Die blaue Murmel
Die Mona Lisa der Wissenschaftsfotografie
Sternengeschichten Folge 610: Die blaue Murmel
"Houston, magazine November November's on about 123 right now". Diesen Satz hat der amerikanische Astronaut Ron Evans am 7. Dezember 1972 um 11 Uhr 38 Minuten und 8 Sekunden mitteleuropäischer Zeit gesagt, 5 Stunden, 8 Minuten und 38 Sekunden nach dem Start der Saturn-V-Raketen mit der die Apollo 17 Mission das letzte Mal zum Mond aufgebrochen ist. Der Satz von Evans klingt nicht spektakulär. Er ist genau genommen auch nicht spektakulär. Mit "magazine November November" ist ein Filmmagazin der Hasselblad-Kamera gemeint, die die Astronauten mit an Bord hatten. Da es im Weltall nicht so einfach war, einen neuen Film in eine Kamera einzulegen, hatte man die Filmrollen schon in vorgefertigte Magazine geladen. Um den Film zu wechseln, musste man, vereinfacht gesagt, nur das alte Magazin aus- und ein neues Magazin in die Kamera einstecken. Die Kameras hatten außerdem Zähler, die die Anzahl der belichteten Bilder anzeigt. Wenn Evans also sagt, dass "magazine November November's on about 123 right now", dann meint er, dass der Zähler des Filmmagazins mit der Identifikationsbezeichnung "NN" gerade auf 123 gesprungen ist. Warum erzählt er das der Bodenstation in Houston? Das ist wichtig, damit die aufgenommenen Fotos später genau zugeordnet werden können. Heute ist das ja kein Problem; moderne Digitalkameras können die genau Uhrzeit, das Datum, sogar die geografische Position und jede Menge andere Metadaten mit den digitalen Bildern abspeichern. Aber bei den analogen Kameras ging das damals natürlich nicht. Aber durch diese Kommunikation wissen wir heute trotzdem ganz genau, wann die Bilder aufgenommen worden sind.
Aber warum erzähle ich das alles? Natürlich deswegen, weil die Bilder, die zu diesem Zeitpunkt gemacht worden sind, ganz besondere Bilder sind. Es handelt sich um eine Serie von vier Aufnahmen beziehungsweise ganz besonders um eines der vier mit der offiziellen Katalognummer AS17-148-22727. Es ist das Bild, das wir heute unter der Bezeichung "Blue Marble" kennen, die "Blaue Murmel". Es ist ein Bild der Erde, aufgenommen aus einer Entfernung von circa 29.000 Kilometer. Die offizielle Beschreibung der NASA zu diesem Bild lautet: "Ansicht der Erde, wie sie von der Mannschaft von Apollo 17 auf dem Weg zum Mond gesehen wurde. Dieses Bild vom translunaren Flug erstreckt sich vom Mittelmeer bis zur Eiskappe der Antarktis. Dies ist das erste Mal, dass die Apollo-Flugbahn es ermöglichte, die südliche Eiskappe des Pols zu fotografieren. Beachten Sie die dichte Wolkendecke auf der Südhalbkugel. Fast die gesamte Küstenlinie Afrikas ist deutlich sichtbar. Die Arabische Halbinsel ist am nordöstlichen Rand Afrikas zu sehen. Die große Insel vor der Ostküste Afrikas ist die Republik Madagaskar. Das asiatische Festland ist am Horizont nach Nordosten zu sehen."
Ok, ein Bild der Erde aus dem Weltall. Schön und gut, aber davon gibt es jede Menge. Warum also eine eigene Podcastfolge darüber? Nicht, weil es das erste Bild dieser Art ist. Es gab auch davor schon Aufnahmen Erde aus dem All. Aber ersten war dieses Bild die bisher schärfste und beste Farbaufnahme der gesamten Erdkugel und zweites hat dieses spezielles Bild hat auch einen ganz speziellen Nerv der Welt getroffen und ist deswegen bis heute berühmt. In den 1970er Jahren entwickelte sich in den USA und im Rest der Welt die Anfänge der modernen Umweltbewegung; man hat sich Gedanken über Umweltschutz gemacht, es war die Zeit des kalten Kriegs zwischen Amerika und der Sowjetunion und eine Zukunft, in der die Welt durch einen Atomkrieg verwüstet wird, war für viele Menschen eine erschreckend realistische Vorstellung. Die Geschichten, die die Apollo-Astronauten von ihren Flügen ins All erzählt haben, waren in gewisser Weise genau die gegenteilige Vision, und das, obwohl die Mondmissionen ja selbst Teil des kalten Kriegs waren. "Wir brachen auf, um den Mond zu erkunden – aber tatsächlich entdeckten wir die Erde.", hat Eugene Cernan, der Kommandant von Apollo 17 nach seiner Rückkehr gesagt. "Wir sahen die Erde wie das Zuhause der Kindheit, verändert durch den Lauf der Zeit, aber unverändert in den Gedanken.", hat Harrison Schmitt, der Pilot der Mondlandefähre später geschrieben. Das Bild der zerbrechlich wirkenden blauen Erde mit ihren weißen Wolkenwirbeln, mitten im dunklen All; das Bild der Erde, ohne Grenzen, ohne Nationalitäten; dieser Blick von außen auf das einzige Zuhause der Menschheit in einer ansonsten absolut lebensfeindlichen Welt hat viele Menschen inspiriert. Die Blue Marble ist zum Symbol von Umweltschutzgruppen und Friedensbewegungen geworden. Das Bild hat "ein Gefühl für die Kostbarkeit dieses wie lebendig erscheinenden Planeten geweckt", sagt der deutsche Philosoph Hans Blumenberg, der aber auch gleichzeitig darauf hingewiesen hat, dass die Aufnahme vielleicht auch zweideutig betrachtet werden kann. Denn vom All aus sieht die Blue Marble unversehrt aus; ein perfekter Planet und nichts deutet auf die vom Menschen ausgeübte Zerstörung hin.
Aber bleiben wir zuerst noch beim Bild selbst. Die Aufnahme, die wir heute kennen, ist natürlich bearbeitet. Sie ist nicht verfälscht, aber im Originalbild ist die Erde nicht im Zentrum der Aufnahme und der Südpol der Erdkugel ist oben zu sehen. Und es handelt sich, wie gesagt, um eine Serie aus vier Bildern, die alle mehr oder weniger gleich aussehen. Daraus hat man dieses eine ausgewählt, es beschnitten und so rotiert, dass die Erde für uns "normal" aussieht, mit dem Südpol unten. Obwohl diese Orientierung natürlich komplett beliebig ist… So oder so, in der heute berühmten Aufnahme ist die Erde so ausgerichtet, dass das Zentrum des Bildes genau zwischen der Ostafrikanischen Küste und der Südspitze von Madagaskar ist. Von Europa oder Nordamerika ist nichts zu sehen; das Bild wird von Afrika auf der linken und dem Ozean auf der rechten Seite dominiert; unten ist die Antarktis dafür gut erkennbar und dazwischen gewaltige Wolkenwirbel.
Offiziell gibt die NASA alle drei Astronauten der Apollo-17-Crew als Fotografen an, also Eugene Cernan, Ron Evans und Harrison Schmitt. Es ist aber mittlerweile einigermaßen klar, dass es wohl Harrison Schmitt war, der das Bild tatsächlich gemacht hat. Das ist am Ende aber auch egal - Hauptsache, das Bild wurde gemacht. Seit damals waren übrigens keine Menschen mehr so weit von der Erde entfernt. Cernan, Evans und Schmitt waren die letzten, die unseren Planeten mit eigenen Augen in seiner Gesamtheit sehen konnten. Die Astronautinnen und Astronauten die seitdem zur ISS und den anderen Raumstationen geflogen sind, konnten zwar auch aus dem All auf die Erde schauen. Aber sie sind viel zu nah dran, um die gesamte Erde sehen zu können. Zum Fotografieren braucht man aber nicht zwingend Menschen und deswegen sind seit 1972 eine Reihe weiterer "Blue Marble"-Bilder gemacht worden. 2001 und 2002 hat die NASA eine neue Version veröffentlicht, diesmal waren es zwei Bilder: Eines, das Nordamerika im Zentrum zeigt und zweites mit Asien im Mittelpunkt. Das waren aber keine echten Bilder. Beziehungsweise natürlich schon; es sind echte Aufnahmen der echten Erde aus dem echten Weltall. Aber es handelt sich um Mosaik, das aus verschiedenen Satellitenbildern zusammengesetzt ist. Das gilt auch für das Blue Marble Bild aus dem Jahr 2012 und für die Black Marble aus dem gleichen Jahr. Bei diesem letzten Bild hat man Daten von Infrarotsatelliten mit alten Aufnahmen kombiniert, um ein Bild der Erdkugel bei Nacht zu bekommen. Es gibt noch diverse andere "Blue Marble" Variationen die im Laufe der Zeit von den unterschiedlichsten Instrumenten gewonnen worden sind.
Aber keines davon hat bis jetzt die Erwartungen erfüllen können, die man in das ursprüngliche Bild aus dem Jahr 1972 gesetzt hat. Wir haben nicht damit aufgehört, Krieg zu führen. Wir haben nicht damit aufgehört, die Umwelt zu zerstören. Ganz im Gegenteil. Wir blicken weiterhin mit Satelliten vom Weltall auf die Erde, mittlerweile mit sehr viel genaueren Instrumenten und können damit ebenso genau messen, wie sehr sich das Klima verändert hat; wie sehr wir die Wälder zerstört und die Ozeane verschmutzt haben. Wir sehen wie die Korallenriffe sterben; wir sehen wie Seen austrocknen und sich Wüsten ausbreiten. Als Evans, Cernan und Schmitt ihr berühmtes Bild gemacht haben, waren sie weit genug von der Erde entfernt, um nur den Planeten selbst und seine Schönheit sehen zu können. Schön ist die Erde heute immer noch. Aber wir können auch nicht mehr ignorieren, dass wir uns in den letzten Jahrzehnten nicht gut um unser Zuhause im Weltall gekümmert haben. Vielleicht werden in Zukunft wieder Menschen so weit in den Weltraum fliegen, um den Planeten in seiner Gesamtheit wahrnehmen zu können. Retten können wir die Erde von dort aus aber nicht; das müssen wir hier unten erledigen.

Jul 26, 2024 • 10min
Sternengeschichten Folge 609: Der Perseushaufen
Macht die Röntgenaugen auf!
Sternengeschichten Folge 609: Der Perseushaufen
Könnten wir mit unseren Augen Röntgenstrahlung sehen, dann würden wir eine Überraschung erleben, wenn wir in der Nacht zum Himmel schauen. Ok, wenn wir Röntgenaugen hätten, gäbe es vermutlich jede Menge Überraschungen, aber beim Blick zum Nachthimmel, dorthin wo sich das Sternbild Perseus befindet, würden wir auf einmal eine enorm große Lichtquelle sehen. Viele Male größer als der Vollmond würde dort ein Objekt hell leuchten, das wir ansonsten ohne Teleskop gar nicht sehen könnten. Diese helle Quelle an Röntgenlicht ist der Perseushaufen, 240 Millionen Lichtjahre weit weg und eines der spektakulärsten und spannendesten Objekte am Himmel.
Wir können aber ja leider keine Röntgenstrahlung sehen, also müssen wir uns der Sache erst einmal anders nähern. Das Sternbild Perseus können wir im Herbst und Winter gut bei uns in Mitteleuropa am Himmel sehen, zwischen Auriga, dem Fuhrmann und Andromeda. Es ist die Gegend am Himmel, aus der die Sternschnuppen der Perseiden zu kommen scheinen, aber das ist erstens eine andere Geschichte und zweitens sind die Perseiden nur im August zu sehen. Uns interessiert aber auch nicht das Sternbild, zumindest heute nicht. Wir schauen auf die Galaxien, die sich dort befinden. Ich habe ja schon oft erzählt, dass Galaxien wie unsere Milchstraße nicht einfach wahllos im Universum verteilt sind. Sie bilden Gruppen, in denen die Galaxien durch ihre wechselseitige Gravitationskraft zusammen gehalten werden. Es gibt jede Menge solcher Galaxienhaufen und der Perseushaufen ist ein wirkliches Prachtexemplar.
Er besteht aus ein paar tausend einzelnen Galaxien; vor allem alten elliptischen Galaxien; also Galaxien, die sich bilden, wenn zum Beispiel zwei Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße miteinander verschmelzen. Die Gesamtmasse des Haufens liegt bei 650 Billionen Sonnenmassen. Das ist ungefähr 600 Mal so viel wie die Masse unserer Milchstraße. Es ist enorm viel und der Perseushaufen ist eines der massereichsten Objekte in unserer kosmischen Nachbarschaft.
Im Zentrum des Haufens finden wir die Galaxie mit der Bezeichnung NGC 1275. Die hat schon der britische Astronom Wilhelm Herschel entdeckt, im Jahr 1786 - aber damals war natürlich noch nicht klar, dass es sich um eine ferne Galaxie handelt oder obe irgendein anderes nebeliges Objekt ist, das uns viel näher ist. Damals wusste man noch nicht ob unsere eigene Galaxie alles ist, was im Universum existiert oder nur eine von vielen. Man konnte die Abstände zu den Objekten nicht messen und die Teleskope waren nicht gut genug, um zu zeigen, dass die Nebel tatsächlich aus Sternen bestehen. NGC 1275 ist auf jeden Fall eine Galaxie und keine kleine! Sie hat einen Durchmesser von 160.000 Lichtjahren, ist also ungefähr so groß wie die Milchstraße. Sonst gibt es aber nicht allzu viele Gemeinsamkeiten. Während die Milchstraße eine Spiralgalaxie ist, handelt es sich bei NGC 1275 um eine sogenannte "cD-Galaxie". Das hat nichts mit CDs zu tun, auf denen Musik gespeichert ist. Das "D" steht für "diffus" und das "c" ist ein Zusatz, der - aus historischen Gründen - bedeutet, dass es sich um eine sehr große Galaxie handelt. Eine große, diffuse Galaxie also; oder genauer gesagt: Eine sehr große elliptische Galaxie, ohne Strukturen wie Spiralarme oder etwas in der Art. Obwohl man bei NGC 1275 schon "etwas in der Art" findet, nämlich sehr starke Radiostrahlung. Die kommt vom supermassereichen schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie und so wie die Galaxie selbst ist auch das ein ordentlicher Brocken. Es hat zwei Milliarden mal so viel Masse wie die Sonne - zum Vergleich: Das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße hat "nur" 4 Millionen mal so viel Masse wie die Sonne. Und im Gegensatz zu unserem eigenen schwarzen Loch ist das bei NGC 1275 auch noch aktiv. Das heißt, dass dort jede Menge Masse in der Umgebung des Lochs existiert, die dort herumwirbelt und durch die starken Gravitationskräfte und Magnetfelder zum Teil auch in langen Bündeln und mit enormer Geschwindigkeit ins All hinaus geschleudert wird. Solche Jets kennen wir auch von anderen aktiven Galaxien, aber bei NGC 1275 konnten wir sogar zusehen, wie er entstanden ist.
Diese Jets sind auch ein Grund dafür, dass der Perseushaufen mit unseren Röntgenaugen so beeindruckend aussehen würde. Denn in so einem Galaxienhaufen sind ja nicht nur Galaxien. Zwischen den Galaxien eines Haufen ist nicht Nichts. Ok, es ist auch nicht viel dort, aber eben nicht nichts. Dort befindet sich das Intraclustermedium, von dem ich in Folge 579 schon ausführlich gesprochen habe. Also, vereinfacht gesagt, ein sehr dünnes Gas. Das ist Material, das von den Sternen der Galaxien und den Jets in der Umgebung der supermassereichen zentralen schwarzen Löcher hinaus geschleudert worden ist. Und die Strahlung der Jets ist es auch, die dieses Material enorm aufheizt; also wirklich enorm. Man schätzt, dass das Gas eine Temperatur von bis zu 100 Millionen Grad hat. Das ist so viel, dass es Röntgenstrahlung abgibt und auch wenn nur wenig Gas zwischen den Galaxien ist, ist es doch genug und vor allem genug Röntgenstrahlung, dass der ganze Perseushaufen enorm stark leuchtet.
In Wahrheit sind die Vorgänge dort noch viel komplizierter. Wenn man sich die Gegend im Zentrum des Perseushaufens genau anschaut und genau heißt in dem Fall: Wenn man ein Röntgenweltraumteleskop nimmt und 53 Stunden lang damit beobachtet, dann sieht man einen Haufen Ringe im Gas. Beziehungsweise man sieht, dass das Gas mal dichter und mal weniger dicht ist und die dichteren Regionen lauter unterschiedlich große Ringe um das Zentrum des Haufens bilden. Die Ringe sind jeweils circa 35.000 Lichtjahre voneinander entfernt; es sind also wirklich große Ringe. Was da passiert ist, kann man sich, vereinfacht gesagt, so vorstellen: Das schwarze Loch im Zentrum der Zentralgalaxie NGC 1275 erzeugt Jets und die heizen das Gas zwischen den Galaxien auf. Das heiße Gas bewegt sich jetzt schnell, und fällt nicht mehr in Richtung der Galaxie zurück, wie es das normalerweise im Laufe der Zeit tun würde. Dadurch hat das schwarze Loch aber auch weniger Material, dass es mit seinen Jets wieder nach außen schleudern kann. Die Jets kollabieren also, das Gas kühlt ab, fällt jetzt doch wieder nach innen in den Haufen und aufs zentrale schwarze Loch. Es entstehen neue Jets und das ganze geht von vorne los. Das wiederholt sich alle circa 10 Millionen Jahre und so entstehen die Dichteschwankungen im Intraclustermedium des Perseushaufens.
Die Galaxien des Haufens wechselwirken natürlich auch noch miteinander und auch dafür hat man Hinweise gefunden. Weitere Beobachtungen mit dem Röntgenweltraumteleskop Chandra haben eine Art von Welle aus heißem Gas zwischen den Galaxien entdeckt. Eine Welle allerdings, die doppelt so groß ist wie die Milchstraße. Man geht davon aus, dass die Ursache dafür eine kleinere Galaxie ist, die vor ein paar Milliarden Jahre zu dicht am Perseushaufen vorbei geflogen ist und dabei das ganze Gas ein wenig durcheinander gewirbelt hat.
Im Perseushaufen geht es also ordentlich ab und es ist schade, das wir nichts davon mit unseren Augen sehen können. Mit unseren nicht vorhandenen Röntgenaugen sowieso aber auch nicht mit den normalen. Selbst mit einem Fernglas wird es schwer, den Haufen oder auch nur die zentrale Galaxie NGC 1275 zu sehen. Man braucht schon ein kleines Teleskop dafür und selbst damit wird der Haufen eher unscheinbar aussehen. Aber zum Glück gibt es ja die geballte Macht der Wissenschaft, die uns das zeigen kann, was wir nicht sehen können.

Jul 19, 2024 • 10min
Sternengeschichten Folge 608: Das Sternbild Taube und der Antapex der Sonne
Nur weg von dort!
Sternengeschichten Folge 608: Das Sternbild Taube und der Antapex der Sonne
Wem das Sternbild der Taube bisher noch nicht aufgefallen ist, ist erstens nicht alleine und hat zweitens nicht viel verpasst. Es ist ein Sternbild des Südhimmels, dass heißt, im Sommer sieht man es von Mitteleuropa sowieso nicht. Im Winter kann man es sehen, aber nur wenn man von Süddeutschland oder von noch weiter südlich aus zum Himmel schaut. Und wenn man das tut, wird man trotzdem nicht viel sehen. Der hellste Stern des Sternbilds ist Alpha Columbae beziehungsweise Phakt, wie sein alter arabischer Name ist. Dieser Stern ist zwar 1000 mal heller als die Sonne, aber auch 260 Lichtjahre weit weg und an unserem Himmel zwar ohne technische Hilfsmittel zu sehen, aber nicht weiter auffällig. Die restlichen Sterne in der Taube sind noch unscheinbarer und die meisten davon an unserem lichtverschmutzen Himmel gar nicht sichtbar. Wer es trotzdem probieren will: Sucht euch zuerst das Sternbild Orion, das ist ja zum Glück wirklich gut zu finden. Südlich unter den Füßen des Orion findet ihr dann das Sternbild Hase und noch ein Stück südlich darunter ist dann die Taube. Aber auch der Hase ist eher unscheinbar; in dieser Ecke des Himmels ist auf den ersten Blick nicht wahnsinnig viel los. Vielleicht ist das auch der Grund, warum wir von dort weg wollen. Denn im Sternbild Taube finden wir auch den Antapex der Sonne. Und um zu verstehen, was das sein und bedeuten soll, müssen wir uns zuerst einmal anschauen, was der Apex der Sonne ist.
Die Sache ist eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen. Die Sonne bewegt sich. So wie jeder andere Sterne (und alles andere im Universum) steht auch die Sonne und mit ihre das gesamte Sonnensystem nicht still. Sie bewegt sich durchs All und sie tut das in eine bestimmte Richtung. Sie bewegt sich also auf einen bestimmten Punkt zu und von einem anderen Punkt weg. Dieser erste Punkt heißt Apex und der zweite ist der Antapex.
Die Sache braucht aber natürlich noch ein bisschen mehr Erklärung. Zuerst einmal sage ich sicherheitshalber dazu, dass es jetzt um die tatsächliche Bewegung der Sonne geht. Nicht um die scheinbare Bewegung, die durch die Bewegung der Erde um die Sonne entsteht. Wir sehen die Sonne ja im Laufe eines Jahres vor unterschiedlichen Bereichen des Himmels stehen. Oder würden sie stehen sehen, wenn sie nicht so hell wäre und wir gleichzeitig die Sterne sehen könnten. Aber wenn wir zum Beispiel jeden Tag um 12 Uhr mittags nachschauen, vor welchen Sternen die Sonne gerade steht, dann wären das immer andere Sterne und im Laufe eines Jahres wäre die Sonne - scheinbar! - einmal um den Himmel herum gewandert. Aber das liegt eben daran, dass sich im Laufe eines Jahres die Erde um die Sonne herum bewegt und hat nichts mit der Sonne selbst zu tun.
Es geht, wie gesagt, um die echte Bewegung der Sonne. Nur: In Bezug auf was? Das ist ja eine Frage, die man sich im Weltall immer stellen muss. Da gibt es keinen absoluten Bezugspunkt; es gibt nichts, was definitiv immer und für alle Zeiten still und am selben Ort steht. Alles bewegt sich und man kann die Bewegung eines Objekts immer nur in Bezug auf irgendwelche anderen Objekte definieren. Und da hat man mehrere Möglichkeiten. Bei der Sonne kann man zum Beispiel das Zentrum der Milchstraße als Bezugspunkt nehmen und dann stellen wir fest, dass sie sich in circa 220 Millionen Jahren einmal um dieses Zentrum herum bewegt. In Wahrheit ist die Angelegenheit ein wenig komplizierter; die Sterne in der Milchstraße bewegen sich nicht wie Planeten um die Sonne herum. Das ist alles ein wenig chaotischer; da ist viel mehr Gewackel, Hin und Her und Auf und Ab dabei. Aber genau das ist der Punkt! Stellen wir uns vor, wir würden die Masse in unserer Milchstraße ein bisschen sortieren. Wir ignorieren so unnötig komplizierte Phänomene wie Spiralarme, die Verdickung im galaktischen Zentralbereich, die Satellitengalaxien wie die Magellanschen Wolken, und so weiter. Wir packen einfach alles in eine schöne, symmetrische, zylindrische Scheibe. Und überlegen uns dann: Wie schnell würde sich ein Stern bewegen, dessen Abstand vom Zentrum der Scheibe genau dem Abstand der Sonne vom Zentrum der realen Milchstraße entspricht? In unserer aufgeräumten Galaxie würde dieser Stern natürlich einer perfekte Kreisbahn folgen, immer mit der selben Geschwindigkeit. In echt ist das natürlich alles nicht so, aber das ignorieren wir, wie gesagt, fürs Erste. Denn wir haben jetzt ein "Lokales Ruhesystem" definiert beziehungsweise den "Local Standard of Rest", wie der englische Fachbegriff lautet. Wir stellen uns also vor, dass unsere fiktive, sich schön gleichmäßig in der aufgeräumten Galaxie bewegenden Sonne der Nullpunkt unseres Koordinatensystems ist. Und können dann alle Bewegungen auf diesen Nullpunkt beziehen.
Wenn wir das tun, dann sehen wir - vereinfacht gesagt - wie sich die Sonne in Bezug auf die Sterne in ihrer Umgebung bewegt, ob wir uns also schneller oder langsamer oder in eine andere Richtung bewegen, als die anderen Sterne in unserer Nachbarschaft. Das ist aus vielen Gründen recht praktisch; weniger praktisch ist es, das Lokale Ruhesystem in der Praxis zu definieren. Denn dazu muss man erst mal die Position und Geschwindigkeit von sehr vielen Sternen in unserer Umgebung möglichst genau messen und dann jede Menge komplizierte Mathematik anstellen. Aber man kann es machen und wenn man es macht, dann sieht man, dass sich die Sonne relativ zum Lokalen Ruhesystem, also relativ zu der fiktiven Sonne in der aufgeräumten Galaxie in Richtung eines Punkts am Himmel bewegt, der ein Stück südlich und westlich des hellen Sterns Wega liegt, aber nicht mehr im Sternbild Leier, zu dem die Wega gehört sondern schon im benachbarten Sternbild Herkules.
Dieser Punkt wird Apex genannt und der erste, der seine Position ausgerechnet hat, war Wilhelm Herschel im Jahr 1783. Damals noch nicht ganz so genau, aber immerhin hat die grobe Gegend gestimmt. Später haben dann andere die Berechnungen wiederholt und sind auf unterschiedliche Punkte in der Gegend der Sternbilder Herkules, Leier oder Schwan gekommen. Die Sache ist aber auch tatsächlich nicht einfach. Man muss die Eigenbewegung der anderen Sterne bestimmen; die bewegen sich aber eben alle leicht unterschiedlich schnell. Und wie sich die Sterne bewegen, hängt auch von ihrem Alter ab und von jeder Menge anderer Parameter, von denen Herschel und Co nichts wissen konnte, und die wir heute auch noch nicht komplett verstehen. Aber immerhin wissen wir, warum es schwierig ist, das Lokale Ruhesystem zu definieren.
Was noch übrig bleibt, ist der Antapex. Wie ich vorhin schon gesagt habe: Wenn der Apex, der Punkt im Sternbild Herkules, der Punkt ist, auf den sich die Sonne relativ zum Lokalen Ruhesystem zu bewegt, dann muss es natürlich auch einen Punkt am Himmel geben, von dem sich die Sonne weg bewegt. Das ist der Antapex und der liegt im Sternbild Taube; knapp an der Grenze zum benachtbarten Sternbild des Kleinen Hund. In Bezug auf die Sterne unserer Umgebung entfernen wir uns von diesem Punkt, mit circa 20 Kilometer pro Sekunde.
Das liegt nicht daran, dass da irgendetwas ist, was uns abstößt oder flüchten lässt; genau so wenig wie im Apex etwas ist, was uns anzieht. Wenn wir mit dem Schiff am Meer fahren, ist der Punkt am Horizont, auf den wir zu segeln ja auch nur fiktiv. Aber trotzdem ist das mit dem Lokalen Ruhesystem, mit Apex und Antapex keine unnötige Spielerei. Wenn wir die Dynamik unserer Milchstraße verstehen wollen; wenn wir wissen wollen, wie sich die Sterne nicht nur scheinbar sondern WIRKLICH durchs All bewegen, dann brauchen wir irgendein Bezugssystem, damit uns nicht immer unsere eigene Bewegung den Blick verstellt. Wir können ja nichts daran ändern, dass unser Beobachtungsposten sich ständig um die Sonne bewegt und die Sonne mit uns allen nie still steht. Also müssen wir uns einen fiktiven Nullpunkt schaffen, damit wir die Sache halbwegs nachvollziehbar erforschen und verstehen können.
Es ist reiner Zufall, dass der Punkt, von dem wir uns weg bewegen, gerade im Sternbild der Taube liegt. Aber da dort wirklich nicht viel los ist, passt es auch irgendwie.

Jul 12, 2024 • 9min
Sternengeschichten Folge 607: Die mysteriösen Miyake-Ereignisse
Kosmische Spurensuche im Zedernbaum
Sternengeschichten Folge 607: Die mysteriösen Miyake-Ereignisse
Im Jahr 775 stirbt der byzantinische Kaiser Konstantin V. Die Stadt Gotha in Thüringen wird in diesem Jahr das erste Mal in einer Urkunde erwähnt. Karl der Große beschließt einen Feldzug gegen die Sachsen. In der Schlacht von Bagrevand kämpft Armenien gegen das Abbasiden-Kalifat und verliert. Und vermutlich war im Jahr 775 noch jeden Menge mehr los auf der Welt. Was damals vermutlich die wenigsten mitbekommen haben dürften, war ein Ereignis, dem die japanische Doktorandin Fusa Miyake erst im Jahr 2012 auf die Spur gekommen ist. Die Physikerin hat sich damals mit kosmischer Strahlung beschäftigt. Darüber habe ich ja schon ausführlich in den Folgen 317 und 318 der Sternengeschichten gesprochen, aber ich fasse es noch mal kurz zusammen. Aus dem Weltall trifft nicht nur das Licht der Sonne und der anderen Sterne auf die Erde. Sondern auch eine Teilchenstrahlung. Oder anders gesagt: Die Erde wird von Protonen und Elektronen bombardiert (und ein paar andere Teilchen sind ab und zu auch noch dabei). Die meisten dieser Teilchen stammen von der Sonne. In den äußeren Schichten ihrer Atmosphäre ist es so heiß, dass die Atome quasi auseinander fallen, die Elektronen der Atomhülle lösen sich von den Protonen des Atomkerns und die einzelnen Teilchen können durch diverse Prozesse so schnell werden, dass sie von der Sonne weg in Richtung All und unter Umständen auch in Richtung Erde sausen. Die anderen Sterne im Weltraum machen das auch, und auch von ihnen kriegen wir ein bisschen was ab. Und dann gibt es noch diverse andere Prozesse, die Teilchen durch die Gegend schleudern, zum Beispiel Supernova-Explosionen oder schwarze Löcher, die Material in ihrer Umgebung extram stark beschleunigen. Kurz gesagt: Überall im Weltall sausen hochenergetische Teilchen durch die Gegend und das nennt man die "kosmische Strahlung".
Hier unten auf der Erde kriegen wir davon - zum Glück - wenig mit. Es wäre unangenehm und ungesund für uns Menschen - und auch die restlichen Lebewesen - wenn wir dieser Strahlung ungeschützt ausgesetzt wären. Sind wir aber nicht; das Magnetfeld der Erde und auch unsere Atmosphäre schützen uns davor. Was natürlich sehr gut ist, aber eher schlecht, wenn man diese Art der Strahlung erforschen will. Das muss man vom Weltall aus machen. Oder man probiert es indirekt und das hat Fusa Miyake damals gemacht. Wenn die kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft, dann passiert natürlich etwas. Ich lasse die Details jetzt aus, auch die habe ich früher schon in anderen Folgen erklärt, aber im Wesentlichen passiert dann das gleiche, was wir in unseren Teilchenbeschleunigern mit großer Mühe künstlich herbei führen. Teilchen prallen mit enormer Energie aufeinander - in dem Fall eben die Teilchen der kosmischen Strahlung auf die Atome und Moleküle der Luft - und lösen Kernreaktionen aus. Ein Resultat dieser Vorgänge ist C14. Oder, etwas genauer gesagt, ein spezielles Isotop des Kohlenstoffs. Normaler Kohlenstoff hat im Atomkern sechs Protonen und sechs Neutronen. Es gibt aber auch Kohlenstoffatomkerne, die aus sechs Protonen und acht Neutronen bestehen, also insgesamt 14 Kernbauteilchen und deswegen nennt man ihn Kohlenstoff-14 oder kurz: C14. Im Gegensatz zum normalen Kohlenstoff ist C14 aber nicht stabil; dieser Atomkern ist radioaktiv und zerfällt im Laufe der Zeit. Aber glücklicherweise nicht wahnsinnig schnell, was bedeutet, dass wir C14 nachweisen können.
Fusa Miyake hat sich nun zwei japanische Zedern angesehen. Diese Bäume können erstens sehr alt werden und bestehen zweitens, wie alle anderen Bäume und alle anderen Lebewesen generell, zu einem relevanten Teil aus Kohlenstoff. Außerdem haben Bäume Jahresringe. Man kann, und Miyake hat genau das getan, nun - vereinfacht gesagt - aus jedem Jahresring ein bisschen Kohlenstoff rausholen, messen wie viel davon C14 ist und bekommt dann für jedes Jahr einen entsprechenden Wert. Wenn diese Menge auf einmal sehr viel höher ist also sonst, dann bedeutet das: Es muss mehr kosmische Strahlung auf die Erde getroffen sein, dadurch muss mehr C14 produziert worden sein und dieser Kohlenstoff ist dann von den Lebewesen aufgenommen und im Falle der Zedern in das Holz eingebaut worden. Anders gesagt: Auf diese Weise kann man die Stärke der kosmische Strahlung für jedes Jahr bestimmen, auch ohne ins All zu reisen und dort zu messen und man kann die Stärke der kosmischen Strahlung auch für die Vergangenheit bestimmen, so weit zurück, wie man eben noch passendes Holz findet.
Fusa Miyake war natürlich nicht die Erste, die das gemacht hat. C14-Messungen wurden auch davor schon durchgeführt. Aber Miyake hat sich mit den zwei japanischen Zedern den Zeitraum zwischen den Jahren 750 und 820 sehr genau ansehen können. Und konnte nachweisen, dass die Menge an C14 zwischen den Jahren 774 und 775 um circa 1,2 Prozent angestiegen ist. Das klingt nach wenig, ist aber 20 Mal mehr als die übliche Variation. Irgendwas hat also um das Jahr 775 herum dafür gesorgt, dass sehr viel mehr kosmische Strahlung auf die Erde getroffen ist als das überlicherweise passiert. Aber was?
Die allermeiste kosmische Strahlung kommt von der Sonne; es liegt also nahe, erst mal dort nach einer Ursache zu suchen. Ich habe ja erst in Folge 602 von den Sonnenstürmen erzählt, die immer wieder mal sehr viel Zeug durch die Gegend schleudern können. Aber selbst ein Sonnensturm würde keinen so starken Anstieg über diesen Zeitraum verursachen. Auch eine Supernova-Explosion in unserer Ecke der Milchstraße kann man eigentlich ausschließen, denn dann sollte man eigentlich noch Spuren davon irgendwo beobachten können. Um die Stärke des Anstiegs erklären zu können, müsste da relativ nahe bei uns ein Stern explodiert sein und die Überreste dieses Sterns sollten wir auch heute noch gut beobachten können, wenn sie denn da wären.
Die Messungen aus den Zedern konnten Miyake und andere Forscherinnen und Forscher auch mit ähnlichen Messungen in Eisbohrkernen bestätigen. Auch dort können sich diverse radioaktive Atome ansammeln, die durch die komische Strahlung in der Atmosphäre produziert werden und auch Eisschichten lassen sich, wenn auch ein bisschen komplizierter als Bäume, entsprechend datieren.
Später fand man dann auch ähnliche Anstiege von C14 in anderen Jahren, die mittlerweile "Miyake-Ereignisse" genannt werden. Mit Sicherheit gab es ein Miyake-Ereignis in den Jahren 7176, 5259 und 660 vor Christus. Und neben dem im Jahr 775 auch eines im Jahr 993. Es gibt noch ein paar andere, wo die Datenlage nicht ganz so klar ist, aber klar ist auf jeden Fall: Miyake-Ereignisse kommen öfters vor. Und die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass sie typischerweise ein paar Jahre lang dauern, was wieder gegen die Sonne als Verursacherin spricht. Denn ein Sonnensturm dauert höchstens ein paar Tage und sollte - wie schon gesagt - auch nicht so heftig sein, wie es die Daten der Miyake-Ereignisse nahe legen. Auch eine statistische Analyse aus dem Jahr 2022, bei dem man den Verlauf der Sonnenaktivität mit den Miyake-Ereignissen abgeglichen hat, hat keinen Zusammenhang gefunden.
Vielleicht hat das ganze mit Vorgängen außerhalb des Sonnensystems zu tun; vielleicht sind extreme Gammablitze dafür verantwortlich; also gewaltige Explosionen die beim Tod sehr großer Sterne auftreten oder bei der Kollision von Neutronensternen. Oder es sind doch sehr seltene, starke Sonnenstürme. Oder etwas ganz anderes. Oder eine Mischung von allem. Wir brauchen mehr Daten, wir wissen aber auf jeden Fall auch, dass wir uns eher nicht wünschen sollten, recht bald wieder ein Miyake-Ereigniss zu erleben. So viel kosmische Strahlung; so ein enormer Sonnensturm - oder was auch immer die Ursache sein mag - wäre für uns Menschen zwar nicht lebensgefährlich; immerhin schützt uns ja die Atmosphäre vor der direkten Strahlung. Aber wenn so viel Strahlung auf unsere Magnetfeld trifft, dann könnte das kurzfristig so stark gestört werden, dass unsere moderne Technik durchaus in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Miyake-Ereignis wird die Welt nicht untergehen lassen, aber großflächige Stromausfälle oder ähnliches wären nicht unwahrscheinlich. Da wäre es besser, wir kommen vorher noch drauf, was da genau passiert. Dann können wir es immer noch nicht verhindern - aber uns vielleicht besser darauf vorbereiten.

Jul 5, 2024 • 12min
Sternengeschichten Folge 606: Der Meteorit von Orgeuil und das außerirdische Leben
Aliens auf Besuch in Frankreich?
Sternengeschichten Folge 606: Der Meteorit von Orgeuil und das außerirdische Leben
Am Abend des 14. Mai 1864 war wenig los in dem kleinen französischen Ort Orgueil. Was soll auch groß los sein, in einem Ort mit ein paar hundert Einwohnern, mitten am Land im Südwesten von Frankreich. Aber dann war auf einmal sehr viel los. Am Himmel tauchte eine leuchtende Spur auf, zuerst grünlich leuchtend, dann immer rötlicher. Das Licht wurde heller, bis es so groß wie der Vollmond war und dann war eine gewaltige Explosion zu hören. Aus dem Licht wurden eine große, weiße Wolke, die minutenlang am Himmel stand und Steine fielen vom Himmel. Es waren schwarze Steine und irgendwie komisch.
Im 19. Jahrhundert war die Wissenschaft zwar noch nicht so weit wie heute, aber auch damals war klar, was da in Orgeuil passiert ist: Ein Stück Gestein aus dem Weltall ist auf die Erde gefallen. In den Jahren und Jahrzehnten davor hat sich die Erforschung solcher Meteoriten gerade als eigene Wissenschaft entwickelt. Früher gab es ja jede Menge Diskussionen darüber, wo solche Steine herkommen; ob sie von Vulkanen in die Luft geschleudert werden; ob es Material ist, das sich irgendwie in der Luft aus der Luft selbst bildet, und so weiter. Aber 1864 hatte man akzeptiert, dass es tatsächlich Objekte aus dem Weltall sind, da da regelmäßig auf die Erde fallen. Und deswegen konnte man den frischen Meteorit von Orgeuil jetzt auch gleich entsprechend untersuchen.
Die Forschung an diesem - ehemaligen - Himmelskörper dauert bis heute an und er hat sich als einer der spannendsten Meteorite herausgestellt, die wir bisher gefunden haben. Er hat unseren Blick auf die Entstehung des Lebens verändert und auf die Geschichte unseres Sonnensystems. Aber bleiben wir vorerst noch im 19. Jahrhundert. Der erste, der die Meteoriten wissenschaftlich untersucht hat, war Gabriel Auguste Daubrée, Professor für Geologie in Paris. Nur ein paar Wochen nach dem Fall selbst konnte er seine Ergebnisse präsentieren. Die Steine waren schwarz, wie Kohle. Darin fanden sich mineralische Einschlüsse und insgesamt betrachtet, sah der Meteorit ganz anders aus als die Steine aus dem All, die man davor untersucht hatte. Vor allem enthielt er sehr viel mehr Kohlenstoff, der auch für die schwarze Farbe verantwortlich war. Außerdem war der Meteorit sehr porös, sobald er in Kontakt mit Wasser kam, löste er sich quasi in dunklen Staub auf, wie es Daubrée beschrieben hat.
Der französische Chemiker François Stanislas Cloëz untersuchte den Meteoriten ebenfalls und führte die erste chemische Analyse durch. Er bestimmte die Dichte des Steins zu 2,6 Gramm pro Kubikzentimeter und einen Kohlenstoffgehalt von fast 6 Prozent. Der Anteil an Wasser, das im Gestein gebunden war, betrug knapp 9 Prozent. Cloëz extrahierte einen Teil des kohlenstoffhaltigen Materials aus dem Meteoriten und schrieb, dass es irgendwie wie Hummus aussah, erdig, ein bisschen wie Torf oder Schieferkohle. Cloëz, Daubrée und andere forschten weiter und 3 Jahre später schrieb Daubrée die erste große Zusammenfassung des Wissensstands. Darin hielt er fest, dass nichts darauf hindeutet, dass das Material vulkanischen Ursprungs sei, und deswegen nicht vom Mond stammen könne. Dass es auf dem Mond Vulkane gibt, die Meteoriten zur Erde schleudern, ist zwar aus heutiger Sicht Unsinn, war damals aber eine verbreitete Hypothese. Daubrée wies außerdem noch einmal auf die große Menge an Kohlenstoffverbindungen im Meteoriten hin. Er schrieb, dass es so aussehen würde, als wären die Mineralien im Meteorite im Laufe irgendeiner Art von geologischer Evolution aus einer "einfacheren, primitiven Materie" entstanden und er war fasziniert von der Menge an kohlenstoffhaltigen Kombinationen die von einem Himmelskörper stammen, die bisher nicht mit irgendeiner Art von Leben in Verbindung gebracht worden sind.
Das hat sich dann aber schnell geändert, denn kurz danach schrieb der damals sehr populäre Astronom Camille Flammarion in einem seiner Bücher, dass der Meteorit zeigen würde, dass auf dem Himmelskörper von dem er stammt, irgendeine Art von Leben existieren muss. Belege dafür hat er aber nicht geliefert und das war auch nicht möglich, denn in keiner der damaligen wissenschaftlichen Arbeiten war behauptet worden, dass der Orgueil-Meteorit Spuren von Leben in sich trägt.
Damit war die Erforschung des Meteoriten erst mal vorbei und Stücke wurden seitdem in diversen Museen der Welt aufbewahrt. Das größte davon in Paris, mit einem Gewicht von fast 9 Kilogramm. Aber auch in Prag, Edinburgh, Washington, Berlin, Wien, Moskau, New York und diversen anderen Forschungseinrichtungen hatte man zumindest kleine Brocken des Orgueil-Meteoriten. Spannend wurde die Angelegenheit dann wieder 1961. Die amerikanischen Chemiker Bartholomew Nagy, Georg Claus und Douglas Hennessy veröffentlichten eine neue, mikroskopische Analyse eines Meteoriten-Stückes und erklärten, darin "organisierte Elemente" entdeckt zu haben. Damit sind keine chemischen Elemente gemeint, die eine Gewerkschaft gegründet haben - die drei Forscher haben den Begriff wohl benutzt, um nicht gleich "außerirdisches Leben" sagen zu müssen. Denn das haben sie eigentlich gemeint. Eingeschlossen in die diversen Mineralien fanden sie Objekte, die wie fossile Algen ausehen würden. Oder wie Mikroorganismen. Das wäre natürlich eine dramatische Entdeckung gewesen. Es wurde darüber spekuliert, ob der Meteorit von einem Himmelskörper stammt, auf dem es Leben gibt; es wurde über den Ursprung des Lebens auf der Erde diskutiert und die Frage, ob vielleicht außerirdische Mikroorganismen wie die, die man im Orgueil-Meteorite entdeckt hat, dafür verantwortlich sind. Andere Forscherinnen und Forscher haben natürlich probiert, die Entdeckung zu prüfen und zu bestätigen. Harold Urey, der Physik-Nobelpreisträger und zweite Namensgeber des Miller-Urey-Experiments, das besser unter dem Begriff "Ursuppe" bekannt ist, und bei Urey und sein Kollege Stanley Miller gezeigt haben, dass aus der Ur-Atmosphäre der Erde durch die Energie von Blitzen komplexe organische Moleküle entstehen können, die der Ursprung des Lebens sind - dieser Harold Urey war zum Beispiel der Meinung, dass der Meteorit vom Mond kommen würde und der Mond vor langer Zeit mit frühem Leben der Erde quasi verseucht wurde. Andere kamen zu anderen Ergebnissen - und zu Ergebnissen, die nicht ganz so spektakulär waren. Die "organisierten Elemente" wurden in Sulfat-Einschlüssen entdeckt. Die aber, wie man dann herausgefunden hat, gar keinen außerirdischen Ursprung gehabt haben. Man konnte zeigen, dass die Sulfate im Laufe der Zeit Wasser aus der Luft aufgenommen haben. Dadurch sind Risse entstanden und durch sie können irdische Verunreinigungen in den Meteorit eingedrungen sind. Eine genaue Untersuchung der ursprünglichen Beobachtungsdaten hat auch gezeigt, dass die ersten Beschreibungen des Meteorits nichts von Sulfat-Einschlüssen sagen; sie müssen also tatsächlich erst nachträglich auf der Erde entstanden sein. Und dann ist es auch keine Überraschung, wenn man darin Spuren von irdischen Mikroorganismen findet.
Berühmt geworden ist auch ein Fund, der im Zuge dieser ganze Forschung gemacht wurde: In einem Bruchstück, dass im Museum von Montauban aufbewahrt wurde, in einer Kleinstadt gleich neben Orgueil fand man Pollen und eine Samenkapsel. Aber, und das entdeckte man ebenso schnell: Da war Klebstoff im Spiel. Wer da probiert hat, Lebensspuren im Meteorit vorzutäuschen, ist unbekannt, das Stück in Montauban war seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr angerührt worden, aber irgendwer muss damals diese Fälschung gemacht haben. Vielleicht, so die Vermutung, um ein Argument bei der damaligen Diskussion um die spontane Entstehung des Lebens zu haben, also die Hypothese, das Leben quasi aus dem Nichts aus nichtlebendiger Materie entstehen kann. Am Ende jedenfalls war man sich einig: Der Orgueil-Meteorit enthält keine Spuren außerirdischen Lebens. Nur Harold Urey war immer noch überzeugt, das das Ding vom Mond stammt - weswegen die NASA bei ihren Apollo-Missionen dann auch tatsächlich eine Quarantäne für ihre vom Mond zurückkehrenden Astronauten angeordnet hat.
Heute wissen wir, dass der Orgueil-Meteorit zur seltenen Klasse der C1-Chondrite gehört, die manchmal auch CI-Chondrite genannt werden. So oder so: Wir haben nur ganz wenig davon, nur eine Handvoll und das liegt daran, dass sie so extrem porös sind. Sie werden normalerweise entweder beim Flug durch die Erdatmosphäre zerstört oder später auf der Erde. Sie haben einen hohen Kohlenstoffgehalt und enthalten viel Wasser. Die chemische Zusammensetzung dieser Meteorite ist fast so wie die Zusammensetzung der Wolke, aus der die Sonne und die Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden sind. Es handelt sich also um sehr ursprüngliches Material und der hohe Wassergehalt zeigt, dass sich die Objekte weit von der Sonne entfernt gebildet haben, irgendwo in der Gegend, wo sich heute Jupiter und Saturn rumtreiben. Nur dort war es kühl genug, damit sich Eis bilden konnte. Wir wissen - aus einer Untersuchung der ursprünglichen Beobachtungen des Falls - auch, dass der Orgueil-Meteorit vermutlich aus der Jupiter-Familie stammt, eine Gruppe von ein paar hundert Kometen, die sich auf Umlaufbahnen in der Nähe der Jupiterbahn bewegen. Und 2010 hat man dann in Material des Orgueil-Meteoriten auch Partikel entdeckt, die älter als unser ganzes Sonnensystem sind. Winzigste Teilchen, in denen jede Menge des chemischen Elements Chrom-54 enthalten war. In solchen Mengen ist das normalerweise nicht im Sonnensystem zu finden, aber es wird bei den nuklearen Reaktionen in Supernova-Explosionen produziert. Oder anders gesagt: Als das Sonnensystem noch kein Sonnensystem sondern eine große Wolke aus Gas und Staub war, ist irgendwo in der Nähe ein großer Stern explodiert und hat unter anderem Chrom-54 in die Wolke geschleudert. Und im Orgueil-Meteorit ist ein bisschen davon bis heute übrig geblieben. Vielleicht war es sogar die Supernova, die die Wolke erst zum Kollabieren gebracht und damit die Entstehung des Sonnensystems ausgelöst hat?
Der Orgueil-Meteorit ist ein ganz besonderes Stück Gestein. Er ist gerade zum richtigen Zeitpunkt vom Himmel gefallen, als wir in der Lage waren, ihn auch wissenschaftlich zu untersuchen. Er hat uns auf einige falsche Fährten geschickt, aber auch jede Menge Hinweise auf echte Antworten gegeben. Und die Forschung daran ist noch lange nicht abgeschlossen.