Der neue Westen #6 - Können wir uns Pazifismus noch leisten?
May 3, 2025
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Olaf Müller, Professor für Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie an der Humboldt-Universität Berlin, plädiert für einen pragmatischen Pazifismus. Er diskutiert, ob Pazifismus in Zeiten globaler Konflikte Platz hat und beleuchtet die Beziehungen zwischen Angst, sozialem Widerstand und ziviler Verteidigung. Zudem wird über die moralischen Dilemmata im Ukraine-Konflikt, hybriden Krieg und die geopolitischen Spannungen reflektiert. Müller ermutigt, Frieden aktiv vorzubereiten und eine Wahlfreiheit zwischen militärischem und zivilem Dienst zu schaffen.
Pragmatischer Pazifismus bietet eine differenzierte Sicht auf Konflikte, die nicht zwischen Schwarz und Weiß unterscheidet, sondern Konsequenzen abwägt.
Emotionen wie Angst sollten in die rationale Entscheidungsfindung einfließen, um ein Gleichgewicht zwischen Vernunft und Gefühl herzustellen.
Soziale Verteidigung als gewaltfreier Widerstand erfordert Vorbereitung und Training, um im Ernstfall effektiv gegen Aggressoren zu handeln.
Deep dives
Der pragmatische Pazifismus
Pragmatischer Pazifismus erlaubt eine differenzierte Sichtweise auf Konflikte, die nicht in Schwarz-Weiß unterteilt ist. Er erkennt an, dass die moralische Bewertung von kriegerischen Handlungen von ihrer Intensität abhängt und mit den möglichen Konsequenzen abgewogen werden muss. Diese Denkrichtung präferiert Verhandlungen und defensive statt offensive Maßnahmen, gerade im Kontext des Ukraine-Konflikts, wo der pragmatische Pazifist vorschlägt, auf Aggressoren defensiv zu reagieren. Es wird zudem betont, dass eine realistische Einschätzung der eigenen Wissensgrenzen entscheidend ist, um verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen.
Die Rolle der Emotionen
Emotionen, insbesondere Angst, spielen eine zentralisierte Rolle im Verständnis vom Pazifismus. Anstatt Emotionen zu ignorieren, sollten sie in die rationale Entscheidungsfindung einfließen, um ein Gleichgewicht zwischen Vernunft und Gefühl herzustellen. Die Verschmelzung von Angst als warnendem Signal mit rationaler Sorge ermöglicht dabei einen reflektierten Umgang mit der unsicheren globalen Lage. Dieser Ansatz ermutigt dazu, unterschiedliche emotionale Reaktionen zuzulassen und sie für eine profundere Einsicht in die Realität zu nutzen.
Soziale Verteidigung als Strategie
Soziale Verteidigung bietet einen Ansatz zur Konfliktlösung, der sich auf gewaltfreie Mittel stützt, um Widerstand zu leisten. Ein Beispiel wird genannt aus der Ukraine, wo Zivilisten den russischen Truppen mit Gesang und friedlichem Protest begegneten und so ihre Stadt vor gewaltsamer Unterwerfung bewahrten. Solche unbewaffneten Strategien erfordern jedoch Vorbereitungen und Training, um im Ernstfall wirksam zu sein. Diese Herangehensweise könnte sich als sinnvoll erweisen, insbesondere in einem Kontext, in dem die wahrscheinlichen Szenarien eines Krieges abgewogen werden müssen.
Die moralische Dilemma und Verantwortung
Pazifisten stehen oft vor einem moralischen Dilemma, wo jede Entscheidung potenziell Schuldgefühle hervorrufen kann. Die Abwägung, ob man militaristisch oder friedlich handeln soll, trägt zu dieser Belastung bei, insbesondere angesichts der Gefahr eines Atomkriegs. Der Diskurs fordert dazu auf, die eigene Position in Bezug auf Gewalt und Frieden zu hinterfragen und mögliche Konsequenzen zu berücksichtigen, die sich aus verschiedenen Handlungen ergeben können. Diese Verantwortung fördert eine tiefere Reflexion über die eigene Menschlichkeit und die der anderen.
Die Bedeutung eines optimistischen Menschenbildes
Ein optimistisches Menschenbild steht im Mittelpunkt des pragmatischen Pazifismus, indem es die Grundlage zum Glauben an das Gute im Menschen reflektiert. Trotz der Existenz von Psychopathen und gewalttätigen Individuen wird die grundlegende Natur des Menschen als fähig zu Güte und Empathie hervorgehoben. Diese Sichtweise impliziert, dass selbst unter extremen Bedingungen Kollektive ansprechbar sind und das Potenzial haben, in die richtige Richtung gelenkt zu werden. Solche Überlegungen fördern einen pazifistischen Diskurs, der die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz gegenüber militärischem Handeln hervorhebt.
Putin führt Krieg und manch ein deutscher Politiker fordert Kriegstüchtigkeit. Hat in dieser Weltlage Pazifismus überhaupt noch einen Platz? Und nimmt der Wunsch nach Frieden nicht auch Opfer in Kauf? Ein Gespräch mit dem Philosophen Olaf Müller. Thielko Grieß
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