
Der Schweizer Scheich - J. L. Burckhardt und das antike Petra
Radiowissen
Intro
Dieses Kapitel erzählt die Geschichte von Johann Ludwig Burckhardt, einem Schweizer Entdecker, der die antike Stadt Petra wiederentdeckte. Es beleuchtet seinen Mut und seine Neugier, sich als Scheich zu verkleiden, um die arabische Kultur zu verstehen und die Herausforderungen seiner Reisen zu meistern.
Eigentlich will der Schweizer Orientreisende J.L. Burckhardt den Weg nach Timbuktu erkunden und von dort aus Zentralafrika erforschen. Doch dabei entdeckt er die Felsenstadt Petra wieder und den großen Felsentempel von Abu Simbel. Von Johannes Marchl
Credits
Autor dieser Folge: Johannes Marchl
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Xenia Tiling, Stefan Wilkening, Sebastian Fischer
Technik: Susanne Harasim
Redaktion: Thomas Morawetz
Diese hörenswerten Folgen von Alles Geschichte könnten Sie auch interessieren:
Aus der Staffel Altes Arabien geht es HIER zu Folge Die Nabatäer und die Felsenstadt Petra
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Klassik für Klugscheißer
Mit ihrem Musikwissen prahlen - das können Laury und Uli ganz hervorragend: Welche Drogen werden im Orchestergraben eingeschmissen? Was verbindet Pokémon und Tschaikowsky? Welche Strukturen verhindern Diversität in der Branche? Und warum hatte Wagner einen Fetisch für Samt-Unterhosen? Bei uns bekommt ihr längst vergessenen Gossip und überraschende Fakten zur Musik. Jeden zweiten Freitag in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt - oder gleich HIER
Literatur:
Johann Ludwig Burckhardt, „Travels in Syria and the Holy Land“ – hier kommt Burckhardt im Original zu Wort.
Sabine Söll-Tauchert u.a., „Scheich Ibrahim – der Basler Kaufmannssohn Johann Ludwig Burckhardt (1784 – 1817) und seine Reisen durch den Orient“. Ein stimmungsvolles Heft über das Leben und die Reisen Burckhardts mit vielen Zitaten, Fotos, Karten und Abbildungen. Sehr gute Einführung.
Ausstellungs-Bildband „Petra. Wunder der Wüste. Auf den Spuren von J.L. Burckhardt“. Schöne, großformatige Fotos von des Fassaden Petras aber auch viele Landschaftsaufnahmen.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin 1:
Man könnte so anfangen: Es war einmal... Ein Schweizer Orientreisender, der einfallsreich war wie ein Märchenerzähler und schlau wie ein Fuchs. Der die sagenumwobene Felsenstadt Petra für die Europäer wiederentdeckt hat und den grandiosen Pharaonen-Tempel von Abu Simbel.
Sprecher 3:
Man könnte aber auch so anfangen: Johann Ludwig Burckhardt war nicht weniger als einer der großen europäischen Forschungsreisenden. Ein Vermittler zwischen den Kulturen und Religionen. Ein Kenner der orientalischen Welt, ein Kenner des Islam, ein nimmermüder Entdecker verschollener Kulturschätze.
Sprecher 2:
Und warum nicht so?! Vor nichts und niemandem hatte dieser Abenteurer Angst, nicht einmal, wenn der Tod als Strafe der Entlarvung drohte. Um seine Gegner zu täuschen, verkleidet er sich als bärtiger Muslim und nennt sich Scheich Ibrahim. So gelangt er ins größte Heiligtum der muslimischen Welt: in die Kaaba in Mekka.
Sprecherin 1:
Ach was... Lasst ihn doch lieber selber reden:
MUSIK 2 ( Bill Lauranec – Katerina 0‘52)
Sprecher 3
Liebe Eltern, ich habe in Cambridge studiert, Arabisch gelernt und viel über die Sitten der Länder gelesen. Ich habe mir Rezepte für eine Hausapotheke angeeignet und Medizin studiert, außerdem einige astronomische Kenntnisse erworben, die mir auf meiner Reise von Nutzen sein werden. Ich halte eine strenge Diät, eine simple Gemüsekost, die mir erlaubt, mit verdünntem Blute einst die Hitze der Wüste leichter ertragen zu können. Ich weiß, liebe Eltern, euch schweben nun all die Gefahren der Wüste vor Augen, aber ich bitte Euch, dass ihr die augenblicklichen Empfindungen eures liebevollen Herzens unterdrückt, um mein Vorhaben billigen zu können.
Sprecher 2
Und das Vorhaben, von dem Johann Ludwig Burckhardt hier spricht…
Sprecherin 1
…das er aber den Eltern nicht im Detail verrät….
Sprecher 2
… ist spektakulär: Er will für die britische African Association den Handelsweg von Kairo nach Timbuktu erforschen. Wir schreiben das Jahr 1812. Bis dato ist kein Europäer nachweislich nach Timbuktu gelangt, in die sagenumwobene Stadt im Herzen Afrikas. Obwohl es einige durchaus versucht haben. Zurückgekommen sind sie entweder gar nicht oder ohne Erfolg…
OT 1 Söll
„Genau, die sind gescheitert. Die bezahlten auch mit ihrem Leben“
Sprecherin 1
…stellt Sabine Söll-Tauchert, Kuratorin am Historischen Museum Basel lakonisch fest
OT 2 Söll
„Das waren wirklich widrige Bedingungen für den Europäer. Sich einerseits klimatisch anzupassen, aber auch eben die Sprache zu beherrschen. Also da brauchte es unglaublich viel, um durchzukommen. Und deswegen musste sich Johann Ludwig Burckhardt auch sehr intensiv auf diese Reise vorbereiten. Aber es war auch klar, dass das eine sehr, sehr gefährliche Aktion war.“
Sprecherin 1:
...verbunden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, nicht wieder zurückzukehren. Wir werden sehen, ob es Johann Ludwig Burckhardt trotzdem gelingt. Zumindest hatte er gleich zwei Asse im Ärmel: Erstens: Er lernt Arabisch…
Sprecher 2
Und zweitens: er tauscht seine Identität: er verkleidet sich als islamischer Kaufmann, mit Turban und Rauschebart, sein Name: Ibrahim ibn Abdallah
Sprecherin 1
Aber von vorne … Wie bitte kommt ein Schweizer Kaufmannssohn aus Basel dazu, als Scheich Ibrahim für die britische African Association in den Orient zu reisen?
MUSIK 3 (Jean Xavier Lefèvre – 1.Satz aus: Duo für 2 Klarinetten F-Dur; Csaba Klenyán Klarinette 0‘46)
Sprecher 2
Kurzer Steckbrief der ersten Lebensjahre des Johann Ludwig Burckhardt:
Geboren:
Sprecher 3
25. November 1784 als jüngster Spross einer angesehenen Kaufmanns- und Politikerfamilie
Sprecher 2:
Kindheit:
Sprecher 3:
behütet, unterrichtet von einem Hauslehrer. Aufgeklärte, humanistische Bildung in einem kunstsinnigen Umfeld
Sprecher 2:
Studium:
Sprecher 3:
Rechtswissenschaften in Leipzig und Göttingen, zwei Städte, die noch nicht von Napoleon besetzt waren. Burckhardt lehnt - wie sein Vater - Napoleon und die Französische Revolution ab.
Sprecher 2:
Beruf:
Sprecher 3:
Er will eigentlich Diplomat im Dienst eines deutschen oder österreichischen Fürsten werden, aber seine Hoffnungen zerschlagen sich.
OT 3 Söll
Und so versuchte er dann 1806 sein Glück in London. Er traf dort dank der Kontakte seines Vaters einflussreiche Persönlichkeiten. Doch ergab sich keine Möglichkeit, in eine diplomatische Karriere einzusteigen. Ja, es war wirklich eine harte Prüfung. Er musste über Tage hinweg darben, ernährte sich beispielsweise zwei Monate lang nur von Käse und Brot. Und schließlich dann der der Kontakt mit Sir Joseph Banks, dem Mitbegründer der African Association. Da erschloss sich ihm dann unerwartet ein ganz neues Wirkungsfeld.
Sprecherin 1:
Ein Wirkungsfeld, das die Länder umfassen soll, die wir heute als Türkei, Syrien, Libanon, Israel, Jordanien, Ägypten, Sudan und Saudi-Arabien kennen – viele dieser Gebiete gehören damals zum Osmanischen Reich. Sein Auftrag: Ziehe mit der Fessan-Handels-Karawane von Kairo aus ins Zentrum Afrikas, durch die Sahara, nach Timbuktu. Beschaffe uns Informationen über Handelswege, Absatzmärkte, Handelsgüter.
Sprecher 2
Es standen also handfeste ökonomische Interessen hinter dem Auftrag der African Association, ein Auftrag für den Burckhardt Feuer und Flamme ist. An die Eltern schreibt er:
Sprecher 3
„Ich habe einen neuen Plan im Werke, der nicht ganz unausführbar, mit Gefahr, aber auch mit großem Nutzen, sowohl für mich als für England, und ich darf sagen für die Menschheit, verbunden ist….
Sprecherin 1
Burckhardt will wagen, was andere nicht wagten – er will vordringen in…:
MUSIK 4 ( Ulrich Bassenge – Arabesk 0’50)
Sprecher 3
„… Länder die nur halb bekannt sind, die jahrhundertelang beinahe unbekannt waren, bloß weil niemand den Beruf fühlte, hineinzudringen, Von solchen Ländern wurde und wird viel gefabelt. Sagen von wilden kannibalischen Völkern sind platterdings Lügen, und unglücklicherweise sind gerade diese von Kindheit an gehörten Gerüchte von jenem Lande tief in unserer Einbildung verwurzelt.“
Sprecher 2:
Festzuhalten bleibt: Burckhardt sieht die Gefahr, die sein Vorhaben mit sich bringt. Und entsprechend will er sich vorbereiten.
OT 4 Söll
Er geht dann von London aus nach Cambridge und besucht dort an der altehrwürdigen Universität Vorlesungen über Astronomie, über Chemie, Mineralogie und Botanik. Und eignet sich auch ein Grundwissen in Medizin an, was ihn natürlich auch später dann helfen sollte, wenn er mal erkrankte. Er hat sich auch körperlich fit gemacht, und als in England eine Hitzewelle mit Temperaturen über 35 Grad herrschte, breitete er sich mit langen Märschen an der prallen Sonne auf das Klima vor.
MUSIK 5 ( Youssef Dhafer – Interl‘oud 0’32)
Sprecherin 1
Aber eine andere Vorbereitung ist wohl noch wichtiger als Vorlesungen und körperliche Fitness: Burckhardt lernt Arabisch. Diese Sprache zu beherrschen - das weiß er - wird das Vehikel für alle seine Vorhaben sein. Über Malta reist er 1809 nach Aleppo, studiert dort intensiv Arabisch. Zweimal liest er den Koran, er lernt verschiedene Passagen auswendig, er beginnt arabische Sprichworte zu sammeln. Und er greift zu einer List:
OT 5 Söll
Er muss sich tarnen. Er nimmt eine neue Identität an, nimmt den Namen Scheich Ibrahim Ibn Abdallah und gab sich als indischer Muslim aus, der für eine britische Handelsgesellschaft unterwegs sei. Ja als Moslem, hoffte er, tiefer in die Gesellschaft eintauchen zu können. Und diese indische Identität sollte seine Unvollkommenheit in Sprache und Sitten entschuldigen. Na, da gibt's eine lustige Anekdote, auch wenn man ihm eine Probe der Hindu Sprache von ihm verlangte. Dann antwortete er im unverständlichsten Dialekt des Schweizer Deutsch. Und dieser Trick scheint auch funktioniert zu haben.
MUSIK 6 (Youssef Dhafer – Interl‘oud 0’26)
Sprecher 3:
Ob ihr mich, liebe Eltern wohl noch kennen würdet, wenn ihr mich jetzt sehen könntet; auf den Knien auf einem mit Teppich bedeckten Boden sitzend, in meiner weiten türkischen Kleidung, einem respektablen Barte, auf meinem Schoße arabische Manuskripte und Wörterbücher liegend. Zum Glück habe ich unter meinen Möbeln keinen Spiegel, sonst würde ich wohl zu Zeiten selbst über mich lachen.“
Sprecherin 1
Seine Tarnung als muslimischer Kaufmann mit passablem, aber klar erkennbaren Akzent in seinem Arabisch – ist sie mehr als nur Schutz vor Überfällen? Hat Scheich Ibrahim eine Forschungsmethode gefunden, um näher an die Bevölkerung heranzukommen und damit genauer und tiefer in seine ethnografischen Beobachtungen einzutauchen? Seine detaillierten Aufzeichnungen, die er nach London zurückschickt und die heute in Cambridge verwahrt werden, lassen das vermuten.
OT 6 Söll
Er begegnet den Menschen, die er trifft, auf Augenhöhe. Das ist eben auch wirklich das Besondere an seiner Herangehensweise, dass er eben nicht als der eingebildete Europäer in den Orient kommt, sondern er wirklich versucht, das Volk zu verstehen. Und da hat ihm natürlich auch die Sprache genützt, er muss hervorragend Arabisch gesprochen haben. Und er ist auch fasziniert.
Sprecher 2
Fasziniert auch von den Menschen, die ihm auf seinen Reisen begegnen, die er von Aleppo und Damaskus aus unternimmt. Schließlich fühlt sich Burckhardt so weit, Richtung Kairo weiterzureisen und sein eigentliches Anliegen voranzutreiben: den Handelsweg von Kairo nach Timbuktu zu kartografieren, als erster Europäer die Stadt im heutigen Mali zu betreten.
MUSIK 7 ( Breathing Soul (Filmmusik „Babel“) 1’30)
Sprecherin 1
Doch Burckhardt wäre nicht Burckhardt, wenn er einfach nur von Aleppo aus zu einem Mittelmeerhafen reiste und dann weiter per Schiff nach Kairo. Er will durchs Landesinnere, sein Ziel ist Petra, die Wüstenstadt. Er hat alles gelesen, was es an Quellen und Berichten gibt über Petra, diese sagenumwobene antike Königsstadt der Nabatäer.
Sprecher 2
Aber dort gewesen war seit den Kreuzrittern kein Europäer mehr.
OT 7 Bellwald
Wie wir aus den Schriften von Burckhardt wissen, hat er sich im Voraus mit Petra beschäftigt. Er hat gewusst, dass dieses Petra existiert und er wusste auch ungefähr, wo es lag.
Sprecherin 1
Sagt der Schweizer Archäologe Ueli Bellwald, der über 30 Jahre lang in Petra geforscht und gegraben hat.
OT 8 Bellwald
Wir dürfen nie vergessen, dass die Wiederentdeckung von Petra durch Burckhardt nur eine Wiederentdeckung für die westliche Welt. Für die arabisch-muslimische Welt, inklusive dem Osmanischen Reich, war das keine Wiederentdeckung, die wussten, wo das war.
Sprecher 2
Burckhart vermutet, dass Petra in der Umgebung des Wadi Musa zu finden ist, was erst einmal nur die Gegend rund um die Mosesquelle bezeichnet. Am Wadi Musa angekommen, trifft er als Scheich Ibrahim auf die dortige Bevölkerung. Allerdings gibt es ein Problem, wie Archäologe Bellwald erzählt. Denn die Ortsansässigen wissen nicht mehr, dass Petra von den Nabatäern gegründet und erbaut worden war
OT 9 Bellwald
Man hat Petra mit den ägyptischen Pharaonen in Beziehung gesetzt. Weil nur von der ägyptischen Kultur kannten sie derart riesenhafte Bauten wie die in Petra aus dem Stein gehauenen Fassaden oder noch stehenden Ruinen. Und in ihrer Meinung war Petra das Schatzversteck der ägyptischen Pharaonen. Und wenn ein Fremder dorthin kommt und Petra anschauen will, dann haben die natürlich sofort angenommen, der wisse mehr als sie und sei jetzt auf der Suche nach diesen pharaonischen Schätzen.
MUSIK 8 ( David Walters - Interlude) 0’31)
Sprecher 3:
Beste Eltern… alles in mir drängte danach Petra zu sehen. Doch wie sollte ich meinen Begleitern erklären, dass ich eine aus ihrer Sicht heidnische Stätte suchen wollte, ohne dass sie Verdacht schöpften? Ich erinnerte mich, dass oberhalb Petras das Grab des Aaron, des Bruders von Moses liegen sollte. Der gilt auch bei den Muselmännern als Prophet.
OT 10 Bellwald
Er hat dann gesagt, er möchte Aaron ein Opfer darbringen. und so hat er es geschafft nach Petra zu kommen und hat ja im Geheimen nur diese Aufzeichnungen gemacht.
Sprecherin 1
Burckhardt fertigt heimlich einige Skizzen an, aber seine Führer werden misstrauisch. Und der Schweizer Scheich ist sich durchaus bewusst, was passieren würde, wenn man ihn enttarnte…
MUSIK 9 ( Amelia desert morning (aus dem Film: Babel) 1’13)
Sprecher 3
„Ich würde wenigstens an der Fortsetzung meiner Reise nach Ägypten verhindert worden sein, und aller Wahrscheinlichkeit nach würde man mich ausgezogen und meines wenigen Geldes beraubt haben, und meines Tagebuchs, was mir noch unendlich wichtiger war als das Geld.“
Sprecherin 1
Und was ihm geblüht hätte, mittel- und kleiderlos – man kann es sich ausmalen. Doch Burckhardt bleibt unentdeckt. Für dieses Mal ist er davongekommen, aber es war knapp…
Sprecher 2
Burckhardt war übrigens nur einen Tag und eine Nacht in Petra. Was er sehr bedauert hat, aber es war einfach zu gefährlich, enttarnt zu werden. Doch er ahnt schon, was für Folgen seine Wiederentdeckung haben wird:
Sprecher 3
„Künftige Reisende mögen den Ort unter dem Schutz eines Trupps Bewaffneter besuchen. Die Einwohner selbst werden sich daran gewöhnen, fremde dort mit Wissbegier forschen zu sehen, und man wird sich dann überzeugen, dass die Alterthümer von Wady Musa einen Rang neben den interessantesten Überresten der alten Kunst behaupten.“
Sprecherin 1
Festgehalten hat Burckhardt all das in seinen Büchern, die zum großen Teil posthum erschienen sind. Petra zum Beispiel beschreibt er in „Reisen in Syrien und dem Heiligen Land“. Was Forscher und auch Laien vor allem aus Großbritannien und Frankreich auf den Plan ruft.
Sprecher 2
Man kann durchaus sagen, dass er den Grundstein für den Tourismus im heutigen Jordanien gelegt hat, 1991 ist ihm sogar ein Orden von der jordanischen Königin verliehen worden – posthum natürlich.
Sprecherin 1
Aber Petra war nur die erste bemerkenswerte Station seiner Reise. Burckhardt zieht weiter nach Kairo. Er will ja die große Fessan-Karawane nicht verpassen und mit ihr nach Timbuktu aufbrechen. Doch in Kairo erfährt er, dass die Karawane wegen einer Epidemie schon seit mehreren Jahren ausgeblieben ist. Was bleibt ihm anderes übrig als zu warten…
Sprecher 2
Und die Zeit mit der Niederschrift seiner Berichte über Petra und die Reisen ins Heilige Land zu füllen und diese nach London zu schicken. Zusammen mit den Briefen an die Eltern sind diese akribischen Niederschriften die Quelle, aus der wir heute unsere Informationen schöpfen. Und als auch das getan ist, macht er sich auf, dem Nil nach Süden zu folgen. Er zieht weiter, als das die Forscher vor ihm getan haben, sagt Sabine Söll, Kuratorin am Historischen Museum Basel. Die berühmten Ruinen des Niltals… am 22. März 1813 betritt er das Gebiet von Abu Simbel
MUSIK 10 ( Darabukka solo 0’33)
OT 11 Söll
Er sieht plötzlich oberhalb des bekannten Hathor Tempel den Zugang zu einem weiteren, viel größeren Heiligtum.
Sprecher 3
„Als ich mich glücklicherweise weiterhin nach Süden umsah, fiel mir das, was noch von vier ungeheuren Colossalstatuen, die aus dem Felsen gehauen sind, sichtbar ist, in die Augen. Allein es ist sehr zu bedauern, dass sie jetzt fast ganz vom Sande begraben sind, welcher hier in Strömen herabgeweht wird.“
OT 12 Söll
Mit dieser Beschreibung der Anlage lieferte er der westlichen Welt wirklich den ersten Bericht über den großen Tempel von Abu Simbel. Es war ja eines der wichtigsten Bauwerke aus pharaonischer Zeit und wirklich die zweite große Entdeckung von Scheich Ibrahim. Und er war sich auch wirklich bewusst, dass er hier was sieht, was noch kein Europäer vor ihm gesehen hat.
Sprecherin 1
Aber sein eigentliches Ziel, mit der großen Fessan-Karawane nach Timbuktu zu reisen, kann er weiterhin nicht verwirklichen. Die will und will nicht kommen
Sprecher 2
Deshalb entschließt er sich im Frühjahr 1814 zu einer Reise auf die arabische Halbinsel. Er will dort am Hadsch, der Pilgerfahrt nach Mekka teilnehmen.
MUSIK 11 ( Darabukka solo 0’28)
Sprecherin 1
Wieder ist die Reise gefährlich. Seine Karawane wird von Beduinen überfallen, kann sich nur mit Mühe verteidigen. Später wird er als Spion verdächtigt, zudem gerät er in Geldnot. Abgekämpft und mit zerschlissener Kleidung kommt er schließlich in Dschidda an. Hier wartet schon die nächste Prüfung auf ihn. Denn Ungläubigen war ja das Betreten der heiligen muslimischen Stätte strengstens verboten
OT 13 Söll
als der Osmanische Gouverneur Mohammed Al Pascha von seiner Anwesenheit erfuhr, der bestellte ihn zu sich. Und Scheich Ibrahim hielt sich dann einige Tage in Taif auf und hatte längere Gespräche mit dem Pascha, der sich von der Aufrichtigkeit seines islamischen Glaubens persönlich überzeugen wollte. Und er wurde auch von Rechtsgelehrten auch auf die Korankenntnisse hin geprüft und überzeugte sie dann und durfte die Reise nach Mekka dann fortsetzen.
Sprecher 3
„Der Pascha behandelt mich als einen Muselmann, und ich schmeichle mir selbst, dass die Dreistigkeit meines Betragens ihn überzeugt habe, dass ich ein echter Proselyt sei.
Sprecher 2
Ein Proselyt also - einer, der neu bekehrt und zum Muslimischen Glauben übergetreten ist.
Sprecherin 1
Burckhardt hält sich drei Monate in Mekka auf, studiert dort sowohl die Bräuche der Pilger als auch Händler und Waren auf den Märkten der Stadt. Und er vollzog – ein teilnehmender Beobachter – die Wallfahrtshandlungen. Nach der Umrundung der Kaaba, dem zentralen Heiligtum des Islams – ein quaderförmiges Gebäude im Innenhof der Al-Haram-Moschee – gelangt er sogar ins Innere. Und ist somit einer der ersten Europäer, der die Kaaba nicht nur von außen, sondern auch von Innen präzise beschreiben kann.
OT 14 Söll
Also er hat wirklich immer parallel überlegt, was ist, was ist interessant? Was ist neu? Was kann ich da Neues herausfinden? Hat also die Schritte gemessen, um auch die Größe ungefähr dieses Areals abmessen zu können? Und ja, die Kaaba wird ja nur dreimal im Jahr geöffnet, und er ist da mit einer riesigen Menge Menschen hineingedrängt in diese Kaaba, und im Innern ist es finster. Und man braucht, wie er sagte, dann noch einige Zeit, um etwas überhaupt sehen zu können. Aber er konnte nur 5 Minuten bleiben, weil es so heiß war, dass er fast ohnmächtig geworden wäre.
MUSIK 12 ( Ulrich Bassenge – Arabesk 0’40)
Sprecher 2
Bleibt die Frage: Was hat Burckhardt wirklich gefühlt? Ist er als Forschender auf den Hadsch gegangen, hat Mekka erreicht, ist in die Kaaba vorgedrungen –
Sprecherin 1
…oder als Gläubiger? Ob er Mekka und danach Medina aus ethnologischer Entdeckerlust oder aus tiefem religiösem Empfinden besucht und beschrieben hat: wir wissen es nicht. Er hat seine Beweggründe geheim gehalten, sich nie dazu geäußert.
Sprecher 2
1815 kehrt Scheich Ibrahim nach Kairo zurück. Er wartet weiter auf die Karawane, die nicht kommt. Zumindest nicht zu seinen Lebzeiten. Denn der Orientreisende, der so vielen Gefahren entronnen ist, vergiftet sich an einem Fisch. Am 15. Oktober 1817 stirbt Johann Ludwig Burckhardt, der Gelehrte, Hadschi und Scheich wird nach islamischem Ritus auf dem Bab el Nasr Friedhof in Kairo beigesetzt. Bei seiner Abreise aus Europa hatte er an die Eltern geschrieben:
MUSIK 13 (Youssef Dhafer – Interl‘oud 0’20)
Sprecher 3
Möge die Vorsehung mir einst das Glück gönnen, Euch zu umarmen. Gehabt Euch wohl und vergesst nicht einen euch aufs kindlichste liebenden Johann Ludwig.
Sprecherin 1
„Die Vorsehung“ hatte anderes mit ihm vor. Er war 32 Jahre jung, als er starb. Doch was er hinterließ, seine Aufzeichnungen, die er fortwährend nach London geschickt hatte, sind für die Forscher, die ihm nachfolgen, von unschätzbarem Wert.
OT 15 Bellwald
Sein Hauptinteresse galt ja aus heutiger Sicht ethnografischen Studien, es ging ihm darum nicht nur über Islam schreiben, sondern vorzudringen ins Innerste des Islam. All das war sein zentrales Anliegen
OT 16 Söll
Seine Reisebeschreibungen, die lesen sich wirklich wie ein Abenteuerroman, weil jeden Tag etwas Neues ist. Man kann ihn teilweise auf Schritt und Tritt folgen, weil er das genau beschreibt. Und es ist wirklich unglaublich beeindruckend, mit welcher Neugierde er jeden Tag neu beginnt, auch wenn ihm wirklich die Menschen, das merkt man ganz deutlich, immer wichtiger waren.
MUSIK 14 ( Andreas Suttner / Anselm Kreutzer: Rivalry Fight)
Sprecher 3
Johann Ludwig Burckhardt alias Scheich Ibrahim ibn Abdallah, Schweizer Orientreisender und Entdecker, einzigartiger Zeitzeuge arabischer Kulturen und Chronist derselben.
Sprecher 2
Man könnte auch sagen: Was für ein Leben, was für eine Räuberpistole! So nebenbei Petra und Abu Simbel wiederentdeckt und auf dem Hadsch auch noch in der Kaaba mal vorbeigeschaut… Dass das wahr ist, glaubt einem ja kein Mensch…
Sprecherin 1:
Man könnte aber auch sagen: Und wenn er nicht gestorben wäre, hätte er bestimmt auch noch Timbuktu für die Europäer entdeckt.