
Deutsche und Amerikaner - Wie 1945 aus Feinden Freunde wurden
Radiowissen
Intro
In diesem Kapitel beschreibt ein Kind seine Erlebnisse während des Einmarsches der Amerikaner 1945 in Rodach. Die Begeisterung und Angst der Bevölkerung sowie die Freude über kleine Geschenke wie Kaugummi und Coca-Cola werden eindrucksvoll dargestellt.
Die US-Armee rückte 1945 in deutsches Feindesland vor und brachte statt Hass und Furcht Schokolade, Kaugummi, Coca Cola - und die Grundlagen für einen demokratischen Neuanfang. In Windeseile wurden Amerikaner und Deutsche im beginnenden Kalten Krieg zu engen Verbündeten. Von Florian Kummert
Credits
Autor dieser Folge: Florian Kummert
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprach: Katja Amberger
Technik: Laura Picern
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Helmut Markwort, Journalist
Wolfgang Reinicke, Historiker
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Linktipps:
Zeitzeugen-Berichte, Haus der Bayerischen Geschichte, Regensburg
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
OTON 1 Helmut Markwort 1
Ich bin ja im Hessischen aufgewachsen. Mein Vater war Justizbeamter in Darmstadt. Und da waren aber so viele Luftangriffe immer auf Darmstadt, dass die Familie gesagt hat, wir gehen aufs Land, wir ziehen nach Rodach, bei Coburg. Heute heißt das ganz vornehm Bad Rodach. Aber wir sind zu weiblichen Vorfahren nach Rodach. Und da habe ich als Achteinhalbjähriger den Einmarsch der Amerikaner erlebt.
ERZÄHLERIN
Erinnert sich Helmut Markwort, vor allem bekannt als langjähriger Herausgeber des Nachrichten-Magazins Focus. Der Journalist und Politiker ist Jahrgang 1936.
OTON 2 Helmut Markwort 2
Natürlich hatte man uns Angst gemacht vor den Amerikanern. Die fressen Kinder und was nicht alles.
Musik: Minimal melancholy underscore 0‘34
ERZÄHLERIN
Am 10. April 1945 marschieren die Amerikaner in Rodach ein, nachdem die Stadt einige Tage zuvor durch Artilleriefeuer beschossen wurde. Dabei ging auch die Spielzeugfabrik von Helmut Markworts Großvater in Flammen auf.
OTON 3 Helmut Markwort 3
Ich habe kurz vor dem Einmarsch die lächerlichen Anstrengungen des sogenannten Volkssturms miterlebt. Die alten Männer, die noch da waren und Frauen, die haben Panzersperren auf der Hauptstraße, wo wir wohnten, errichtet, die Straße aufgerissen. Panzersperren gegen die Amis. Dann kamen die Amerikaner, sind da drüber gefahren wie über nichts. Schwupp, waren die Panzersperren weg.
Geräusch Panzer, berstendes Holz
ERZÄHLERIN
Tagelang sind zuvor nur vereinzelte deutsche Soldaten zu sehen, auf der Flucht vor den Amerikanern, am Ende ihrer Kräfte, mit einer kaum mehr funktionierenden Ausrüstung. Die Amerikaner dagegen rücken mit neuesten Panzern und Jeeps an, technisch weit überlegen. Die verbliebenen Rodacher empfangen die US-Streitkräfte, stehen aufgereiht am Rand der Hauptstraße, und sind – so erzählt Markwort - erleichtert.
OTON 4 Helmut Markwort 4
Also dieses Rodach liegt ja an der Grenze zu Thüringen. Und als man hörte, der Krieg ist verloren, alles aus, gab es unter meinen Tanten - die Männer waren ja alle im Krieg, ich war ja umzingelt von Tanten und Dienstmädchen und nur Frauen - da gab es nur ein Gerede: hoffentlich kommen nicht die Russen. Das war die größte Angst: vor den Russen. Und tatsächlich war ja zwei Kilometer hinter Rodach, Hildburghausen in Thüringen, bis dahin sind die Russen gekommen, und die Amerikaner sind zu uns gekommen. Deswegen wurden die wie Befreier begrüßt. Die haben freundlich gewinkt und die waren sehr nett. Das war ein herzliches Willkommen. Und da sind wir Kinder immer hingelaufen. Und die haben Kaugummi rausgeworfen.
MUSIK: Glenn Miller - American Patrol 0‘37
ERZÄHLERIN
Chewing Gum. Die Wunderwaffe der Amerikaner, die die Herzen der deutschen Kinder erobert. Ebenso effektiv und beliebt: Hersheys Schokolade. Und natürlich dieses dunkelfarbige, süße Getränk in den kleinen, elegant geschwungenen Glasflaschen.
OTON 5 Helmut Markwort 5
Das sensationelle Getränk Coca-Cola. Das kannte ja kein Mensch. Ihr Coke, das war natürlich ein Hammer.
MUSIK Glenn Miller - American Patrol (unter nächstem Absatz wieder ausblenden)
ERZÄHLERIN
Die Siegermacht USA, hier gefeiert als Befreier. Doch während der nicht einmal neunjährige Helmut Markwort seine erste Cola genießt und sich in Windeseile mit den amerikanischen Soldaten anfreundet, wird in anderen Teilen Bayerns noch erbittert gekämpft. Tag für Tag arbeitet sich die US-Armee nach Süden vor, nimmt Bayreuth und Nürnberg ein. Am 23. April erreichen die Gis die Donau bei Regensburg.
OTON 6 Wolfgang Reinicke 1a
Regensburg wurde auch beschossen durch die Amerikaner. Es gab aber eine Bewegung im April 1945, wo sich mutige Bürgerinnen und Bürger dafür eingesetzt haben, dass die Stadt eben friedlich den Amerikanern, die schon vor den Toren der Stadt standen, übergeben würde. Das ist dann vereitelt worden von den NS-Machthabern, die sich noch halten konnten.
ERZÄHLERIN
Erzählt der Historiker Wolfgang Reinicke. Er hat die Dauerausstellung im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg mitkonzipiert. Ein Blick zurück in die Vergangenheit. Die Tragik der letzten Kriegstage wird anhand etlicher Objekte spürbar. Auf einem Pappschild steht geschrieben: „Hier starb ein Saboteur.“
OTON 7 Wolfgang Reinicke 1b
Wir stehen hier gerade an einer sehr berührenden Hinterlassenschaft. Domprediger Johann Mayer, der sich sehr stark für diese friedliche Übergabe der Stadt an die Amerikaner eingesetzt hat und dafür dann mit seinem Leben bezahlen musste, wurde von den Nationalsozialisten noch wenige Tage vor Kriegsende gelyncht und gehängt. Und seine Leiche hing dann in der Stadt eine gewisse Zeit und um seinen Hals herum wurde ein sehr fieses Schild gehängt. „Hier starb ein Saboteur.“ Das sollte abschreckend wirken und nochmal die ganze Verachtung der NS-Machthaber für diesen Versuch des aus ihrer Sicht schändlichen Verrats darstellen.
ERZÄHLERIN
Nur vier Tage später, am 27. April 1945, wird Regensburg kampflos den US-Truppen übergeben. Aus den Häusern, von den Balkonen und selbst von Kirchtürmen hängen nun weiße Fahnen. Ein erhaltenes Exemplar ist auch im Haus der Bayerischen Geschichte zu sehen.
OTON 8 Wolfgang Reinicke 2
Die weiße Fahne, wahrscheinlich das Symbolobjekt schlechthin vom Kriegsende, nicht nur in Bayern 1945, sondern in ganz Deutschland. Man muss sagen, eine ehemals weiße Fahne, diese weiße Fahne, der sieht man das Weiß gar nicht mehr so richtig an. Das war ein ehemals weißes Bettlaken aus Neuendettelsau, der Diakonie dort, aus dem Lazarett. Und dieses Bettlaken wurde an einen Kiefernstamm dran geknüpft und mit diesem Kiefernstamm zusammen aus dem Nordturm der Laurentiuskirche in Neuendettelsau gehängt. Und zwar war das im April 1945, um den Amerikanern, die eben auch vor den Toren standen, zu signalisieren, bitte, wir ergeben uns, bitte nicht mehr schießen.
Musik: Moderate moods (red.) 0‘28
ERZÄHLERIN
Zeitzeugen, die noch aus erster Hand vom Aufeinandertreffen der Deutschen und Amerikaner erzählen können, gibt es immer weniger. Doch das Haus der Bayerischen Geschichte hat ein umfangreiches Archiv an Zeitzeugen-Interviews angelegt. Gespräche – geführt von den 1990er Jahren bis heute. Sie halten die Erinnerungskultur lebendig.
OTON 9 Ludwig Steinherr 1
In aller Herrgottsfrüh hieß es plötzlich, die Amerikaner sind da, die Amerikaner sind da! Und ich bin ans Fenster gesaust und da sind sie gekommen, so hintereinander in einer langen Reihe in den Ort einmarschiert, an den Hausreihen entlang, haben dann gleich Maschinengewehre aufgebaut und so kleine Granatwerfer.
ERZÄHLERIN
Erzählt Ludwig Steinherr über den Einmarsch im oberfränkischen Ebrach. Die Gis und die Germans. Ein Aufeinandertreffen mit Sprachbarrieren.
OTON 10 Ludwig Steinherr 2
Dann kam einer ins Haus rein und hat nach Guns gefragt. Have you Guns? Jetzt hat niemand von uns gewusst, was denn nun Gans sind. Eine Cousine, die bei uns war, die hat das Abitur gerade gemacht gehabt, hat Englisch gesprochen, dann haben wir die geholt. Die wusste aber auch nicht, was Gans waren. Ich habe mir schon gedacht, er macht das immer so, das sieht so aus wie ein Gewehrspannen. Aber sie hat ihm dann erklärt, wir hätten also keine Gänse und dann ist er wieder abgezogen.
Musik: Hectic hiding (reduziert) 0‘37
ERZÄHLERIN
Am 4. Mai 1945 ist - mit der Kapitulation von Berchtesgaden - der Krieg in Bayern endgültig vorüber. Zu den GIs gehören auch jüdische Soldaten, die nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland auf Seiten der Amerikaner gekämpft haben. Wolfgang Robinow (Aussprache: Roobino, Betonung auf erstem o, w hinten stumm), Jahrgang 1918, ist einer der ersten US-Soldaten, der am 30. April 1945 den Münchner Marienplatz erreicht. 1998 erinnert er sich an diesen Moment, nach einem äußerst zähen Vormarsch.
OTON 11 Wolfgang Robinow
Erstens mal waren die Straßen ja nicht gerade frei, wie sie heute sind. Es war völlig blockiert durch alle möglichen Bombardierungs-geschichten, was da übrig blieb. Und außerdem sind wir sehr langsam und vorsichtig gefahren, weil wir ja nie wussten, wo ist eine Mine. Wir hatten gewisse Erfahrungen mit Minen auf dem Weg nach München. Und dann kamen wir also zum Marienplatz. Und bis wir ungefähr bis zu Stachus kamen, haben wir keine Menschenseele gesehen, nicht eine Person. Und wie wir auf den Marienplatz kamen, da waren auf einmal Deutsche da, sehr alte Männer, kleine Jungs, Mädchen und Frauen, die uns als die großen Befreier begrüßten, ein paar hatten sogar ein paar Blumen, haben uns geküsst und so weiter. Also ein großer Empfang.
ERZÄHLERIN
Dabei war das besiegte Nazi-Deutschland von den Ausbildern der amerikanischen Einmarschtruppen ganz klar als feindliche Nation deklariert worden, als „enemy nation“. Es gab das Gebot der „Non-Fraternization“. Als US-Soldat sollte man tunlichst keinen Kontakt zur Bevölkerung aufnehmen und auch den Deutschen war es eigentlich untersagt, mit den GIs zu interagieren. Doch Theorie und Praxis gingen schnell getrennte Wege, betont Historiker Wolfgang Reinicke.
OTON 12 Wolfgang Reinicke 3
Das ist ein großes Glück gewesen. Vielleicht hat da gerade geholfen, dass viele Kinder an den Straßen auch standen und eben den Amerikanern zugewunken haben und die ihrerseits dann eben diese Candys dabei hatten und die Süßigkeiten verteilt haben. Das war natürlich ein großes Pfund, quasi psychologisch, aber auch materiell, was die amerikanischen Besatzungssoldaten damit dabei hatten. Zum einen diese Süßigkeiten, andererseits auch ihre Verpflegungsrationen. Die Amerikaner waren sehr gut ausgerüstet. So gut, dass sie wirklich auch selber einen Teil von ihrer täglichen Ration dann abgeben konnten, um sich damit vielleicht etwas einzutauschen, wie auf dem Land frische Eier oder sonst was. Das hat, glaube ich, eine Art Eigendynamik entwickelt, die denjenigen, die diesen Einmarsch quasi geplant und befehligt hatten, so in dieser Dimension gar nicht bewusst gewesen ist.
ERZÄHLERIN
So fanden sich viele Deutsche direkt nach dem Einmarsch der Amerikaner in deren Diensten, darunter auch Helmut Markwort. Ein knapp neunjähriger Einser-Schüler, aufgeweckt, leutselig und sprachbegabt.
OTON 13 Helmut Markwort 6
Wie durch ein Pfingstwunder, ich kann es Ihnen nicht erklären, konnte ich Amerikanisch sprechen. Ich konnte mit den Amis reden, das fanden die toll, da haben die mich rausgefischt. Und einer der Höhepunkte war, dass der Panzerspähwagen in Rodach in die Volksschule reinfuhr und da kam der Sarge da zu dem Lehrer und sagte, we need him as an interpreter, wir brauchen ihn als Dolmetscher. Da hat er natürlich seinen Bückling gemacht und schwupp war ich frei. Ich bin da an die Grenzen hingefahren. Ich bin auch mit den Jeeps mitgefahren zu den amerikanischen Außenpatrouillenstationen, wo auf der anderen Seite die Russen waren mit dem Maschinengewehr. Und wurde so ein kleiner Schwarzhändler auch. Die Amerikaner waren ja faul, die haben sich nicht bemüht Deutsch zu sprechen, ich habe das für die gemacht. Die Amerikaner hatten Seife und Zigaretten und Schokolade und Coca-Cola. Und da sind wir zu den Bauern gefahren, ich habe dann gedolmetscht, die haben dafür Eier und Hühner und Speck gegeben und so. Meine ganze Verwandtschaft, meine Mutter und ihre Schwester, viele Geschwister haben alle von den Amis gelebt. Die haben die Wäsche gebracht und abgeholt. Ich war natürlich das Maskottchen dieser Einheiten, jahrelang.
CD Out of this world 0‘45
ERZÄHLERIN
Der Name Helmut ist den GIs zu kompliziert, also nennen sie den Jungen „Jimmy“. Der spricht auch die Fräuleins an, an denen die Soldaten Gefallen gefunden haben und muss regelmäßig die Grenzstationen anrufen. Alles in Ordnung? Keine besonderen Vorkommnisse auf Seiten der russischen Armee? Helmut Markwort alias „Jimmy“ meldet dann alles dem diensthabenden Offizier. Zum Dank bekommt er eine maßgeschneiderte US-Kinder-Uniform, mit passender Mütze. Dienstrang Master Sergeant. Die Uniform trägt er auch, als sein Vater einige Monate später aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wird.
OTON 14 Helmut Markwort 7
Mein armer Vater, der hat einen Todesschreck bekommen. Er stieg da aus dem Lastwagen aus, den hat einer mitgenommen als entlassener Kriegsgefangener. Und da guckt sein Sohn in einer Ami-Uniform aus der Wohnung raus. Er ist bald umgefallen. Der wollte nie wieder was mit Politik zu tun haben. Aber seine Stimmung ist schnell umgeschwungen, weil ich ihn massenweise mit Zigaretten versorgt habe. Lucky Strike, der war ein Kettenraucher. Ich hatte alles.
Geräusch: Baseball schlagen, spielende Kinder
Musik: Out of this world 0‘26
ERZÄHLERIN
Mit den GIs kam auch eine neue Sportart nach Bayern: Baseball. Im Haus der Bayerischen Geschichte hängt ein Foto, das bayerische Buben lachend mit Baseball-Schlägern zeigt, im Sommer 1945. Einer von ihnen, Heinrich Huber, erinnert sich 2013 im Interview:
OTON 15 Heinrich Huber
Eine erste Amtshandlung war für die G.I.s, sich einen Baseballplatz zu schaffen auf der Stadlerwiese. Und wir Jungs, wir sind am Rande gestanden, haben da zugeschaut und haben gedacht, hey, was machen die da? Und die Amis haben dann gemerkt, dass wir interessiert waren. Wir waren so sieben, acht, neun, zehn, elf Jahre alt. Und ja, die sagten dann: Hello boys, what about you? Would you like to play baseball with us? Ja, really? Okay. Also uns ging es ganz herrlich in der Zeit und wir Buben, wir sind ja sofort zu den Amerikanern übergelaufen und haben ja die Gelegenheit gehabt, mit den Lastwägen mitzufahren und vor allem auch, wir haben dann in der Zeit jeden Nachmittag Baseball gespielt auf der Stadlerwiese.
Musik: Out of this world 0‘21
ERZÄHLERIN
Es erwacht die Liebe zur US-Kultur, ob Baseball oder Rock’n’Roll, zu Jazz, Jeans und zu Hollywood-Filmen. Und es erwacht auch die Liebe der Soldaten zu den German Fräuleins.
Annäherungen, die nicht allen in der US-Regierung gefallen. Insbesondere nicht Henry Morgenthau (AUSSPRACHE: 'Morrgntau, 'Hännri), US-Finanzminister. 1945 veröffentlicht er das Buch „Germany is our problem“, indem er den nach ihm benannten Morgenthau-Plan skizziert und sich für eine raue, alles andere als freundliche Behandlung des besiegten Deutschlands einsetzt. Das Ziel: Deutschland darf nie wieder einen Angriffskrieg führen. Dazu will er das Land komplett demilitarisieren und in einen Agrarstaat verwandeln, die Industrie demontieren und Großgrundbesitz zerschlagen. Vielen in der US-Regierung ist der Morgenthau-Plan aber zu radikal, so dass er letztlich für die tatsächliche Besatzungspolitik der Alliierten im Nachkriegsdeutschland keine Rolle spielt.
MUSIK upbeat, z.B. Glenn Miller Little Brown Jug 0‘43
ERZÄHLERIN
Von zentraler Bedeutung dagegen wird der Marshall-Plan, benannt nach US-Außenminister George Marshall (AUSSPRACHE: Mahschl (sch=stl.), Dschohdsch): ein umfangreiches Hilfsprogramm, das viele westeuropäische Staaten beim Wiederaufbau unterstützt. Bis 1952 fließen über 13 Milliarden US-Dollar, davon über 1,4 Milliarden Dollar nach Westdeutschland. Für damalige Verhältnisse gewaltige Summen. Finanzielle Mittel, aber auch technische Hilfe, die die wirtschaftliche Stabilität und den Wiederaufstieg Deutschlands massiv fördern. Ein Meilenstein in der Annäherung der beiden Nationen, da der Marshall-Plan den Status der USA als Partner und Förderer Deutschlands zementiert, und vor allem Vertrauen schafft. Ein Vertrauen, das bereits vor dem Marshall-Plan ab 1946 durch private Hilfspakete gefestigt wurde, so der Regensburger Historiker Wolfgang Reinicke.
OTON 16 Wolfgang Reinicke 4a
Eine private Initiative, CARE, aus den USA, war aufs Ganze gesehen mindestens genauso wichtig dafür, dass die Amerikaner von der deutschen Bevölkerung als positiv wahrgenommen wurden. Denn jetzt kam wirklich professionelle Hilfe aus den USA, sogenannte Liebesgaben, wie sie sehr schnell geheißen haben, in Paketform. Wo man dann sehr genau sich angeschaut hatte, für die hungernde Bevölkerung, was braucht man da: hochkalorienhaltige Lebensmittel, die auch natürlich in Konserven sein mussten oder getrocknet, um nicht zu verderben.
ERZÄHLERIN
Der Nährwert jedes CARE-Pakets betrug etwa 40.000 Kilokalorien. Mit Rindfleisch in Kraftbrühe, Steaks, Leber, Corned Beef, Speck, Margarine, Schweineschmalz, Zucker, Honig, Schokolade, Rosinen, Aprikosen-Konserven, Eipulver, Vollmilch-Pulver und zwei Pfund Kaffee.
OTON 17 Wolfgang Reinicke 4b
Die wurden unter anderem nach Deutschland geschickt und dort verteilt. Und dass eben die ehemalige oder eigentliche Feindmacht, die das Land besetzt und den Krieg beendet und das NS-Regime zum Teufel gejagt hatte, dass die jetzt auch noch ein Jahr nach dem Krieg anfängt, in großem Maßstab solche CARE-Pakete hierher zu schicken, an die Bevölkerung, die Hunger leidet. Das gab den, glaube ich, ganz wichtigen Turnaround, dass man doch Zutrauen fand, dass die Amerikaner so schlecht nicht sein konnten und dass man sich gerne an denen orientiert.
Musik: Himmelfaden 0‘44
ERZÄHLERIN
Allerdings nicht in allen Bereichen. Die US-Militärregierung will eigentlich auch in Bayern das amerikanische Schulsystem installieren, aber High Schools und Colleges unter weiß-blauem Himmel? Ein Vorstoß, der in allen Regierungsbezirken auf Widerstand stößt. Es gibt eine parteiübergreifende Koalition, die gegen die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems protestiert. Grund- und Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien sollen bleiben. Mit Erfolg. Die angedachte Schulreform scheitert. Auf politischer Ebene hingegen werden die Institutionen der US-Demokratie eine wichtige Blaupause für den Neuanfang.
OTON 18 Wolfgang Reinicke 5
Der Bayerische Landtag wurde 1946 wieder einberufen und das konnte nur passieren, diese ganz schnelle Re-Demokratisierung, weil Bayern eben Teil der amerikanischen Besatzungszone geworden ist. Weil die Amerikaner ganz starken Wert gelegt haben darauf, dass diese Demokratisierung so schnell wie es irgendwie geht wieder Fuß fasst. Und es wuchs von der Gemeindeebene bis rauf zur Landesebene und Bayern hat auch Ende 1946 schon eine eigene demokratische Verfassung wieder gehabt. Auch das nur, weil die Amerikaner dafür die Grundlagen gelegt haben. Und warum haben die Amerikaner das gemacht? Natürlich, weil sie wollten, dass ihre Vorstellung, ihr Way of Life sich in den von ihnen besetzten Zonen durchsetzt. Aber man sorgt auch dafür, dass diejenigen, die man befreit hat, jetzt auch ganz schnell wieder auf die eigenen Füße kommen und sich selber organisieren können. Denn man brauchte ja auch Partner für den sich abzeichnenden neuen Konflikt zwischen Ost und West, zwischen USA auf der einen Seite und Sowjetunion und dem sogenannten Ostblock auf der anderen Seite.
ERZÄHLERIN
Nach dem Tod des US-Präsidenten Roosevelt im April 1945 und vor allem nach dem republikanischen Sieg in den Kongresswahlen von 1946 setzen sich Vertreter eines strikt antikommunistischen Kurses durch, darunter US-Präsident Harry S. Truman.
Musik: Perdido 0‘28
Ein Kurs, der vor allem ein Ziel hat: der möglichst rasche Wiederaufbau West-Deutschlands als Bastion gegen den Kommunismus - militärisch, ökonomisch, und politisch. Die ersten Amerikahäuser werden gegründet und Austauschprogramme mit US-Universitäten, in denen vor allem deutsche Nachwuchspolitikerinnen und -Politiker Nachhilfe in Demokratie erhalten.
OTON 19 Hildegard Hamm-Brücher 1
Also ich behaupte, wir hätten es in Deutschland nicht geschafft, eine Demokratie aufzubauen, die sich so positiv doch in den Fundamenten entwickelt hat, ohne diese amerikanische Wegweisung.
ERZÄHLERIN
So schätzte es Hildegard Hamm-Brücher ein, Jahrgang 1921. Im Mai 1948 wird sie für den Münchner Stadtrat auf die Liste der Bayern-FDP gewählt und erhält 1949 ein einjähriges Studium an der renommierten Harvard-Universität. Im Gespräch für das Zeitzeugen-Projekt im Haus der Bayerischen Geschichte erinnert sie sich 1998:
OTON 20 Hildegard Hamm-Brücher 2
Ich hatte ja noch in der Schule eingedrillt bekommen: Demokratie, das passt für Deutsche nicht, diese Quatschbuden und Parteienstreits, wie schrecklich! Und einer hat befohlen und alle haben zu gehorchen, das war doch das große Unglück und das umzudenken, das lernen umzudenken und nach dem Umdenken anders zu handeln, sich anders zu verhalten, das ist ja nicht vom Himmel gefallen und das haben die Amerikaner in einer geradezu rührenden Geduld bis weit in die 50er-Jahre hinein uns dabei geholfen. Und diese Programme waren eben gerade für junge Menschen wie mich ein Startkapital, wie ich es nirgendwo anders herbekommen hätte.
MUSIK: Glenn Miller, In the Mood 0‘30
ERZÄHLERIN
Mit gleichberechtigtem Zugang für Männer und Frauen. Ein Mosaikstein in einem vielschichtigen Netzwerk, das zwei Nationen aufs Engste verbinden sollte. Das Gegensätze überwinden konnte und mit Hilfe von politischen Ideen, wirtschaftlichen Kräften und auch der Macht der Popkultur in kürzester Zeit aus Feinden Freunde machte.