
Spargel - KultgemĂŒse in der Krise?
Radiowissen
Intro
Dieses Kapitel untersucht die Bedeutung und den Stellenwert des Spargels in der römischen Zeit. Durch antike Rezepte und Expertenmeinungen wird die kulturelle und gesundheitliche Relevanz des Spargels als Heilpflanze und Aphrodisiakum verdeutlicht.
Von Liebhabern wird er als erstes heimisches FreilandgemĂŒse nach dem Winter sehnsĂŒchtig erwartet: Spargel. BlĂŒtenweiĂ, grĂŒn, aber auch lilafarben. Er steckt voller Mineralstoffe und Vitamine. Doch sein Preis ist stolz, sein Anbau arbeitsintensiv. Ist das KultgemĂŒse in der Krise? Von Susanne Hofmann
Credits
Autorin dieser Folge: Susanne Hofmann
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Katja Amberger, Benjamin Stedler, Carsten Fabian, Sissi Forster
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Prof. Dr. Gunther Hirschfelder, Lehrstuhl fĂŒr Vergleichende Kulturwissenschaft an der UniversitĂ€t Regensburg
Claudia Freitag-Mair, Leiterin des EuropÀischen Spargelmuseums in Schrobenhausen
Josef und Christine Rehm, Spargelbauern in Linden bei Schrobenhausen
Stefan Settele, Gasthof Settele in Augsburg
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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Ein Podcast-Tipp fĂŒr alle, die gerne authentische Geschichten hören: âEin Zimmer fĂŒr uns alleinâ â zwei Frauen, zwei Generationen und die Frage âWie hast du das erlebt?â
Hier trifft Paula Lochte immer zwei Frauen aus verschiedenen Generationen und sie sprechen offen und ehrlich ĂŒber ein Thema, das sie verbindet. Was waren die KĂ€mpfe damals, was sind sie heute? âEin Zimmer fĂŒr uns alleinâ findet ihr in der ARD-Audiothek und ĂŒberall, woâs Podcasts gibt â oder gleich HIER
Linktipps:
Schrobenhausen - Das europÀische Spargelmuseum HIER geht es zur Website
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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATOR
Schwanenfleisch in Fischsauce
ZITATORIN
gepfefferter, gefĂŒllter SiebenschlĂ€fer mit NĂŒssen
ZITATOR
gebratener Kranich mit Liebstöckel und Honig
ZITATORIN
gekochter Flamingo in Koriandersauce
ZITATOR
marinierter Pfau
ERZĂHLERIN
Die Rezepte fĂŒr diese Gerichte stammen aus einem der Ă€ltesten ĂŒberlieferten KochbĂŒcher der Welt. Es entstand vor 2.000 Jahren im alten Rom und trĂ€gt den Titel âDe re conquinariaâ, zu Deutsch âĂber die Kochkunstâ. Verfasst haben soll es ein gewisser Apicius, ein weithin bekannter Feinschmecker der römischen Antike. Er lehrte seine Kunst in eigens gegrĂŒndeten Kochschulen. Raffiniert-Exotisches findet sich in seinem Kochbuch ebenso wie einfache Hausmannskost. Seine Rezepte zeigen: Die römische Oberschicht lieĂ sich ihre Gaumenfreuden etwas kosten, sie legte Wert auf erlesene und auĂergewöhnliche Zutaten.
ZITATOR 2 (nur Anfang und ggf. Schluss hörbar)
Accipies asparagos purgatos, in mortario fricabis, ⊠teres in mortario piperis scripulos VI, âŠpostea adicies vini cyathum unum, ⊠mittes in caccabum olei uncias III, illic ferveant, perunges patinam, in ea ova VI cum oenogaro misces, cum suco asparagi impones cineri calido, piper asperges
ZITATOR (drĂŒberlegen)
Nehmen Sie gewaschenen Spargel, zerreiben ihn in einem Mörser, ⊠Mahlen Sie sechs Pfefferkörner, âŠ. geben Sie eine Tasse Wein und drei Unzen Ăl in einen Topf. ⊠Mischen Sie sechs Eier mit dem Essig und dem Spargelsaft, garen Sie das Gericht auf heiĂer Asche und bestreuen Sie es mit Pfeffer.
ERZĂHLERIN
In Apiciusâ Rezeptsammlung findet sich auch dieses Gericht mit Spargel, auf der altrömischen Speisekarte damals noch ein recht junges GemĂŒse. Als Heilpflanze bekannt war der Spargel zu der Zeit bereits viele Jahrhunderte lang in China, Ăgypten und im alten Griechenland, sagt Claudia Freitag-Mair. Sie leitet das Kulturamt im oberbayerischen Schrobenhausen sowie das dortige EuropĂ€ische Spargelmuseum:
MUSIK 2 ( Atrium Musicae de Madrid â Papyrus Oxyrhynchus 2436 0â22)
1. ZUSPIELUNG Freitag-Mair
Bei den Griechen war es sogar das heilige GewÀchs der Aphrodite, weil man damals schon wahrscheinlich die Form bisschen in Verbindung gebracht hat mit einem mÀnnlichen Phallus.
ERZĂHLERIN
Frisch vermĂ€hlte Paare wurden mit dem Kraut der Spargelpflanze geschmĂŒckt, man schwor auf den Spargel als Aphrodisiakum zur StĂ€rkung der Manneskraft und als Heilpflanze: Spargel sei entwĂ€ssernd und entgiftend. Die Römer begannen den bis dahin wild wachsenden Spargel zu kultivieren. Der Geschichtsschreiber Plinius der Ăltere hielt rund 200 nach Christus fest:
ZITATOR 2 (Plinius)
Omnium in hortisrerum lautissima cura asparagis
ERZĂHLERIN
Ăbersetzt so viel wie:
ZITATOR (Plinius)
Von allen Dingen im Garten wird dem Spargel die gröĂte Sorgfalt gewidmet
MUSIK 3 ( Procurans odium 0â42)
ERZĂHLERIN
Zu jener Zeit ist der Spargel noch ausschlieĂlich grĂŒn. Bei den Stangen handelt es sich um die Sprosse der Spargelstaude. Sie ĂŒberwintert als Wurzelstock in der Erde und treibt im FrĂŒhling neu aus. Und wie! Eine Spargelpflanze entwickelt bis zu 25 Triebe, die am Tag mehrere Zentimeter wachsen. Man kann dem Spargel also beim Wachsen fast zuschauen. Im Mittelalter wurde Spargel in europĂ€ischen KlostergĂ€rten angebaut. FĂŒr den Stauferkaiser Friedrich II. im 13. Jahrhundert beispielsweise war er
ZITATOR (Friedrich II.)
das beste GemĂŒse
2. ZUSPIELUNG Hirschfelder
âWir sehen immer wieder, dass Spargel eigentlich eher eine Sache fĂŒr die Wohlhabenden ist, eine teure Angelegenheit. Woran liegt das?
ERZĂHLERIN
Dieser Frage ist Professor Gunther Hirschfelder nachgegangen. Er lehrt vergleichende Kulturwissenschaft an der UniversitÀt Regensburg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der kulturwissenschaftlichen ErnÀhrungs- und Agrarforschung.
3. ZUSPIELUNG Hirschfelder
Die besondere Rolle des Spargels kommt eben daher, dass er einmal nur kurz verfĂŒgbar ist, eben nur im spĂ€ten FrĂŒhjahr und FrĂŒhsommer, bis zum Johannistag. Am 24. Juni ist Schluss damit, sonst kann sich die Pflanze nicht regenerieren. Vor allem aber ist der Spargel doch eine Angelegenheit, die einen guten Boden braucht. Und auf diesen guten Boden kann ich alles Mögliche anbauen, nĂ€mlich in einer Mangelgesellschaft Dinge, die viel Kalorien bringen oder viel EiweiĂ bringen, also entweder Getreide oder Erbsen, Bohnen, Linsen, also Leguminosen, oder ansonsten EdelgemĂŒse, was ich auch lange aufheben kann. Und ich muss erst mal so viel ĂberschĂŒsse haben, dass ich den guten Boden ĂŒberhaupt fĂŒr den Spargel hernehmen kann, der zwar lecker und gesund ist, aber nicht richtig satt macht.
MUSIK 4 ( EinstĂŒrzende Neubauten: WĂŒste 0â41)
ERZĂHLERIN
Und so erklÀrt sich auch, dass der Spargel in Kriegs- und Krisenzeiten einen schweren Stand hatte. Claudia Freitag-Mair vom Spargelmuseum in Schrobenhausen:
4. ZUSPIELUNG Freitag-Mair
Im Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg war die Verordnung auch von Regierungsseite her, die Felder mit Kartoffeln mit nahrhaftem GemĂŒse und Obst anzubauen. Also da war eigentlich Spargelanbau verboten, weil: ist ja kein NĂ€hrwert drin⊠Es ist Wasser mit der Gabel gegessen, sozusagen.
ERZĂHLERIN
Der Asparagus officinalis, so der botanische Name von Spargel, war in seiner Geschichte immer ein GemĂŒse fĂŒr die bessere Gesellschaft, fĂŒr diejenigen, die nicht essen mussten, um zu arbeiten, sondern die genussvolle Seite des Lebens auskosten konnten.
Dass der heimische Spargel nur ĂŒber wenige Wochen im Jahr verfĂŒgbar ist, macht wohl einen Teil seines Reizes aus. Die Spargelsaison dauert in Deutschland ohne Hilfsmittel rund zwei Monate, er sprieĂt ungefĂ€hr ab Mitte April und endet an Johanni, also am 24. Juni. âKirschen rot, Spargel totâ, weiĂ der Volksmund.
MUSIK 5 (CD492710122 Amarillis â Caprice, H 542 0â50)
Schon zu frĂŒherer Zeit versuchten Spargelliebhaber, die Natur auszutricksen und die Spargelzeit kĂŒnstlich zu verlĂ€ngern. Im 16. und 17. Jahrhundert hielten GewĂ€chshĂ€user an den europĂ€ischen Königshöfen Einzug. Darin konnten wĂ€rmeliebende Pflanzen, die man aus dem SĂŒden holte, dem Winter trotzen. In den sogenannten Orangerien lieĂ man ZitrusfrĂŒchte, Feigen und Ananas wachsen. Es gibt Hinweise darauf, dass man auch Spargel in GewĂ€chshĂ€usern anbaute, die man sogar beheizte, um ihn auch auĂerhalb der Saison zu ernten. Claudia Freitag-Mair:
5. ZUSPIELUNG Freitag-Mair
Da ist bekannt, dass auch Ludwig XIV. sehr viel Spargel mochte und auch Wert darauf legte, dass der auch ĂŒberwintert wurde. Der wollte das ganze Jahr Spargel auf der Tafel haben.
ERZĂHLERIN
Den Rang des EdelgemĂŒses brachte Antoine Beauvilliers, ein berĂŒhmter französischer Koch des 18./19. Jahrhunderts, in seinem Buch ĂŒber die französische Kochkunst so auf den Punkt:
ZITATOR
Spargel ist das GemĂŒse der Könige und die Königin der GemĂŒse.
ERZĂHLERIN
Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb Spargel der gehobenen Gesellschaft vorbehalten, sagt Spargelkennerin Claudia Freitag-Mair:
6. ZUSPIELUNG Freitag-Mair
Erst mit der Eisenbahn, mit der ĂberbrĂŒckung oder Ăberwindung der weiten Strecken durch Transportmittel, die dann billiger waren, konnte auch dann der einfache BĂŒrger sich also einen Spargel leisten.
MUSIK 6 ( Comedian Harmonists: Veronika, der Lenz ist da 0â22)
ERZĂHLERIN
Seitdem wurde der Spargel weiter demokratisiert und fand seinen Weg allmĂ€hlich in allen gesellschaftlichen Schichten auf den Teller. Durchaus kostspielig, aber doch erschwinglich fĂŒr die Mehrheit, zumindest hin und wieder. Der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder erinnert sich an seine Jugend in den 1960er/70er Jahren:
MUSIK 7 ( Hazy Osterwald â Singing Guitar 0â50)
7. ZUSPIELUNG Hirschfelder:
Spargel war das neumodische SommergemĂŒse. Es stand fĂŒr Leichtheit und Eleganz, fĂŒr irgendwas Internationales. Und wenn ich an Spargel denke, dann denke ich nicht nur an diesen komischen Geruch des Spargelwassers und an den leckeren Schinken, den es dazu gab, sondern ich denke vor allem an das FrĂŒhsommer-Licht, was auf einmal da war, die WĂ€rme nach dem langen Winter, an die tolle Farbe, und Spargel war von daher allein schon durch die Jahreszeit ein gutes Laune-GemĂŒse, weil man wusste, wenn der Spargel da ist, ist der Winter vorbei, und der Sommer steht vor der TĂŒr.
ATMO Vogelgezwitscher, Storchengeklapper
ERZĂHLERIN
Im oberbayerischen Schrobenhausen haben die Störche ihre Nester bezogen, bald schlĂŒpft der Nachwuchs. LindgrĂŒner Flor zeigt sich auf den Ăckern, dazwischen viele Felder, die mit schwarzer oder weiĂer Folie ĂŒberspannt sind. Als hĂ€tte der VerpackungskĂŒnstler Christo hier gewirkt. Die Folien verhĂŒllen das Produkt, das Schrobenhausen weit ĂŒber die Region hinaus bekannt macht â den Spargel. Die Abdeckung dient der Ăberlistung der Natur: Sie schĂŒtzt die Pflanze vor KĂ€lte und Unkraut. Der Spargel findet hier einen idealen Boden vor: Humusreich, sandig und locker, so dass die Spargelsprosse kerzengerade hinauf zum Licht dringen können. Apropos Licht: Bis vor rund 150 Jahren war der Spargel ausschlieĂlich grĂŒn. Claudia Freitag-Mair vom Schrobenhausener Spargelmuseum.
8. ZUSPIELUNG Freitag-Mair
Erst dann ist man draufgekommen, wenn man dem Spargel Licht entzieht, ⊠wenn man den abdeckt, kommt keine Sonne hin, kein Licht ⊠es gibt keine Photosynthese, und er verfĂ€rbt sich nicht. ganz am Anfang hat man Hauben drĂŒber gestĂŒlpt, damit kein Licht drankommt. SpĂ€ter hat man diese ErdwĂ€lle angehĂ€uft und gesagt: Das hilft auch. Und er ist schön elfenbeinfarbig. ⊠Und in den besseren BĂŒrgerhĂ€usern oder auch am FĂŒrstenhof war natĂŒrlich der weiĂe Spargel sehr beliebt.
MUSIK 8 ( Maxi Menot â Path To Restoration 0â37)
ERZĂHLERIN
Der sogenannte Bleichspargel - in Deutschland hat er seine grĂŒnen Vorfahren lĂ€ngst verdrĂ€ngt. Nach der AnbauflĂ€che bemessen, ist das weiĂe Gold in Deutschland die Nummer Eins beim Freiland-GemĂŒse. Auf rund 1,4 Kilo Spargel pro Kopf kommen wir im Jahr. Damit liegt der Spargelkonsum jedoch etwas niedriger als im Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Das beobachtet auch Gunther Hirschfelder von der UniversitĂ€t Regensburg:
9. ZUSPIELUNG Hirschfelder
Der Spargel ist ein bisschen in die Krise geraten, weil Spargel natĂŒrlich auch vom Anbau und vor allem von der Ernte her teuer ist. Und er gehört zu den absolut hochpreisigen GemĂŒsen, und er steht heute nicht mehr fĂŒr eine bĂŒrgerlich leichte KĂŒche, sondern fast fĂŒr eine LuxuskĂŒche, und ich bin gespannt, wie der Spargel dieses Jahr im Preis entwickeln wird. Wer kann sich ihn ĂŒberhaupt noch leisten?
MUSIK 9 ( Maxi Menot â Path To Restoration 0â27)
ERZĂHLERIN
Zwischen acht und 12 Euro kostet ein Kilo Spargel. Je weiĂer, dicker und gerader gewachsen, desto teurer, erklĂ€rt Spargelbauer Josef Rehm. Er bewirtschaftet ein kleines Spargelfeld bei Schrobenhausen und setzt dabei vor allem auf alte Sorten. Auf Plastikplanen sowie Pestizide verzichtet er.
10. ZUSPIELUNG Rehm
Der Spargel ist schon noch teuer, er wird auch nicht billiger, weil auch unsere Löhne ansteigen. Unsere Spargelstecher kriegen den Mindestlohn. ⊠Und die Landwirte mĂŒssen halt das auf die Lebensmittel umlegen. Und das wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Du kannst den Spargel nicht ein Jahr das Kilo um einen Euro erhöhen, ⊠dann sagen viele, ich kauf mir halt Kartoffeln, weil einen Spargel können wir uns nicht mehr leisten. Es gibt viele Leute, die sparen und mĂŒssen sparen
ERZĂHLERIN
FĂŒr die Erntezeit holt Josef Rehm SaisonarbeitskrĂ€fte aus RumĂ€nien, die dann bei ihm auf dem Hof wohnen. Einheimische Erntehelfer sind nicht mehr zu bekommen, berichtet er. Zu anstrengend die Arbeit, zu gering â gemessen daran - die Entlohnung. Jeder einzelne Spargel muss von Hand gestochen werden, in gebĂŒckter Haltung, bei jedem Wetter. Sobald sich an der OberflĂ€che des Erdwalls SprĂŒnge zeigen, heiĂt es:
11. ZUSPIELUNG Rehm
Mit den zwei Fingern vorsichtig reingraben, dass man den Kopf nicht verletzt. Und dann grabt man halt runter, ⊠dass man den halt dann bei 22 oder 25 Zentimeter absticht. Und dann mĂŒssen wir aufpassen, weil der Spargelstock, der macht so zwischen 15 und 25 Triebe, da ist einer drin, der hat zehn Zentimeter, einer 15 Zentimeter, andere drei Zentimeter. Und wenn ich jetzt nicht aufpassâ, breche ich den ab. Passiert mir auch, aber so wenig wie möglich sollte man halt verletzen. Und dann soll man den einen genau abstechen und den anderen nicht anstechen. Weil, der schmeckt dann bitter oder er wĂ€chst gar nicht mehr.
ERZĂHLERIN
Ohne sorgsame Handarbeit kein Spargel. Und sobald die Stangen geerntet sind, tickt die Uhr. Binnen ein, zwei Tagen mĂŒssen sie vermarktet werden. Gunther Hirschfelder:
12. ZUSPIELUNG Hirschfelder
Wer groĂe Spargelfelder baut, muss in kurzer Zeit seine komplette Ernte verkaufen. Wir können ihn nicht wie die Kartoffel in den Keller legen, in den KĂŒhlschrank legen, ewige Zeiten aufheben und zur Not noch Schnaps draus brennen oder an die Schweine verfĂŒttern. Der Spargel muss frisch gegessen werden.
MUSIK 10 (Simon Borer â Afternoon Sun 1â00)
ERZĂHLERIN
In einer Landwirtschaft, die zunehmend unter Effizienzdruck steht, ist der Spargel ein schwieriger Kandidat. Denn erst im dritten Jahr, nachdem er gepflanzt wurde, bringt er den vollen Ertrag. Nach der Ernte braucht er bis zum nĂ€chsten FrĂŒhjahr, um sich zu erholen. Das Feld liegt in diesen langen Monaten brach. Im Sommer treiben die Spargelpflanzen aus, das Spargelkraut sprieĂt und je lĂ€nger es grĂŒn bleibt, desto mehr StĂ€rke kann ĂŒber die Fotosynthese in der Wurzel eingelagert werden. Hier schlummert schon der Ertrag des nĂ€chsten FrĂŒhjahrs. Nach spĂ€testens zehn Jahren ist eine Pflanze erschöpft und muss ausgetauscht werden. Dazu kommen die Launen der Natur, die das Wachstum des Spargels stark beeinflussen, sagt Spargelbauer Josef Rehm:
13. ZUSPIELUNG Rehm
Das macht eine Schwierigkeit aus, weil - jetzt wird Schönwetter, kommen Gewitter, regnet aber nicht. Dann gibt es massig Spargel. Wird es kalt, geht der Wind, regnetâs, gibt es bei uns nicht viel Spargel, ohne Folie. Das ist halt die Natur.
ERZĂHLERIN
Nicht nur Wind und Wetter muss der Spargel trotzen, dazu kommt das Auf und Ab in der Konjunktur. Boomt die Wirtschaft, dann geht es auch dem Spargel gut, beobachtet der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder. Das war zuletzt Anfang dieses Jahrhunderts der Fall. Da wurde das einstige LuxusgemĂŒse popularisiert:
14. ZUSPIELUNG Hirschfelder
Die Konjunktur lief gut, die Menschen hatten mehr Geld und jedes Jahr mehr Geld, und der Anteil des Geldes, was fĂŒr die ErnĂ€hrung ausgegeben worden ist, ist auch gestiegen. Gleichzeitig kam immer mehr Konjunktur des gesunden und saisonalen Essens, da war man bereit, fĂŒr den Spargel Geld auszugeben.
MUSIK 11 ( Simon Borer â Afternoon Sun 0â30)
ERZĂHLERIN
Es folgte eine Art Spargelinflation. Zwischen dem Jahr 2000 und 2018 hat sich die Ernte auf deutschen AnbauflĂ€chen beinahe verdreifacht. Das Spargel-Angebot ist entsprechend gewachsen â mit Folgen fĂŒr sein Image, beobachten die Spargelbauern Josef und Christine Rehm:
15. ZUSPIELUNG Christine und Josef Rehm
Es ist halt schade, dass das bisschen ein Massenprodukt geworden ist. FrĂŒher war es wirklich was ganz Besonderes. â Da hats auch nicht so viel Spargel gegeben. ⊠da hast du den suchen mĂŒssen, da sind Leute gekommen fĂŒr den Spargel von weiĂ Gott woher und haben auf dem Hof gekauft oder auf dem Markt. Und jetzt stehen viele Spargelbauern irgendwo an der StraĂe. Das Image verliert schon. FrĂŒher war es was Besonderes. ⊠an Image hat er schon verloren, der Spargel ja, das ist ein Produkt geworden, das du in jeder Ecke kaufen kann.
ERZĂHLERIN
Nicht nur regionalen Spargel natĂŒrlich. SpĂ€testens ab Februar findet auch die Importware aus Griechenland, Spanien bis hin zu Mexiko und Peru in die SupermĂ€rkte. Mit dem wachsenden Angebot gerĂ€t der Spargel in die Defensive, so der Kulturwissenschaftler Hirschfelder. Dazu kommen steigende Energie- und Lohnkosten.
16. ZUSPIELUNG Hirschfelder
Wir haben einen Pfundpreis, der zwischendurch bei vier, fĂŒnf Euro vielleicht lag und jetzt deutlich hochgegangen ist in den letzten Jahren. Auch wenn wir ein sehr trockenes FrĂŒhjahr haben oder ein ganz verregnetes FrĂŒhjahr, auch das mindert die Ernte. Die Arbeitskraft ist teurer geworden. Die Arbeitsbedingungen sind auch besser geworden. Auch das mĂŒssen wir sehen. Unter den Bedingungen der Ausbeutung lĂ€sst sich Spargel besser produzieren als unter den Bedingungen fairer und gerechter Löhne. Und da ist es gar kein Wunder, dass dieses schwierig zu erntende GemĂŒse eben im Laufe der Zeit teurer geworden ist und von einem besseren Alltagsprodukte zu einem Luxusprodukt geworden ist. Und dazu kommen eben steigende Preise gerade von Mieten, gerade in Bayern, fĂŒhren dazu, dass jĂŒngere Leute weniger verfĂŒgbares Einkommen fĂŒr Essen haben.
ERZĂHLERIN
Hirschfelder ist ĂŒberzeugt: Die Krise des Spargels wird umso gröĂer, je mehr die wirtschaftliche Entwicklung im Land ins Stocken kommt.
17. ZUSPIELUNG Hirschfelder
Und wenn wir daran denken, dass die Wirtschaft sich transformiert und dass auch der Automobilsektor etwa an Bedeutung einbĂŒĂt und an Wirtschaftskraft verliert, dann sinken Einkommen â das wird es dem Spargel nicht leichter machen.
ERZĂHLERIN
Der Spargel hat es aber nicht nur wegen seines stolzen Preises inmitten einer stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung zunehmend schwer. FĂŒr Gunther Hirschfelder wirkt er auch wie aus der Zeit gefallen. SchlieĂlich ist er nicht nur in Anbau und Vermarktung ein durchaus anspruchsvolles GemĂŒse.
18. ZUSPIELUNG Hirschfelder
Dieses Sperrige, Gestelzte, Vornehme, das macht ihn schon zu einer besonderen Sache, die fĂŒr den ganz schnellen Alltag und fĂŒr den ganz groĂen Pragmatismus nicht taugt.
ERZĂHLERIN
Und so hat Spargel in den Augen von Hirschfelder bei der jungen Generation keinen leichten Stand. Obwohl er viele Kriterien erfĂŒllt, die ihn fĂŒr eine zeitgemĂ€Ăe Kost geradezu prĂ€destinieren: Er ist gesund, vegan, saisonal und kommt aus der Region.
19. ZUSPIELUNG Hirschfelder
Aber der Spargel steht fĂŒr viele junge Leute eben auch fĂŒr die Generation der Eltern. Von denen will man sich immer absetzen. Der Spargel ist kompliziert im Essen und in der Zubereitung, und er passt nicht recht zu diesen neuen Trends easy To-run und All-in-One und Bowl Gerichte, also so Suppengerichten, wo alles reinkommt, wo es egal ist, wie lange das kocht. Der Spargel verzeiht nicht so viel wie Zwiebel oder Fenchel oder MohrrĂŒbe oder so. Und das macht ihn ein bisschen kompliziert. Und er braucht Aufmerksamkeit. ⊠Wobei: Er hat Potenzial. Wir können wahnsinnig viel Modernes auch aus ihm machen.
ERZĂHLERIN
Davon ist auch der Gastronom und gelernte Koch Stefan Settele vom Gasthaus Settele in Augsburg ĂŒberzeugt. Seinen Familienbetrieb gibt es schon seit 120 Jahren. Jedes FrĂŒhjahr bietet er Spargelwochen mit Spargel aus der Region an, und ihm fĂ€llt auf:
20. ZUSPIELUNG Settele
GroĂe Spargelessen gibt es tatsĂ€chlich ein bisschen weniger. ⊠viele machen natĂŒrlich auch Spargel zu Hause. Es gab mal Zeiten, wo die Gruppen wirklich speziell zum Spargelessen gekommen sind.
MUSIK 12 (Eko Fresh - Ekmek parasi (Instrumental) 0â50)
ERZĂHLERIN
Diese Zeiten seien vorbei. Im Restaurant habe der klassische Spargel mit Kartoffeln, zerlassener Butter oder Sauce Hollandaise an AttraktivitÀt verloren. Deshalb setzt Stefan Settele auf neue Spargelkreationen:
21. ZUSPIELUNG Settele
Ob man eine Vorspeise daraus macht, ob man salatmĂ€Ăig was macht, im Hauptgang als Ragout, als Risotto â selbst im Dessert geht Spargel. Also, das ist unglaublich vielseitig. Und das ist natĂŒrlich fĂŒr uns die Herausforderung, wo man sich auch ein bisschen abgrenzen kann. ⊠Ich finde ihn auch herrlich als Salat bisschen asiatisch angemacht, also schön fruchtig, mit bissche n Chili. Da kann man auch Mango dazu kombinieren, SĂŒĂe reinbringen ĂŒber einen Honig zum Beispiel und dann ein bisschen Sesamöl und bisschen Limette noch mit rein. Und das ist ein schöner, frischer Salat dann.
ERZĂHLERIN
Auch wenn also die Bedingungen fĂŒr das KultgemĂŒse Spargel womöglich schon einmal leichter waren â Spargelforscher Gunter Hirschfelder sieht im Spargel
22. ZUSPIELUNG Hirschfelder
letztlich auch eine Metapher fĂŒr ein gutes Leben der Gegenwart und fĂŒr ein gutes Leben frĂŒher. ⊠Letztlich ist es die Ăkonomie, die das richten wird. ⊠Der Spargel wird vielleicht von einem sehr populĂ€ren Gut wieder in seine Nische zurĂŒckfinden. Da hat er aber seinen Platz, und da wird er auch neue Chancen entfalten.
MUSIK 13 ( Guiseppe Amore & Bertold Knecht â Spargelzeit 0â30)
ERZĂHLERIN
Und wenn man Spargelbauer Josef Rehm hört, ist auf eines wohl Verlass - konjunkturelle Krisen hin oder her: Die Spargelliebhaber. Sie freuen sich alle Jahre wieder auf das frisch geerntete FrĂŒhlingsgemĂŒse.
23. ZUSPIELUNG Rehm
Wissen Sie, Sie fahren da 20 Jahre auf den Markt, die Leute, die bei Ihnen einkaufen, die kennen Sie inzwischen. Man kennt sich einfach. Du kommst den ersten Tag, da kommen die Leute und sagen, Mei ist das schön, Herr Rehm, dass Sie wieder da sind. Dann sag ich, es ist schön, dass Sie wieder da sind, was tĂ€te ich allein auf dem Markt, wenn Sie nicht kommen wĂŒrden? Und so traurig ist es dann auch am letzten Tag, man wĂŒnscht sich dann schöne Weihnachten und frohe Ostern, bis nĂ€chstes Jahr und da sind Leute dabei, die weinen, wenn ich am letzten Tag auf dem Markt stehe.


