
Ludwig I. von Bayern - Ein großer König mit großen Emotionen
Radiowissen
Ludwig I. zwischen Macht und Emotionen
Dieses Kapitel beleuchtet die komplexe Beziehung zwischen Erbprinz Ludwig und Napoleon sowie die Herausforderungen, die Ludwig während seiner Kindheit und Jugend erlebte. Es thematisiert seine persönlichen Kämpfe und politischen Entscheidungen in einer turbulenten Zeit der europäischen Geschichte.
Ludwigs Jugend war von dominanten Männern geprägt, die er lieber nicht verärgerte: Napoleon, Vater Max Joseph und dessen allmächtiger Minister Montgelas. Dazu hörte und sprach der Junge schlecht. Trotzdem wurde aus Ludwig kein Menschenfeind auf dem Thron, sondern ein kunstbegeisterter Schwärmer, der München zum Isar-Athen machte. Am liebsten wollte er beides - Fortschritt und Tradition versöhnen. Von Marita Kraus
Credits
Autorin dieser Folge: Marita Krauss
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Berenike Beschle, Christian Baumann
Technik: Tim Höfer
Redaktion: Thomas Morawetz
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Literatur:
Marita Krauss, Ludwig I. von Bayern, Träume und Macht, C.H.Beck-Verlag 2025, 639 Seiten, ISBN 978-3-406-82912-3
Ludwig I. Bayerns größter König? Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2025, 256 S., Verlag Friedrich Pustet. ISBN 978-3-7917-3577-1
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATOR
Kaiser Napoleon kam. Als meine Truppen aufgestellt waren, hielt er eine Anrede an sie. Ich übersetzte sie vom Pferde herab ohne zu stocken, gestehe, dass ich, Todfeind Napoleons, in diesen Augenblicken für ihn ergriffen war. Solchen Zauber übte er aus. In der Rede hieß es : ‘Je ferai la Baviere si grande que jamais elle n’aura plus besoins de mon sécours’ (Ich werde Bayern so groß machen dass es nie mehr auf meine Hilfe angewiesen ist). Enthusiastisch rief ich Vive L’Empereur.’ Wie er sein Wort gehalten, ist bekannt. Mein Vater äußerte gegen mich, daß er sein Königreich nicht größer gemacht, daran wäre ich mit meiner Gesinnung schuld.
ERZÄHLERIN
Am Morgen des 19. April 1809, dem Tag der Schlacht bei Abensberg, erlebte der höchst kritische bayerische Kronprinz Ludwig eines jener Wunder aus denen sich die Legenden rund um Kaiser Napoleon I. speisten. Seit Ende 1805 war Bayern mit Napoleon verbündet, seit 1. Januar 1806 Königreich, und es wurde durch die Siege an der Seite Napoleons deutlich vergrößert. Doch Ludwig behielt lebenslang eine tiefe Abneigung gegen die Franzosen.
MUSIK Spirit of Valour Brennan Roberts/ Luc Johannson Archivmusik 1.31 min.
ERZÄHLER
Die Gründe dafür reichten weit in seine Kindheit zurück. Ludwig kam 1786 in Straßburg auf die Welt, wo sein Vater als Offizier in französischen Diensten stand. Der französische König Ludwig XVI. war sein Taufpate, Königin Marie Antoinette eine Freundin seiner Mutter; König und Königin starben unter der Guillotine der Französischen Revolution. Ludwigs Familie musste mehrfach vor den französischen Revolutionstruppen fliehen, zunächst 1789 aus Straßburg, dann auch aus Mannheim. Bei der Beschießung Mannheims durch die Franzosen geriet der kleine Ludwig in Lebensgefahr. Etliche Fluchtstationen folgten. Die von Ludwig sehr geliebte Mutter starb 1896 an Tuberkulose, geschwächt durch fünf Geburten und die vielen Fluchten. Auch nachdem sein Vater Max Joseph 1799 den pfalz-bayerischen Kurfürsten Karl Theodor beerbt und als Kurfürst Max IV. Joseph in München eingezogen war, musste die Familie bald wieder fliehen, zunächst vor den Franzosen, dann vor den Österreichern. Erst durch das Bündnis mit Napoleon stabilisierte sich das Leben der Herrscherfamilie.
ERZÄHLERIN
Napoleon lud 1806 den knapp 20jährigen Kronprinzen wie auch den badischen Erbprinzen nach Paris ein, um sie für Frankreich zu gewinnen; ihre Anwesenheit in Paris sollte aber auch sicherstellen, dass die Väter bei den anstehenden Verhandlungen zur Gründung des napoleonischen „Rheinbunds“ nicht ausscherten. Ludwig verbrachte mehrere Monate in Paris, bewunderte den Louvre, damals „Musée Napoléon“ genannt, besuchte die Theater, eine Schwimmschule in der Seine und die Vergnügungsstätten des Palais Royale. Er wurde Zeuge der großen Umbauten der französischen Hauptstadt und nahm an kaiserlichen Familienfrühstücken wie am napoleonischen Staatsrat teil.
MUSIK Stranger Stubenfliege Tony Delmonte/ Markus Strasser Archivmusik
ZITATOR
Wie bist Du glücklich, daß du nicht in St. Cloud zu wohnen brauchst, sagte der Erbgroßherzog von Baden. Ich blieb nämlich meinem Wunsche gemäß zu Paris in den Tuilerien, als der Hof aufs Land zog, vorziehend, dreimal die Woche hinauszufahren. Sonntags zur Verwandtschaftstafel, von welcher bei günstiger Witterung öfters im dortigen Park in calèches, eigentlich offene Wägen, zum Speisen gefahren wurde, wobey auch ich in Napoleon seinem saß, der, im Vorbeigehen sei es gesagt, eine äußerst schöne Hand hatte, rund und sanft, der man nicht ansah, wie ungeheuer drückend sie auf Europa lag.
ERZÄHLERIN
Ludwigs Rückblick in seinen Erinnerungen von 1839 macht deutlich, dass ihm das Privileg bewusst war, den mächtigsten Mann Europas immer wieder aus unmittelbarer Nähe erlebt zu haben. Doch in eine gewisse Bewunderung für Napoleon mischte sich tiefe Abneigung, ja Hass auf diesen Mann, der alle Traditionen umstürzte.
MUSIK Bittersweet Bavaria Tony Delmonte/ Markus Strasser Archivmusik 1.18 min
ERZÄHLERIN
Ludwig hielt Napoleon für eitel und launenhaft, maßlos in seinen Zielen, vom Krieg besessen. Um nicht wie seine Schwester Auguste von Napoleon zu einer unerwünschten Heirat genötigt zu werden, heiratete er 1810 kurzentschlossen Therese von Sachsen-Hildburghausen; die Festlichkeiten rund um die Hochzeit waren der Beginn des Münchner Oktoberfestes auf der nach der Braut benannten „Theresienwiese“. Bis zum erneuten Bündniswechsel Bayerns von 1813 blieb Ludwig von Napoleon abhängig; da war der Prinz bereits 27 Jahre alt. Es war eine Phase des großen europäischen Umbruchs:
ZITATOR
Das Ende der alten Zeit und den Beginn der neuen sah ich, erlebte den Schluss des seit Jahrhunderten Bestandenen und die Umgestaltung fast von allem, möchte man sagen. Als Kind die Geschichte lernend, wähnte ich, jetzt ist mit den Veränderungen vorbei, nun ist alles nied- und nagelfest, aber wie sehr irrte ich, sollte in einem Menschenalter erleben, wozu früher es eines Jahrtaußends bedurfte.
ERZÄHLER
Napoleon war jedoch nur einer der dominanten Männer, die über Ludwig bestimmten. Da war der Vater Max Joseph, den Ludwig fürchtete, der allgegenwärtige Hofmeister Joseph von Kirschbaum, der dem Jungen seit dessen sechstem Lebensjahr über zwölf Jahre nicht von der Seite wich, der allmächtige bayerische Minister Maximilian von Montgelas, dem der Vater vertraute, dessen Politik Ludwig jedoch ablehnte. Und dann eben noch Napoleon, den Ludwig nicht verärgern durfte. Vor diesen dominanten Männern zog er sich immer mehr in innere Welten zurück – dies habe seinen Charakter „gestählt“, schrieb er später.
MUSIK Weekend getaway 0.56 min
ERZÄHLERIN
Sehr positiv besetzt war dagegen die weibliche Welt, die Mutter, die Kinderfrau, die Schwestern. Seine Kinderfrau Luise Weyland, die ihn wie ein eigenes Kind umsorgte, schrieb, dass er mit „unbeschreiblicher Liebe und Innigkeit“ an seinen Schwestern und der Kinderfrau hing. Bereits früh zeigte sich hier Ludwigs große Liebesfähigkeit, sein Bedürfnis nach sozialer Nähe und Geborgenheit. Die Mutter und die Kinderfrau gaben ihm Sicherheit und Halt. Das war wichtig, startete er doch mit Handicaps ins Leben: Er kam mit einem Sprachfehler auf die Welt, der nie ganz verschwand. Als Dreijähriger wäre er fast an den Pocken gestorben, die hässliche Narben hinterließen. Und nach dem Tod der Mutter verschlechterte sich sein Gehör. Sein schlechtes Hören und sein damit verbundenes überlautes Sprechen bereiteten ihm lebenslang viele Peinlichkeiten.
ERZÄHLER
Doch er zog sich nicht zurück, sondern behauptete sich trotz der Handicaps mutig und selbstbewusst in der Gesellschaft: Er entwickelte etliche Strategien, um im Tagesgeschäft nicht unsicher zu werden. Da er schlecht hörte, wurde er ein Augenmensch, da er schlecht sprach, ein Schreibender. Den Augenmenschen faszinierte seit seiner ersten Italienreise von 1805 die Kunst, sie „ergriff“ ihn, wie er das ausdrückte. Rückblickend schrieb er:
MUSIK Abschied vom Tage 0.37 min
ZITATOR
Ohne Kunstsinn und Kunstfreude war ich nach Venedig gekommen, aber Canovas Hebe im Palast Albrizzi ergriff mich wunderbar. Wie gewaltig zog sie mich an! Alle hatten aus dem Gemach sich entfernt, ich aber war wie fest gewurzelt geblieben. Nicht Sinnenreiz, nicht Sinnlichkeit, es war die Macht der Kunst. Ohne Freude an ihr hatte ich Italien betreten und leidenschaftlich für sie wurde ich.
ERZÄHLERIN
In Folge dieser Faszination entwickelte sich Ludwig bereits als Kronprinz zu einem wichtigen Sammler und Bauherrn, der München zu verändern begann. Als er 1825 König wurde, konnte er diese Umgestaltung der Haupt- und Residenzstadt fortsetzen. Auch in allen anderen bayerischen Landesteilen entstanden bedeutende Bauten und Denkmäler. Die von ihm errichteten Museen wie die Glyptothek, die Antikensammlung und die Pinakotheken, boten den angemessenen Rahmen für die gesammelten Schätze. Seine großen Bauten wirkten gleichzeitig als Konjunkturprogramm und gaben vielen Menschen Brot und Arbeit.
ERZÄHLER
Auch sein zweites Handicap hatte Folgen: Wegen seines schlechten Hörens mussten ihm als König seine Mitarbeiter alles zunächst schriftlich vorzulegen, damit er nicht auf den mündlichen Vortrag angewiesen war. Diese Vorlagen kommentierte er dann teils sehr ausführlich. Es sind wohl weit über 100.000 solche „Signate“ überliefert. Er schrieb aber auch privat ungemein viel und hinterließ rund 65.000 Seiten Tagebücher und begleitende Notizen, rund 600 Seiten handschriftliche Erinnerungen, ein Traumtagebuch mit rund 400 Träumen, 4.600 Gedichte, drei Schauspiele sowie umfängliche Briefwechsel. Allein im Privatnachlass findet sich eine schwindelerregend umfängliche Dokumentenfülle.
MUSIK Abschied vom Tage 1.15 min
ERZÄHLERIN
Diese Quellen ermöglichen einen neuen Blick auf den König. Hinter der dominanten, dynamischen und disziplinierten Herrscherpersönlichkeit, dem Sparmeister und unerbittlichen Vertreter des monarchischen Prinzips wird so ein phantasiesprühender, hochgebildeter, begeisterungsfähiger und emotionaler Romantiker sichtbar, der schöne Frauen anbetete, für die Antike schwärmte und Gedichte veröffentlichte, ein liebevoller Vater und Großvater, ein Mann von schier unerschöpflicher Energie, sinnlich, mit Lust am Leben, an der Liebe, an Kreativität – und am Regieren. Johann Wolfgang von Goethe bezeichnete ihn nach einer Begegnung als „dieses merkwürdige, vielbewegliche Individuum auf dem Throne“, als einen Monarchen, „der neben der königlichen Majestät seine angeborene schöne Menschennatur gerettet hat.“ Mit seinem von großen Emotionen geleiteten Charakter entsprach Ludwig in vieler Hinsicht nicht den Vorstellungen, die sich Zeitgenossen, aber auch heutige Historikerinnen und Historiker von einem König machten. In einem Gedicht karikierte Ludwig solche Vorstellungen:
ZITATOR
Der Könige Los
MUSIK Stranger Stubenfliege Tony Delmonte/ Markus Strasser Archivmusik
Von des Hofes Zwang umgeben,
Schon ein Todter in dem Leben,
Wie ein Götterbild von Stein
Thronen in des Schlosses Mauern
Soll der König, soll vertrauern,
Immer abgesondert seyn.
Was dem Aermsten selbst gewähret,
Er auf seinem Thron entbehret:
Frohen Umgangs heitre Luft.
Wie an Fäden soll er wandeln,
Gleich wie auf der Bühne handeln,
Seiner Rolle sich bewußt.
Abgewogen, abgemessen,
Sei ihm alles, soll vergessen,
Daß er Mensch ist, immer kühl,
Soll sein Herz nie höher schlagen.
Einsam freudlos soll er ragen.
ERZÄHLERIN
Trotz seiner Kritik an dieser Erwartungshaltung war Ludwig Herrscher durch und durch. Er regierte selbst und wollte sich nicht von Ministern gängeln lassen. Dass sein Vater dem Minister Maximilian von Montgelas so viel Macht gegeben hatte, empfand er als eine Verletzung der königlichen Würde und des monarchischen Prinzips.
MUSIK Public Affairs 0.41 min.
ERZÄHLERIN
Es war ihm als erstes ein großes Anliegen, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen, der seit den napoleonischen Kriegen und den Gebietserweiterungen schwer belastet war; Bayern hatte mit den Reichsstädten, mit den ehemals kirchlichen und standesherrlichen Territorien auch deren Schulden übernehmen müssen. Mit großem Reformeifer widmete sich Ludwig zentralen Themen, die unter seinem Vorgänger liegen geblieben waren: So packte er Verwaltungsreformen an, beauftragte die Ausarbeitung eines neuen Strafgesetzbuchs, führte Kreisräte, sogenannte Landräte ein, um die politische Beteiligung und Selbstverwaltung der Bürger zu stärken; ein neues Konskriptionsgesetz sollte den Militärpflichtigen Erleichterung bringen und er wollte durch eine Aufhebung von Zollgrenzen Handel und Gewerbe fördern. Mit Disziplin, großem Fleiß, hoher Sachkunde und Entscheidungsfreude agierte Ludwig als regierender Monarch, der sich von seinen Ministern beraten ließ, aber jeden Anschein einer Ministerherrschaft unterband.
ERZÄHLER
Er war ein König in einem konstitutionellen Staat. Bereits als Kronprinz hatte er sich sehr für eine freiheitliche Verfassung eingesetzt, die dann 1818 erlassen wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Fürsten seiner Zeit befürwortete er auch ein einiges „Teutschland“, also die nationale Idee, die für ihn problemlos neben einem bayerischen Staatspatriotismus bestehen konnte.
MUSIK Bittersweet Bavaria Tony Delmonte/ Markus Strasser Archivmusik 0.41 min
ERZÄHLER
Er gehörte zu den prominentesten europäischen „Philhellenen“, den Unterstützern des Freiheitskampfes der Griechen gegen das Osmanische Reich, ein Engagement, das letztlich 1832 zur Thronbesteigung seines Sohnes Otto in Griechenland führen sollte.
ERZÄHLERIN
Den konservativen und restaurativen Kräften war Ludwigs Einsatz für liberale und nationale Ideen suspekt. Diese standen jedoch von Beginn an neben seinem Wunsch, die Kirche für die Verluste zu entschädigen, die sie durch die Säkularisation erlitten hatte; er wollte beides: Pressefreiheit einführen und Klöster wieder begründen, Fortschritt und Tradition versöhnen. Das erschien den progressiven wie den konservativen Kreisen als unlösbarer Widerspruch. Ludwig erfuhr Widerstand von allen Seiten.
ERZÄHLER
Der Landtag von 1831, aufgewühlt in Folge der Französischen Revolution von 1830, wurde zum Wendepunkt:
MUSIK Public Affairs 1.12 min
ERZÄHLER
Die Abgeordneten kritisierten Ludwigs große Architekturprojekte und wollten ihm das Geld für den Weiterbau verweigern. Im Jahr darauf forderte eine bürgerliche Oppositionsbewegung nationale Einheit und Volkssouveränität auf dem Hambacher Fest. Ludwig zog die Zügel an. Einige Akteure des Hambacher und des gleichzeitigen Gaibacher Fests ließ er unerbittlich verfolgen, waren doch während des "Nationalfests" in der Schlossruine des pfälzischen Hambach und auch im fränkischen Gaibach Reden gehalten worden, die genügend revolutionäres Potential enthielten, um den König aufzuschrecken. Seine Reaktion war eine große Enttäuschung für die Liberalen, die auf ihn so große Hoffnungen gesetzt hatten. Der Deutsche Bund beschloss zur Eindämmung der revolutionären Stimmung reaktionäre Maßnahmen, denen sich Bayern teilweise anschloss. Ludwig wollte nicht als derjenige angesehen werden, der in seinem Land keine Ordnung herstellen konnte. Einige Akteure des Hambacher und Gaibacher Fests ließ er unerbittlich verfolgen.
ERZÄHLER
Nun war die Enttäuschung der Liberalen über diesen König groß, auf den sie so viele Hoffnungen gesetzt hatten. 1837 wurde Karl von Abel Minister, der einen streng katholischen Kurs fuhr und Ludwig rückte immer mehr in die konservative Ecke. Rückblickend schrieb er an Sylvester 1838 nach 13 Jahren Herrschaft in sein Tagebuch:
ZITATOR
Wäre ich auch bereits mit 18 Jahren an die Regierung gekommen, die Finanzen würde ich in gutem Stande gebracht haben, aber ein Glück, daß ich nicht früher, nach dem Wiener Congresse, auf den Thron gelangt bin, ich würde die Verfassung noch liberaler gemacht haben, war ich doch zu liberal in den ersten Jahren meiner Regierung. Für besser und verständiger als sie sind, hielt ich die Menschen.
ERZÄHLER
Als König war Ludwig aber nicht nur mit den Partizipationswünschen des Bürgertums konfrontiert. Seine Regierungszeit fiel zusammen mit einem großen technischen und ökonomischen Innovationsschub. Der König war allem Neuen gegenüber aufgeschlossen und er nahm Anregungen und technische Entwicklungen interessiert auf. Er hatte 1814 frühindustrielle Fabriken in England besucht und fand sie für die Arbeiter nicht menschenwürdig, darum förderte er keine großen Fabriken. Doch er setzte sich für den Deutschen Zollverein und für die Verbesserung der Infrastruktur ein. Obwohl er anfangs den Kanalbau für zukunftsträchtiger hielt, wurde bald die Eisenbahn zum zentralen Projekt.
MUSKAKZENT
MUSIK Weekend getaway 1.30 min
ERZÄHLERIN
Ludwig war hochemotional: aufbrausend und heftig, spontan und unvorsichtig, enthusiastisch und begeisterungsfähig; er konnte leidenschaftlich lieben und inbrünstig hassen. Er stürzte sich mutig in Gefühle, die ihn in den Himmel hoben oder in die Hölle schickten. Seine Leidensbereitschaft war groß. Gegen die Usancen der höfischen Gesellschaft setzte er Gefühl und Leidenschaft. Er wollte das Leben spüren, vom Gefühl „erhoben sein“. Dazu brauchte er die Kunst, die Literatur, die Religion, die Natur und die Liebe. „Es ergriff mich“, schrieb er dann in seinem Tagebuch oder in seinen Memoiren.
ERZÄHLER
So „ergriff“ ihn vielfach die Leidenschaft für schöne Frauen. Seine Ehe mit Therese von Sachsen-Hildburghausen, die er ohne Leidenschaft begonnen hatte, wurde glücklich, die Liebe wuchs mit den Jahren ihrer Ehe, sie gebar neun Kinder. Im Februar 1841 notierte er im Tagebuch
ZITATOR
Selten wird ein fürstlicher Ehemann im 31. Jahre seiner Ehe so körperlich zärtlich gegen seine Frau seyn wie ich es bin, der ich mit der Seele an ihr hänge, sie liebe, sie schätze.
ERZÄHLER
Das ruhige Eheleben allein genügte ihm aber nicht. Er brauchte das Gefühl der Verliebtheit. Wenn er doch einmal „gesündigt“ hatte, weil ihn die „Fleischeslust“ zu sehr plagte, bereute er meist schnell und stellte fest, welch bitteres Gefühl und welche Leere sich einstellte – ganz anders bei seiner Art der platonischen Seelenerotik, die seinen tief romantischen Gefühlen entsprang und die sein Leben begleitete. Im Laufe der Jahre gab es viele schöne Frauen, die Ludwig verehrte, begehrte, umschwärmte, andichtete. Ludwigs Tagebücher spiegeln den platonischen Liebesrausch, die Besuche, Gespräche, Küsse, Gedichte, Briefe. Vielfach band sich Ludwig selbst die Hände, indem er der Angebeteten eine Mitgift oder monatliche Zahlungen versprach, wenn sie tugendhaft blieb. Selbst seine Beziehung zu der blendend schönen italienischen Marchesa Marianna Florenzi ging nicht über Liebkosungen hinaus, auch war ihr Sohn Ludovico definitiv nicht Ludwigs Kind. Therese war letztlich diejenige, die durch ihre Konstanz, Präsenz und Toleranz alle seine Schwärmereien überdauerte.
ERZÄHLERIN
Doch Ludwigs Besuche bei den schönen Schauspielerinnen, Sängerinnen oder anderen jungen Frauen blieben kein Geheimnis, auch da er seine Liebe in vielen Gedichten besang. Und niemand glaubte daran, dass diese Liebesbeziehungen platonisch waren, obwohl Ludwig es versicherte.
MUSIK Cello espagnol 0.53 min
ERZÄHLERIIN
Dies galt dann auch für die große Liebe des 60jährigen Ludwig zur angeblichen spanischen Tänzerin Lola Montez. Sie kam im Oktober 1846 nach München und in den 16 Monaten bis zu ihrer Vertreibung durch die Münchner Bürger im Februar 1848 wirbelte sie die Münchner Gesellschaft gründlich durcheinander. Über Ludwigs Absicht, ihr die bayerische Staatsbürgerschaft und einen Grafentitel zu verleihen, stürzten zwei Kabinette. Es opponierte vor allem eine katholische Front gegen „die Fremde“, angeführt von Minister Karl von Abel, unterstützt vom katholischen Adel und vom Bürgertum, das die Teuerungen in Folge letzten großen europäischen Hungerkrise von 1846/47 spürte und mit Missgunst auf die Gelder sah, die der verliebte König für seine Favoritin ausgab.
ERZÄHLER
Es ging aber keineswegs nur um Lola. Die Forderungen nach Reformen und mehr politischer Mitbestimmung wurden lauter. Als seit Februar 1848 die revolutionäre Stimmung aus Paris nach Deutschland übersprang, war Lola bereits nicht mehr in München. Ludwig genehmigte widerwillig und unter hohem Druck die revolutionären „Märzforderungen“, zu denen die Pressefreiheit, die Verantwortlichkeit der Minister gegenüber dem Parlament und die Einführung von Schwurgerichten gehörten, alles Forderungen, die bereits seit vielen Jahren diskutiert wurden. Damit hatte die Revolution in München zunächst gesiegt, der König wurde mit Jubel begrüßt. Doch zwei Wochen später entschloss er sich, die Krone niederzulegen: Unter den neuen Bedingungen wollte er, der 23 Jahre selbst alle Fäden in der Hand gehalten hatte, nicht mehr regieren. Die Lola-Affäre war nur ein Katalysator, nicht der Grund für diese Entscheidung.
MUSIK Bittersweet Bavaria Tony Delmonte/ Markus Strasser Archivmusik 1.48 min
ERZÄHLERIN
Nach seinem Rücktritt lebte Ludwig noch 20 Jahre als „König außer Dienst“. 1864 starb sein Sohn König Max II. und der Enkel Ludwig II. übernahm die Regierung in Bayern. Obwohl dem energiegeladenen Ludwig dieser Ruhestand oft schwerfiel, gelang es ihm doch, sich damit zu arrangieren. Er musste in diesen Jahren schwere Schicksalsschläge hinnehmen. Diese reichten von der erzwungenen privaten Rückzahlung seines an Griechenland gegebenen Darlehens, dem Tod seiner Schwester Auguste 1851 und seiner Frau Therese 1854 bis zum Tod vier seiner Kinder. Eine letzte große Liebe zu legalisieren, gelang ihm nicht, die über 50 Jahre jüngere Carlotta von Breidbach-Bürresheim lehnte seinen Heiratsantrag 1862 endgültig ab. Ludwig fand jedoch auch durch seinen Glauben immer wieder Wege, nicht zu verbittern, Unabänderliches zu akzeptieren und sich seelisch wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Als ein Fundament dafür sah er sein „heiteres Gemüt“. Als ihn sein Sohn Otto fragte, wie er sich seine „Lebensfrische“ erhalte, sagte er:
ZITATOR
Sich nicht zu grämen über das, was ist, durchdrungen zu sein von des Irdischen Vergänglichkeit, sich nicht daran zu ketten, dem Willen Gottes sich ergeben. Mäßig sein in allem, die Beschäftigungen sich nicht schwer vorstellen.
ERZÄHLERIN
König Ludwig I., dieser in vieler Hinsicht größte bayerische König, starb am 29. Februar 1868 in Nizza.