
Warum ist das Universum so? Eine physikalische Sinnsuche
Radiowissen
Das Feintuning des Universums
In diesem Kapitel wird die Bedeutung der Naturkonstanten für die Stabilität des Universums erörtert, insbesondere die Feinstrukturkonstante und ihre Rolle in chemischen Reaktionen. Zudem wird das Feintuning-Problem thematisiert und die Fragen aufgeworfen, welche Auswirkungen geringfügige Änderungen an diesen Konstanten hätten.
Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass wir in einem wirklich schicken Universum leben: Es ist nicht zu heiß, nicht zu kurvig, nicht zu langsam, nicht zu leicht und nicht zu leer. Warum scheint alles so gut zusammenzupassen, wie für uns Menschen gemacht?, fragen sich Physiker - und streiten sich bei den Antworten. Autorin: Franzi Konitzer (BR 2024)
Credits
Autor/in dieser Folge: Franzi Konitzer
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Katja Bürkle, Thomas Birnstiel, Georgi Dvali, Marumi Kado, George Ellis
Redaktion: Katharina Hübel
Im Interview:
• Dr. Fabian Schmidt, Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
• Prof. Marumi Kado, Max-Planck-Institut für Physik (Experimente am Hochenergie-Beschleuniger), Garching
• Prof. Georgi Dvali, Max-Planck-Institut für Physik (Theoretische Physik)
• Prof. George Ellis, Kosmologe und Professor für angewandte Mathematik an der Universität Kapstadt (em.)
Podcast-Tipps:
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Vom größten Lavasee des Sonnensystems bis zur Entdeckung des Urknalls:
Franzi Konitzer (Autorin dieser Radiowissen-Folge) und Karl Urban erzählen sich abwechselnd wahre
Geschichten zwischen Erde und Weltraum. Im Podcast AstroGeo - Geschichten zwischen Weltraum und Erde:
https://astrogeo.de
Quantenphysik. Wahr, aber verrückt
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Linktipps:
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Weltraumteleskope – Mit diesen Teleskopen entdeckt ihr das All
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James Webb-Weltraumteleskop - Tiefer Blick in die Vergangenheit des Weltalls
Seit Anfang 2022 ist das James Webb-Weltraumteleskop im Weltall und richtet sein scharfes Auge auf ferne Objekte. Es soll noch tiefer ins Universum blicken als Hubble. Tiefer heißt beim Weltall aber auch: weiter in die Vergangenheit. Mehr erfahren bei ARD alpha.
Literatur:
· Why? The Purpose of the Universe – Philip Goff (engl.) Für einen philosophischen Blick auf das Feinabstimmungs-Problem.
· Higher Speculations: Grand Theories and Failed Revolutions in Physics and Cosmology – Helge Kragh (engl.)
- Mit einem Kapitel über die Feinabstimmung der Naturkonstanten aus wissenschaftshistorischer Perspektive
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin:
Es ist nicht überliefert, ob Gottfried Wilhelm Leibniz –
MUSIK – Johann Sebastian Bach – Fünftes Brandenburgisches Konzert in D-Dur, BWV 1050, III. (Allegro)
Sprecher:
… einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit, Mathematiker, Universalgelehrter und auf einem Portrait aus dem Jahr 1700 mit leichtem Doppelkinn und einer prächtigen Perücke, dargestellt –
Sprecherin:
… also, ob jener Gottfried Wilhelm Leibniz ein Dankbarkeitstagebuch geführt hat. Regelmäßig zu notieren, wofür man dankbar ist, gilt heutzutage als Achtsamkeitsübung - für mehr Zufriedenheit, mehr Lebensfreude, mehr Wertschätzung. Leibniz gilt als Vordenker der Aufklärung, seine philosophische Grundhaltung war von Optimismus geprägt. Vielleicht hätte Leibniz in einem Dankbarkeitstagebuch den Federkiel angesetzt und seine Philosophie so zusammengefasst:
Sprecher:
¬(Regie: Drama bitte. Am schönsten wäre es, wenn sich der Sprecher gleich selbst mit so einer Perücke auf dem Kopf vorstellt.)
„Ich bin dankbar, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben!“
Sprecherin:
Denn in Leibniz‘ Philosophie hatte der christliche Gott die Welt erschaffen – und vor jenem Schöpfungsakt die Qual der Wahl:
Sprecher:
„Da es aber unter Gottes Vorstellungen eine unendliche Menge möglicher Welten gibt, und doch nur eine einzige davon zur Wirklichkeit gelangen kann, so muss es zu Gottes Wahl einen zureichenden Grund geben, der ihn zu der einen mehr als zu der andern bestimmte.“
Sprecherin:
Schreibt Leibniz 1714 in seiner „Monadologie“. Um es kurz zu machen: Laut Leibniz hat sich dieser Gott für die Welt entschieden, in der es Menschen geben kann. ((Tatsächlich fällt bei näherer Betrachtung auf, dass das Universum wie für uns gemacht zu sein scheint. Immerhin ist es nach dem Urknall nicht gleich wieder in sich zusammengestürzt. Es enthält leuchtende Sterne, die nicht nur hübsch aussehen, sondern die praktischerweise auch Sternenstaub herstellen. Und dieses Universum bietet genügend Zeit, damit aus jenem Sternenstaub Leben entstehen konnte.))
Sprecher:
Dennoch gibt es ein paar Rückfragen zu dieser vermeintlich besten aller möglichen Welten:
MUSIK – Wir sind Helden, Ist das so? (2003, vom Album Die Reklamation) (Regie: Das ist der Anfang vom Lied, der Teil vor dem Gesang eignet sich vielleicht auch als Bett für den Sprechertext davor. … und kann dann in den nächsten Sprechertext erst drunter und dann ausfaden, bevor es mit den Vocals weitergeht.)
„Ist es so, dass dein Herz den Tag in Stunden schlägt?
Ist das so? Ich meine, muss das so?
Ist es so, dass ein Blick die Welt in Scheiben sägt?
Ist das so? Ich meine, muss das so?“
Sprecherin:
Die Frage, warum das Universum so ist, wie es ist, beschäftigt aber längst nicht nur Songwriter, Philosophen oder Theologen – sondern auch Physiker und somit Menschen, die beruflich mit dem Universum zu tun haben. Zum Beispiel den emeritierten Kosmologen George Ellis, ehemals an der Universität Kapstadt.
01 george ellis:
Well, my professional relationship is that I try to understand it. My personal relationship is that I live in it.
Meine berufliche Beziehung zum Universum besteht darin, dass ich versuche, es zu verstehen. Und meine persönliche ist, dass ich in ihm lebe.
Sprecherin:
Als Kosmologe hält sich George Ellis nicht mit Kleinigkeiten wie der Erde, unserem Sonnensystem oder unserer Heimatgalaxie auf. Denn in der Kosmologie geht es ums große Ganze, erzählt Fabian Schmidt vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching:
02 fabian schmidt:
Es geht ja in der Kosmologie darum, dass wir verstehen, wie sich das Universum insgesamt entwickelt hat, wie es im frühen Universum aussah und was Dunkle Materie ist, was Dunkle Energie ist. Ja, das sind so die großen Punkte.
((Sprecherin:
In diesem Universum ist die Erde nur ein Planet, der um die Sonne kreist. Die Sonne ist nur einer von hunderten Milliarden von Sternen in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Die Milchstraße ist nur eine von hunderten Milliarden von Galaxien im Universum. Neben all dieser sichtbaren Materie gibt es im Universum noch die Dunkle Materie - eine unsichtbare Form von Materie, von der Physiker annehmen, dass es sie geben sollte. Und dann ist da noch die Dunkle Energie. Um was es sich bei der Dunklen Energie handelt, ist nicht bekannt. Aber sie soll dafür sorgen, dass sich das Universum seit einigen Milliarden Jahren beschleunigt ausdehnt.))
Sprecher:
In einer potenziell schmackhaften Analogie können wir uns das Universum als Backware vorstellen. Genauer gesagt als Hefekuchen mit darin verteilten Rosinen, der vor rund 13,8 Milliarden Jahren in den Ofen geschoben wurde – beim Urknall. Seitdem geht dieser Hefekuchen auf, er wird größer, der Abstand zwischen den Rosinen wächst. In dieser Analogie sind die Rosinen die Milliarden von Galaxien in unserem Universum. Eine der Rosinen ist unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße. Natürlich hinkt der Vergleich von Universum mit Gugelhupf an einigen Stellen.
Sprecherin:
Und doch kann er hilfreich sein. Schließlich gibt es unzählige verschiedene Rezepte für einen Hefekuchen mit Rosinen: ((als Gugelhupf oder als Rosinenstuten, als Hefezopf oder Hefekranz.)) Hat man sich für ein Rezept entschieden, fällt auf: Es gibt unendlich viele Rezeptvariationen – hier mit weniger Zucker, da mit einem Ei mehr, dort mit Dinkel- statt mit Weizenmehl. Nicht alle Rezeptvariationen resultieren in einem essbaren oder gar wohlschmeckenden Ergebnis.
Sprecher:
Mit unserem Universum ist es ähnlich, sagt George Ellis:
03 george ellis:
If you think of the family of all possible universes, which is what cosmologists do. What you can see is that some of them would allow life to exist, and some of them would not allow life to exist. So then the question is, so why does this universe? Why does it have the properties that it is bio friendly, that it allows any life at all to exist? And the point is, this doesn't question, this takes for granted that we come into existence by the Darwinian evolutionary processes and so on. But the question is, those can only take place if certain astrophysical things are true and certain physical things are true.
Man kann sich alle möglichen verschiedene Universen vorstellen - genau das machen Kosmologen. Dann stellt man fest, dass es in einigen dieser Universen Leben geben könnte, in anderen aber nicht. Die Frage ist dann, warum es in unserem Universum zum Leben kam. Denn das geht nur, wenn bestimmte physikalische und astrophysikalische Bedingungen erfüllt sind.
Sprecherin:
Beispielsweise darf das Universum weder zu schnell noch zu langsam sein. Kurz nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren war das damals noch winzige Universum mit einem strukturlosen Gasgemisch aus Wasserstoff und Helium erfüllt. Es hat ein paar Milliarden Jahre gedauert, bis aus diesem Gasgemisch größere Strukturen entstehen konnten – Sterne, Galaxien und, ganz wichtig: Planeten. Nur auf Planeten kann es überhaupt Leben geben.
Sprecher:
Man möchte sich gar nicht vorstellen, hätte jemand unserem kosmischen Gugelhupf zu viel Hefe hinzugefügt – oder zu wenig.
04 george ellis:
And the point about this is that from the viewpoint of cosmology, if the universe expands too fast, then no structures of any kind will form. If it expands too slowly, then gravitational collapse will take place, and before structures are formed.
Wenn das Universum zu schnell expandiert, können keine Strukturen entstehen. Wenn es zu langsam expandiert, auch nicht - weil das Universum dann vorher in sich zusammenstürzt.