
Traum von einer neuen Weltordnung - Bandung-Konferenz 1955
radioWissen
Der Geist von Bandung: Einheit und Solidarität der Entwicklungsländer
Dieses Kapitel betont die Bedeutung der Bandung-Konferenz von 1955 als Symbol für die Einheit und Stärke der Entwicklungsländer. Der Geist von Bandung fördert Solidarität zwischen Afrika und Asien und verkörpert die Hoffnung auf eine gerechtere Welt.
Es waren wenige Tage, die die Weltpolitik verändert haben. In den 1950er Jahren spielen Staaten Afrikas und Asiens international keine Rolle. Um das zu ändern, solidarisieren sich Staaten beider Kontinente. Von Linus Lüring
Credits
Autorin dieser Folge: Linus Lüring
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Katja Amberger, Thomas Birnstiel, Friedrich Schloffer
Technik:
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
PD Dr. Jürgen Dinkel, Historiker an der Universität Leipzig
Dr. Christopher J. Lee, Historiker, war u.a. tätig an der Ludwig-Maximilian-Universität München
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin 1
Der indonesische Präsident Sukarno ist sichtlich ergriffen, als er ans Rednerpult trifft. Er wird in wenigen Augenblicken eine Konferenz eröffnen, die die Welt verändern wird. Manche sagen sogar - revolutionieren wird. Sukarno blickt in einen großen Saal in Bandung, einer Stadt auf der indonesischen Insel Java. Es ist der 18. April 1955.
1 Sukarno (Ohne OV)
This is the first intercontinental conference of coloured peoples – so-called coloured peoples - in the history of mankind!
Sprecherin 1
Dies sei, erklärt Präsident Sukarno feierlich, die erste Konferenz in der Geschichte der Menschheit, in der sogenannte People of Colour sich treffen, erklärt Sukarno. Hinter ihm sind zahlreiche Flaggen aufgereiht - ausschließlich von Staaten aus Afrika und Asien. Vertreten sind zum Beispiel Indien, Japan, Syrien oder auch Äthiopien…
2 Sukarno
It is a new departure in the history of the world that leaders of Asian and African peoples can meet together in their own countries to discuss and deliberate upon matters of common concern.
Overvoice
Es ist ein neuer Aufbruch in der Geschichte der Welt, dass Führer asiatischer und afrikanischer Völker sich in ihren eigenen Ländern treffen können, um über Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse zu diskutieren und zu beraten.
Sprecherin 1
Und was das gemeinsame Interesse ist, das der indonesische Präsident Sukarno hier erwähnt, sind große Ziele. Die Staaten Afrikas und Asiens möchten endlich auf der internationalen Bühne ernst genommen werden. In der Eröffnungsrede redet Indonesiens Präsident dann fast schon beschwörend auf die Gäste ein:
3 Sukarno (Ohne OV)
Let this Conference be a great success!
Sprecherin 1
Dass die Konferenz von Bandung tatsächlich ein riesiger Erfolg werden wird und von manchen sogar mit der französischen Revolution verglichen werden wird, das ahnen Sukarno und die anderen Teilnehmer noch nicht. Aber eines ist von Anfang an in der Stadt zu spüren - nämlich eine riesige Euphorie, erklärt der Historiker Dr. Jürgen Dinkel. Er lehrt an der Uni Leipzig.
4 Dinkel
Die Stimmung kann man vermutlich gar nicht fassen, was da passiert ist. Und das vor allem vor dem Hintergrund, weil sehr viele Personen, die anwesend waren - und das betrifft die Organisatoren, die Teilnehmer und die Beobachter- viele haben damit gerechnet, dass diese Konferenz gar nicht stattfinden wird.
Sprecherin 1
Noch kurz vor dem Konferenzbeginn sollen auch Großbritannien und die USA Depeschen ausgetauscht haben und sich gegenseitig versichert haben, dass Indonesier und ihre Partner es niemals schaffen würden, eine solche Konferenz zu organisieren. Und tatsächlich sind die insgesamt 29 Staaten, die Delegationen nach Bandung senden, sehr unterschiedlich. Manche sind gerade erst unabhängig geworden, andere haben sogar noch bis vor kurzem Krieg gegeneinander geführt, zum Beispiel Pakistan und Indien.
Sprecher 2
Aber alle Staaten eint ein Gefühl - sie sind frustriert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sie große Hoffnungen in eine neue internationale Ordnung gesetzt. Sie waren daher eigentlich auch glühende Befürworter der Vereinten Nationen, die wenige Jahre vorher gegründet worden waren. Jürgen Dinkel:
5 Dinkel
Also sie wollten eine internationale Plattform, auf der Themen besprochen werden, die alle Menschen betreffen weltweit. Also, da waren sie sehr dafür. Nur dann kam die große Enttäuschung. Sie wurden zu den großen Treffen gar nicht eingeladen. Dass verhindert wurde, dass sie Mitglied wurden.
Sprecherin 1
Kolonialmächte wie Frankreich und Großbritannien dominieren weiterhin zusammen mit den Supermächten USA und der Sowjetunion die Vereinten Nationen und damit die internationale Politik. Sie entscheiden über Grenzziehungen und Machtverteilungen weltweit. Das wollen sich Länder wie Indonesien, Indien oder Ceylon, das heutige Sri Lanka, nicht mehr gefallen lassen. Sie beginnen in Asien und Afrika für eine Zusammenkunft zu werben.
6 Dinkel
Man will ein für alle Mal ein Signal aussenden, dass das koloniale Zeitalter vorbei ist und dass es neue postkoloniale Staaten gibt.
Sprecherin 1
Entscheidendes Kriterium für eine Einladung zur Konferenz ist in erster Linie die geographische Lage in Asien oder Afrika. Offiziell heißt die Tagung auch Asien-Afrika-Konferenz. Bewusst nicht eingeladen wird Südafrika wegen der rassistischen Apartheid-Politik. Arabische Teilnehmer sprechen sich außerdem vehement gegen eine Einladung Israels aus.
Sprecher 2
Als Ort für die Konferenz wird Bandung ausgewählt. Das Städtchen liegt in den Bergen auf der indonesischen Insel Java und ist bekannt für sein mildes Klima. Während der niederländischen Kolonialherrschaft war Bandung zum Erholungsort ausgebaut worden. Es gibt also viele Hotels und ein großes Tagungszentrum. Dazu kommt, dass Bandung im Zweiten Weltkrieg und im indonesischen Unabhängigkeitskrieg im Vergleich zu anderen Städten wenig zerstört worden war.
Sprecherin 1
Im April 1955 ist es dann soweit. Nach Bandung reisen Delegationen aus 23 asiatischen Staaten an. Unter anderem aus der Türkei, dem Libanon, Japan oder Thailand. Außerdem sind sechs Staaten aus Afrika vertreten. Dies hört sich erstmal wenig an. Aber im Jahr 1955 sind große Teile Afrikas noch immer unter kolonialer Herrschaft… Insgesamt repräsentieren die Delegationen, die nach Bandung kommen, 1,5 Milliarden Menschen. Zur Einordnung: Das ist damals über die Hälfte der Weltbevölkerung. Und schon am Anfang versuchen die Organisatoren der Konferenz bewusst zu verdeutlichen, dass dies mehr ist als ein formelles Zusammentreffen von Staatschefs und Diplomaten, analysiert Christopher Lee. Der Historiker forscht seit langem zur Bandung-Konferenz und Unabhängigkeitsbewegungen in Asien und Afrika.
7 Lee
It was not a meeting held in secret. It was not a meeting, you know that was completely behind closed doors. And of course to you also had these well-known leaders, such as Jawaharlal Nehru of India, Sukarno of Indonesia and Gamal Nassar of Egypt. So there was definitely a spectacle aspect, and and there was a hunger among ordinary Indonesians to see these leaders. So there are a lot of famous photographs of these leaders walking on the street and you know crowds showing up to see them.
Overvoice
Das war kein Geheimtreffen, das hinter verschlossenen Türen stattfand. Es waren ja auch diese weltbekannten Führer gekommen, neben Sukarno, waren das auch Nehru aus Indien oder Nasser aus Ägypten war da. Das war ein richtiges Spektakel und die Indonesier waren wahnsinnig interessiert, diese Staatschefs in der eigenen Stadt zu sehen. Deswegen gibt es zahlreiche berühmte Fotos, die diese Persönlichkeiten zeigen, wie sie auf der Straße spazieren und wie sich Menschenmengen versammeln, um sie zu sehen.
Sprecherin 1
Es gibt damals so gut wie keine Sicherheitsvorkehrungen. Dabei geht es nicht bloß darum, Volksnähe zu zeigen. Dahinter steckt eine von den Organisatoren geschickt inszenierte Symbolik, analysiert der Historiker Jürgen Dinkel. Zwischen den Hotels und der Konferenzhalle liegen nur wenige hundert Meter. Und alle Delegationen werden gebeten, diesen kurzen Weg zu Fuß zu gehen.
8 Dinkel
Die Beobachter beschreiben das wie so eine Parade der Nationen. Es gab Freiheitsrufe, manche haben Autogramme geschrieben, Hände wurden geschüttelt. Und damit haben alle Teilnehmer auch noch mal verdeutlicht, dass sie sozusagen aus den unabhängig werdenden Völkern kommen, dass sie mit ihnen in Kontakt stehen. Sondern sind sie von der Straße aus dem Volk als neu entstehende Regierungen in die Konferenzhalle eingezogen und haben dann dort die Interessen ihrer Länder repräsentiert.
Sprecherin 1
Der Tagungsraum ist dabei bewusst ähnlich aufgebaut wie der der Vereinten Nationen. Jede Delegation setzt sich auf Plätze vor der eigenen Nationalflagge. Damit wird gut sichtbar dokumentiert: Wir repräsentieren einen unabhängigen, souveränen Staat. Dabei gibt es allerdings ein Problem. Nämlich für die Vertreter des Sudan. Der Staat ist so jung, dass er 1955 noch keine eigene Flagge hat. Auf Fotos ist die Lösung zu erkennen: Kurzerhand wurde ein weißes Laken genommen und mit schwarzer Farbe “Sudan” darauf geschrieben. Dieses Provisorium stellt alle zufrieden.
Sprecher 2
Eine andere Herausforderung betrifft alle teilnehmenden Staaten. Sie eint zwar das Ziel, auf der Weltbühne eine gewichtigere Stimme zu bekommen. Wie bereits angedeutet, sind die sonstigen Gemeinsamkeiten der Staaten aus Afrika und Asien aber überschaubar. Präsident Sukarno geht darauf in seiner Eröffnungsrede ausführlich ein.
9 Sukarno
Yes, there is diversity among us. Who denies it? Small and great nations are represented here, with people professing almost every religion under the sun, - Buddhism, Islam, Christianity, Confucianism, Hinduism, Jainism, Sikhism, Shintoism, and others. Almost every political faith we encounter here - Democracy, Monarchism, Theocracy, with innumerable variants. And practically every economic doctrine has its representative in this hall - Socialism, Capitalism, Communism, in all their manifold variations and combinations. But what harm is in diversity, when there is unity in desire? This Conference is not to oppose each other, it is a conference of brotherhood.
Overvoice
Ja, wir sind sehr unterschiedlich. Wer könnte das leugnen? Kleine und große Nationen sind hier vertreten, mit Menschen, die fast jede Religion unter der Sonne praktizieren - Buddhismus, Islam, Christentum, Konfuzianismus, Hinduismus, Sikhismus, Shintoismus und andere. Fast jede politische Überzeugung ist hier vertreten - Demokratie, Monarchie, Theokratie, mit unzähligen Varianten. Und praktisch jede wirtschaftliche Doktrin hat ihren Vertreter in diesem Saal - Sozialismus, Kapitalismus, Kommunismus, in all ihren vielfältigen Variationen und Kombinationen. Aber wie kann diese Vielfalt schaden, wenn man sich in den Zielen einig ist? Diese Konferenz ist nicht dazu da, sich gegenseitig zu bekämpfen, sie ist eine Konferenz der Brüderlichkeit.
Sprecherin 1
Zwischen den Konferenzstaaten in Bandung gibt es also durchaus großes Konfliktpotential. Auch wegen unterschiedlicher politischer Ideologien von Ost und West. Dazu versuchten die Großmächte den Konferenzverlauf im eigenen Sinn zu beeinflussen. Sowjetische Vertreter bemühen sich, die antikoloniale Stimmung für sich zu nutzen und den Kommunismus als Gegenentwurf zum Kolonialismus zu präsentieren. Das alarmiert die USA. Auch weil in Bandung mehrere kommunistische Staaten vertreten sind, allen voran die Volksrepublik China, versuchen die USA Gesandte neutraler Staaten unter Druck zu setzen. Es soll um jeden Preis verhindert werden, dass diese kommunistischen Forderungen zustimmen. Auch Großbritannien und Frankreich sind besorgt. Beide Staaten besitzen zu dem Zeitpunkt immer noch zahlreiche Kolonien, vor allem in Afrika. Sie befürchten, dass ihre Einflusszonen weltweit immer kleiner werden. Um das zu verhindern, hatten sie teilweise versucht Gesandte von einer Reise nach Bandung abzubringen.
Sprecher 2
Es gelingt aber überraschend gut, die Konferenz von den Einflüssen externer Staaten abzuschirmen. Auch Konfliktthemen werden bewusst nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Stattdessen bleibt die Konferenzagenda bewusst eher allgemein. Man vereinbart, verschiedene große Themenbereiche zu diskutieren. Dazu zählen die kulturelle und die wirtschaftliche Zusammenarbeit, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und auch die Förderung des Weltfriedens. Zu allen Fragen wurden Unterausschüsse gebildet. Um alle mit ins Boot zu holen, gilt dabei das Prinzip: Keine Mehrheitsabstimmungen. Stattdessen mussten alle Beschlüsse und Erklärungen einstimmig verabschiedet werden. Es soll von vornherein vermieden werden, dass die von Sukarno geforderte Konferenz der Brüderlichkeit zu einer Bühne für Streit wird. Eine sehr weitsichtige Maßnahme, wie sich zeigen wird.
Sprecherin 1
Sukarno und den anderen Organisatoren ist gleichzeitig bewusst, dass die versammelten Staaten im internationalen Vergleich kein großes ökonomisches oder militärisches Gewicht haben - eine harmonische Konferenz und vehemente Forderungen allein, das ist ihnen klar, reichen nicht, um ihre Ziele zu erreichen. Wenn man weltweit wahrgenommen und respektiert werden will, braucht es mehr. Die Konferenz von Bandung setzt deshalb für die damalige Zeit völlig neue Maßstäbe in der Öffentlichkeitsarbeit. Denn eines wissen alle Delegationen in Bandung, betont der Historiker Jürgen Dinkel:
10 Dinkel
Die Konferenz wird nur erfolgreich sein, wenn sie es schafft, ihre zentralen politischen Forderungen und Botschaften weltweit zu verbreiten. Es gab eben Abendveranstaltungen, wo man Delegierte und Journalisten gezielt zusammengebracht hat. Vieles, was wir von heutigen internationalen Konferenzen auch kennen.
Sprecherin 1
Im Vorfeld der Konferenz werden auch Kommunikationsstrukturen neu aufgebaut. Zum Beispiel wird damals die erste Faxverbindung Indonesiens eingerichtet. Und Medienvertreter aus der ganzen Welt werden nach Bandung eingeladen. An die 700 von ihnen werden am Ende anreisen. Und das Konzept geht auf. Vor der Konferenz waren in zahlreichen Medien noch Skepsis und Zurückhaltung zu spüren. Jetzt transportieren Reporter ein anderes Bild in die Welt. “Hier entsteht etwas völlig Neues” – das ist der Grundtenor vieler Berichte. Im britischen Guardian wird zum Beispiel die “heitere und enthusiastische Atmosphäre” von Bandung hervorgehoben. Und weiter heißt es in einem Artikel:
Sprecher 2
Die asiatische und wohl auch die asiatisch-afrikanische Einheit wird zu einem bedeutenden politischen Faktor werden.
Sprecherin 1
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erklärt den Lesern in Deutschland schon kurz nach dem Beginn der Konferenz:
Sprecher 2
„Dem Zeitalter des weißen Imperialismus soll in Bandung der Todesstoß gegeben werden. Niemand zweifelt seit ihrer Einberufung an dem wahrhaft geschichtlichen Rang dieser Konferenz als Zäsur der Zeitalter.”
Sprecherin 1
Die FAZ betont auch, dass zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt, also seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, weder die russische noch die US-amerikanische Großmacht an einer Entscheidung von Weltbedeutung beteiligt seien. Und die Wochenzeitung „Die Zeit“ misst der Bandung-Konferenz eine zukunftsweisende Bedeutung zu:
Sprecher 2
Sie ist erst der Beginn einer langen Entwicklung, die das Bild unserer heutigen Welt gründlich verändern kann.
Sprecherin 1
Auch wegen dieser Berichte wird die Konferenz weltweit mit immer größeren Sympathien wahrgenommen. Es gelingt, die öffentliche Meinung in vielen Staaten für sich zu gewinnen und auch damit Druck auf Regierungen auszuüben. Das Abschlusskommuniqué, das nach sechs Konferenztagen in Bandung am 24. April 1955 verabschiedet wird, beinhaltet dann zwar keine konkreten Entscheidungen oder Vereinbarungen. Die zehn zentralen Prinzipien in dem Dokument sind aber leidenschaftliche Appelle, die sich in ihren Forderungen gegen den Kolonialismus und imperialistische Ziele richten. Dazu zählen die Respektierung der fundamentalen Menschenrechte. Außerdem wird die Achtung der territorialen Integrität und Souveränität aller Staaten betont. Und auch die Nichteinmischung in innere Angelegenheit anderer Länder wird gefordert. Diese eher allgemeinen Formulierungen spiegeln den Verlauf der Konferenz von Bandung wider: Trennendes oder heikle Themen sind ja bewusst ausgeblendet worden.
Sprecher 2
Wirksamer als konkrete Entscheidungen ist daher wahrscheinlich etwas anderes. Allein durch die Tatsache, dass sich so unterschiedliche Staaten in Bandung versammeln konnten - entgegen aller Skepsis - wird ein Signal der Einigkeit und der Stärke in die Welt gesendet. Es hat sich eine Stimmung entwickelt, die nicht durch Beschlüsse oder Deklarationen herbeigeführt werden kann. Diese wird als “Geist von Bandung” beschrieben, der um die Welt geht, wie Christopher Lee erklärt. Der Historiker hat unter anderem an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität geforscht.
11 Lee
One of the things that came Out of the conference that was recognized at the time but also lasted really for decades. And people still talk about it in different ways is the Bandung spirit and what is meant by the Bandung spirit, is this idea of solidarity among developing countries among countries in Africa and Asia among essentially countries in what today we refer to as the Global South. And so the Bandung spirit is very much a, you know, a positive spirit. It's about political imagination and imagining a different world.
Overvoice
Eines der Ergebnisse der Konferenz ist der sogenannte “Geist von Bandung”. Bis heute wird in verschiedenen Kontexten darüber gesprochen. Dieser “Geist von Bandung” steht für die Solidarität zwischen den Entwicklungsländern, insbesondere zwischen Ländern in Afrika und Asien – also im Wesentlichen zwischen den Staaten, die wir heute als den Globalen Süden bezeichnen. Er verkörpert eine positive Grundstimmung, eine politische Vorstellungskraft und die Vision einer anderen Welt.
Sprecherin 1
Nach dem Ende der Konferenz sind sich Teilnehmer wie Beobachter zum übergroßen Teil einig, dass sich diese Forderung des indonesischen Präsidenten Sukarno bewahrheitet hat.
3 Sukarno
Let this Conference be a great success!
Sprecherin 1
Wie groß der Erfolg der Konferenz von Bandung war, zeigt sich in den Jahren danach, analysiert Jürgen Dinkel. Er hat intensiv untersucht, welche Folgen die sechs Tage von Bandung hatten.
12 Dinkel
Danach ist die Legitimation von kolonialer Herrschaft tiefgreifend erschüttert und die teilnehmenden Staaten werden dann in den nächsten Jahren in die Vereinten Nationen aufgenommen. 1960 und in den folgenden Jahren werden große Teile Afrikas unabhängig. Also ihr zentrales Ziel erreichen die Organisatoren und diese Staaten sind eben plötzlich auch auf der weltpolitischen Bühne.
Sprecherin 1
Den Teilnehmerstaaten von Bandung ist es gelungen, ihre Bedeutung weltweit sichtbar zu machen. Das zeigt sich auch an der Reaktion der Supermächte USA und Sowjetunion. Diese verändern ihre Strategie jetzt grundlegend…
13 Dinkel
Bis dahin rechnet man diesen Staaten kein großes politisches Gewicht zu. Nach Bandung wird klar, den Kalten Krieg kann man nur gewinnen, wenn man diese Staaten auf seiner Seite hat oder wenn sie sich zumindest neutral verhalten. Aber sie sollen auf keinen Fall zum Gegner überlaufen. Dadurch gewinnen diese Staaten auch an Gewicht.
Sprecherin 1
Und noch eine Folge hat die Konferenz von Bandung. Und da wird Jürgen Dinkel etwas nachdenklicher.
14 Dinkel
Also man kann vielleicht tatsächlich wenig Negatives über die Bandung-Konferenz sagen, aber man darf sie auch, glaube ich, nicht zu sehr glorifizieren. Es war keine Konferenz, die sich für Demokratie oder demokratische Regierungsformen ausgesprochen hat.
Sprecherin 1
Die Konferenz von Bandung ist nämlich keine Konferenz, die sich für die Demokratie einsetzt. Das Wort kommt im Abschlusskommuniqué kein einziges Mal vor. Aus gutem Grund: Viele der Staatschefs, die nach Bandung gekommen sind, waren kurz vorher noch Anführer von Unabhängigkeitsbewegungen, sie sind zwar angesehen. Aber demokratisch gewählt wurden sie nicht. Der ägyptische Staatspräsident Nasser zum Beispiel ist erst seit wenigen Jahren an der Macht und gilt in seiner Heimat als umstritten. Bandung wird für ihn zum Wendepunkt.
15 Dinkel
Nasser nimmt eine wichtige Rolle in Bandung ein und davon profitiert er dann auch zuhause, also er wird dann auch in Ägypten akzeptiert als der rechtmäßige Präsident Ägyptens. Eben auch weil er zeigen kann, dass er international in dieser Rolle anerkannt ist.
Sprecherin 1
Das, was Nasser und andere in Bandung erleben, ist ein Mechanismus, der in den kommenden Jahrzehnten immer wieder wirkt. Herrschaft wird dabei nicht durch demokratische Wahlen im Land legitimiert, sondern stattdessen auf der internationalen Ebene. Das ist ein entscheidender Faktor, wenn sich neue Staatschefs an die Macht putschen.
16 Dinkel
Und das zeigt sich in Bandung auch schon sehr stark für die Regierungsoberhäupter, dass sie da sich gegenüber der eigenen Bevölkerung legitimieren können, wenn sie ihnen Bilder zeigen, dass andere Staatschefs sie als Regierungsoberhäupter anerkennen.
Sprecherin 1
Und damit nochmal zurück zum Abschlussdokument der Konferenz von Bandung. Ganz am Ende bekräftigen die Teilnehmerländer, dass es bald eine Folgekonferenz geben soll. Und es gibt in den Jahren danach immer wieder Überlegungen, eine neue Konferenz asiatischer und afrikanischer Staaten einzuberufen. Zum Beispiel in Algerien. Doch alle Versuche scheitern. Das hat auch mit dem Erfolg der Konferenz von Bandung zu tun, nämlich, dass Kolonialismus nicht mehr als legitim galt und zahlreiche Staaten neues internationales Gewicht bekommen haben.
17 Dinkel
Das Hauptziel wurde erreicht und damit ist das Element, was Zusammenhalt gestiftet hat, verloren gegangen.
Sprecherin 1
Konflikte unter den Teilnehmern von Bandung brechen jetzt stärker auf, etwa weil manche Staaten sich den USA zuwenden, andere dagegen dem kommunistischen Lager unter sowjetischer Führung beitreten. Aber der Geist von Bandung lebt weiter.
Sprecher 2
Es entsteht in den 1960er Jahren zum Beispiel die Bewegung bündnisfreier Staaten, die versucht, im Kalten Krieg einen Weg jenseits von Ost und West zu gehen. Zusammenschlüsse wie diese gehen nicht direkt auf die Konferenz von Bandung zurück. Aber sie berufen sich auf den gleichen Gedanken - und der ist bis heute gültig. Nämlich die Erkenntnis, dass kleinere Staaten oder Länder mit wenig ökonomischer oder militärischer Macht mehr internationalen Einfluss entwickeln können, wenn sie sich verbünden und mit einer Stimme sprechen.