
Bunter Freundeskreis - Warum Vielfalt in unserem Leben so wichtig ist
Radiowissen
Die Dynamik menschlicher Beziehungen im digitalen Zeitalter
Dieses Kapitel untersucht die Komplexität menschlicher Beziehungen und die Bedeutung sozialer Netzwerke in verschiedenen Lebensbereichen. Es wird auf die Auswirkungen von Erwartungen und Nützlichkeit in Beziehungen eingegangen, insbesondere im Kontext der Veränderungen durch das Internet.
Gleich und Gleich gesellt sich gern, denn das ist ja auch einfach. Aus der Psychologie aber weiß man inzwischen: Je ungleicher Freundschaften sind beispielsweise in Sachen Alter, sozialer Herkunft, religiöser, politischer oder sexueller Orientierung, desto stabiler und bereichernder sind sie fürs Leben. Autorin: Susi Weichselbaumer
Credits
Autorin: Susi Weichselbaumer
Regie: Frank Halbach/ Susi Weichselbaumer
Sprecher:innen: Susi Weichselbaumer
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
- Martin Diewald, Soziologe an der Universität Bielefeld
- Franz Neyer, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
Wie wir ticken – Euer Psychologie Podcast
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
A1 ZU
Q: Leute, ich bin schon drin! / Nachbarin: Wie hast jetzt des gmacht? / Q: Ich war schneller!
SPRECHERIN
Ein typischer Abend unter der Woche: Die drei Kinder sitzen bei der goldigsten Nachbarin der Welt am Küchentisch und spielen mit ihr „Mensch-ärgere-Dich-nicht“.
A2 ZU
Nachbarin: Jetzt hat die Wally wieder an 6er…
Es wird wild gewürfelt, gnadenlos rausgeschmissen, selten verschont. Und diskutiert. Viel.
MUSIK Spare time in the zoo (red)
SPRECHERIN
Die Mädls sind 10 und 8 Jahre alt, der kleine Bruder 4 – unsre Nachbarin ist alterstechnisch im Vorteil.
1 ZU
W: Sie ist glaube ich jetzt 97. / M: Ich glaube sie wird bald 98. / W: Wenn sie halt beim „Mensch-ärgere-Dich-nicht“ sagt: Das war schon immer so, dann kann man da nicht wirklich widersprechen, denn sie muss es ja wissen, sie ist ja schon am längsten auf der Welt.
SPRECHERIN
Ich darf nie mitspielen. Was vielleicht auch gut ist. Die vier haben ihr sehr eigenes Regelwerk.
2 ZU
M: Man darf sich halt nicht selber überspringen und schmeißen ist Pflicht. / W: Knallhart, aber es macht sehr viel Spaß. / Nachbarin: Wer verliert, da wird kein Theater draus gemacht ;o))/
SPRECHERIN
Mein Job ist nebendran sitzen. Und eventuell mal ein Glas Orangensaft anreichen, wenn es spieltechnisch hektisch wird und keiner mehr zum Trinken aufstehen kann und an die Spüle kommen. Ich liebe diese Abende. Man denkt so: Neun Jahrzehnte Altersunterschied – ja mei.
ATMO/ MUSIK ENDE
SPRECHERIN
Man spürt aber auch: Das ist ein Geschenk, dass wir alle so harmonieren. Etwas Besonderes. Denn: Statistisch sind heterogene Freundschaften selten. Nur fünf Prozent unserer engeren Verbindungen, belegt die Forschung, gehen wir ein mit Menschen, die ganz anders sind als wir selbst. Vom Alter her, was die soziale Stellung anbelangt oder den Bildungshintergrund, die Herkunft, Sprache, Religion.
3 ZU Neyer (0.15)
Wir suchen uns Freunde, die uns ähnlich sind.
SPRECHERIN
Das ist Franz Neyer. Er ist Persönlichkeitspsychologe an der Universität Jena. Und er sagt:
4 ZU Neyer (0.15)
Ähnlichkeit schafft Nähe und Vertrautheit und dadurch entstehen Beziehungen.
SPRECHERIN
Ich habe da Zweifel. Kann das so pauschal gelten? Gefühlt habe ich viele Freunde und Bekannte, die mir unähnlich sind. Laut Studien aber gelten als ganz wesentliche Gemeinsamkeitsfaktoren Bildungsweg und Job. Anwälte sind nachweislich vor allem mit Anwälten befreundet; Journalistinnen mit Journalistinnen. Handwerker laden am Wochenende zum Grillen mit der Familie bevorzugt ein: Andere Handwerker.
MUSIK Be fed
SPRECHERIN
Mein erster Gedanke: So bin ich nicht! Einer meiner besten Kindheitsfreunde Zum Beispiel Mario war auf der Hauptschule und ist jetzt Maschinenführer in einer Fabrik, ich habe zwei Doktortitel. Wir sind also unähnlich. Allerdings, wenn wir uns alle paar Wochen mal sehen, passen seine beiden Kinder und meine drei auf eine magische Art und Weise zusammen – wie wir auch, ab Tag eins damals beim Fußballspielen auf der großen Wiese. Als wir uns kennenlernen im Grundschulalter, ist er das einzige Kind in der Siedlung, das in einer Wohnung wohnt. Ich bin das einzige Kind, das eben zugezogen ist und in einem Rohbau groß werden wird, das Fliesenlegen lernt und Holzdecken einziehen, weil der Wunsch meines Vaters ein eigenes Haus ist. Groß Geld haben wir nie.
MUSIK ENDE
5 ZU Papa
Ja – aber des war hoid, wo ma sogt: De andan ham was ghabt und mia no nix und da Mario a ned. De warn in der Wohnung und de andan ham Häuser gehabt.
SPRECHERIN
Meint mein Papa dazu, den ich für diese Sendung befrage zu mir und meinen Freundinnen und Freunden in allen Lebensphasen, quasi kompetente Außensicht. Sein Fazit: Die Ähnlichkeit liegt vor allem im Inneren:
6 ZU Papa
Der Mario is scho bissl wia du, der is hilfsbereit, hilft jedem, ist freundlich. Auf den Mario kann man sich verlassen.
SPRECHERIN
Was ein schönes Kompliment. Für den Mario und für mich. Überhaupt sagt meine Vater nette Sachen. Auch über Markus, Harry und Daniel. Wir vier sind seit dem Gymi befreundet, wie so ein Kleeblatt.
7 ZU Papa
Do is a Zusammenhalt do unter eich, ona helft dem andern, wenn was ist. Probleme besprechen.
SPRECHERIN
Also doch mehr ähnliche Freunde als gedacht – obwohl?
MUSIK Cool animals
SPRECHERIN
Untersuchungen zeigen seit Jahren zuverlässig: Weiterer wichtiger Ähnlichkeitsfaktor ist das Geschlecht. Der beste Freund einer Frau ist zu 85 Prozent eine Frau. Mein Freundes- und Bekanntenkreis ist aber überwiegend männlich. Was vielleicht schlicht daran liegt, dass ich hauptsächlich mit Jungs aufgewachsen bin, allein schon, weil wir in der Siedlung auf der großen Wiese beim Fußballspielen halt einfach viel weniger Mädchen waren. Womöglich liegt aber darin schon wieder ein anderer Ähnlichkeitsfaktor, der uns eint: Zusammen am gleichen Ort Kind sein, Fußball mögen – es scheint komplex.
MUSIK ENDE
SPRECHERIN
Ist es auch. Psychologische Studien belegen: Dieses „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ passiert in der Regel unbewusst. Wer aus verwandten Milieus stammt, aus derselben Kultur kommt, den gleichen sozialen Hintergrund hat, denkt und fühlt generell ähnlich. Man versteht sich mit wenigen Worten, lacht über denselben Witz. Das ist einfach, das fließt. Da führt schon beim zufälligen Zusammentreffen eins zum anderen… ohne dass man sich groß Gedanken darüber macht: Sind wir ähnlich? Tatsächlich fallen mir im eigenen Umfeld zig solcher Beispiele ein.
MUSIK Joyful zoo day
SPRECHERIN
Ich simse also meine Freundin Bine an, sie ist fünf Jahre jünger, wir kennen uns von einem Sprachkurs in Mexiko. Ich war Mitte 20 und bin dann weiter , nach Argentinien und Ecuador. Bine wollte einfach Spanisch lernen. Weil in dem kleinen mexikanischen Örtchen, in dem wir waren, wochenlang nur ein Film im Kino lief – „Findet Nemo“ – nennen wir uns in Anlehnung an den Film bis heute gegenseitig „Tiburonzita“. Kleines Haimädchen.
SFX PING
SPRECHERIN
Sind wir ähnlich? Sie schreibt zurück:
SFX PING
ZITATORIN
Bin gespannt, was die Forscher sagen. Haifisch-Emoji. Sonnenbrillen-Smiley.
SPRECHERIN
Na topp. Ich antworte mit einem Filmzitat.
SFX PING
SPRECHERIN
Haihappen uhahaha….
SFX PING PING PING
MUSIK ENDE
SPRECHERIN
Meine Kinder lachen sich schlapp und behaupten, Bine sei echt wie ich! ,
Zwei Menschen – eine Geschichte. Oder zu neudeutsch: Ein Match - Alter Ego gefunden. Damit also doch Mainstream, wie ihn die Forschung erkannt hat? Langsam entsteht ein Sog. Ich will wissen: Bin ich jetzt Gleich-und-Gleich-gesellt-sich, was sich eventuell irgendwann intolerant und langweilig anfühlen könnte, aber zugleich auch irgendwie konsequent und geborgen. Oder nicht? Wonach entscheide ich? Und ist das ein Mechanismus, der schon immer so war? Ändert sich das im Laufe des Lebens?
MUSIK Spare time in the zoo Z8032615 115 0.58 min.
SPRECHERIN
Ich gehe gedanklich zurück zu mir als ganz junge Susi: Auf den Spielplatz in die Sandkiste mit den bunten Plastikförmchen und dem roten Rechen. Wie habe ich damals gewusst, als kleines Kind: Mit wem schließe ich nach ein paar zusammen gebackenen Sandkuchen oder gebuddelten Burggräben Freundschaft für den einen Nachmittag oder fürs ganze Leben? Hmm. Man hat einfach zusammen einen Spielmodus gefunden und gut. Die Kinderliteratur kennt zig Freundespaare, die ohne viele äußere Ähnlichkeiten auskommen: Pippi Langstrumpf, stark, unabhängig, ein bisschen allein ohne Eltern – was sie sich nicht anmerken lässt – freundet sich an mit den Nachbarskinder Thommy und Annika. Den ausgesprochen braven Vorzeigenachbarskindern. Oder das quirlige, extrovertierte Mädchen Momo in Michael Endes gleichnamigem Roman. Sie ist ganz eng mit dem ruhigen, fast schüchternen Beppo Straßenkehrer.