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Intro
Dieses Kapitel untersucht die komplexe Wahrnehmung von Krähen in der menschlichen Kultur, wo sie sowohl mit Aberglauben als auch mit bemerkenswerter Intelligenz in Verbindung gebracht werden. Außerdem werden kulturelle Referenzen wie der Film 'Die Vögel' von Alfred Hitchcock beleuchtet, die zur negativen Sichtweise der Krähen beitragen.
Krähen sind vielen Menschen unheimlich. Sie ernähren sich (auch) von Aas, und sie heben Nester aus - Sympathieträger sehen anders aus. Andererseits gehören Rabenvögel zu den klügsten Tieren, die wir kennen. Sie können strategisch denken, kooperieren und haben ein Gedächtnis, wie wir es sonst eher Elefanten zuschreiben. Von Christian Schuler
Credits
Autor dieser Folge: Christian Schuler
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Friedrich Schloffer
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Cord Riechelmann, Biologe und Autor
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Literatur:
Cord Riechelmann. Krähen. Ein Porträt. Reihe: Naturkunden, hg. von Judith Schalansky, Berlin (Matthes & Seitz) 2021 (8. Auflage).
Josef H. Reichholf: Rabenschwarze Intelligenz. Was wir von Krähen lernen können. München (Langen Müller) 2022.
Wolfgang Epple: Rabenvögel, Karlsruhe (G. Braun Verlag) 1997.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Erzähler
Der Schulhof einer kalifornischen Kleinstadt. Schwärme von Krähen – und mit ihnen Möwen und Spatzen - sammeln sich auf den Klettergerüsten. Als die Schule aus ist, gehen sie zum Angriff über und fallen über die Kinder und ihre Lehrerinnen her.
MUSIK: „We were right“ (0:40)
Erzähler
Eine in Erinnerung bleibende Szene aus dem Hitchcock-Film „Die Vögel“ aus dem Jahr 1963. Alfred Hitchcock erklärte in einem Interview, er sei zu dem Film inspiriert worden durch Zeitungsartikel über Raben, die Lämmer angegriffen haben sollen, und durch Berichte, wonach sie Tierkadavern und Menschenleichen die Augen aushacken. Hitchcocks Film, so raffiniert und kunstvoll er ist, fügt sich nahtlos ein in die westliche Kulturgeschichte, in der Rabenvögel seit Jahrhunderten dämonisiert und mit Tod und Verderben assoziiert werden.
Zitator Reichholf (S.241)
Zäh hält sich das Überkommene, sehr zäh ...
Erzähler
Schreibt der Biologe Josef H. Reichholf,
Zitator
... die Rabenvögel tragen das Stigma der Todesvögel. Alfred Hitchcock konnte darauf ohne Begründung zurückgreifen. Die Angst stieg ganz von selbst auf ... Verfemt sind sie alle, die schwarz gefiederten Flieger ... Und wenn die Krähenschwärme in der Düsternis des späten Herbstes ... quorrend die Baumgruppe am Stadtrand umkreisen, auf der sie nächtigen wollen, bedarf es keines weiteren Anstoßes, das unbestimmte Grauen zu empfinden.
ab ungefähr 0:40: Franz Schubert: Die Krähe (Klavierbegleitung evt. schon vorher unter den Text legen, dann eine Strophe singen lassen und ausblenden)
MUSIK: „Die Krähe“ (1:15)
Erzähler
Franz Schuberts Lied „Die Krähe“ aus dem Jahr 1827. Das Tier folgt dem liebeskranken, zu Tode betrübten Mann durch die winterliche Landschaft. „Krähe, wunderliches Tier, / Willst mich nicht verlassen? / Meinst wohl bald als Beute hier / Meinen Leib zu fassen?“ Der Vogel wird hier auf doppelte Weise mit dem Tod verknüpft: symbolisch als Schatten des Todes und ganz konkret als Aasfresser, der nur darauf wartet, sich endlich über den menschlichen Leichnam hermachen zu können.
Erzähler
Lieder, Filme, Gedichte spiegeln Mentalitäten wider. Die Krähe ist schwarz, sie frisst Aas und stößt krächzende Töne aus: ein Todesvogel par excellance. Ein Gedicht von Eugen Roth fast so ziemlich alle Vorurteile zusammen, die Menschen noch bis in unsere Zeit gegenüber Rabenvögeln äußern:
MUSIK: „Holcane attack“ (0:41)
Zitator
„Die Edelraben oder Kolk- / warn einst bekannt im deutschen Volk, / als man noch unter jedem Galgen / sie um die Leichen sah sich balgen. / Sie werden zahm zwar, lernen sprechen, / groß bleibt ihr Hang doch zum Verbrechen. / Der Rabe, schwarz an Leib und Seele, / sinnt ständig, wo, wie, was er stehle. / Er plündert jedes Vogelnest, / holt, was nicht niet- und nagelfest. / Der Rabe ‚Grab, Grab, Grab!‘ nur schreit; / er ist auch immer schwarz gekleidt.“
0:45 (promrtheus)
Erzähler
Dass Rabenvögel heute immer noch als Schädlinge verfolgt und – trotz EU-Schutzstatus - als sogenanntes „Raubzeug“ bejagt werden, hat oft konkrete handfeste Gründe. Sie machen Lärm und Dreck, sie schädigen zum Teil die Landwirtschaft, sie picken Silikon aus Fensterfugen, sie attackieren junge Feldhasen, rauben die Eier von kleineren Singvögeln, und – tatsächlich! – gelegentlich, wenn sie ihre eigene Brut gefährdet sehen, greifen sie sogar Menschen an. Aber reicht das, sie ganz zum Abschuss freizugeben, wie Jagdverbände es fordern? Wirken da die alten Mythen und Vorurteile nach? Und messen wir, wenn es um die Beurteilung von Tieren geht, vielleicht mit zweierlei Maß, wie der Biologe Josef H. Reichholf meint?
Zitator (Reichholf 247)
Nachbars Katze kann auch beißen und kratzen, wenn sie in bester Absicht auf den Arm genommen wird, sie dies aber nicht will. Das weiß und akzeptiert man. Als ‚gefährlich‘ werden Katzen deswegen nicht eingestuft.“
MUSIK everst: 0:41
Erzähler
Mensch und Krähe: ein zwiespältiges Verhältnis. In der Mongolei gelten Krähen als Beschützer der Liebenden, sie kommen in indigenen Schöpfungsmythen vor, und bei den Germanen galten zwei von ihnen, Hugin und Munin, als Boten des obersten Gottes Odin. Im christlichen Europa dagegen hat man sie zu Pest- und Galgenvögeln erklärt. Und im Mittelalter konnte eine Frau, die Krähen zu nahe kam oder gar mit ihnen Umgang pflegte, der Hexerei verdächtigt werden. In unserer Zeit wandelt sich das Image der Krähen allmählich, auch durch die Forschung.
01 Zsp Die Krähe Siering ab ca 13:30
Krähen sind teilweise sehr nah an uns, an unserer Kultur auch dran. Teilweise sind sie sehr scheu, wenn sie nämlich verfolgt werden und das merken. Die Krähen, sind sie so intelligent, dass sie sogar Menschengesichter unterscheiden können,
Erzähler
sagt Manfred Siering, Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern.
02 Zsp Die Krähe Siering 14:30
Die Gruppe der Rabenvögel unter den weltweit elfeinhalbtausend Vogelarten, die es gibt auf dem Erdball, da sind die 142 Rabenvogelarten sicher, gehören zu den intelligentesten ... lernfähig, merkfähig und sozial, auch lebenslang verheiratet mit dem Partner, also das gehört alles mit zu hohen Intelligenzleistungen.
MUSIK: „Fun is over“ (0:24)
Erzähler
Franz Schuberts Lied handelt von einer Krähe, Eugen Roths Gedicht von Raben. Die Bezeichnungen sind auch regional verschieden und etwas verwirrend. Was ist denn nun der richtige Name, Raben oder Krähen?
03 Zsp Die Krähe Cord Riechelmann, 0:20
Sie sind im Grunde sind Synonyme ... Und wenn in einer Region alle Krähen Raben sind, ist das genauso richtig, wie wenn in einer anderen Region alle Raben Krähen sind ...
Erzähler
So der Berliner Biologe und Autor Cord Riechelmann. Der Oberbegriff lautet „Rabenvögel“. Zu ihnen zählt man die bei uns am weitesten verbreitete Rabenkrähe ebenso wie die grauschnäbeligen Saatkrähen, die vor allem im Herbst in großen Schwärmen aus Osteuropa kommen, um in Mitteleuropa zu überwintern. Zu den Rabenvögeln gehören aber auch Elstern und Eichelhäher, Tannenhäher und die deutlich kleinere Alpendohle, deren Flugkünste man auf Berggipfeln bestaunen kann. Der größte Rabenvogel ist der Kolkrabe, der in Mitteleuropa Mitte des 20. Jahrhunderts schon so gut wie ausgerottet war. Mittlerweile haben sich die Bestände wieder etwas erholt. Der Kolkrabe kann eine Flügelspannweite von fast 1,50 Metern erreichen, er ist damit so groß wie ein Mäusebussard – und der größte Singvogel der Welt. Tatsächlich werden alle Rabenvögel zu den Singvögeln gerechnet, einfach deshalb weil sie einen Syrinx zur Lauterzeugung besitzen, also einen Stimmkopf mit Membranen, die in Schwingung versetzt werden können.
04 Zsp Die Krähe Riechelmann, 21:30
Das ist keine willkürliche Einteilung. Das ist eine, die etwas mit der Anatomie der Vögel, mit der Evolution der Vögel zu tun hat, Krähen sind hochentwickelte Singvögel.
05 Zsp Die Krähe Riechelmann, 6:30
Und sie können auch meistens, aber nur in so ein paar Situationen ganz eng nebeneinander, können Sie auch sehr leise, sehr melodische Töne von sich geben.
Erzähler
Dass Rabenvögel zu den Singvögeln gehören, ist auch der Grund dafür, dass sie seit 1994 – sehr zum Entsetzen der Jäger - unter die europäische Singvogelverordnung fallen und daher als geschützt gelten. Allerdings haben die einzelnen Länder - bei uns die Bundesländer - weitgehend freie Hand, diese Verordnung anzuwenden und auszulegen. Und so kommt es dazu, dass Rabenvögel etwa in Brandenburg von Anfang Oktober bis Ende Dezember bejagt werden dürfen, also drei Monate, in Bayern sieben Monate, von Mitte August bis Mitte März. Auf der jägerfreundlichen Internetseite kraehenjagd.eu heißt es dazu:
Zitator
„Es sind jagdbare Arten und somit ist ein Abschuss rechtens! Das Ziel der Krähenjagd ist nicht die Ausrottung der Rabenvögel. Mit der Bejagung der schlauen Singvögel beabsichtigt man die Reduktion der Überpopulation auf ein erträgliches Maß.“
Erzähler
Nur, was ist ein erträgliches Maß? Darüber streiten Biologen und Vogelschützer mit Bauern und Jägern seit Jahrzehnten. Tatsächlich scheint der Bestand der Rabenvögel weitgehend unabhängig von Schutzmaßnahmen und Abschussgenehmigungen in den vergangenen Jahren relativ konstant geblieben zu sein. Keine Krähenart ist aktuell vom Aussterben bedroht, und Krähenplagen gibt es offenbar nur punktuell und kurzzeitig, meist mit überwinternden Saatkrähen.
Für eine Regulierung der Bestände sorgen zum Teil die Sozialstrukturen der Krähen selbst. Denn jedes Brutpaar etwa der Raben- und Nebelkrähen ist umgeben von Schwärmen an Nichtbrütern, Junggesellen also, die nicht nur die Nester von Artgenossen plündern, sondern nur darauf warten, die Stelle einer anderen Brutkrähe einzunehmen. Jedes Nest und jede Brut ist dadurch dauerndem Stress ausgesetzt. Die größten Feinde der brütenden Krähen sind also – noch vor Füchsen und Habichten – die nichtbrütenden Artgenossen.
Biologen wie Cord Riechelmann bezweifeln daher den Sinn, die Jagd auf Rabenvögel zu erlauben, um Bestände zu regulieren.
06 Zsp Die Krähe Riechelmann, ca 28
Und was es natürlich gibt, es gibt Probleme mit Krähen, also besonders mit Saatkrähen, wenn sie in großen Kolonien, zum Beispiel auf Friedhöfen, Friedhöfe sind friedliche Gebiete, die werden gern von Tieren angenommen, weil da wird normalerweise nicht geschossen und gejagt, und wenn sie da in der Nähe brüten, und so eine Kolonie, meinetwegen, sagen wir 100 bis 150 Paare, die machen natürlich Dreck. Also den Zusammenhang von Vögeln und Dreck gibt es überall auf der Welt ... Ich will damit nicht sagen, dass es keine Konflikte gibt. Die gibt es natürlich. Aber der Grund für das Abschießen sind nicht diese Art von Konflikten ... sondern es sind die, dass man ihnen etwas unterstellt, dass keine jungen Hasen mehr hochkommen und so etwas. Dass es keine jungen Hasen gibt, liegt an der industrialisierten Landwirtschaft und nicht an den Krähen ... Die wissenschaftlichen Fakten sagen, dass Krähen da besonders häufig sind, wo auch die anderen Singvögel besonders häufig sind, das ist der einzig nachweisbare wissenschaftliche Zusammenhang.
MUSIK: „A modell of universe“ (1:22)
Erzähler
Was Forscher ebenso wie Laien an Krähen fasziniert, ist zum einen ihr Sozialverhalten, zum anderen ihre besondere Intelligenz. Und sie können, wenn sie Menschen vertrauen, sehr zutraulich werden. Ein Mann erzählte im Bayern2-Tagesgespräch eine Geschichte aus seiner Kindheit in den 1960-er Jahren. Da hat sich eine Krähe sozusagen selbst gezähmt und wurde zum Freund eines ganzen Dorfes.
07 Zsp Die Krähe Peter Fabian (Tagesgespräch vom 8.2.24), ab 6:20
Ich komme ursprünglich aus dem unterfränkischen Dorf Gochsheim, bin dort aufgewachsen, und an den Lebensmittelladen kam eines Tages eine Krähe, und die hat sich dem Besitzer so angenähert, dass sie ihn nie mehr verlassen hat. Und das war dann im Dorf der Jacob. Und im Fränkischen sagt man zu Krähen Kracken und der Krack hat uns Kinder, wenn wir zum Einkaufen geschickt wurden, bis nach Hause begleitet. Er ist mit uns mitgeflogen. ... Der Jakob war bei uns im Dorf eine feste Größe und war überall beliebt, und wir haben es genossen, einen gefiederten Spielkameraden zu haben, der uns wirklich auf Schritt und Tritt manchmal gefolgt ist. Der ist mit uns zum Fußballplatz geflogen, hat sich auf die Planken gesetzt und hat gewartet, bis wir nach Hause gefahren sind mit den Fahrrädern. Und dann ist er wieder mit nach Hause geflogen und ist mit an seinen Lebensmittelladen.
Erzähler
Krähen können sich also an Menschen, denen sie vertrauen, sehr eng anschließen. Tatsächlich ist die Geschichte zwischen Krähe und Mensch eine der gegenseitigen Einfühlung. Das hat von menschlicher Seite der Verhaltensforscher Konrad Lorenz gezeigt, der mit Gänsen und Dohlen zusammenlebte, mit ihnen sprach, mit ihnen zum Baden ging, sich sogar von ihnen anbalzen ließ - und den selbst seine Kollegen um sein Einfühlungsvermögen beneideten. Umgekehrt wissen auch die Krähen bei Menschen genau, woran sie sind und mit wem sie es zu tun haben. Davon ist der Ornithologe Manfred Siering überzeugt:
08 Zsp Die Krähe Siering ca 13:30
Passanten, die harmlos sind, die ignorieren sie eigentlich. Sie blicken sie sehr wohl an. Das merkt man nicht, wenn so ein kleines Vogelauge sich auf einen Menschen fokussiert. Und wenn da ein Passant, vielleicht ein Jäger, der vorher geschossen hat, sich verkleidet und vorbeiläuft, erkennen Sie den am Gesicht, machen einen einzigen Alarmruf, und die ganze Krähengesellschaft geht auf Abstand oder auf hohe Bäume.
((Das wissen wir ganz genau aus verschiedenen Bejagungsversuchen.)) Oder wenn Falkner, die mit ihrem Wüstenbussard zum Beispiel auf Krähenjagd gehen oder so, wenn die aus dem Auto steigen, auch wenn sie ein anderes Auto benützen, sobald er aussteigt, wird er erkannt und Alarmrufe und alle Krähen verschwinden hinterm Horizont.
Erzähler
Auch der Biologe Cord Riechelmann weiß um diese genaue Beobachtungsgabe der Krähen und sieht darin eine entscheidende Technik, um zu überleben, allerdings noch in einer anderen Hinsicht. Krähen können nämlich nicht nur Freunde und Feinde unterscheiden, sie wittern förmlich das Aas, das sie fressen werden, noch bevor es entsteht.
09 Zsp Die Krähe Riechelmann 13:15
Sie haben ein ganz feines Unterscheidungsvermögen in Bezug auf Bewegung. Und das haben Sie auch in Bezug auf Hirsche im Winter zum Beispiel ... Krähen erkennen sehr gut und sehr schnell, ob jemand krank ist, also sich ein bisschen langsamer bewegt oder sich irgendetwas verstaucht hat und fangen dann auch an, das Tier zu beobachten, was aber natürlich auch was damit zu tun hat, dass sie Aasfresser sind ... ((Krähen sind keine Raubvögel. Also Krähen haben weder Greiffüße noch einen starken scharfen Schnabel ...)) Und als Aasfresser, ja, warten sie halt, bis jemand irgendwo stirbt.
Erzähler
Mit einem verendeten Tier, das unverletzt ist, können Krähen erst einmal wenig anfangen. Sie sind auf Arbeitsteilung und Kooperation angewiesen, zum Beispiel mit Kojoten oder Wölfen.
10 Zsp Die Krähe Riechelmann Forts.
((Dieses Beobachten, dieses feine Erkennen, ob jetzt einen Hirsch, besonders im Winter, ob der jetzt schwächer ist als ein anderer, hat aber für die Krähen selbst, besonders für Kolkraben in Nordamerika, zu beachtenswerten Symbiosen geführt)) Weil die Krähen nicht in der Lage sind, wenn ein Hirsch gestorben ist, das Fell aufzuhacken oder so. Sie können nur, daher auch dieser schreckliche Name ‚Galgenvogel‘, sie können nur an die Weichteile ran. Also sie können nur die Augen aushacken, können an den After und an den Mund und so, die Ohren ... Und deshalb gibt es so etwas wie eine Symbiose, besonders im Winter, in nordamerikanischen Wäldern mit Wölfen. Und diese Symbiose sieht so aus, dass die Kolkraben oder die Krähen den Wölfen zeigen, wo ein Tier verendet ist oder wo ein kranker Hirsch sich bewegt, und die Wölfe dafür den Krähen sozusagen das Fell aufreißen und das Fleisch oder die Knochen bereiten.
MUSIK: „Collateral“ (1:00)
Erzähler
Krähen wissen also sehr genau um die Fähigkeiten anderer und wie sie diese für sich nutzen können. Und natürlich wissen sie auch um ihre eigenen Fähigkeiten. Auf der zu Frankreich gehörenden Inselgruppe Neukaledonien im Südpazifik gibt es eine Art, die man bei der Herstellung von Werkzeugen beobachten kann. Die Neukaledoniakrähe bricht kleine Zweige von Sträuchern, bevorzugt solche, die am Ende krumm auslaufen, also einen Haken bilden. Damit angelt sich die Krähe Larven, die unter der Rinde von Bäumen sitzen. Und während sie die Larven verzehrt, hält sie ihr Werkzeug mit den Klauen fest.
Berühmt geworden sind die Krähen von Tokio, deren Nester jahrelang von der Stadtverwaltung mit Hilfe von Feuerwehrschläuchen aus den Bäumen gespritzt wurden. Nach einiger Zeit begannen die Krähen, ihre Nester aus durchlässigen Drahtkleiderbügeln zu bauen, denen der Wasserstrahl nicht mehr viel anhaben konnte.
Krähen sind offenbar lernfähig. Aber wie lernen sie? Durch Imitation? Der Biologe Cord Riechelmann vermutet, dass mehr dahinter steckt, gerade mit Blick auf die Krähen von Tokio.
11 Zsp Die Krähe Riechelmann 17:10
Und berühmt geworden sind diese Krähen außerdem, weil sie die ersten waren, die sich auf eine Ampel gesetzt habe und Nüsse, die sie selber nicht knacken konnten, vor Autos geworfen haben und dann gewartet haben, bis die Autos drüber gefahren sind, dann eben die Nüsse gegessen haben. Und da hat man am Anfang vermutet ja, das hat eine mal angefangen und die anderen machen das nach. Dann trat das aber etwas später in Kanada auf, und mittlerweile ist es so, dass sie wahrscheinlich auch hierzulande und gerade auch in Bayern keinen Menschen mehr mit einem Nussbaum finden, der nicht Krähen kennt, die Nüsse stehlen, und nicht auch Krähen schon mal gesehen hat, wie sie sie vor ein Auto werfen. Also, das ist mittlerweile eine verbreitete Technik, die schon durch die geografischen Unterschiede eben nicht durch Imitation entstanden ist, sondern durch Kombinatorik.
Erzähler
Das würde bedeuten, dass Krähen Vorkommnisse in ihrer Umwelt beobachten, verstehen und zueinander in Verbindung setzen: in diesem Fall Nüsse – Ampeln – Autos - Fressen. Dieses kombinatorische „Denken“, wenn man es so bezeichnen will, trat in verschiedenen Städten der Welt auf, und zwar, so Riechelmann, unabhängig voneinander und immer zirka 20 Jahre nach der Besiedlung durch die Krähen. Und da kaum eine Krähe 20 Jahre alt wird, könne es sich nicht um reines Imitationslernen handeln.
Zu den faszinierendsten Verhaltensformen von Krähen gehört auch ihr Spieltrieb. Auch er ist vielfach dokumentiert: Krähen, die sich einen Spaß daraus machen, Strafzettel zu klauen, die an den Windschutzscheiben von Autos festgeklemmt sind. Krähen, die in Fußgängerzonen „Grüß Gott!“ rufen. Krähen, die mit Steinen werfen, rein zum Spaß, und damit in Gebirgen kleine Lawinen auslösen können. Oder Krähen, die halbe Stunden lang ein abschüssiges Blechdach hinunterrutschen, wieder und immer wieder ...
Eine besondere Fähigkeit hat man an Eichelhähern bemerkt, diesen taubengroßen und verhältnismäßig farbenfrohen Rabenvögeln, die man wegen ihrer Warnrufe auch „Polizisten des Waldes“ nennt. Aber der Eichelhäher ist nicht nur ein aufmerksamer Polizist, sondern auch ein liebevoller Ehepartner. Angeblich können Männchen die aktuellen Futtervorlieben ihrer Partnerin erkennen.
12 Zsp Die Krähe Riechelmann ca 9:00
Und dieses Ergebnis hat damals tatsächlich über die Wissenschaft hinaus sehr viel Aufsehen erregt ... weil da erstens so etwas wie, ja so ein prospektiver Blick möglich war, der irgendwie auch darauf hindeutet, dass die ins Innere gucken können oder zumindest an äußeren Erscheinung absehen können, was der Frau, der Eichelhäherfrau, gefällt. Und das war schon eine kleine Sensation.
Erzähler
Eichelhäher verfügen zudem über ein herausragendes Gedächtnis, das selbst das des Menschen weit übertrifft.
13 Zsp Die Krähe Riechelmann (Forts.)
Also dass die im Herbst, wenn sie die Samen, die Eicheln wie der Eichelhäher oder auch andere Samen, verstecken, sich tatsächlich bis zu 6000 Verstecke merken können und dann auch noch wissen, welcher Samen an welcher Stelle lag, um die vor dem Auskeimen auszugraben. Und das sind schon so Gedächtnisleistungen, also man kann sich ja selber versuchen vorzustellen, sich mal 34 zu merken. Also das sind schon Gedächtnisleistungen, die sprengen den Rahmen des bisher Vorstellbaren.
Erzähler
Menschen und Krähen verbindet eine gemeinsame, manchmal ambivalente Geschichte. Die Vorfahren beider verließen vor Millionen von Jahren die Urwälder Afrikas, um sich in den Buschsavannen und Grassteppen neue Lebensräume zu erobern. Und wo immer Menschen sich niederließen, Tiere jagten oder schlachteten, wurden sie von Krähen beobachtet. Und heute, in Zeiten industrialisierter Landwirtschaft und weltweiter Verstädterung, haben sich auch die Krähen angepasst und sind zu Stadtvögeln geworden.
Viele Krähen suchen die Nähe des Menschen. Sie beobachten uns und wissen uns ziemlich genau einzuschätzen. Und gelegentlich – wer weiß – amüsieren sie sich vielleicht über uns und unsere Anstrengungen, sie zu vertreiben, so wie in Christian Morgensterns Gedicht von der Vogelscheuche:
MUSIK: „Beyond desolation“ (0:37)
Zitator
Die Raben rufen: "Krah, krah, krah! / Wer steht denn da, wer steht denn da? / Wir fürchten uns nicht, wir fürchten uns nicht / vor dir mit deinem Brillengesicht. / Wir wissen ja ganz genau, / du bist nicht Mann, du bist nicht Frau. / Du kannst ja nicht zwei Schritte gehn / und bleibst bei Wind und Wetter stehn. / Du bist ja nur ein bloßer Stock, / mit Stiefeln, Hosen, Hut und Rock. / Krah, krah, krah!"
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