
Münchhausen unterm Hakenkreuz - Erich Kästner als Drehbuchautor
Radiowissen
Aufwendige Filmproduktion und versteckte Botschaften
In diesem Kapitel wird der komplexe Produktionsprozess eines Kinofilms von 1942 beleuchtet, wobei die Kunst der Farbgebung und Kostümgestaltung im Mittelpunkt steht. Zudem wird die Rolle des Drehbuchautors diskutiert, der mit abenteuerlichen Geschichten eine tiefere Botschaft vermittelt.
Das NS-Regime hatte eine riesige Propagandamaschinerie und so lief auch die Filmproduktion unterm Hakenkreuz auf Hochtouren. Zu den be-rühmtesten Kinostreifen dieser Zeit zählt "Münchhausen", die Abenteuer des Lügenbarons. Das Erstaunliche: Das Drehbuch hat ausgerechnet der Pazifist Erich Kästner geschrieben. Von Michael Marek
Credits
Autor dieser Folge: Michael Marek
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann, Clemens Nicol
Technik: Andreas Caramelle
Redaktion: Katharina Hübel
Im Interview:
Barbara Flückiger, Professorin für Filmwissenschaft
Sven Hanuschek, Professor für Germanistik
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Bundeszentrale für plitische Bildung: Themenschwerpunkt NS-Filmpropagande
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Kurzinformation zu Münchhausen HIER geht es zur Website
Institut für Zeitgeschichte Berlin / München HIER geht es zur Website
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecher:
November 1942: Die alliierten Truppen landen in Algerien und Marokko und eröffnen eine zweite Front gegen Nazi-Deutschland.
Sprecherin:
Am 2. Februar 1943 kapituliert die sechste Armee des deutschen Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus vor Stalingrad. Der Krieg im Osten wird zum Massengrab für Hunderttausende Soldaten und Zivilisten.
Sprecher:
Während die Rote Armee vorrückt, beschleunigt die SS ihren Vernichtungskreuzzug gegen die europäischen Juden. In Deutschland spielt sich das Leben mehr und mehr unter der Erde ab, in Bunkern und Luftschutzkellern. Der Krieg ist entschieden. Doch die nationalsozialistische Propagandamaschine läuft weiterhin auf Hochtouren.
Von Autor: O-Ton 2: Alda Noni "Kauf dir einen bunten Luftballon"0‘25
Sprecherin:
Im Unterhaltungsfilm dieser Jahre ließ sich die Realität des Krieges nicht mehr verleugnen, nur noch verzuckern. Die Traumwelt des Kinos lud dazu ein, den Bombenalltag zu vergessen und auf bessere Zeiten zu hoffen.
Von Autor O-Ton 3: Musikakzent aus "Münchhausen" / Gong + Streicher 0‘26
Sprecher:
Während Deutschland in Schutt und Asche versinkt, feiert am 5. März 1943 eines der ehrgeizigsten und aufwendigsten Filmprojekte der NS-Zeit Premiere: "Münchhausen". Ganz im Stil US-amerikanischer Hollywood-Komödien erzählt der Film die fantastischen Abenteuer des Lügenbarons aus Bodenwerder.
Von Autor: O-Ton 5: Georg Friedrich Händel "Belshazzar" 0‘33
Sprecherin:
Die Münchhausiaden erschienen erstmals 1781 in der Berliner Zeitschrift:
Zitator:
"Vademecum für lustige Leute".
Sprecherin:
Ihr Autor blieb anonym. Aus gutem Grund, denn die Figur des Freiherrn hatte ein historisches Vorbild: Karl Friedrich Hieronymus von Münchhausen, der sich, so wird überliefert, außerordentlich erbost gewesen sein soll, dass sein Name im Titel einer Sammlung von 16 Lügengeschichten genannt wurde.
Sprecher:
Viele Nacherzählungen folgten über die Jahrhunderte. Und die fantastischen Reisen zu Wasser und zu Lande wurden auch zur Grundlage des Münchhausens-Films: Die Ballonfahrt zum Mond, Cagliostros Ring, der Münchhausen unsichtbar zu machen vermag und nicht zuletzt Münchhausens berühmter Ritt auf der Kanonenkugel, von der Hans Albers in der Rolle des berühmten Lügenbarons ins Publikum grüßt –
Von Autor: O-Ton 6: Titelmelodie „Münchhausen“ 0‘25
Sprecherin:
die Filmversion von 1943 präsentierte eine opulente und exotisch anmutende Märchenwelt, die ihre Premiere im größten Kino Deutschlands feierte: dem Berliner Ufa-Palast am Zoo. Das Drehbuch stammte aus der Feder des Journalisten, Lyrikers, Kinderbuchautors, Schriftstellers, Drehbuchautors und Pazifisten Erich Kästner:
O-Ton 7: Sven Hanuschek
"Kästner war ein sehr medienaffiner Autor für seine Zeit. Er hat einfach sehr früh alle neuen Formen, alle neuen Medien ausprobiert. Und er hat eben auch für den Film gerne gearbeitet, weil er ja das Potenzial, das große Publikum dieses Mediums, gesehen hat."
Sprecherin:
Sven Hanuschek ist Literaturwissenschaftler an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und Kästner-Biograf. Kästner wird heute nach wie vor als Moralist gesehen. Wie geht das zusammen? Kästner, der Pazifist, und Kästner, der Drehbuchautor für einen Unterhaltungsfilm, den die Nationalsozialisten zu Propagandazwecken förderten? Zunächst scheinbar gar nicht:
O-Ton 8: Sven Hanuschek
"Er war ja verboten als Schriftsteller, also durch die Schrifttumskammer, konnte da nicht eintreten, und das musste man, um irgendwas veröffentlichen, um schreiben zu können. Und er hat dann so etwas wie Untergrundstrategien entwickelt, also er hat Bücher, Unterhaltungsromane geschrieben, die dann in der Schweiz veröffentlicht wurden und die importiert werden durften. Und er hat es geschafft, dass der Reichsfilmintendant, also der dem Propagandaministerium Goebbels untersteht, dass die ihm den Auftrag geben und die Genehmigung geben für dieses Drehbuch."
Von Autor: O-Ton 9: Musikakzent "Münchhausen" 0‘13
Sprecherin:
Obwohl Kästner der Gestapo als Kulturbolschewist übelster Sorte galt, sagt Sven Hanuscheck, durfte er das Drehbuch zu "Münchhausen" schreiben. Das war kein Zufall und entsprach durchaus der nationalsozialistischen Kulturpolitik: Öffentlich geächtete Autoren, die nicht vor dem NS-Regime ins Ausland geflohen waren und über ein gewisses Ansehen verfügten, genossen eine Reihe von Privilegien. So auch Erich Kästner, dessen gesellschaftskritische Satiren und Gedichte vor 1933 vor allem im Feuilleton der "Vossischen Zeitung" und in Carl von Ossietzkys "Weltbühne" gefragt waren. Mit Konsequenzen:
O-Ton 10: Bücherverbrennung / Rechte geklärt
"Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Hein¬rich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner!"
Sprecher:
Der Deutschlandsender überträgt die gespenstische Szenerie vom Berliner Opernplatz live im Hörfunk: Am 10. Mai 1933 verbrennen Mitglieder der NSDAP, der Hitlerjugend sowie der SA und der Deutschen Studentenschaft auch die Bücher von Erich Kästner. 1934 verhaftet ihn die Gestapo und lässt ihn kurz darauf wieder frei; 1937 wird Kästner erneut verhaftet und wieder entlassen. Zwischenzeitlich kann er im Ausland publizieren: "Das fliegende Klassenzimmer", "Die verschwundene Miniatur", "Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke" und seinen "Till Eugenspiegel".
Sprecherin:
Der NS-Staat brauchte Devisen, und Kästner war nicht bereit, seine literarische Karriere der nationalsozialistischen Machtergreifung zu opfern.
Sprecher:
Bis 1942 schreibt Kästner eine Reihe von Lustspielen und Komödien, die verfilmt werden und in die Kinos kommen: "Verwandte sind auch Menschen", "Die Frau nach Maß" und "Ich vertraue dir meine Frau an".
Von Autor O-Ton 12: Musikakzent Titelmelodie "Münchhausen" 0‘24
Sprecherin:
Es ist für Kästner, seine Person und sein Werk gleichermaßen charakteristisch, dass er stets glaubte, mit leichter Unterhaltung die NS-Zeit unbeschadet überstehen zu können: finanziell, literarisch und auch moralisch. Zu Vertragsabschlüssen durfte er sogar nach Großbritannien, Österreich und noch während des Krieges in die Schweiz reisen. Später, nach dem 8. Mai 1945, fragten ihn die Vertreter der US-amerikanischen Besatzungsbehörde, warum er in Deutschland unter dem Hakenkreuz geblieben sei. Kästner antwortete in dem Gedicht "Notwendige Antwort auf überflüssige Fragen", so Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek:
O-Ton 13: Sven Hanuschek
"Mich lässt die Heimat nicht fort. Ich bin wie ein Baum, der in Deutschland gewachsen, wenn’s sein muss, in Deutschland verdorrt. Ja, das Gedicht ist ja lange gelesen worden als fatalistisch, oder man hat es als patriotisches Gedicht auch gelesen. Nur, wenn man die letzte Zeile halt etwas verschärft anschaut, ist das Risiko eben dann doch in Deutschland zu verdorren und zu gar nichts mehr zu kommen. Und er war durchaus gefährdet, muss man sagen, in der Zeit."
Sprecherin:
Was bis heute wenig bekannt ist: Kästner war damals ein etablierter Filmautor:
Sprecher:
Schon vor der Machtergreifung verfasst Kästner Drehbücher für die Verfilmung seiner Romane. Seine Kontakte zu Filmkreisen pflegt er auch während der NS-Zeit. Mitte 1941 fragt ihn Eberhard Schmidt, Produktionsleiter der Berliner Ufa und enger Freund, ob er Interesse habe, das Drehbuch zum 25-jährigen Ju¬biläum der Ufa zu schreiben.
O-Ton 15: Sven Hanuschek
"Ich denke, dass Goebbels, dass die wussten, dass Kästner der Beste ist, der das machen kann, der ja nun viele Boulevardstücke so unter der Hand mitgeschrieben hatte, der unglaubliches Gespür für Dramaturgie hatte, für Tempo, Einfallsreichtum, Witz hatte. Ich denke, sie konnten einfach keinen besseren finden, außer sie müssen jemanden aus der Emigration holen, und so weit ging es dann anscheinend doch nicht."
Sprecher:
Für die Dauer der Dreharbeiten wird das Schreibverbot für Kästner teilweise aufgehoben.
Von Autor O-Ton 16: Musikakzent "Münchhausen" 0‘27
Sprecherin:
Bei seiner Premiere am 5. März 1943 im Berliner Ufa-Palast hatte "Münchhausen" einen Riesenerfolg und spielte in den folgenden Wochen weit über 25 Millionen Reichsmark ein. Doch im Abspann des Films fehlte das Pseudonym des Drehbuchautors: Berthold Bürger alias Erich Kästner hatte erneut totales Schreibverbot.
O-Ton 17: Sven Hanuschek
"Hitler wollte diesen Film ja sehen. Also es ist klar, UFA-Film, Jubiläumsfilm, großes Kino, der muss das vorgeführt gekriegt haben und hat sich dann erkundigt, wer dieser Berthold Bürger denn sei. Und er muss dann also einen der Wutanfälle gekriegt haben und hat dann dieses Totalverbot ausgesprochen. Es gibt also diesen Führerbefehl, wo Kästner und zwei weitere Autoren dieses Totalverbot quasi erleiden und das muss dann mit Durchschlägen im Reich verteilt worden sein. Lustigerweise hatte Kästner irgendwann einen dieser Durchschläge bekommen. Also, sprich in den 50er-Jahren, hatte der das in einem Holzrähmchen bei sich im Wohnzimmer an der Wand hängen, dieses Totalverbot."
O-Ton 18: Musikakzent "Münchhausen" 0‘13
Zitator:
Mit diesem Vorhaben bekennt sich das Filmschaffen zum Wunder der Fantasie.
Sprecherin:
So warb die Ufa für ihren Jubiläumsfilm.
O-Ton 19: Barbara Flückiger
"Münchenhausen ist ein lustiger Film, es ist ein augenzwinkernder Film.
Sprecherin:
Barbara Flückiger (Aussprache: „Flückiga“) ist Filmwissenschaftlerin. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Zürich und der Murnau-Stiftung hat die Schweizerin die Farbrestaurierung und Digitalisierung des Münchhausen-Films begleitet:
O-Ton 20 : Barbara Flückiger
„Zusätzlich ist das ein Film, der von vielen Special Effects Gebrauch macht. Es hat viele Trickaufnahmen in dem Film, was auch sehr besonders ist. Ich kenne keinen anderen Agfacolor-Film, der die Farbinnovation mit der technischen Innovation im Bereich der Special-Effects verbindet.“
Von Autor O-Ton 21: Musik Zarah Leander „Ich weiß, es wird …“
0‘33
Sprecherin:
Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels hatte die Bedeutung des Mediums Film erkannt. Zudem war er ein leidenschaftlicher Kinoliebhaber. Rund 1.100 Spielfilme wurden während der NS-Zeit gedreht. Beim Publikum beliebt waren Operetten und Melodramen, Heimatfilme und Komödien.
Sprecher:
Joseph Goebbels am 25. März 1933 in seiner Rede vor den Intendanten der Rundfunkgesellschaften über seinen Anspruch an Kunst unterm Hakenkreuz:
O-Ton 23: Joseph Goebbels / Rechte geklärt
„Erstes Gesetz: Nur nicht langweilig werden! Das stelle ich allem anderen voraus: nur keine Öde!“
„Gesinnung ist gut, aber zur großen Gesinnung muss auch das hervorragende Können kommen.“
Sprecherin:
Das Prestigeobjekt „Münchhausen“ lag Goebbels besonders am Herzen. Es sollte Hollywood Paroli bieten, die Ex¬portmärkte im neutralen Ausland zurückerobern und für die kultu¬relle Schaffenskraft des NS-Regimes werben. Barbara Flückiger:
O-Ton 26 : Barbara Flückiger
„Das Agfacolor-Verfahren war das erste sogenannte homogene Farbfilm-Ver-fahren weltweit. Es war das erste Farbfilm Verfahren, das ein Positiv und ein Negativ hat, also ein Kameranegativ und dann Positive für die Kinoauswertung. Und diese Entwicklung wurde während der Nazi-Ära vorangetrieben, um der Welt die deutsche Überlegenheit in den Bereichen Technologie, also vor allem der Chemie, vorzuführen. Agfacolor war so deshalb ein Instrument zur Propaganda während der Nazizeit.“
Von Autor O-Ton 28: Musikakzent „Münchhausen“ 0‘36
Sprecher:
Für „Münchhausen“ werden die bekanntesten deutschen Schauspieler aufgeboten: Brigitte Horney als Zarin Katharina II., Ferdinand Marian als Graf Cagliostro und natürlich Hans Al¬bers, Liebling des Publikums, als blauäugi¬ger Lügenbaron Münchhausen.
Sprecherin:
Der ambitionierte Kinostreifen wurde 1942 mit einem großen technischen Aufwand gedreht. Die Agfacolor-Labors mussten Überstunden machen, um die riesigen Mengen an Farbfilmmaterial zu liefern. Für die verschie¬denen Schauplätze der Handlung gibt es unterschiedliche Farbtöne:
Von Autor: O-Ton 29: Musikakzent „Münchhausen“ 0‘16
Sprecher:
Allein für die Sequenz, die in Venedig spielt, werden in den knappsten Kriegszeiten 800 Kostüme geschneidert und mit dem Zug von Berlin in die Lagunenstadt gebracht, um ein farbenprächtiges Treiben am Canale Grande zu zeigen.
O-Ton 30 : Barbara Flückiger
„(…) Der Hof von Katharina der Großen ist eher in Pastellfarben gehalten mit sehr viel schimmernden Seiden und glitzernden Objekten, Requisiten. Alles ist sehr, sehr aufwendig, sehr üppig und überbordend, aber eher in dezenten Farbtönen gehalten. Während zum Beispiel der orientalische Harem dann einen Vorwand auch wieder bietet für vielfarbige Sets, für vielfarbige Ausstattung, aber in einer anderen Art und Weise als der Mond. Es ist eher sehr edel, Orientalik ist dann willkommener Vorwand, um Farben zu präsentieren, schimmernde Stoffe auch wiederum. (…)“
Sprecher:
Aus Museen und Schlös¬sern der Berliner Umgebung werden Möbel und Gemälde zusammenge¬tragen, darunter Meissner Porzellan, Gold- und Silberbesteck: bewacht von SS-Männern, die im Film als Statisten mitwirken.
Sprecherin:
Doch hinter den Abenteuergeschichten und Filmbildern hatte Drehbuchautor Kästner seine ganz eigene Botschaft versteckt.
Von Autor O-Ton 35: Musikakzent „Münchhausen“ / Tangomotiv 0‘40
Sprecher:
Gleich zu Beginn des Films geschehen in einem Rokoko-Schlösschen seltsame Dinge: Das Porträt von Münchhausen an der Wand zwinkert den Kinobesuchern zu, im Hintergrund spielt das Kammer¬orchester einen Tango, und der dunkelhäutige Diener hat gar keine natürliche Hautfarbe, sondern schwarze Schminke im Gesicht. Es kommt noch ärger: Als Münchhausen Licht machen will, greift seine Hand nicht zum Kerzenständer, sondern knipst das elektrische Licht an. Und die junge Baronin, die sich in Münchhausen verliebt hat, von ihm aber zurückgewiesen wird, fährt wütend und enttäuscht in einem schnittigen Sportwagen davon.
Von Autor O-Ton 36: Musikakzent "Münchhausen" / Sportwagen + Tango 0‘20
Sprecherin:
Es scheint, als wolle der Film seine Unwirklichkeit demonstrativ zur Schau stellen. Wer 1943 noch an die Traumfabrik glaubte, sah hier mit eigenen Augen das Pappmaché. Kästner erzählt nicht einfach ein Märchen. Vielmehr wurden hier Kulissen weggeschoben, um den Zuschauern die Inszenierung des Scheins zu zeigen:
Zitator:
Aus Sein wird Schein -
Sprecherin:
… heißt es vieldeutig in der Regieanweisung, die Kästner dem Spielleiter mit auf den Weg gab. Es ist, als stünde der Moralist Kästner neben der Bühne und flüstere dem Publikum zu, es solle ja nicht glauben, was es sehe. Nicht im Kino und nicht in der inszenierten Wirklichkeit der Reichsparteitage der NSDAP. Auch diese Figur war neu in Kästners Drehbuch:
Sprecher:
Giacomo Casanova, der Frauenheld und scharfsinnige Beobachter seiner Zeit. Im Deutschland der allgegenwärtigen Gestapo warnt Casanova auf der Leinwand Münchhausen und die schöne Prinzessin Isabella d‘Este:
O-Ton 38: Filmausschnitt „Münchhausen“/ Rechte erworben
Casanova: Das Leben ist kurz, Baron, und der Tod verjagt uns aus dem interessanten Stück, ehe es zu Ende ist. Venedig ist im Karneval ein gutes Versteck, Prinzessin! Aber seien Sie trotzdem vorsichtig! Die Staatsinquisition hat zehntausend Augen und Arme. Und sie hat die Macht, Recht und Unrecht zu tun, ganz wie es ihr beliebt.
Von Autor O-Ton 39: Musikakzent „Münchhausen“ 0‘23
Sprecher:
So lässt Kästner den Grafen Cagliostro auf¬treten: den Dunkelmann, Abenteurer, Alchemisten und Freimaurer des 18. Jahrhunderts. Am Zarenhof begegnet Münchhausen dem Grafen, der ihn für seine fin¬steren Pläne gewinnen will. Zwischen den beiden entspinnt sich der folgende Dialog:
O-Ton 40 Filmausschnitt "Münchhausen" / Rechte erworben
Cagliostro: Wenn wir erst Kurland haben, pflücken wir Polen. Poniatowski ist reif. Dann werden wir König!
Münchhausen: In einem werden wir zwei uns nie verstehen: In der Hauptsache! Sie wollen herrschen; ich will leben. Abenteuer, Krieg, fremde Länder und Frauen - ich brauche das alles, Sie aber missbrauchen es!
Von Autor O-Ton 41: Musikakzent "Münchhausen" 0‘14
Sprecherin:
Was Kästner hier literarisch erfindet, wurde nur von der Wirklichkeit übertroffen. Das NS-Regime hatte Kurland und Polen längst "gepflückt". Die Wehrmacht stand bereits weit auf sowjetischem Boden, und am Herrschaftswillen der Nationalsozialisten zweifelte niemand mehr. Und zwischen den Filmbildern verbarg sich Kästners versteckte Zeitkritik.
Sprecher:
Etwa, wenn er Münchhausen über Billardkugeln philosophieren lässt. Aber es ist eine bestimmte Mentalität der kleinen Leute, die hier in Münchhausens Monolog beleuchtet wird, eine Mischung aus Ohnmacht, Fatalismus und der Strategie, irgendwie durchzukommen im NS-Staat.
O-Ton 42: Filmausschnitt "Münchhausen"
Münchhausen: Du wirst jetzt da hinausgeschickt und denkst dir in deinem kleinen Elfenbeingehirn, dort sei dein Ziel. Irrtum, mein Bester! Du wirst nur hinaufgeschickt, damit du nach diesem Umweg endlich die Kugel triffst, der du zu Anfang schon so nahe warst. So viel über den Sinn des Lebens. Und nun - glückliche Reise!
Sprecher:
Dass die Zeit begrenzt ist, signalisiert Kästner am Ende des Films, wenn Münchhausen auf die ewige Jugend verzichtet, die ihm Cagliostro geschenkt hat.
Von Autor O-Ton 45: Musikakzent "Münchhausen" 0‘21
Münchhausen verzichtet auf seine Unsterblichkeit aus Liebe zu der Frau, die er einst jung und schön geheiratet hat, die aber inzwischen alt und weißhaarig geworden ist.
O-Ton 48: Filmausschnitt "Münchhausen"
Münchhausen: Nein, ich will nicht mehr, dass mich die Zeit vergisst. Die gleiche Zeit, die sich deiner täglich wie ein kleiner Buchhalter erinnert und ihre Jahre in deinem Gesicht nachzeichnet. Ich will nicht mehr jung sein, wenn du alt bist. Ich mag nicht mehr weiterleben, wenn du stirbst.
Von Autor O-Ton 49: Musikakzent "Münchhausen" 0‘16
Sprecherin:
Womit Kästner am Ende des Films deutlich macht, dass Helden sterblich sind - auch Nazi-Helden. Und damit verweist er auf die Endlichkeit politischer Diktaturen, auch auf die Endlichkeit des NS-Regimes, das den Anspruch auf ein tausendjähriges Reich erhoben hatte. Die Filmwissenschaftlerin Barbara Flückiger:
O-Ton 50: Barbara Flückiger
"Aus meiner Sicht ist es gerade heute sehr wichtig, diese Filme noch einmal anzuschauen und diese Filme auch eben dem Publikum zugänglich zu machen, diese Filme aus der Nazi-Zeit, weil wir eine falsche Vorstellung davon haben, wie es in der Nazi-Zeit ausgesehen hat. Wir haben eine Vorstellung davon, dass die Nazis irgendwie finstere Gesellen sind, was sie natürlich auch de facto wirklich waren. Aber interessant ist eben, dass man dies im Unterhaltungssektor nicht sieht. Also diese Finsternis sozusagen, die wurde nicht übertragen, sondern es wurden glanzvolle Produktionen hergestellt zur Unterhaltung des Volkes, also Brot und Spiele im wahrsten Sinne des Wortes, um das Volk abzulenken von den brutalen politischen Ereignissen, die um es herum geschehen sind."
Sprecherin:
1958 rechtfertigte Kästner seine literarische Produktion unter dem Hakenkreuz mit dem Hinweis auf einen inneren Befehls¬notstand. Auf die Frage, ob man sich der Bücherverbrennung hätte widersetzen können, antwortete er vor dem deutschen P. E. N. -Club:
O-Ton 52: Erich Kästner
"Im modernen, undemokratischen Staate wird der Held zum Anachronismus, der Held ohne Mikrofone zum tragischen Hans-Wurst. Seine menschliche Größe hat keine politischen Folgen. Er wird statt zum Helden zum Märtyrer, er wird zur namenlosen Todesanzeige."
O-Ton 53: Sven Hanuschek
"Kästner hat nach 1945 sich mit seiner eigenen Geschichte nie ganz offen auseinandergesetzt. Er hat versucht als Volksaufklärer, könnte man sagen, zu wirken. Er hat für die Neue Zeitung geschrieben, viel über den Nationalsozialismus, über den Holocaust auch. Er war bei der Eröffnung der Nürnberger Prozesse dabei, hat darüber geschrieben. Also, er hat schon versucht, sich da deutlich zu positionieren und auch etwas aufzuarbeiten. Während seine eigene Geschichte auch diese Untergrundstrategien des Überlebens nie so richtig offen bei ihm verhandelt wurden. Die Kompromisse, die er gemacht hat, die sind dann schon noch im Lot, also da gibt es ganz andere Autoren. Bei ihm ist doch von Anfang an klar, dass er ein Oppositioneller war."
Von Autor O-Ton 54: Musikakzent "Münchhausen" / Sphärenmusik 0‘33
Sprecherin:
Ob die Kinobesucher Kästners unterschwellige Botschaften im Münchhausen-Film als Zeitkritik wahrgenommen haben? Dazu sind keine Zeitdokumente überliefert.
Vielleicht war die Filmarbeit für Erich Kästner auch ein Versuch, nicht mehr nur für die Schublade zu schreiben - ohne sich dabei an der Propaganda des NS-Regimes zu beteiligen: Schreiben als Überleben.