
Hedwig Porschütz – Verachtete Heldin
Radiowissen
Hedwig Porschütz: Mut im Schatten des Krieges
Dieses Kapitel erzählt die bewegende Geschichte von Hedwig Porschütz, die während des Zweiten Weltkriegs verfolgten Juden half, indem sie sie versteckte und mit Ausweisdokumenten versorgte. Trotz großer persönlicher Risiken engagierte sie sich in einem gefährlichen Umfeld und setzte ihr Leben aufs Spiel, um anderen zu helfen. Die Erzählung beleuchtet ihre besonderen Leistungen und die Herausforderungen, die sie nach dem Krieg hinsichtlich Anerkennung und Gedenken erlebte.
Hedwig Porschütz riskierte im Nationalsozialismus ihr Leben: Sie versteckte in ihrer Wohnung in Berlin vier Jüdinnen und nutzte ihr Händchen für Schwarzmarkt-Geschäfte, um jüdischen Verfolgten zu helfen. Statt Anerkennung bekam die Ex-Prostituierte nach dem Krieg Verachtung zu spüren.Autorin: Karin Becker (BR 2025)
Credits
Autorin dieser Folge: Karin Becker
Regie: Frank Halbach
Es sprachen:Maren Ulrich, Hemma Michel, Christian Baumann, Friedrich Schloffer
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin
Linktipps:
Gedenkstätte Stille Helden (Helfern und Helferinnen von Juden und Jüdinnen in der NS Zeit): [EXTERN]
Homepage der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin: [EXTERN]
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Literatur-Tipps:
- Johannes Tuchel: Hedwig Porschütz. Die Geschichte ihrer Hilfsaktionen für verfolgte Juden und ihrer Diffamierung nach 1945. Berlin 2010 – Ausführlichste Beschreibung von Hedwig Porschütz‘ Biografie.
- Inge Deutschkron: Sie blieben im Schatten. Ein Denkmal für „stille Helden“. Berlin 1996. Persönliche Berichte von Inge Deutschkron und anderen überlebenden Juden und Jüdinnen über die Hilfe, die sie durch verschiedene deutsche Helferinnen und Helfer erfahren haben und die so lange unbeachtet blieb.
- Robert Kain: Otto Weidt: Anarchist und »Gerechter unter den Völkern« (Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Reihe A: Analysen und Darstellungen), Berlin 2017. Ausführliche Darstellung des Anarchisten und Draufgängers Otto Weidt und seines Netzwerks von Helfern und Helferinnen, zu dem auch Hedwig Porschütz gehörte. Hedwig Porschütz sind 10 Seiten gewidmet.
- Dennis Riffel: Unbesungene Helden. Die Ehrungsinitiative des Berliner Senats 1958 bis 1966. Metropol 2007. Aufschlussreiche Publikation zur bundesdeutschen Gedenkkultur an Hilfen für Verfolgte des NS-Regimes.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATORIN (leicht flüsternd, heimlich gesprochen)
„Liebe Hede, alle Pakete vollinhaltlich bestens dankend erhalten. Grüße Euch voll unbeschreiblicher Sehnsucht.“
SPRECHERIN
Das schreibt die Jüdin Alice Licht am 26.3.1943 heimlich aus dem Lager Theresienstadt an eine Frau mit Spitznamen „Hede“. Ihre liebevollen Worte sind - verbotenerweise - handschriftlich auf einer vorgedruckten Postkarte ergänzt. Eigentlich hätte Alice Licht nur förmlich den Erhalt der Sendungen bestätigen dürfen.
Sie richtet die Zeilen „voll unbeschreiblicher Sehnsucht“ an eine Hedwig Porschütz. Die Karte ist eine der ganz wenigen, erhaltenen privaten Quellen zu dieser besonderen Frau. Und ein kurzes Aufblitzen der heimlichen Innigkeit zwischen einer Verfolgten und ihrer Verbündeten – im gemeinsamen Kampf gegen den Völkermord der Nationalsozialisten.
SPRECHER
Hedwig Porschütz gehört zu einem Netzwerk aus Helferinnen und Helfern in Berlin, das 1943 mehr als 150 Pakete mit Lebensmitteln befüllt und nach Theresienstadt verschickt. Letztlich retten die Sendungen Alice Licht und rund 25 weitere internierte Menschen vor dem Verhungern im Lager.
SPRECHERIN
Haferflocken, Zwieback, Sirup, Fleisch, Speck, Eier …
SPRECHER
Solch wertvolle Waren im Kriegsjahr 1943 überhaupt noch aufzutreiben und zusammenzusparen, das ist eine Leistung, die man sich aus heutiger Perspektive kaum bewusst macht. Doch gerade Hedwig Porschütz ist wie gemacht für solche Herausforderungen. Heute könnte man die im Jahr 1900 in Schöneberg geborene Frau als „streetsmart“ bezeichnen.
SPRECHERIN
Sie lebt Anfang der 1940er allein in einer kleinen Wohnung in Berlin Mitte, arbeitet offiziell als Schreibkraft, ihr Mann Walter ist im Krieg. Anschaffen, wie früher, geht sie nun nicht mehr regelmäßig. Doch in der halbseidenen Welt um den Alexanderplatz bewegt sie sich, so könnte man sagen, wie ein Fisch im Wasser.
(( OTON 1
„Es ist eine Mischung aus Kleingewerbe, Kleinkriminalität. Man hält zusammen, man kennt sich.“
SPRECHERIN
So beschreibt der Historiker und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Professor Johannes Tuchel, ihr Milieu. ))
ZITATORIN
„Bei Frau Porschütz konnte man alles kaufen, von Lebensmitteln bis zum Radio und alten Betten.“
SPRECHERIN
Hedwig Porschütz‘ Schwarzmarktgeschäfte sind etwas, woran sich eine weitere, von ihr unterstützte Jüdin auch später noch genau erinnert: Anneliese Herz findet 1943, als junges Mädchen, gemeinsam mit ihrer sehbehinderten Zwillingsschwester Marianne in Hedwig Porschütz‘ Wohnung Unterschlupf. So entgehen die beiden, mitten in Berlin, der Deportation in die nationalsozialistischen Vernichtungslager. Sie werden von ihrer geschickten Helferin nicht nur versteckt – für Monate (!), in einer eineinhalb Zimmer Wohnung (!) –, sondern auch mit Lebensmitteln versorgt. Ohne Lebensmittelmarken und mitten im Krieg. Johannes Tuchel (falls der OTON 1 wegfallen muss, müsste man den Experten bitte an dieser Stelle einführen: Der Historiker und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Professor Johannes Tuchel):
OTON 2
Sie hat unter wirklich großem persönlichen Risiko Verfolgten geholfen (…), ein mutiger Mensch ohne Rücksicht auf das eigene Wohlbefinden, ohne Rücksicht auf das Risiko, dass sie einging.
SPRECHER
Hedwig Porschütz ist mit allen Wassern gewaschen und genau das setzt sie ein: für verfolgte Jüdinnen und Juden, und damit gegen das NS-Regime. Mit den von ihr beschafften Waren werden auch Männer der Gestapo bestochen. Sie organisiert Ausweise und Verstecke.
SPRECHERIN
Ihr Widerstand ist unkonventionell, einfallsreich, vielgestaltig und lebensgefährlich. Letztlich bringt er sie ins Gefängnis – doch das vielleicht bitterste Kapitel ihres Lebens wartet auf sie, als der Krieg vorbei und der Nationalsozialismus offiziell abgeschafft und verworfen sein wird.
MUSIKAKZENT (ABSCHLUSS INTRO)
SPRECHER
Hedwig Porschütz stammt aus einfachen Verhältnissen in Schöneberg. Ihr Vater ist Brauer von Beruf. Sie besucht eine Handelsschule und wird Stenotypistin, arbeitet unter anderem bei der Barmer Ersatzkasse. In Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs der 1920er Jahren beginnt sie, Geld als Prostituierte im Umfeld des berüchtigten Alexanderplatzes zu verdienen. Viel mehr ist über ihr Leben in jener Zeit nicht bekannt, außer dass sie 1934 zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt wird, wegen Erpressung – damit ist sie vorbestraft, was ihre späteren Aktionen noch gefährlicher machen wird.
SPRECHERIN
Irgendwann um 1940 muss sie – wohl über ihre Schwarzmarktgeschäfte – auf den Bürstenfabrikanten Otto Weidt gestoßen sein, der sich im gleichen Milieu wie sie bewegt. Otto Weidt hat da um seine Blindenwerkstatt am Hackeschen Markt in Berlin bereits ein Netzwerk von Judenhelferinnen und -helfern aufgebaut.
OTON 3
„Es war kein großes Netzwerk. Werden vielleicht zehn, 15 Personen insgesamt zu unterschiedlichen Zeiten gewesen sein, die Otto Weidt geholfen haben, die in mehr oder weniger lockerer Verbindung gestanden haben und die zum Teil auch nicht einmal voneinander gewusst haben.“
SPRECHERIN
Erklärt Johannes Tuchel.
Das Netzwerk tritt vor allem nach Beginn der Deportation der Berliner Juden ab Herbst 1941 in Aktion.
OTON 4
„Was Otto Weidt gemacht hat, war eine Besonderheit, ganz eindeutig. Die Vielzahl der Menschen, denen er und seine Mitstreiter geholfen haben, das finden Sie in Deutschland nicht noch ein zweites Mal.“
SPRECHERIN
Otto Weidt ist Anarchist und Draufgänger, der auch nicht davor zurückscheut, Umgang mit Männern der Gestapo zu pflegen und sie zu bestechen – wenn er seine Leute so schützen kann.
((ZITATORIN
„Offensichtlich hatte er die Gestapo durch die Annahme seiner Geschenke derart kompromittiert, dass er sie in gewisser Weise in der Hand hatte.“
SPRECHERIN
So beschreibt es später Inge Deutschkron, eine Jüdin, die bei Otto Weidt arbeitet und von ihm protegiert wird. ))
SPRECHER
Hedwig Porschütz steigt in Weidts Netzwerk ein und ist ab 1943 offiziell als Schreibkraft bei ihm angestellt – vermutlich zur Tarnung ihrer eigentlichen Tätigkeiten. Zeitzeugen berichten von einer großen Vertrautheit zwischen den beiden. Sie duzen sich und Porschütz betritt Weidts Büro jederzeit ohne Termin und Anmeldung.
ZITATORIN
„Hede, wie sie von uns allen genannt wurde, war immer gehetzt, wenn sie ins Büro von Otto Weidt kam. (…) Keiner war bei diesen Gesprächen dabei, aber wir wussten, dass es mal um Lebensmittel, ein Versteck oder um Papiere ging. Wie Hede das alles besorgen konnte, wusste wohl selbst Otto Weidt nicht.“
SPRECHER
berichtet Inge Deutschkron ((,eine von Otto Weidt protegierte Jüdin)). Als sie 1943 untertauchen will, profitiert auch sie von Hedwig Porschütz‘ Verbindungen. Denn diese organisiert ihr das Ausweisdokument einer ihr bekannten Prostituierten.
((ZITATOR
„Du bist von nun an Gertrud Dereszewski. Sieh Dir genau an, wann sie geboren ist. Lern das auswendig.“
SPRECHER
… sei ihr damals von Weidt eingebläut worden.)) Die echte Gertrud Dereszewski erhält im Gegenzug einen Betriebsausweis der Blindenwerkstatt. Einige Monate lang teilen die beiden Frauen sich quasi eine Identität – bis die echte Gertrud in Ungarn von der Polizei aufgegriffen und das Identitäten-Sharing zu gefährlich wird.
SPRECHERIN
Inge Deutschkron überlebt den Krieg. Später emigriert sie nach Israel und kämpft jahrzehntelang dafür, dass Helferinnen wie Hedwig Porschütz nicht völlig vergessen werden.
SPRECHER
Ebenfalls über die Blindenwerkstatt lernt Hedwig Porschütz die Zwilingsschwestern Anneliese und Marianne Bernstein kennen. Marianne ist sehbehindert und arbeitet zunächst für Otto Weidt – bis auch die Schwestern sich gezwungen sehen, in die Illegalität zu wechseln. Hedwig Porschütz versteckt die beiden ab Januar 1943 in ihrer kleinen Mansardenwohnung in der Alexanderstraße, wohlgemerkt direkt gegenüber dem Berliner Polizeipräsidium.
SPRECHERIN
Das ist nicht nur lebensgefährlich, sondern auch logistisch komplex. Hedwig Porschütz muss die Schwestern komplett versorgen, auch muss sie deren ständige Anwesenheit einerseits vor den anderen Hausbewohnern so weit wie möglich geheimgehalten, und sie zugleich den bei ihr Ein- und Ausgehenden erklären.
ZITATORIN
„Frau Porschütz stellte Anneliese ihren Bekannten als ihre Nichte vor, Marianne als deren Freundin. Die Regel war, dass Marianne „nach Hause“ gehen musste, wenn abends Besuch kam. (…) Während der Bombenangriffe blieben die Mädchen eingeschlossen in ihrem Zimmer, denn auf der Liste des Luftschutzwartes waren nur Hausbewohner eingetragen, die den Schutzraum aufsuchen durften.“
SPRECHERIN
Es ist ein wilder Mix an Menschen in der engen Wohnung. Denn Hedwig Porschütz empfängt wohl auch in den 1940ern noch den ein oder anderen Stammfreier bei sich zu Hause. Die Prostituierten, denen sie zudem ihre Räumlichkeiten zur Arbeit zur Verfügung stellt, sind sehr nett zu den Anfang 20-jährigen Mädchen, so erinnert sich Anneliese Bernstein später. Was wiederum die Mädchen über die „Peitschen und ähnlichen Marterinstrumente“ denken, die in Anneliese Bernsteins Erinnerung in der Wohnung herumliegen – das wissen wir nicht.
Wenn es in dieser ungewöhnlichen Konstellation nötig war, hat sich Hedwig Porschütz jedenfalls vor ihre Schützlinge gestellt.
ZITATORIN
„Es blieb nicht aus, dass einer der „Kunden“ der Frau Porschütz sich in Anneliese „verguckte“. Frau Porschütz stellte sich sofort schützend vor Anneliese und protestierte: „Das kannst du nicht machen, das ist doch meine Nichte!“ rief sie sehr energisch aus. (…) Mit viel Mühe gelang es, den Mann aus dem Haus zu bugsieren. Um ganz sicher zu sein, dass er nicht wiederkäme, begleitete sie ihn bis vor die Haustür.“
SPRECHERIN
So gibt Inge Deutschkron wieder, was Anneliese Bernstein ihr berichtet hat.
SPRECHER
Hedwig Porschütz muss eine nervenstarke, unerschrockene Person gewesen sein. Denn im März 1943 wird es in ihrer Wohnung sogar noch enger.
ZITATORIN
„einmal erfuhr Frau Porschütz von zwei Frauen, die ihr Versteck verloren hatten und nun in der Stadt herumirrten. Sie nahm die beiden – eine Tante mit ihrer Nichte – sofort auf. (…) Die beiden schliefen mit den Bernstein-Mädchen in einem Bett.“
SPRECHER
Lucie Ballhorn und ihre Tante Grete Seelig sind einige Wochen, die Bernstein-Mädchen etwa ein halbes Jahr bei Hedwig Porschütz untergeschlüpft, als eine Polizeiaktion in einer anderen Wohnung des Hauses die Notgemeinschaft aufschreckt. Was bei der Durchsuchung der anderen Wohnung genau passiert, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen – doch gesichert ist, dass dabei eine jüdische Frau zu Tode kommt.
SPRECHERIN
Der Vorfall bringt das Zusammenleben der Frauen im vierten Stock zu einem Ende – die Situation wird zu gefährlich. Hedwig Porschütz besorgt für die Frauen neue Verstecke. Tante und Nichte etwa bringt sie bei ihrer eigenen Mutter in Schöneberg unter. Auch versorgt sie die Frauen teils weiter mit Lebensmitteln.
SPRECHER
Dass letztlich drei der vier Frauen den Nationalsozialismus überleben, daran hat Hedwig Porschütz großen Anteil.
Was genau sie antreibt, zu helfen, dazu fehlen uns alle Quellen. Klar ist nur:
Hedwig Porschütz ist eine unerschrockene Unterstützerin verfolgter Juden und Jüdinnen, wie es sie im Nationalsozialismus wenige gibt.
SPRECHERIN
Die meisten Deutschen sehen weg, wenn ihre jüdischen Nachbarn deportiert werden; manch einer macht sich noch über deren zurückgelassenes Hab und Gut her. Johannes Tuchel:
OTON 5
„Wenn Sie sich mal die Zahlen vergleichen, wir gehen heute (….) etwa aus, dass es auf dem Gebiet des Deutschen Reiches etwa 20.000 Personen gegeben hat, die Jüdinnen und Juden geholfen haben. Dann stellen Sie mal diese Zahl gegenüber den 80 Millionen, die die Bevölkerung des damaligen deutsches Reiches so ungefähr ausgemacht haben. Dann wird deutlich, welch exzeptionelles Verhalten das gewesen ist.“
MUSIKAKZENT
SPRECHER
Die weitgefächerten Schwarzmarktgeschäfte von Hedwig Porschütz, die den von ihr Unterstützten so sehr helfen, sollten ihr letztlich zum Verhängnis werden.
Einer ihrer Bekannten wird im Mai 1944 festgenommen: Er hat in mehreren Metzgereien versucht, mit Fleischmarken von Hedwig Porschütz insgesamt 10 Kilogramm Speck zu kaufen.
Auch wenn die Polizei nicht restlos aufklären kann, wie genau Hedwig Porschütz sich die Marken und auch die in ihrer Wohnung sichergestellten Waren verschafft hat, als „bezugsberechtigt“ kann sie nicht gelten. Sie wird am 2.10.1944 vom Sondergericht III beim Landgericht Berlin unter Berufung auf die „Kriegswirtschaftsverordnung“ zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Im Urteil kommentieren die Richter auch ihren Lebenswandel.
ZITATOR
„Frau Porschütz ist eine Frau, die in früheren Jahren gewerbsmäßig der Unzucht nachgegangen ist. Sie hat auch bis in die neueste Zeit hinein wahllos Umgang mit Männern unterhalten, obwohl sie seit Anfang vorigen
Jahres eine Stellung als Stenotypistin innehat und dadurch ein geregeltes
Einkommen bezieht.“
SPRECHER
Diese abfälligen Zeilen sollten ihr noch mehr schaden, als sich Hedwig Porschütz je hätte denken können.
SPRECHERIN
Die Zeit bis Ende des Kriegs verbringt sie in unterschiedlichen Haftanstalten, wie Johannes Tuchel recherchiert hat. Er hat sich mit Hedwig Porschütz‘ Biografie so intensiv befasst, wie kein Zweiter.
Wenige Tage vor Kriegsende, davon geht er aus, kommt sie in Niederschlesien im heutigen Polen aus einem Außenlager des KZ Groß-Rosen, frei. Man gibt ihr zehn Reichsmark. Hedwig Porschütz macht sich auf den Heimweg.
OTON 6
„Es war entsprechend so, dass sie erst dann sechs Wochen später wieder in Berlin ankam. sie war ausgebombt, das Haus in der Alexanderstraße fünf stand nicht mehr. Sie hatte buchstäblich nichts mehr, als sie wieder in Berlin eintraf.“
SPRECHER
Hedwig Porschütz‘ Existenz ist vernichtet. Sie kommt zunächst bei ihrer Mutter unter. Sie und ihr aus dem Krieg zurückgekehrter Mann Walter sind beide chronisch krank und nicht voll arbeitsfähig. Das Paar lebt in drückender Armut. Doch eine Hoffnung scheint auf: Im Oktober 1956 beantragt Hedwig Porschütz eine Anerkennung als politisch Verfolgte beim Entschädigungsamt Berlin – sie hofft auf eine kleine, finanzielle Unterstützung.
OTON 7
„Und da fängt jetzt in der Nachkriegszeit auf unterschiedlichen Ebenen an, das Ganze skandalös auch wirklich zu werden.“
SPRECHERIN
Das Entschädigungsamt prüft Hedwig Porschütz‘ Antrag, dem auch die Aussagen von vier Zeugen ihrer Hilfstätigkeiten beiliegen. Und lehnt – über zwei Jahre nach Antragstellung – ab. Aus zweierlei Gründen, wie aus der Akte zu erfahren ist. Zum einen sei generell Hilfe für verfolgte Juden und Jüdinnen
ZITATOR
„…kein Widerstand gegen den Nationalsozialismus, da solche Taten nicht geeignet sind, ein Regime zu unterhöhlen.“
SPRECHERIN
Die Entschädigungsbehörde verweigert anzuerkennen, wie deutlich sich die Helfer und Helferinnen von Verfolgten gegen das NS-Regime gestellt haben.
OTON 8
„Die Nationalsozialisten wollten so viele Jüdinnen und Juden ermorden, wie es nur irgend geht. Alle, die versucht haben, Jüdinnen und Juden zu retten, haben die Ideologie im Kern und damit auch das Regime in seinem Kern getroffen.“
SPRECHERIN
So Johannes Tuchel.
OTON 9
„Aber entsprechend ist es so gewesen, dass sie eben keine Entschädigung bekam.“
SPRECHER
Dass Hilfe für Verfolgte in der bundesrepublikanischen Gesellschaft jahrzehntelang nicht als Widerstand anerkannt wird, führt übrigens auch dazu, dass sich die historische Forschung in diesem Bereich verzögert. Der so genannte „Rettungswiderstand“ in Deutschland ist in der Öffentlichkeit bis heute wenig bekannt – ein Grund dafür, warum wir über Menschen wie Hedwig Porschütz so wenig wissen.
Gleichzeitig steht die damalige Weigerung, Hilfsaktionen für Verfolgte zu ehren, auch im Kontext einer generelleren Abwehr in den Nachkriegsjahrzehnten, Widerstand gegen das NS-Regime positiv einzuordnen oder auch nur wahrzunehmen.
OTON 10
„Das kam natürlich auch noch hinzu. Selbst wenn es als Widerstand angesehen worden wäre, dürfen wir nicht vergessen, dass auch der Widerstand gegen den Nationalsozialismus als etwas betrachtet wurde, was lange Zeit als Verrat angesehen wurde.
SPRECHER
Eine Erklärung dafür ist, dass die Deutschen zu Lebzeiten von Hedwig Porschütz nicht gerne vor Augen geführt bekommen wollen, dass Widerstand durchaus möglich war. Johannes Tuchel:
OTON 11
„sie hat Juden geholfen, das haben nur die wenigsten getan. Das wäre dann eine Herausforderung an jeden einzelnen gewesen. Warum hast du eigentlich keinen Juden geholfen? Was hast du eigentlich gemacht? Warum hast du eigentlich weggeguckt? So. Warum sollte man dann Hedwig Porschütz ehren? (( Psychologisch erklärbar, trotzdem in der Rückschau unfassbar. ))“
SPRECHERIN
Die Entschädigungsbehörde stößt bei der Bearbeitung des Antrags von Hedwig Porschütz auch auf ihre Verurteilung durch das NS-Sondergericht von 1944. Der Sachbearbeiter liest darin etwas von „gewerbsmäßiger Unzucht“ und „wahllosem Umgang mit Männern“.
OTON 12
„Dann schlagen die Vorurteile, die die Nachkriegszeit prägten, voll durch.“
SPRECHERIN
Obwohl die Ablehnung ihres Antrags ohnehin feststeht, meint der entrüstete Sachbearbeiter auch vermerken zu müssen, dass die alten Strafakten für Hedwig Porschütz
ZITATOR
„auf ein derartig niedriges sittliches und moralisches Niveau schließen lassen, daß auch bei einer in diesem Falle sowieso aus sachlichen Gründen nicht erfüllten Voraussetzung für eine Anerkennung diese nicht gegeben wäre. Eine Anerkennung als politisch oder rassisch Verfolgte stellt ein Ehrendokument dar und kann nur für entsprechende Persönlichkeiten ausgestellt werden.“
SPRECHERIN
Völlig unhinterfragt folgt das Entschädigungsamt also der Einschätzung eines nationalsozialistischen Sondergerichts und rümpft die Nase über eine Frau, die in einer lebensbedrohlichen Situation Menschenleben gerettet hat – weil sie als Prostituierte arbeitete und vermeintlich die falschen Sexualpartner hatte. Hedwig Porschütz selbst erfährt von ihrer nun abermals aktenkundigen Herabwürdigung gar nichts, und kann somit nicht einmal Stellung beziehen.
SPRECHER
Im Oktober 1958 unternimmt sie einen weiteren Versuch, Unterstützung zu erhalten: Sie reicht einen "Antrag auf Beihilfe aus dem Fonds ›Unbesungene Helden‹" beim Berliner Innensenator ein. Dieser Fonds ist ein verhältnismäßig früher und in der Bundesrepublik lange vereinzelt dastehender Versuch, Menschen zu ehren und zu unterstützen, die Verfolgten der NS-Zeit geholfen haben.
ZITATORIN
„Frau Porschütz käme für eine Anerkennung aus der Aktion ›Unbesungene
Helden‹ ohne weiteres in Frage,“
SPRECHER
vermerkt die zuständige Sachbearbeiterin diesmal. Doch gibt es ein bitteres Aber: denn auch diese Sachbearbeiterin meint, aus dem alten NS-Urteil empörende Wahrheiten über Hedwig Porschütz ablesen zu können. Nämlich, wie sie es formuliert,
ZITATORIN
„.. daß die Begleitumstände zur Beschaffung der Lebensmittel auf ein derart niedriges sittliches und moralisches Niveau der Frau Porschütz schließen lassen, die nach hiesigem Dafürhalten eine Ehrung durch die Aktion für ausgeschlossen halten lassen.“
SPRECHER
Das NS-Urteil hält man offensichtlich für einen verlässlichen und ausreichenden Beweis dafür, dass Hedwig Porschütz keine Ehrung verdient hat. Dass darin von einem “wahllosen Umgang” mit Männern die Rede ist, scheint für den Fonds viel schwerer zu wiegen, als die Tatsache, dass Hedwig Porschütz Menschenleben gerettet hat. Anders gesagt: Die Rettung von Leben erscheint weniger wert, weil die Retterin viele Sexualkontakte hatte.
Die Menschen, denen Hedwig Porschütz geholfen hat und deren Anschriften dem Amt vorliegen, werden hingegen nicht befragt. Man glaubt, schon alles zu wissen und richten zu können über die Ehrwürdigkeit von Hedwig Porschütz. Ihr wird jede Unterstützung und die Aufnahme in den Kreis der „Unbesungenen Helden“ verweigert. Sie erhält auch diesmal nur einen ablehnenden Bescheid, ohne Angabe von Gründen – so dass sie ahnungslos bleibt, warum ihr die Ehrung verweigert wird, und auch nichts erwidern kann.
SPRECHERIN
Im April 1959 schreibt Hedwig Porschütz an einen Bekannten in der jüdischen Gemeinde Berlin. Es ist einer der ganz wenigen, von ihr erhaltenen Briefe. Darin berichtet sie, dass sie beim Entschädigungsamt Einspruch eingelegt habe,
ZITATORIN
„weil meine jahrelange Mitarbeit bei meinem Chef Otto Weidt [...] laut Ablehnungsbescheid nicht als ›Kampf gegen den
Nationalsozialismus‹ (ganz im Gegensatz zu den Ausführungen, die während der Woche der Brüderlichkeit im Radio gesendet wurden) angesehen werden kann. Jeder, der diesen Bescheid liest, auch jüdische Angehörige, schütteln den Kopf. [...] Ich weiß weder aus noch ein und bitte Sie, zu versuchen, ob Sie mir etwas helfen können.“
SPRECHERIN
Hedwig Porschütz‘ Versuche bleiben alle ohne Erfolg. Sie stirbt im Jahr 1977 in großer Armut und vollkommen vergessen, ohne irgendeine Anerkennung ihrer Taten erlebt zu haben.
MUSIKAKZENT
SPRECHERIN
Gemeinsam mit dem damaligen Förderverein für das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt hat Johannes Tuchel veranlasst, dass das Urteil von 1944 gegen Hedwig Porschütz aufgehoben und für sie eine Gedenktafel eingerichtet wurde. Das war 35 Jahre nach ihrem Tod.