
Bilderhöhlen in Südfrankreich. Steinzeitkunst am Fuß der Pyrenäen
Radiowissen
Alltagsleben der Steinzeitmenschen in Höhlen
In diesem Kapitel erforschen Wissenschaftler die Verbindung zwischen Steinartefakten und Wandbildern in Höhlen und deren Beziehung zu alltäglichen Aktivitäten der Jäger und Sammler. Eine virtuelle Karte wird erstellt, um die Bedeutung der Bilder und deren potenzielle Rolle als Rückzugsorte für Familien zu analysieren.
Höhlen wie Lascaux und Chauvet sind Inbegriff für die beeindruckende Felskunst der Steinzeit. Wenig bekannt dagegen sind die Volp-Höhlen nahe der Pyrenäen. Dabei zählen sie zu den besterhaltenen ihrer Art. Auch weil eine Grafenfamilie sie seit Generationen nur Forschenden zugänglich macht. Autor: Sebastian Kirschner (BR 2025)
Credits
Autorin dieser Folge: Sebastian Kirschner
Regie: Ron Schickler
Es sprachen: Irina Wanka, Ron Schickler
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
- Prof. Dr. Andreas Pastoors, Prähistoriker (Universität Erlangen), Leiter der Forschung in den Volphöhlen
- Prof. Dr. Thomas Uthmeier, Prähistoriker (Universität Erlangen)
- Eric Bégouën, einer der beiden Konservatoren der Volphöhlen (neben seinem Vater Robert)
- Cornelia Lechner, Archäologin (Universität Erlangen)
Linktipps [EXTERN]:
Offizielle Website der Volphöhlen
Zum Forschungsprojekt „Volphöhlen“ an der Universität Erlangen
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Der Pfad zwischen den Bäumen ist kaum zu erkennen. Äste und Sträucher wuchern in dem kleinen grünen Tal an den Ausläufern der Pyrenäen. Laub am Boden schluckt die Fußspuren. Offiziell ist der Weg ohnehin nicht, hinab zum Eingang der Höhle. Eric Bégouën kann das egal sein – seiner Familie gehören die Ländereien, auf denen Tuc d‘Audoubert hier im Süden von Frankreich liegt. Es ist eine der drei Höhlen im Tal des Volp. Viel verrät das dunkle Felsmaul, aus dem der Fluss Volp strömt, noch nicht. Doch auf die Phantasie wirkt der Ort wie ein Sog.
ATMO Höhlenmaul + Tropfen
SPRECHERIN
So ging es als Kind auch Eric Bégouën. Was mag sich Großartiges in ihrem Inneren verbergen? Noch heute glänzen seine Augen wenn er an sein erstes Mal in der Höhle zurückdenkt:
01_ZUSP
It was a shock when I saw the clay bisons for the first time, so big and so much better than I expected. It was moving, very strong.
Overvoice 01
Es war ein Schock, als ich die Lehmbisons zum ersten Mal sah. So groß und so viel schöner, als ich erwartet hatte. Wirklich bewegend.
SPRECHERIN
Da ist er 15 Jahre alt. Die Geschichte von der besonderen Höhle ist in seiner Familie wie ein Versprechen – und nun hat er es selbst gesehen. Wände voll mit eingeritzten Mammuts, Steppenbisons und Löwen kennt er bereits aus den beiden Nachbarhöhlen. Aber aus Lehm modellierte Bisons? Was für einzigartige Zeugnisse aus der Steinzeit, mehr als 10.000 Jahre ist das her! – Ein Paradies für Forschende – und zwar nur für die, denn für Besucher sind die drei Grotten geschlossen. Und doch ist es für Eric Bégouën heutzutage zuweilen auch eine Last:
02_ZUSP
You've got a lot of pressure. people say that you keep this treasure only for you. You don't want to share it. And of course I want to share. On the other hand, I am responsible for the conservation and the protection of the caves.
Overvoice 02
Man steht unter großem Druck. die Leute sagen, ihr behaltet diesen Schatz nur für euch. Ihr wollt ihn nicht teilen. Klar möchte ich teilen. Aber ich trage auch die Verantwortung, die Höhlen zu schützen.
SPRECHERIN
Immer wieder versuchen sich Neugierige Zutritt zu verschaffen. Schon der Eingang zieht sie an, wie die extra installierte Wildkamera regelmäßig zeigt. Seit mittlerweile vier Generationen versucht Erics Familie, die Grafen Bégouën, die Höhlen vor Schaden zu bewahren. Wofür, wenn niemand die Steinzeitkunst darin sehen darf? Was macht die Höhlen so besonders?
TRENNER
SPRECHERIN
Zeit, ein wenig tiefer zu gehen. Nicht in die Höhlen – noch nicht. Erst eintauchen in die Familiengeschichte der Bégouëns. Nur so lässt sich verstehen, was es mit diesem unterirdischen Bilderreich auf sich hat, das kaum einer kennt. Und warum seit jeher fast ausschließlich Wissenschaftler in die Grotten dürfen.
03_ZUSP
It started with my great grandfather. He was very interested in evolution of men in the 19th Century.
Overvoice 03
Es begann mit meinem Urgroßvater im 19. Jahrhundert. Er interessierte sich sehr für die Evolution des Menschen.
SPRECHERIN
erzählt Eric auf seinem Anwesen oberhalb des Volp-Tals. Als seine Vorfahren – Graf Henri Bégouën mit seinen drei Söhnen Max, Jacques und Louis –hierher ziehen, sind die Volphöhlen noch unbekannt. Der Ort liegt praktisch für den Evolutionsfan Henri Bégouën: Toulouse ist nicht zu weit weg, und andere gerade erforschte steinzeitliche Stätten wie Mas d‘Azil und die Höhlen von Niaux recht nah. Perfekt, um der Begeisterung dafür nachzugehen.
04_ZUSP
So my great grandfather told his children go and play in our land. We have caves and you can go and play there now if you want. So the first time they went in the cave of Enlène, they have discovered a spear thrower. They were very excited, they thought to excavate the cave. But the owner of the field outside told them not to go any more in the cave. He thought he was the owner of the cave.
Overvoice 04
Also sagte mein Urgroßvater seinen Kindern, sie sollten auf unserem Land spielen gehen. Auch in den Höhlen wenn sie wollen. Als sie das erste Mal in die Höhle von Enlène gingen, entdeckten sie eine Speerschleuder. Sie waren ganz aufgeregt und wollten die Höhle ausgraben. Aber der Besitzer des Feldes draußen verbot ihnen, die Höhle wieder zu betreten. Er dachte, ihm gehört auch die Höhle.
SPRECHERIN
Nur: Wie drei Jugendlichen von 15, 16 und 18 Jahren klar machen, ihre Entdeckung gleich wieder zu vergessen? Natürlich suchen sie nach einem weiteren Eingang – und stoßen dabei im Oktober 1912 auf Tuc d’Audoubert:
05_ZUSP
They went to the cave with a small lamp. It was far away. May be something like one kilometer from the entrance they have found the clay bisons. They were very excited. And on their way back they saw a lot of footprints on the floor. So they decided to walk always on the same path so that they don't erase all the footprints on the floor.
Overvoice 05
Sie gingen mit einer kleinen Lampe in die Höhle. Etwa einen Kilometer vom Eingang entfernt fanden sie die Lehmbisons. Sie waren sehr aufgeregt. Und auf dem Rückweg sahen sie viele Fußabdrücke auf dem Boden. Also beschlossen sie, immer auf demselben Weg zu gehen, um die Fußabdrücke nicht zu verwischen.
SPECHERIN
Aus Lehm modellierte Steppenbisons, Jahrtausende alte Fußspuren, die man immer noch sieht! Erics Urgroßvater, Graf Henri Bégouën, versteht offenbar sofort die Tragweite der Entdeckungen auf seinem Grund. Er sieht es als Privileg und fühlt sich und seine Familie dafür verantwortlich, sie zu schützen.
06_ZUSP
My great grandfather wrote down the same night all the philosophy for the conservation for the caves. not open them to the public, to keep them for the science and to keep their visitors at a strict minimum.
Overvoice 06
Mein Urgroßvater schrieb noch in derselben Nacht die gesamte Philosophie zum Schutz der Höhlen nieder: also nicht öffentlich zugänglich machen, für die Wissenschaft erhalten, nur ein striktes Minimum an Besuchern.
SPRECHERIN
Bilderhöhlen nur für die Wissenschaft, ihr Schutz an oberster Stelle – in den Anfangszeiten der Forschung ein ungewöhnlicher Schritt: Die Höhle von Lascaux etwa war, seitdem sie 1940 entdeckt wurde, für alle offen - erst 1963 wurde sie für Besucher wieder geschlossen. Deren warme Atemluft hatte für Schimmelpilzbefall gesorgt und die Bilder fast zerstört. Oder die Höhle von Altamira in Kantabrien, Nord-Spanien: Schon seit 1868 bekannt und zugänglich und erst ab 1979 aus ähnlichen Gründen geschlossen. Die Höhle von Niaux in Südfrankreich: bis heute in Teilen öffentlich zugänglich.
07_ZUSP
During decades my grandfather, that was not easy for him because people say OK, Lascaux is open. So why do you keep your caves closed?
Overvoice 07
Jahrzehntelang war das für meinen Großvater nicht einfach. Die Leute sagten: Lascaux ist geöffnet. Warum bleiben eure Höhlen geschlossen?
SPRECHERIN
Auf die dritte Volp-Höhle sollten die Bégouëns erst im Juli 1914 stoßen. Und zwar just auf einem Ausflug, mit dem sie feiern, dass sie zwei Jahre zuvor, 1912, Tuc d’Audoubert entdeckt hatten. Der passende Name für die neue Grotte: Les Trois-Frères, die drei Brüder. Spätestens damit war die Entscheidung von Graf Henri besiegelt. Und das Leben der Bégouëns nie mehr dasselbe. Wie sein Vater Robert, heute über 80 Jahre alt, hat auch Eric sein Leben auf die Höhlen ausgerichtet. Ihnen opfert er Zeit und Geld. Und auch seinen Wunsch, selbst Archäologe zu werden:
08_ZUSP
The first time I had the feeling the caves are important I was something like 16 years old. I came to Germany for an excavation and I met young students. And when I said my name, of course they knew everything of me and of the caves. So I sit 1000 kilometers from my house and I meet people, they know everything! I decided to have another job next to my hobby. Now I am working for an insurance company. That allows me to live here with my family and to take care about the caves on the weekend, in the evening and in my holidays and my free time.
Overvoice 08
Ich war etwa 16 als ich zum ersten Mal merkte, die Höhlen sind wichtig. Ich war für eine Ausgrabung in Deutschland und traf Studenten. Und als ich meinen Namen sagte, wussten sie alles über mich und die Höhlen. Ich bin 1000 Kilometer von zu Hause und treffe Leute, die alles darüber wissen! Ich entschied mich für einen anderen Job neben meinem Hobby. Jetzt arbeite ich für eine Versicherung. Das ermöglicht es mir, hier bei meiner Familie zu leben und mich um die Höhlen zu kümmern. Am Wochenende, abends, in den Ferien, in meiner Freizeit.
SPRECHERIN
Den Bégouëns liegt viel daran, die Erforschung der Grotten zu unterstützen. Nicht zuletzt daher zählen sie heute zu den besterhaltenen ihrer Art, erzählt Andreas Pastoors. Der Prähistoriker ist Professor an der Universität Erlangen und leitet die Forschung in den Volphöhlen:
09_ZUSP
Wir haben hier keinen Tourismus, sie sind dunkel, wenn wir das Licht ausmachen. Man kann ähnliche Kunst in anderen Höhlen sehen, die touristisch hergerichtet sind oder die gelitten haben durch viele archäologische Maßnahmen.
SPRECHERIN
Nur hat sich da viel verändert an der Atmosphäre. Nicht so hier:
09.1_ZUSP
Hier sitzt man in diesem Raum genauso wie er war, als die Menschen vor 17.000, 20.000 Jahren hier waren.
MUSIK
SPRECHERIN
Andreas Pastoors hat schon vor mehr als 30 Jahren als Student in den Volphöhlen gearbeitet. Entsprechend vertraut das Verhältnis zu den Bégouëns. Nun steht die nächste Forschungskampagne an, Pastoors ist gerade aus Deutschland angereist. Als Eric ihm zufällig im Supermarkt begegnet, ist die Wiedersehensfreude groß. Es geht wieder los, das, wofür Eric und seine Familie sich so sehr einsetzen. Nur wenige dürften sich ähnlich gut mit den Volphöhlen und ihrem Kontext auskennen wie der Spezialist für Felsbildarchäologie von der Universität Erlangen.
10_ZUSP
Wir haben ungefähr 450 Bilderhöhlen weltweit und von denen ist der Großteil in Spanien und etwas weniger dann in Frankreich.
SPRECHERIN
Lascaux etwa liegt im Südwesten von Frankreich, die Volphöhlen im äußersten Süden. Zusammen mit dem Norden Spaniens bildet die Region den sogenannten franko-kantabrischen Raum, die Gegend mit der meisten eiszeitlichen Felskunst in Europa. Auch die Grotte Cosquer nahe Marseille und die Grotte Chauvet an der Ardèche zählen dazu. Ihre Felsbilder sind alle zwischen etwa 12.000 und 36.000 Jahre alt. Sie stammen also aus dem Jungpaläolithikum, der jüngeren Altsteinzeit – die Zeit, in der auch die letzte Eiszeit in Europa herrschte. Die Lebenswelt der Menschen damals: Lange, strenge Winter, kurze aber angenehm warme Sommer. Und die Landschaft:
11_ZUSP
Es gab im Wesentlichen keine Bäume. Im Prinzip ne mehr oder weniger baumfreie Gras- und Strauchgrassteppe, ne sehr offene Landschaft.
SPRECHERIN
sagt Thorsten Uthmeier, der zusammen mit Andreas Pastoors in Südfrankreich forscht. Mit drei Studentinnen ist er dazu ebenfalls aus Erlangen angereist. Die abgebildeten Tiere – Wildpferde, Auerochsen, Rentiere, aber auch Löwen und Bären – so der Prähistoriker, waren insofern die Jagdbeute und die Lebenswelt zu dieser Zeit. Doch auch hier nehmen die Volphöhlen wieder eine Sonderrolle ein, sagt Andreas Pastoors:
12_ZUSP
Die Motive, die am häufigsten abgebildet worden sind, wie Pferd oder Steppenwisent oder Steinböcke oder Hirschkühe, die finden sich überall. Die zeigen einfach das Grundrauschen auf. Dieses Grundrauschen haben wir hier in den Volphöhlen auch. Was sticht heraus? Die Volphöhlen, denn sie zeigen, dass Menschen zum Beispiel mit Lehm modelliert haben. Und die Qualität dieser Lehmplastiken sind so hoch, dass man darüber schließen kann, dass das wahrscheinlich häufiger passiert ist.
SPRECHERIN
… nur in anderen Fällen einfach nicht erhalten blieb. Ein grundsätzliches Problem der Archäologen: Sie können nur finden, was nicht im Lauf der Zeit vergangen ist. In den Grotten hier können sich die Forschenden glücklich schätzen. Da gibt es zum Beispiel noch diesen Raum:
12.1_ZUSP
einem Raum, wo über 1000 Gravierungen sind, und ein Mischwesen aus Tierattributen wie einem Geweih, wie einem Vogelkopf, wie einem Schwanzschweif eines Wolfes oder eines Löwen, Tatzen eines Bären und ein menschlicher Körper dazu.
SPRECHERIN
Die Neugier in der Gruppe, die gleich in die Höhle darf, steigt. Von diesem Mischwesen haben sie zwar schon Fotos gesehen. Doch das aktuellste ist gut 30 Jahre alt. Wie wird es in echt aussehen? Es klingt jedenfalls beeindruckend, was im Dunkel der Höhlen wartet. Wer mag nicht glauben, dass an derartigen Orten besondere Rituale stattgefunden haben müssen. Dass sie Heiligtümer waren, zu denen einst nicht jeder Zutritt hatte. Doch wozu die Höhlen wirklich dienten, wie sie im Detail genutzt wurden, das weiß bislang niemand so genau.
13_ZUSP
Im Grunde genommen herrscht ganz allgemein die Vermutung vor, dass es sich um Plätze handelt, wo besondere Dinge geschehen sind. Da hätte man gesagt, das sind die Kathedralen der Altsteinzeit, die Kirchen der Eiszeit.
SPRECHERIN
sagt Thorsten Uthmeier. Dabei gibt es keine klare Definition, was eine Höhle als Heiligtum von damals ausweist. Entweder mangele es an Funden in den Höhlen, aus denen sich derartiges ableiten ließe. Oder es gibt keine Untersuchungen, die das objektiv prüfen. Andreas Pastoors will das mithilfe der Volphöhlen ändern. Er vermutet, viele Bilderhöhlen waren stärker im Alltag der Menschen verankert, als bisher angenommen.
14_ZUSP
Andere Höhlen, wie die Grotte Chauvet oder Lascaux oder El Castillo: Dort gibt es, wenn überhaupt, nur einzelne Funde, die im Kontext von den Höhlenbildern von den Menschen hinterlassen worden sind. zum Beispiel Feuerstellen oder einzelne Steinwerkzeuge, ne Geschossspitze. Aber dieses Gesamtbild von Leben und Arbeiten, spezielle Aktivitätsräume, Nutzung der Höhle, das ist hier in den Volphöhlen einmalig.
SPRECHERIN
Wie haben sich die Menschen einst in den unterirdischen Stätten eingerichtet, was haben sie dort getan? Wie hängen Funde davon mit den Felsbildern zusammen? Das wollen die Forschenden herausfinden. Und dafür sollen die drei Studentinnen auch die Fundstellen kennen. Wir begleiten sie dabei. – Endlich geht es in die Höhlen. Gekleidet in einfache Overalls – Blaumänner – und Gummistiefel, und ausgestattet mit Stirnlampen erklärt Andreas Pastoors vor dem Einstieg die Spielregeln:
15_ZUSP
Wir fassen die Wände nicht an, wir bleiben zusammen. Wir haben keine Helme auf, was normalerweise so wäre, wenn man in eine Höhle geht. Wir nehmen in Kauf, dass wir uns den Kopf stoßen. Dafür sind wir einfach sensibler und merken irgendwo, dass wir anstoßen.
ATMO Höhle (Weg)
SPRECHERIN
Der Schutz der Höhle und vielleicht noch unentdeckter Kunst steht über allem. Gebückt durch ein enges Einstiegsloch geht es die ersten Meter nur auf Knien vorwärts. Kurz darauf wachsen im Schein der Stirnlampen Tropfsteine von Boden und Decke. Vorsichtig vorbei an einer Kolonie schlafender Fledermäuse und ersten roten Handumrissen an den Wänden, die Stiefel schmatzen über den lehmigen Boden. Eine schmale Lauflinie, die die Gruppe dabei einhält – denn links und rechts davon liegen fast überall noch Reste von einst, wie Knochenfragmente oder Steinabschläge.
16_ZUSP
Man ist gewohnt, diese großen Bilderhöhlen, die sind aufbereitet, hat man Wege drin. Und dann geht man in diese Höhle, und man kann wirklich noch die Reste der Menschen, die damals unterwegs waren, sehen und auch spüren.
SPRECHERIN
beschreibt etwa Cornelia Lechner ihre Eindrücke. Sie ist jedes Mal fasziniert, wenn sie hier herkommt. Mittlerweile arbeitet sie an einer Doktorarbeit über Funde aus der Höhle von Les Trois-Frères. – Und weiter geht es. Tiefer hinein in die Geheimnisse der Grotte. Die Temperatur unterwegs nicht unangenehm, fast behaglich. Wie mag sie wohl während der Eiszeit gewesen sein? Und wie wird sie sich künftig noch entwickeln? Der Klimawandel wird auch hier nicht spurlos vorüber gehen, ist sich Eric Bégouën sicher. Sollte es wärmer werden, fürchtet er, würde das zum Beispiel die aus Lehm modellierten Bisons in Tuc d’Audoubert bedrohen. – Und dann ist es soweit, das erste richtige Bild: Im Schein der Lampen blicken einen plötzlich Löwenaugen an. Schwarz starren sie einem von der hellen Wand entgegen. Andreas Pastoors deutet auf Details, die nicht sofort ins Auge fallen.
18_ZUSP
Das Hauptmotiv ist ein Löwe, der nach rechts schaut, den Schwanz hinten hat, Beine mit den Krallen. Da sind einfache Linien graviert. Es wurde aber auch flächig weggeschabt und schwarze Farbe verwendet zur Konturierung.
ATMO Höhle Weg + ATMO Sanctuaire (incl Rutschpartie)
MUSIK UNTER SPRECHER (hier jetzt der Höhepunkt der Höhle, hörbar wichtig machen)
SPRECHERIN
Vorbei führt der weitere Weg an Sinterbecken, Stalagtiten und Stalagmiten. Immer wieder sind in den Fels gravierte Bilder von Steppenbisons, Vögeln, Löwen zu entdecken. Häufig nutzen die Bilder geschickt die Form des Felsens, wirken so beinahe plastisch. Längst ist klar, Andreas Pastoors wird angesichts der schieren Menge nur ausgewählte Bilder erläutern. Nach einer kleinen Kletter- und Rutschpartie sitzt die Gruppe im vielleicht wichtigsten Teil der Höhle. Zumindest lässt seine Bezeichnung Sanctuaire, zu Deutsch Heiligtum, genau das vermuten. Eine Metallleiter lenkt den Blick nach oben an die Felswand. Und da ist er, über den Köpfen, der Dieu cornu, das geheimnisvolle Mischwesen mit Geweih, einem menschlichen Körper und wolfsähnlichem Schweif. Scheint auf seine Betrachter herabzublicken. Denen stehen die Münder offen, die Sprache hat es ihnen verschlagen. Staunend, fast andächtig lauschen sie den Worten von Andreas Pastoors:
19_ZUSP
Diese Figur ist eingebettet in diese Choreografie. Darunter gibt es viele kleine Figuren, vermischt mit großen Figuren. Da ist zum Beispiel der Bär. Das ist ein Wisent, der hier vorne seinen Kopf hat, die Rückenlinie, der Schwanz, die Beine. Überall sind unterschiedliche Themen, mal mit Esel, mal mit mehreren Tieren, mal mit einem Steppenwisent und so weiter.
SPRECHERIN
Bären, Löwen, Mammuts! Tiere über Tiere, je länger der Blick verweilt, desto mehr entdeckt man: Die erwähnten über 1000 Gravierungen, versteckt in einem Gewirr sich kreuzender Linien. Wahrscheinlich geschaffen von Menschen aus dem Magdalénien, der jüngsten Kulturepoche der Eiszeit vor rund 14.000 bis 20.000 Jahren. Aber wie alt die Felsbilder genau sind, das lässt sich oft nur auf Umwegen bestimmen.
TRENNER
SPRECHERIN
Stilistik – darin sah ab den 1960er Jahren der französische Archäologe André Leroi-Gourhan eine Lösung. Er nahm an, dass sich die Kunst entwickelt hat, von einfachen Formen zu differenzierten Darstellungen. Anhand dessen unterschied er vier aufeinander folgende Stile steinzeitlicher Kunst. Ein lange Zeit maßgebliches System. Doch spätestens mit naturwissenschaftlichen Datierungen an Bildern der Grotte Chauvet im Jahr 1995 gilt es als überholt: Denn gerade solche, deren Stil als sehr ausgereift und jung galt, erweisen sich als mindestens 30.000 Jahre alt. Grundsätzlich bereitet das Datieren der Höhlenkunst nach wie vor Probleme:
22_ZUSP
Heute ist es so, dass man bei den allermeisten Fundstellen nicht datieren kann, weil keine organischen Materialien, also Holzkohle oder so verwendet wurde. Auch da, wo das der Fall ist, möchte man eigentlich die Proben nicht nehmen, weil jede Probenentnahme die Wandbilder in Mitleidenschaft zieht.