
Letzte Hilfe – Unterstützung am Lebensende
Radiowissen
Selbstbestimmtes Sterben: Die Rolle von Letzte Hilfe-Kursen
Dieses Kapitel beleuchtet die Bedeutung von Letzte Hilfe-Kursen, die Menschen unterstützen, sich auf das Lebensende vorzubereiten. Der Palliativmediziner thematisiert den Bedarf an einer palliativmedizinischen Notrufnummer und den Wunsch, in vertrauter Umgebung zu sterben.
Einen sterbenden Menschen auf seinem letzten Weg gut zu begleiten - viele wünschen sich das. Nur wenige trauen es sich zu. Vor allem, weil sie nicht wissen, was sie erwartet. Doch all das kann man lernen. Sinnvoll ist, sich mit dem schwierigen Thema schon in guten Zeiten zu beschäftigen. Denn ein friedlicher Abschied kann tröstlich sein: für die Sterbenden und die nahen Begleiter. Autorin: Karin Lamsfuß (BR 2025)
Credits
Autor/in dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Christian Baumann,
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
- Dr. Georg Bollig, Palliativmediziner und Erfinder der „Letzte Hilfe-Kurse“
- Ulrike Lenhart, Palliativkrankenschwester, Kursleiterin „Letzte Hilfe-Kurse“
- Anke Gerstein, Sterbeamme
- Monika Müller, Pädagogin, Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
- Dr. Astrid Lueg, SAPV-Ärztin; Teilnehmende des „Letzte Hilfe-Kurses“
Psychologie:
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Erzählerin:
Ein sonniger Samstagmorgen. Draußen auf dem Rasen spielen Kinder, und drinnen im Saal geht es in den nächsten vier Stunden um den Tod.
Im „Letzte Hilfe Kurs“, veranstaltet vom örtlichen Hospizverein. Diese Kurse gibt es in ganz Deutschland. Vermittelt wird darin, wie eine gute Begleitung in der letzten Lebensphase aussehen kann.
In der Mitte des hellen Raums steht ein farbenfroher Blumenstrauß auf dem Boden. Drapiert in eine orangefarbene Samtdecke. Ein Stück Fröhlichkeit. Und ein Gegenpol zu dem schweren Thema dieses Vormittags.
Atmo 2 Begrüßung
Erzählerin:
16 Frauen und zwei Männer betreten zaghaft den Raum. Zwei Bestatter sind dabei und eine Ärztin. Die anderen sind privat betroffen. Manche kämpfen mit den Tränen, als sie ihre Situation schildern.
01 Zsp. Sterben Collage Vorstellungsrunde:
Sonja: Ich bin betroffen, weil mein Mann unheilbar an Krebs erkrankt ist, es ist der Wunsch meines Mannes, es ist mein Wunsch, ihn zu begleiten, ich mach das, so lange ich kann…
Caroline: Mein Name ist Caroline und meine Mutter ist schwer erkrankt, hat aber den Wunsch, zu Hause zu sterben, und deswegen würde ich gerne schauen, ob ich mir das zutraue.
Inge: Mein Name ist Inge, ich hab nen sehr kranken Mann zuhause und versuche, hier ein bisschen Hilfe zu bekommen.
Lenhart: Danke schön! Ganz unterschiedliche Motivationen, die Sie hierhergeführt haben, und: Ja, ich geh’s jetzt einfach mit Ihnen an!
Musik: Foreboding fate
Sprecher:
Es ist kein schönes Thema. Und trotzdem verschont es niemanden. Irgendwann kommt der Tod ins Leben: sei es bei geliebten Menschen oder bei einem selbst. Das macht Angst. Je größer die Unsicherheit, desto mehr wächst die Angst.
Zu viele Bilder sind präsent: von Schwerkranken, die hilflos und ohnmächtig an Schläuchen und Maschinen hängen. Alles über sich ergehen lassen. Die Schmerzen… und Atemnot haben.
Doch all das muss nicht unbedingt sein. Die letzte Lebensphase kann durchaus selbstbestimmt gestaltet werden. Voraussetzung ist, eins der größten Tabus zu brechen.
02 Zsp. Sterben Anke Gerstein:
Ich glaube, sterben ist einfacher für die Menschen, die sich damit schon befasst haben. Wenn das so ein Wabber-Ding ist oder ich lass mich überraschen, und ich bin dann auf einmal im Sterbeprozess und es überkommt mich alles, dann ist es schlimm.
Erzählerin:
Sagt die Sterbeamme Anke Gerstein (Aussprache: Gehr-stein). „Sterbeammen“ sehen sich als Pendant zu Hebammen. Sie begleiten nicht ins Leben, sondern aus dem Leben heraus. Anke Gerstein sieht sich als seelische und spirituelle Begleiterin für Sterbende und deren Angehörige auf dem letzten Lebensweg und in der Zeit der Trauer.
03 Zsp. Sterben Monika Müller:
Wenn ich an alte Bilder denke, die ich als junges Mädchen hatte von dem so genannten „Badezimmersterben“, wo Menschen in ein Badezimmer geräumt wurden, als sie noch lebten und da ihrem Sterben entgegensahen. Also das sind Schreckensbilder, die im Kontext von Hospizarbeit und Palliativmedizin nicht mehr zutreffen.
Erzählerin:
Monika Müller, eine der Pionierinnen der Hospizarbeit in Deutschland.
Sprecher:
Ausgeliefert sein. Und ohnmächtig zuschauen. An Profis delegieren. Ohne selbst Entscheidungen zu treffen. Viele wollen das nicht mehr. Und so haben weltweit in den letzten zehn Jahren weltweit über 100.000 Menschen an den Letzte-Hilfe-Kursen teilgenommen.
04 Zsp. Sterben Georg Bollig:
Die Zeit ist reif. Ich glaube, es ist einfach so, dass die Menschen in letzten Jahrzehnten verlernt haben, andern beim Sterben beizustehen.
Erzählerin:
Sagt Dr. Georg Bollig, Palliativmediziner und Gründer der „Letzte Hilfe-Kurse“.
05 Zsp. Sterben Georg Bollig:
Mögliche Ursache ist vielleicht auch die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, weil man so viel Tod und Sterben gesehen hatte, dass das institutionalisiert worden ist, also in Pflegeheim nur noch stattfindet oder in Krankenhäusern. Und wenn die heutigen Menschen angucke, die Generation, die jetzt 40, 50 oder älter sind, und die haben noch nie nen toten Menschen gesehen und haben dann natürlich auch Berührungsängste und wissen auch nicht, wie verhalte ich mich im Sterben gegenüber?
Musik: Secret proofs red
Sprecher:
Zuhause sterben. Das wünschen sich nach Umfragen neun von zehn Menschen. Doch tatsächlich verbringen 80 Prozent ihre letzten Stunden in Einrichtungen: Altenheim, Pflegeheim, Krankenhaus oder Hospiz. Das hat viele Gründe. Einer davon ist, dass das Wissen über Sterbephasen und Sterbephänomene zwar durchaus für jeden verfügbar ist, aber die meisten Menschen lieber einen großen Bogen um das Thema machen.
Musikzäsur, Kreublende in Atmo 3 Letzte Hilfe Kurs
Darüber Erzählerin:
Der erste Baustein im Letzte-Hilfe-Kurs nennt sich „Sterben als Teil des Lebens“. Palliativkrankenschwester und Kursleiterin Ulrike Lenhart erklärt, dass Sterben selten ein plötzliches Ereignis ist, sondern meist ein Prozess mit vielen Vorboten.
06 Zsp. Sterben Ulrike Lenhart:
Also das Interesse an vielen Dingen schwindet immer mehr, Essen und Trinken spielt keine Rolle mehr, das nimmt immer weiter ab, bis hin, dass jemand sagt „Ich will nicht mehr essen, ich will nicht mehr trinken. (geht weiter)
Darüber Erzählerin:
Nahrung und Flüssigkeit zu verweigern, erklärt die Kursleiterin, ist ein ganz normaler Bestandteil des Sterbeprozesses. Und kein Notfall! Trotzdem ist der Griff zum Telefon, zur 112, dabei fast schon ein Reflex der Angehörigen. Einmal in der Klinik ist schnell die Magensonde gelegt oder der Venenzugang zur Flüssigkeitszufuhr. Georg Bollig, der Erfinder der Kurse, arbeitet selbst in einem Krankenhaus und sieht diese Überversorgung sehr kritisch:
07 Zsp. Sterben Georg Bollig:
Für uns Ärzte ist es so, dass wir ‚Leben retten‘ im Kopf haben, das ist für uns ne ganz wichtige Sache, und das macht’s manchen meiner Berufskollegen auch schwierig, Dinge sein zu lassen.
Musik: Complex questions
Erzählerin:
Er wünscht sich, dass das Thema „Sterben und Tod“ in die Kliniken einzieht. Nicht als eine Katastrophe oder das Ergebnis ärztlichen Versagens, sondern als eine Selbstverständlichkeit.
Musik hoch
Erzählerin:
Die ausgebildete Sterbeamme Anke Gerstein arbeitet seit vielen Jahren als Krankenschwester in einem Hospiz. Und stellt immer wieder fest: Auch wenn jeder Sterbeprozess anders ist, ähnelt sich vieles. Wie etwa die psychischen Reaktionen auf eine schwere Diagnose:
08 Zsp. Sterben Anke Gerstein
Nicht wahrhaben wollen, hadern damit, verhandeln, wütend sein und dann annehmen. Und die Angehörigen machen parallel diese Phasen auch durch. Wichtig ist, dass die Angehörigen über diese Phasen Bescheid wissen, weil wenn die Sterbenden so wütend sind, dann sind die oft sehr ungerecht.
Sprecher:
Einem Sterbendem beizustehen, ist kein Spaziergang. Und trotzdem: Wissen über das, was kommt, was kommen kann, gibt ein kleines Stück mehr Sicherheit bei dieser höchst anspruchsvollen Lebensaufgabe.
Erzählerin:
Zu diesem Wissen gehört auch, so erklärt Monika Müller, Expertin für Hospizarbeit, dass es manchmal nicht wirklich etwas zu tun gibt. Oft heißt begleiten einfach nur: Still da sein und aushalten:
09 Zsp. Sterben Monika Müller
Es gibt keinen verbalen Trost, Sie können alle Weisheitsbücher der Welt auswendig gelernt haben, es gibt nichts, was dem anderen die Trauer nimmt, den Schmerz nimmt, und vielleicht wäre es sogar ein Verbrechen, das zu wollen, weil, die Auseinandersetzung mit dem Leid gehört dazu.
Erzählerin:
Nicht nur die Psyche, auch der Körper durchläuft verschiedene Sterbephasen. Für diese Phänomene gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Sowohl biologische, als auch spirituelle.
Musik: C1461890020 New values:
Ein Ansatz ist – neben anderen – im tibetischen Totenbuch zu finden. Gemäß dieser buddhistischen Auffassung verlaufen die Sterbephasen analog zu den vier Elementen.
Sprecher:
Zunächst beginnt sich das Element Erde aufzulösen: Das Gehen fällt schwer, die Knochen werden brüchig. Im Element Wasser kann der Körper den Flüssigkeitshaushalt nicht mehr regulieren: Wasseransammlungen und Inkontinenz sind mögliche Folgen. Beim Element Feuer schafft der Körper es nicht mehr, die Temperatur zu regulieren: Fieber kann auftreten, aber auch kalte Arme oder Beine. Und das letzte Element ist die Luft:
10 Zsp. Sterben Anke Gerstein:
Das ist dann die letzte Phase: dass derjenige Atempausen bekommt oder eben dieses finale Rasseln, was den Angehörigen so viel Angst macht. Man denkt: ‚Der leidet so, aber das ist für den Sterbenden nicht so schlimm wie für den Angehörigen, der daneben sitzt. Ich bin eigentlich dazu da, um den Angehörigen die Sicherheit zu geben, dass das alles normal ist. Dass das alles dazu gehört.
Atmo 3 Letzte Hilfe Kurs:
Darüber Erzählerin:
All das ist normal und kein Grund, den Notarzt zu rufen. Das lernen auch die Teilnehmenden im „Letzte Hilfe-Kurs“. Nach der Kaffeepause erklärt Ulrike Lenhart, was im Körper eines sterbenden Menschen vor sich geht.
11 Zsp. Sterben Ulrike Lenhart:
Im Körper reduziert sich im Sterbeprozess alles mehr auf Herz, Lunge, Hirn. Die Durchblutung ist im Sterbeprozess nicht mehr so intensiv… (geht weiter)