
Sternengeschichten Folge 672: Der Zweck und die Geschichte des Countdowns
Sternengeschichten
Intro
Florian Freistetter eröffnet die Folge mit dem Thema Countdown bei Raketenstarts und dem historischen Apollo-11-Ausschnitt.
Sternengeschichten Folge 672: Der Zweck und die Geschichte des Countdowns
Einspieler Start Apollo 11 Das war der Start von Apollo 11, im Jahr 1969, auf dem Weg zur ersten Landung von Menschen auf dem Mond. Und abgesehen davon, dass das ein historisches und enorm bedeutendes Ereignis war, ist dieser Ausschnitt eigentlich sehr normal. Genau das passiert eben, wenn eine Rakete ins All startet: Es gibt einen Countdown und bei "Null" hebt die Raketen ab. Aber: Warum gibt es den Countdown?
Denn eigentlich braucht es sowas ja nicht. Die Rakete fliegt los, egal ob man vorher rückwärts bis Null zählt oder nicht. Man sollte sich halt schon irgendwann mal überlegt haben, wann man das Ding starten will, aber wenn man das getan hat, dann kann man die Rakete ja auch einfach zum entsprechenden Zeitpunkt fliegen lassen. Wieso gibt es einen Countdown? Die Antwort: Wenn man sich wirklich genau überlegt, wann und wie man eine Rakete ins Weltall fliegen lassen kann, dann muss man unterwegs zwangsläufig auf so etwas wie einen Countdown kommen. Die Dramatik des Rückwärtszählens hat aber einen ganz anderen Usprung.
Fangen wir mal mit der Technik an und widmen uns der Dramatik später. Wenn wir im Alltag einen Countdown in der Raumfahrt miterleben, dann meistens nur den dramatischen Teil, das Runterzählen in den letzten 10 Sekunden, bis zum Start. Aber natürlich muss die Arbeit für einen erfolgreichen Start schon sehr viel früher beginnen. Und der Countdown kann bis zu 96 Stunden vor dem Start beginnen. Denn da muss wirklich viel passieren, alles muss in der richtigen Reihenfolge und auf die richtige Weise passieren und wenn etwas nicht zum richtigen Zeitpunkt passiert, muss der Rest sofort und entsprechend angepasst werden. Es braucht hunderte oder tausende Schritte und Entscheidungen, bis so eine Rakete abheben kann und es ist klar, dass man das nur dann hinkriegt, wenn man sich bei all dem nicht verzettelt. Vor allem, weil man eine Rakete normalerweise nicht irgendwann starten kann. Je nachdem, was der Zweck der Mission ist, gibt es immer nur ein bestimmtes Startfenster, also einen konkreten Zeitraum, innerhalb dessen die Rakete abheben muss. Wird dieses Fenster verpasst, dann muss der ganze Start abgebrochen und zu einem späteren Zeitpunkt - hoffentlich - nachgeholt werden.
Schauen wir uns das ein wenig genauer an. Wer schon mal Raketenstarts verfolgt hat, wird dabei oft etwas in der Art von "T minus 20 Minuten" gehört haben. Dieses "T" ist wichtig, denn es bezieht sich auf den "T-Countdown". Gleichzeitig läuft aber immer noch ein anderer Countdown mit, nämlich der "L-Countdown". Das "T" steht für "time" also für "Zeit" und das "L" für "launch", also "Start". Oder anders gesagt: Der L-Countdown ist quasi der echte Countdown. Wenn eine Rakete zum Beispiel am 16. Juli 1969 um exakt 14:32 abheben soll, dann zählt der L-Countdown die Zeit bis genau dahin. Der T-Countdown zählt im Prinzip auch bis zum Start. Aber hier geht es um die genaue Abfolge der Dinge. Und, das ist der wichtige Punkt, der T-Countdown kann angehalten werden. Damit ist sichergestellt, dass man genug Zeit hat, um sich um Probleme oder ähnliches zu kümmern. Zum Beispiel kann der T-Countdown bei "T minus 20 Minuten" stehen, was theoretisch bedeutet, dass der Start in 20 Minuten stattfinden soll. Aber vielleicht ist in dem Moment gerade schlechtes Wetter. Also stoppt man den T-Countdown und wartet ab. Der L-Countdown läuft währenddessen natürlich weiter.
Oft wird der T-Countdown auch absichtlich zu vorab definierten Zeitpunkten angehalten. Das nennt man dann "Built-in hold", also quasi "eingebautes Halten". Schauen wir uns das am Beispiel eines typischen Space-Shuttle-Starts an. Die waren technisch besonders aufwendig und nachdem die grundlegenden Vorbereitungen - also die Montage der Raketen, usw - abgeschlossen sind, wird der Countdown gestartet. Die T-Uhr beginnt dabei mit mit T-43 Stunden. Es waren aber bei jedem Schuttle Start schon vorab sieben Built-in holds eingeplant, bei T-27, T-19, T-16 und T-3 Stunden und bei T-20 und T-9 Minuten. Diese vorgeplanten Stopps können unterschiedlich lang dauern. Bei T-27 wird die Uhr üblicherweise für vier Stunden angehalten. In der Zeit müssen dann alle Leute, die nicht wirklich nötig sind die Startrampe verlassen und die Vorbereitungen für die Betankung des Shuttles beginnen. Egal ob das jetzt schnell geht oder nicht: Die T-Uhr läuft erst nach 4 Stunden wieder weiter. Denn vielleicht kommt es ja doch zu Verzögerungen. Vielleicht ist bei den geplanten Schritten die vor dem Zeitpunkt T-27 passieren müssen, etwas nicht ganz nach Plan gelaufen - dann hat man diese 4 Stunden noch als Puffer, bevor es weitergeht. Bei T-19 wurde auch für 4 Stunden gestoppt, Bei T-11 kann der Stopp bis zu 14 Stunden dauern, usw. Je nach geplanten Ablauf der Dinge sind unterschiedlich lange Zeitpuffer eingebaut, damit auch sicher gestellt ist, dass man alles in Ruhe und in der richtigen Reihenfolge erledigen kann.
Ingesamt wird die T-Uhr 26 Stunden lang angehalten. Der echte, der L-Countdown beginnt daher auch nicht so wie der T-Countdown bei T Minus 43 Stunden, sondern bei L Minus 69 Stunden. Erst wenn alles geklappt hat, kurz vor dem Start, werden beim letzten Stopp der T-Uhr die beiden Countdowns synchronisiert und wenn dann alles so läuft, wie es soll, dann kommen T- und L-Uhr zur gleichen Zeit bei der Null an und die Rakete hebt pünktlich ab.
Man könnte noch viel mehr über die Details des Countdowns reden - aber es ist klar, dass es irgendein Prozedere braucht, um den Überlick über die einzelnen Schritte und die Zeit nicht zu verlieren. Es macht ebenfalls Sinn, wenn man dafür den Zeitpunkt des Starts als Nullpunkt nimmt. Die Zeit davor wird rückwärts gezählt und nach dem Start zählt man dann vorwärts weiter. Aber das ist alles eher eine interne, technische Angelegenheit. Eine Uhr im Kontrollzentrum, die anzeigt, wie die Zeit vergeht, ist das eine. Das dramatische rückwärtszählen von "10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, Lift-Off!" etwas ganz anderes. Das ist eigentlich nicht zwingend nötig, um die Rakete ins All zu kriegen. Warum machen wir das trotzdem?
Dafür ist vermutlich der deutsche Schauspieler und Regisseur Fritz Lang verantwortlich. Er hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein paar sehr berühmte Stummfilme gedreht, unter anderem "Metropolis" aus dem Jahr 1927. Kurz danach, im Jahr 1929 hat er den Film "Frau im Mond" veröffentlicht. Es ist ein Science-Fiction-Film, der von einem Wissenschaftler handelt, der zum Mond fliegen will, weil es dort seiner Meinung nach Wasser, Sauerstoff und Gold gibt. Gemeinsam mit einem Ingenieur baut er einen Rakete und macht sich auf den Weg. Der technische Berater in Sachen Raumfahrt war Hermann Oberth, einer der absoluten Pioniere in der Raketentechnik. Schon 1923 hat Oberth in seinem Buch "Die Rakete zu den Weltenräumen" genau erklärt, wie das mit der Raumfahrt funktionieren kann, lange bevor es dann tatsächlich so weit war. Es ist daher auch kein Wunder, dass die Darstellung der Rakete in Fritz Langs Film durchaus realistisch war. Das Problem das Lang hatte, war ein anderes: Er wollte im Film die Dramatik des Starts vermitteln. Aber es war eben ein Stummfilm, also waren keine lange Erklärungen oder ähnliches möglich. Also musste man mit den üblichen Text-Einblendungen klar machen, dass der Moment des Abhebens immer näher rückt. Wenn der Moment zum Beispiel noch zwei Minuten entfernt ist, könnte man die entsprechenden 120 Sekunden abzählen, also: 1, 2, 3, usw. Aber woher soll das Publikum wissen, dass es bei 120 dann losgeht? Das muss man dann wieder vorher erklären. Aber, so Lang, wenn man rückwärts zählt, muss man gar nichts erklären. Wenn man "10, 9, 8, …" und so weiter zählt, ist allen klar, dass bei "Null" etwas passiert. Also hat Lang entsprechende Texte eingeblendet und alles mit "Noch 3 Sekunden!", "2", "1" und "JETZT" beendet. So konnte er, auch ohne Geräusche, ausreichend Dramatik erzeugen.
Als dann später in den USA die Raumfahrt ernsthaft betrieben wurde, hat der alte Film den Leuten dort natürlich immer noch gefallen. Die NASA hat Fritz Lang sogar 1964 zu einer Veranstaltung eingeladen und - viel relevanter für diese Folge - sie hat das Konzept seines Countdowns übernommen, um der Öffentlichkeit die Dramatik eines Raketenstarts zu vermitteln.
Kurzer Einschub: Es gibt noch einen älteren Countdown als den von Lang in der Kunstgeschichte. Nämlich in dem 1897 erschienen Buch "The Great Crellin Comet" von George Griffith. Darin wird die Erde von einem Kometeneinschlag bedroht und man will das Ding ablenken, indem man eine riesige Kanone darauf abfeuert. Der entsprechende Moment liest sich dann so: "Dann begann er zu zählen: „Neun – acht – sieben – sechs – fünf – vier – drei – zwei – jetzt!“ Im selben Augenblick senkten sich beide Finger und schlossen die Stromkreise. Im nächsten Moment schien es, als hätten sich die innersten Feuer der Erde losgelöst."
Ein einwandfreier Countdown, aber einer, der nichts mit Raketen zu tun hat. Vielleicht hat Lang sich davon inspirieren lassen; vielleicht auch nicht. So oder so: Wir haben den dramatischen Countdown auf jeden Fall der Kunst zu verdanken und nicht der Wissenschaft. Und auch in der Wissenschaft gibt es übrigens Variationen. Bei der NASA endet man ja meistens mit "Go" oder mit "Lift-off", weil L-0 der Zeitpunkt ist, an dem die Rakete abhebt. Wenn die europäische Raumfahrtagentur ihre Raketen starten lässt, dann klingt das anders. Es klingt zuerst einmal französisch, weil die ESA von Kourou in französisch Guayana startet. Und wenn dort mit "trois - deux- un - top" geendet wird, dann heißt das, dass in dem Moment die Triebwerke starten, das Abheben dauert dann noch. In Russland war man früher überhaupt undramatisch und ist einfach gestartet, ohne dramatisch zu zählen.
Heute können wir uns einen Raketenstart ohne Countdown nicht mehr vorstellen. Wir zelebrieren die letzen Sekunden mit all dem Drama, das wir aufbringen können. Und irgendwie ist das ja auch ganz ok. Wenn eine Rakete ins Weltall fliegt, in der vielleicht sogar noch Menschen sitzen, dann ist das definitiv ein dramatischer Moment. Wir verlassen unseren Planeten, wir machen uns auf in das dunkle Weltall, hinaus in den Kosmos, hinaus zu den Planeten. Da kann man ruhig ein bisschen dramatisch sein; es wäre schade, wenn uns so etwas nicht mehr begeistern würde.